Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren

 

 

Kapitel 8

 

 

Tatsachenfeststellung

 

 

 

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Sollte sich eine der hier namentlich genannten Fachkräfte ungerecht oder in unzulässiger Weise behandelt fühlen, so kann sich diese zur Klärung ihrer Einwände direkt an mich wenden. Der direkte Weg erspart der betreffenden Fachkraft möglicherweise Anwalts- und Gerichtskosten in erheblicher Höhe, so wie sie etwa der Diplom-Psychologe Klaus Schneider im Rechtsstreit mit Peter Thiel vor dem Landgericht Berlin hinnehmen musste.

Zur Frage der Zitierfähigkeit familiengerichtlich eingeholter Gutachten - Urteil des Landgerichtes Berlin vom 07.11.2006 - 16 O 940/05 - Landgericht Berlin - Rechtsstreit Diplom-Psychologe Klaus Schneider gegen Peter Thiel - Veröffentlicht auch in: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", 16/2007, 15.08.2007, S. 1324-1325

Auf Grund der an einigen Amts- und Landgerichten, so z.B. beim Landgericht Frankenthal und beim Landgericht Hamburg, möglicherweise in Einzelfällen ausgeübten Zensur und Beschneidung der Informations- und Meinungsfreiheit zugunsten sich hier kritisiert sehender Fachkräfte, erkläre ich vorsorglich, dass es sich auf meiner Internetseite - wenn nicht eindeutig von mir als Tatsache vorgetragen - immer um meine persönliche, verfassungsrechtlich geschützte Meinung handelt, die als solche naturgemäß weder wahr noch falsch sein kann. Mithin wird von mir auch ausdrücklich erklärt, dass es sich bei meiner Meinung, dass an einigen Amts- und Landgerichten, so z.B. beim Landgericht Frankenthal und beim Landgericht Hamburg, Zensur ausgeübt wird und die Informations- und Meinungsfreiheit zugunsten sich hier kritisiert sehender Fachkräfte beschnitten wird, um meine persönliche Meinung, nicht aber um eine Tatsachenbehauptung handelt.

 

Peter Thiel

Systemischer Berater, Systemischer Therapeut / Familientherapeut (DGSF), Systemischer Kinder- und Jugendlichentherapeut (DGSF), Verfahrenspfleger (SPFW Brandenburg) und Umgangspfleger 

24.02.2024

 

 

 

Sie finden hier den Aufsatz "Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren" von Peter Thiel.

Die einzelnen Kapitel können Sie durch Anklicken des jeweiligen Links aufrufen. 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Vorbemerkung

2. Allgemeines

3. Kosten

4. Beweisbeschluss

5. Auswahl und Ernennung eines Gutachters (Sachverständigen)

6. Kompetenzen und Professionalität eines Gutachters

7. Einzelfragen

8. Tatsachenfeststellung

9. Sprache

10. Beantwortung der Beweisfrage

11. Auseinandersetzung mit der Arbeit des Gutachters

12. Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren: Beratung - Coaching - Begleitung - Analyse - Expertise

 

 

 

Kapitel 8

 

 

 

"Und das Genaue freilich erblickt kein Mensch und es wird auch nie jemand sein, der es weiß (erblickt hat) ... denn selbst wenn es einem im höchsten Maße gelänge, ein Vollendetes auszusprechen, so hat er selbst trotzdem kein Wissen davon: Schein (meinen) haftet an allem."

Xenophanes

Diels, Herrmann: "Die Fragmente der Vorsokratiker"; Rowohlt, Hamburg 1957, S. 20, zitiert nach Ernst von Glaserfeld: "Einführung in den radikalen Konstruktivismus"; In Watzlawick, Paul: "Die erfundene Wirklichkeit", S. 24

 

 

 

"Es ist durchaus falsch, zu versuchen, eine Theorie nur auf beobachtbare Größen aufzubauen. Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können." 

Albert Einstein

 

zitiert nach Watzlawick, Paul: "Münchhausens Zopf oder Psychotherapie und `Wirklichkeit`", Verlag Hans Huber, 1988; Piper Verlag April 2005, S. 149

 

 

 

 

 

 

Leitgedanke

Leitgedanke des Familien- und Kindschaftsrechts ist das Wohl des Kindes und das damit korrespondierende Grundrecht und -pflicht der Eltern und anderer für das Kind relevanter Personen in Bezug auf eine Beziehungsgestaltung zum Kind.

Während der Gesetzgeber im Grundgesetz das Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder im Grundgesetz Artikel 6 festgehalten hat, gibt es keinen gesonderten Artikel, der über das Recht der Kinder auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern und anderer relevanter Bezugspersonen definiert. Das Grundgesetz ist also ein in die Jahre gekommenes Gesetz aus dem 20. Jahrhundert, das das Kind nicht als eigenen Grundrechtsträger erwähnt.

 

 

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Artikel 6 Satz 2: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_6.html

 

 

 

Aus Artikel 6 folgt, dass der staatliche Wächter, hier das Familiengericht, alles tun muss, um Artikel 6 zur Geltung zu verhelfen. Daher leuchtet unmittelbar ein, dass der §1671 BGB, der eine Ent-sorgung eines Elternteils ermöglicht, ohne dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, verfassungswidrig ist und von daher ersatzlos gestrichen werden muss.

Das Familiengericht muss also so arbeiten, dass das Wohl des Kindes möglichst gesichert oder sogar gestärkt wird, d.h. die wichtigen Bezugspersonen wie die Eltern dürfen nicht demontiert werden, sondern müssen im gegenteil in Ihrer Fähigkeit und Möglichkeit das Kind zu erziehen und zu pflegen, gestärkt werden.

Der Gutachter als Hilfskraft des Gerichtes ist also auch unmittelbar an diesen Auftrag gebunden und darf seine Rolle nicht darin sehen, die Eltern oder einen Elternteil zu demontieren. Das schließt nicht aus, dass der Gutachter bei der Beantwortung der gerichtlich gestellten Beweisfrage, problematisch erscheinende Verhaltensweisen eines Elternteils in Bezug auf das Wohl des Kindes benennt und gegebenenfalls Vorschläge unterbreitet, wie diesen Verhaltensweisen begegnet werden könnte.

Hieraus folgt nun wieder, dass der Gutachter seine Feststellungen auf Tatsachen gründen muss und nicht auf Phantasiegebilde seines Gehirns oder gar grobe Missgunst oder Rachsucht, weil sich ein Elternteil nicht so nett zu ihm verhält, wie er es gerne hätte.

 

 

 

 

Tendenziöse Auswertung

MIt Beschluss vom 19.04.2006 entzieht das Amtsgericht Pankow/Weißensee - 21 F 4964/05 - Richter Silbermannn dem Vater nach § 1671 BGB das Sorgerecht. Vorausgegangen war dem ein Gutachten von Dr. Christina Stühler vom 10.03.2006 in dem diese empfohlen hatte, dem Vater das Sorgerecht zu entziehen. Das Kammergericht - 16 UF 93/06 - bestätigte mit Beschluss vom 24.07.2022 den Sorgerechtsentzug.

Mit Schreiben vom 22.06.2006 teilte Richter Kuhnke vom Kammergericht der Anwältin des Vaters mit:

 

"...beabsichtigt der Senat die Beschwerde und den Prozesskostenhilfeantrag des Vaters ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil das Amtsgericht aufgrund des Gutachtens überzeugend zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Mutter die elterliche Sorge zu übertragen ist.


Die Angriffe des Vaters hiergegen betreffen im wesentlichen Wertungen der Sachverständigen, die aber durchaus nachvollziehbar sind und das von ihr gefundene Ergebnis tragen."


 

Das Jugendamt Pankow - R. Stachura, Fachbereichsleiterin und Dr. U. Geißler, Diplom-Psychologin - nimmt mit Schreiben vom 10.07.2006 an das Kammergericht vom 10.07.2006 zum Beschluss des Kammergerichts Stellung:

 

"...

im Jugendamt ist die Information des Kammergerichts vom22.06.2006 eingegangen, dass auf der Grundlage des vorliegenden Gutachtens die Entscheidung der gerichtlichen Instanz als schlüssig erscheine und ohne weitere Verhandlung bestätigt werden. Da für die Empfehlung im Gutachten die Position unserer Mitarbeiterin, Frau Dr. Geißler, negativ bewertet wurde, gegen wir ihre Stellungnahme dem Gericht zur Kenntnis.

Frau Dr. Geißler schreibt zu dem Vorgang:
1. Zur Nutzung meiner Informationen an die Sachverständige (SV)
Ich bin sehr erstaunt, in welchem Maße die SV die von mir zur Verfügung gestellten Informationen in mehrfacher Hinsicht tendenziös auswertet.
1. Im Text werden mir Informationen unterstellt, die ich so nicht gegeben habe, weil sie nicht stimmen würden. ...
2. Es werden Aussagen inhaltlich zueinander in die Nähe gebracht, die sich scheinbar widersprechen, um die Kritik aufbauen zu können. ...
3. Es werden mir Motive unterstellt, z.B. ..., die mir nicht entsprechen.
4. Bereits während des Interviews habe ich der SV gegenüber deren Fragestellungen als suggestiv und parteilich benannt.
5- Was mich wirklich empört, ist die Unterstellung von "Aufdeckungsarbeit". Dsa wäre ein von mir selbst abgelehntes Herangehen. ..."

 

 

 

 

 

Falsche Tatsachenbehauptung

Falsche Tatsachenbehauptungen sind also konsequent zu unterlassen, sollten sie denoch vom Gutachter getätigt werden, müsste dies konsequenterweise mit einer sofortigen Entlassung des Gutachters durch das Gericht geahndet werden. Davon ausgeschlossen sind Verwechslungen, die jedem auch bei guter Arbeit einmal passieren können, so etwa wenn man ein Geburtsdatum eines Elternteils mit dem Geburtsdatum des anderen Elternteils verwechselt, dies kann nach entsprechendem Hinweis problemlos korrigiert werden. Anders dagegen, wenn der Gutachter behauptet, ein Elternteil habe im Gespräch dieses oder jenes gesagt und es existiert von diesem Gespräch keine Tonaufzeichnung. Von daher wird klar, dass eine seitens des Gutachters vorgenommene Tonaufzeichnung zum Standard einer Exploration gehören sollte, es sei denn, alle Beteiligten haben sich vorab darauf verständigt und dies auch schritlich dokumentiert, keine Tonaufzeichnung anfertigen zu wollen.

Trägt der Gutachter nun in seinem schriftlichen Gutachten oder mündlichen Vortrag vor Gericht nicht überprüfbare oder sogar falsche Tatsachebehauptungen vor, so kann sich hiergegen erfolgreich mit dem zivilrechtlichen Mittel der Aufforderung zur Unterlassung oder der Unterlassungsklage gewehrt werden. Das hierfür zuständige Zivilgericht überprüft dann, ob die Tatsachen nachweisbar, also wahr sind oder ob sie nicht wahr oder nicht verifizierbar sind und würde im letzteren Fall dem Gutachter untersagen, diese Behauptungen weiter zu verbreiten. Der Gutachter hätte dann nicht nur die Kosten des Zivilverfahren zu tragen, sondern müsste auch noch in seinem Gutachten die betreffenden Textstellen streichen, nur dann dürfte das Familiengericht das veränderte Gutachten als Grundlage für seine Entscheidungsfindung heranziehen.

 

 

 

 

Üble Nachrede

Das familiengerichtliche Verfahren ist kein Strafverfahren, es geht also nicht darum, einen Schuldigen oder einen Täter oder eine Täterin zu finden und zu bestrafen.

Der familiengerichtlich beauftragte Gutachter hat sich in seinem Gutachten von der Beweisfrage des Gerichtes leiten zu lassen. Unterstellungen und Verdächtigungen sind zu unterlassen.

Da ein Gutachten immer allen beteiligten Streitparteien, dem Verfahrensbeistand und oft auf dem Jugendamt zugänglich gemacht wird, ist die Gefahr der Verbreitung des dort vorgetragenen immer vorhanden. 

Trägt ein Gutachter unwahre Behauptungen vor, welche den hiervon Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sind, kann der Gutachter sich damit strafbar machen.

Bezeichnungen aus dem Strafrecht, wie etwa Täter oder Täterin, haben in einem familiengerichtlichen Gutachten nichts zu suchen. Die Verwendung solcher Begriffe durch einen Gutachter kann dazu führen, dass sich dieser dem Vorwurf des Tatbestandes der üblen Nachrede ausgesetzt sieht.

 

§ 186 Üble Nachrede

Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__186.html

 

 

 

 

Die Diplom-Psychologin Frau Theda Bekker scheint in einem Gutachten vom 30.09.2009 einen Belastungseifer aufzuweisen, der weit über das Maß dessen hinausgeht, was ein Gutachter an kritischen Vortrag in Richtung Eltern leisten darf.

 

"Nach Sicht der Sachverständigen entspricht lediglich ein Umgangsausschluss auf Dauer dem Kindeswohl. Die Kinder haben aufgrund des Verhaltens des Kindesvaters eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Eine Therapie einer posttraumatischen Belastungsstörung ist lediglich möglich, bei völligem Kontaktabbruch zum Verursacher der Störung (Täter). In diesem Zusammenhang und aus Therapeutensicht ist der Kindesvater als Täter zu bezeichnen. So ist eine dauerhafte Stabilisierung und Gesundung der Kinder nur bei dauerhaften Umgangsausschluss möglich.

Eine Therapie und die Stabilisierung der Kinder sind nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand beim Vorliegen einer posttraumatische Belastungsstörung nicht möglich, wenn dem Kindesvater der begleitete Umgang mit den Kindern erlaubt wird. 

Diplom-Psychologin Theda Bekker in einem 108-seitigem Gutachten vom 30.09.2009 für das Amtsgericht Ahlen - 12 F 36/091 - Richter Kintrup. Gutachten S. 105

 

 

Frau Bekker verwendet in ihrem Gutachten den Begriff "Täter", der dem Strafrecht zuzuordnen ist. Im Strafrecht darf jedoch jede/r so lange nicht als Täter/in bezeichnet werden, bis das erkennende Gericht dessen Schuld durch Urteil festgestellt hat.

Auch wenn Frau Bekker die, neben ihrer Tätigkeit als Gutachterin Betreiberin eines über Kostensätze der öffentlichen Jugendhilfe finanzierten Kinderheimes in Lengerich im Landkreis Steinfurt ist, mit schweren Schicksalen betroffener Kinder vertraut sein dürfte, wäre dies kein Freibrief für eine unreflektierte Verwendung des Begriffes "Täter".

Frau Bekker ist im übrigen vom Gericht nicht dazu aufgerufen, aus "Therapeutensicht" Vortrag zu halten, wenn sie wie hier gar nicht Therapeutin der Kinder ist. Hätte das Gericht einen Vortrag aus "Therapeutensicht" gewollt, hätte es einen die Kinder möglicherweise behandelnden Therapeuten als Zeugen geladen.

Im übrigen erscheint die einseitiges Zuordnung einer möglicherweise feststellbaren "posttraumatischen Belastungsstörung" auf den Vater als alleinigen Verursacher monokausal und damit unsystemisch.

 

 

 

Begrifflichkeiten, Prinzipien und Kriterien

Eine der Leitlinien der Arbeit des Familiengerichts ist das Wohl des Kindes (Kindeswohl) unter "Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten" § 1697a BGB. Außerdem soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken (§52 FGG). Daher hat das Gericht seine Arbeit von Anfang bis Ende ergebnisoffen zu gestalten. Denn erst mit einem Beschluss kann das Gericht eine Entscheidung treffen, die in einer Gesamtschau aller relevanten Argumente dem Ziel des § 1697 a BGB am besten entspricht. Dementsprechend offen sollte ein Auftrag des Gerichtes an einen Gutachter sein.

 

In Fällen vermuteter Gefährdungen des Kindes kommt der Begriff der Kindeswohlgefährdung dazu. Vermutet der Richter eine Kindeswohlgefährdung kann eine Beauftragung an einen Gutachter gehen, zu prüfen, ob das Kindeswohl durch das Verhalten der Eltern oder eines Elternteils tatsächlich gefährdet ist oder erwartet werden muss. Ist dies nach Auffassung des Gutachters der Fall, so hat das Gericht, nicht aber der Gutachter, über mögliche rechtliche Konsequenzen, so z.B. Einsetzung eines Umgangspflegers, Sorgerechtspflegers oder als Ultima ratio einen Sorgerechtsentzug nach §1666 zu entscheiden.

"Kindeswohl" und "Kindeswohlgefährdung" sind Konstruktionen und unscharfe Begriffe. Im Gegensatz zu einer Geschwindigkeitsmessung mit einem geeichten und messgenauen Messgerät, kann das "Kindeswohl" oder eine "Kindeswohlgefährdung" niemals objektiv bestimmt werden. Gutachter, die das dennoch behaupten und zur Untermauerung psychometrische Tests heranziehen, sind unseriös.

 

Trägt ein Gutachter vor:

 

"Der Sachverständige hat sich allerdings um eine Lösung bemüht, die sich am Kindeswohl orientiert."

Dr. Klaus Schneider, 07.05.2003

 

 

so mag es sehr ehrenwert sein, wenn der Gutachter der festen Überzeugung ist, sich am Kindeswohl zu orientieren. Ob er dies aber auch tatsächlich tut, ist nicht Frage einer Absichtserklärung, sondern des tatsächlichen Tuns und der Frage, was denn das Kindeswohl in dem konkreten Fall eigentlich sei. Dies festzustellen, also im Sinne Watzlawicks zu konstruieren, ist ja oft der explizite oder implizite Auftrag des Richters an den Gutachter. In dem betreffenden Fall, hier ging es um die Frage Wechselmodell versus Residenzmodell, konnte sicher gar nicht genau gesagt werden , was denn auf diesen Fall bezogen, das Kindeswohl sei. Dies herauszufinden war ja der Auftrag an den Gutachter, der sich angeblich am Kindeswohl orientiert hätte, obwohl seine Aufgabe gerade war, herauszufinden, was in diesem Fall das Kindeswohl denn überhaupt sei. Das ist so ähnlich, als wenn sie jemanden erzählen, sie hätten sich eine CD von dem berühmten Sänger X gekauft, der erst im folgenden Jahr berühmt sein wird, das heißt zukünftiges wird selbstrückbezüglich als gegenwärtiges oder vergangenes ausgegeben, von dem man aus, meint zukünftiges zu beurteilen.

 

Stellt das Gericht die Frage:

 

"ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes am besten entspricht" (Aberkennung des Sorgerechts nach §1671 BGB), 

 

 

so muss der Gutachter darlegen an Hand welcher Kriterien er dies prüfen und beurteilen will. Um Willkürlichkeit bei der Auswahl von Kriterien zu vermeiden, sollte es sich entweder um allgemein anerkannte Kriterien handeln oder der Gutachter muss überzeugend begründen können, warum das von ihm gewählte Kriterium geeignet sein soll, um daran beurteilen zu können, ob nach Meinung des Gutachters "die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes am besten entspricht".

Versucht der Gutachter unzulässige rechtliche Fragen des ihn beauftragenden Richters wie:

 

"Ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge für das Kind dem Kindeswohl am besten entspricht." 

 

 

in "psychologisch beantwortbare Fragen" zu übersetzen, so beteiligt sich der Gutachter zum einen an einer unzulässigen Rollenvertauschung. Nicht der Gutachter, sondern der Richter hat die für die Arbeit des Gutachters relevanten, nicht rechtlichen Fragen zu stellen. Zum anderen birgt die "Übersetzung" richterlicher Fragen in "psychologische" Fragen durch den Gutachter die Gefahr, dass der Gutachter sich in unzulässiger Weise seinen Auftrag selbst gibt.

 

 

Der Gutachter hat in seinem schriftlichen Gutachten Formulierungen wie:

 

"Wir sehen derzeit keine zwingenden Gründe durch einen Sorgerechtswechsel ein solches Risiko einzugehen und damit das Kindeswohl zu gefährden."

 

 

zu unterlassen, wenn er keine Gründe angeben kann, die eine solche Kindeswohlgefährdung glaubhaft machen. Tauchen solche unsubstantiierten Formulierungen in einen Gutachten auf, sollte das Gutachten zur Überarbeitung an den Gutachter zurückgeschickt werden. 

Im übrigen ist die Formulierung "Wir" unangebracht, sie diente früher den Herrschenden als Pluralis majestatis zur Verdeutlichung ihres Herrschaftsanspruches. Möglich dass auch die Gutachterin einen solchen Anspruch hat, nur dürfte sie dann für eine Tätigkeit als Gutachter ungeeignet sein und sollte sich für das Amt einer Königin in einer der wenigen noch bestehenden Monarchien bewerben.

 

Die Frage einer möglichen Kindeswohlgefährdung des Kindes in der Familie durch einen Gutachter abzuklären, gleicht oft dem Versuch, während einer Talkshow im Fernsehen herauszubekommen, ob ein dort zu sehender Politiker das Finanzamt betrügt oder nicht. Es ist doch ganz klar, dass im Moment einer Beobachtung während laufender Kamera oder des Besuches eines Gutachters in der Wohnung eines Elternteils nicht das gleiche Programm geboten wird, das sich darbietet, wenn die Scheinwerfer ausgeschaltet sind oder der Gutachter verschwunden ist. Nur selten zeigt jemand so wie z.B. nach der Bundestagswahl 2005 Bundeskanzler Gerhard Schröder, nach dem er offenbar vorher ein paar Bier getrunken hatte, in der sogenannten Elefantenrunde vor laufenden Kameras, was er noch so alles in seinem Verhaltensrepertoire hat. Bei allem Erschrecken, was das ausgelöst hat, muss man Schröder im Nachhinein doch auch einen gewissen Bonus geben, dass er sich hier einmal von einer Seite gezeigt hat, die viele andere Menschen selbstverständlich auch haben, nur dass diese oft gut verborgen unter einer eisernen Maske scheinbarer Freundlichkeit verborgen wird.

 

 

Wegen des gewöhnlich anzutreffenden Auftrittscharakters beim Besuch eines Gutachters, ist es nicht allzu verwunderlich, wenn bei Gericht eingereichte Anträge auf Wechsel des Kindes in den Haushalt des Antragstellers, die zur Begründung angeben:

 

"Immer häufiger unterrichtete der minderjährige Sohn der Parteien den Antragsteller darüber, dass er von der Kindesmutter, der Antragsgegnerin geschlagen würde.

Der gemeinsame minderjährige Sohn äußerte sich über Schläge auf den Hintern, den Popser und Schläge mit dem Waschlappen ins Gesicht. Ungefragt äußerte sich der gemeinsame minderjährige Sohn auch zu Ohrfeigen, einer Angst vor der Antragsgegnerin und vor deren neuen Lebenspartner."

Antrag des Vaters auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes vom 15.11.2004 an Amtsgericht Oschatz.

 

 

damit enden, dass, wie hier die als Gutachterin eingesetzte Carola Wagner schließlich meint:

 

„Die Mutter ist als grundlegend erziehungs- und förderkompetent, aber auch als bindungstolerant zu beurteilen, wobei sich Einschränkungen hinsichtlich einer kontinuierliche gezeigten Feinfühligkeit bezüglich A`s (der vierjährige Sohn - Anm. Peter Thiel) ergaben. Sie erkennt die Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche A`s, ein adäquates Eingehen darauf war ihr nicht immer im erforderlichen Maße möglich. Beim Vater hingegen ergaben sich Einschränkungen dahingehend, dass es ihm wenig gelingt, die kindlichen Bedürfnisse adäquat zu erkennen und zu befriedigen, wie er auch nur eine eingeschränkte Bindungstoleranz hat. Die eigenen Bedürfnisse des Vaters stehen im Vordergrund seines Handelns“ (S. 55)

 

„A ist in seiner Aussagetüchtigkeit massiv eingeschränkt. Es gelingt ihm noch nicht, generell einen freien Bericht mit einer Einbettung einer Situation in den Kontext zu erstatten.“ (S. 54)

 

„Der Vater trägt seine eigene Bedürftigkeit nach emotionaler Nähe an seinen Sohn heran und möchte, dass dieser in seinen Haushalt wechselt, um eigene unbefriedigte Bedürfnisse an und mit A zu nivellieren.

Herr X nimmt das kindliche Verhalten nicht realistisch, sondern massiv verzerrt wahr: er sorgt sich übermässig um das Kind.“ (S. 47)

 

 

So kann sich elterliche Besorgnis (hier des Vaters) schließlich in einen Bumerang für selbigen verwandeln. Der Vater kann vielleicht noch glücklich sein, nicht noch auf Grund einer Strafanzeige wegen übler Nachrede verfolgt zu werden. Das sind die Paradoxien des Rechtstaates, die es aber wohl auszuhalten gilt, will man nicht in die Falle einer sich omnipotent wähnenden Diktatur tapsen.

 

 

 

 

 

Aktenanalyse

Die Analyse vorhandener Gerichtakten erbringt für die Aufklärung einer gegebenen und sich entwickelnden Familienstruktur und Familiendynamik oft sehr wenig. Das einzige, was die Aktenanalyse recht zuverlässig ergibt, ist die Feststellung dass der familiäre Konflikt eskaliert ist und die Positionen der Streifparteien sich massiv verhärtet haben. In den meisten Fällen wird es daher unnötig sein, sich stundenlang durch die oft Hunderte von Seiten umfassenden Gerichtsakten hindurchzuwühlen, nur um hinterher zu wissen, dass die Situation sehr problematisch ist. Um sich einen gewissen Eindruck von schriftlich dokumentierten vorherigen Geschehnissen und Aktivitäten zu verschaffen, reichen daher meist 2 bis 3 Stunden Aktenanalyse aus.

Viele Gutachter meinen jedoch eine umfangreiche Analyse der Verfahrensakte und anschließende seitenlange Referierung in ihrem Gutachten durchführen zu müssen. 

So referiert beispielsweise der vom Oberlandesgericht Brandenburg als Gutachter beauftragte Diplom-Psychologe Michael Wiedemann in seinem 112-seitigem Gutachten vom 13.07.2008 auf 25 Seiten zu den vorliegenden Gerichtsakten und einem bereits von einer anderen Gutachterin für das Amtsgericht erstellten Gutachten.

 

Was dies für die vom Oberlandesgericht gestellte Beweisfrage bringen soll, erscheint fraglich. Zum einen widerspiegeln die Akten nicht die Wirklichkeit an sich, sondern die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch andere, durch die Eltern, die Anwälte, den Jugendamtsmitarbeiter, den Richter, den Verfahrenspfleger oder einen vorher tätigen Gutachter, etc. Die vorliegenden Wirklichkeitsbeschreibungen liegen zudem zeitlich zurück und es ist fraglich, ob sie für die Gegenwart, in der es zu beurteilen und neu zu gestalten gilt überhaupt noch nützlich sein können. 

Dass sich die Aktenanalyse dennoch so großer Beliebtheit bei Gutachtern zu erfreuen scheint, liegt sicher auch an der allgemeinen Krankheit orthodoxer Psychologie und der auf sie zwanghaft fixierten Psychologen. Die Vergangenheit bekommt dort, maßgeblich geprägt auch durch den Erfinder der Psychoanalyse Siegmund Freud und seinen zahlreichen weniger begabten Epigonen, einen Stellenwert, die nach moderneren Ansichten (Watzlawick) nur wenig Nutzen für die Gestaltung von Beziehungen in der Gegenwart besitzt.

Die gleichen Gutachter, die der Aktenanalyse offenbar eine magische Kraft zumessen, versäumen es auf der anderen Seite eine systemische Beschreibung der im Konfliktsystem, z.B. der Trennungsfamilie, agierenden Beteiligten (Eltern, Pflegeeltern, Jugendamt, Fachkräfte der ambulanten oder stationären Familienhilfe, etc.) zu geben. Das was eine aktuelle Kraft entfaltet wird so unbeachtet gelassen und das was Vergangenheit ist oder für Vergangenheit angenommen wird, wird überhöht und so zum Fetisch sich professionell gebärdender Arbeit gekürt.

 

 

 

 

 

Diagnostik

 

Die Diagnose (griechisch διάγνωση, jeweils heutige Aussprache diágnosi, wörtlich „die Durchforschung“ im Sinne von „Unterscheidung“, „Entscheidung“; aus δια-, dia-, „durch-“ und γνώση, gnósi, „die Erkenntnis“, „das Urteil“) ist in Berufen der Gesundheit wie Medizin, Pflege, Physiotherapie oder der Psychologie die genaue Zuordnung von Befunden - diagnostischen Zeichen oder Symptomen - zu einem Krankheitsbegriff oder einer Symptomatik. Im weiteren Sinn handelt es sich bei der Diagnose um die Zuordnung von Phänomenen zu einer Kategorie.

http://de.wikipedia.org/wiki/Diagnose

 

 

Im konstruktivistischen Verständnis kann man unter dem Begriff der Diagnostik die Erforschung und Interpretation der sogenannten "Wirklichkeit" verstehen, also der "Wirklichkeit, wie sie wirklich ist" (Paul Watzlawick). Erforschung und Interpretation "der Wirklichkeit" sind subjektive Prozesse. Die Wirklichkeit die wir wahrnehmen oder wahrzunehmen glauben, ist nicht die Wirklichkeit selbst, die aus philosophischer-erkenntnistheoretischer Perspektive prinzipiell nicht erfassbar ist, sondern eben unser Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen und dann zur Wirklichkeit erklären. Die Interpretation des von uns gefundenen Materials ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern ein Modell dessen, was wir für die Wirklichkeit ansehen.

Bei jeglicher Diagnostik menschlicher Beziehungen oder (konstruierter) Familiensysteme, ist somit zu beachten, dass es sich immer um eine Erhebung tatsächlicher Sachverhalte (so etwa die Feststellung, die Mutter hat das Kind geschlagen, der Vater hat das Kind geschubst) und eine Konstruktion von Wirklichkeit ist (Wirklichkeit zweiter Ordnung) und sich somit nie um die Wirklichkeit selbst handelt.

So kann ich etwa die Körpergröße eines Menschen messen oder die Anzahl seiner Kinder oder die Anzahl der Räume seiner Wohnung (Wirklichkeit 1. Ordnung), anders sieht es dagegen beim menschlichen Verhalten aus, dass auf Grund seiner Komplexität und Intersubjektivität zum einen immer im Wandel begriffen ist und zum anderen sich objektiver Bestimmbarkeit prinzipiell entzieht. Wir sprechen daher von einer Wirklichkeit 2.Ordnung, die diagnostiziert (konstruiert) wird.

Traditionell orientierte Psychologen und familiengerichtlich beauftragte Gutachter suggerieren dagegen ständig, dass es sich bei ihren diagnostischen Erhebungen um das Erkennen der Wirklichkeit wie sie wirklich ist handeln würde. Häufig glauben Psychologen und Gutachter sogar selbst daran, dass sie solche Fähigkeiten hätten, denn auf grund der gesellschaftlich noch weit verbreiteten Auffassung von der objektiven Diagnostizierbarkeit der Wirklichkeit und einer dementsprechenden eingebildeten Ausbildung an den Universitäten und Hochschulen, sitzen viele Psychologen und Gutachter schließlich in ihrem eigenen Glaubenssystem so fest, dass sie, so wie die heilige Inquisition zur Zeit Galileo Galileis, nicht bereit und - auf Grund ihres fixierten Blicks - auch nicht in der Lage sind sind, andere konstruierte Glaubenssysteme als das ihre zuzulassen.

 

Diagnostik (Bebachtung und Exploration), ist aus konstruktivistischer Sicht immer eine Konstruktion von Wirklichkeit. Schon die Beobachtung selbst ist ein selektiver und damit konstruierender Vorgang, wie Einstein zu Recht feststellt. Zwar kann man der Meinung sein, einzelne Vorgänge relativ "wirklichkeitskonform" wahrgenommen und abgebildet zu haben, so z.B. die Beobachtung eines vom Baum fallenden Apfels, doch auch hier bedarf es schon der Angabe des Kontextes - und damit einer unterscheidenden Auswahl, in welchem man den Apfel zu fallen sehen meint. Doch spätestens dann, wenn verschiedene Abläufe miteinander in Beziehung gesetzt werden, Kausalitäten erörtert werden, Interpretationen des Beobachteten aufgestellt oder Sinnfragen erhoben werden, beginnt die Konstruktion von Wirklichkeit.

 

Vergleiche hierzu: 

Paul Watzlawick;  Janet H. Beavin; Don D. Jackson: "Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern; 1969/2000/2003

Paul Watzlawick; John H. Weakland; Richard Fisch: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003

Paul Watzlawick: "Gesund in kranker Umgebung", In: "Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus."; Piper, 1981

Watzlawick, Paul: "Gesund in kranker Umgebung", In: "Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus."; Piper 1981

 

 

 

Die konventionelle, akademische Psychologie befasst sich leider nicht damit, das Leben von Menschen zu verbessern, sondern eigene Macht und Unabkömmlichkeit sicherzustellen, Status und Geld für sich zu sichern, also letztlich Selbstbefriedigung zu betreiben. Ähnliches hat schon Frederick Perls mit Blick auf die Gestaltpsychologie festgestellt:

„Eine kontrollierte Laboratoriumssituation ist eben in der Tat keine lebendig bedrängende Situation. Der einzig lebendig Betroffene ist der Versuchsleiter, und sein Verhalten ist nicht Untersuchungsgegenstand. Die Gestaltpsychologen haben sogar, mit löblichen Eifer für die Objektivität, allen Umgang mit dem Leidenschaftlichen und Spannenden vermieden, manchmal unter komischen Beteuerungen der eigenen Reinheit; sie haben die Lösung wirklich drängender menschlicher Probleme nicht erforscht. Sie scheinen tatsächlich oft zu sagen, alles im Gesamtfeld sei wesentlich, außer den menschlich spannenden Faktoren; die seien `subjektiv` und irrelevant! Andererseits bringt aber eben nur das Spannende eine kräftige Struktur hervor. ... Das Endergebnis ist natürlich, dass die Gestaltpsychologie selbst für die Entwicklung der Psychologie, der Psychoanalyse und ihrer Seitenzweige irrelevant und von ihr isoliert geblieben ist, denn diese konnten den drängenden Anforderungen der Therapie, Pädagogik, Politik, Kriminologie und so weiter nicht ausweichen.“

Perls, Frederick S., Goodman, Paul; Hefferline, Ralph F.: “Gestalttherapie. Grundlagen“, dtv, 1979; S. 21/22

 

 

Aus konstruktivistischer Sicht ist der Streit zwischen den akademischen Anhängern einer standardisierten Testdiagnostik und den Anhängern einer eher intuitiv geprägten Psychologie (tiefenpsychologische Spekulationspsychologie), die ebenso wenig gültiges über die "Wirklichkeit" aussagen kann, wie die standardisierte Testdiagnostik eher unterhaltenden Charakters. Der Streit der beiden Schulen gleicht letztlich der Bedeutsamkeit des Streit zweier Sophistiker darüber, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden. Für die drängenden Fragen der uns umgebenden Welt besitzt dieser Streit keine Relevanz.

Immerhin, die "standardisierten" Testdiagnostiker sind seit Jahrzehnten, wenn auch letztlich vergeblich dabei, den Stein der Weisen zu finden. Auch wenn Cohen mit seinem Glauben an die vermeintlichen Wohltaten einer Verfeinerung der Diagnostik in einem ähnlichen Irrtum verfangen war, wie viele hundert Jahre vor ihm Christoph Kolumbus, der meinte Indien auf dem Seeweg erreicht zu haben, tatsächlich war es aber ein den Europäern bisher unbekannter Kontinent - Amerika - kann man Cohen im Gegensatz zu vielen anderen Diagnostikern und Testfetischisten immerhin bescheinigen, einen interessanten Aufsatz geschrieben zu haben. Der Vortrag von Cohen, 1962 gehalten, ist in so fern noch heute aktuell, auch wenn die unentwegte akademische Forschung seitdem die Steuerzahler/innen Millionen gekostet, aber zu keinen relevanten Wissensfortschritt geführt haben mag: 

 

"Je verantwortungsvoller der Psychologe und je besser seine Ausbildung, um so mehr wird ihn diese Beschränkung seiner Arbeitsmöglichkeiten und dieser Mangel an Rückkopplung belasten, zumal bereits zahlreiche Untersuchungen (vgl. M e e h l, 1954; S a r b i n et al., 1960) beweisen, daß nur die wenigsten klinischen Voraussagen, das geheiligte 1-%-Niveau der Verläßlichkeit erreichen und daß meistens bessere Voraussagen getroffen werden können, wäre der Diagnostiker nicht auf seine intuitive Kombinatorik angewiesen, sondern stünden ihm empirische Wahrscheinlichkeitstabellen und entsprechend erstellte Regressionsgleichungen zur Verfügung.

Rudolf Cohen: "Die Psychodynamik der Test-Situation"; In: "Diagnostica", 1962, S. 34

 

 

Ob nun intuitive Kombinatorik oder empirische Wahrscheinlichkeitstabellen. Zukunft ist nicht vorhersagbar und jeder Fall ist eine ganz eigener Fall, von dem letztlich niemand mit Verlässlichkeit sagen kann, wohin er sich entwickeln wird. Die akademische Psychologie, die den Anspruch hat, den psychologischen Mainstream zu bestimmen, kann auf Grund ihrer eigenen existenziellen Abhängigkeit von der selbstgeschaffenen Unfruchtbarkeit, die eigene Unfruchtbarkeit nicht verlassen. So erzeugt sich die akademische Psychologie immer wieder selbst, so wie ein perpetuum mobile leitet sie das eigene Wasser auf die eigene Mühle, mit dem sie dann das eigene Wasser schöpft, dass sie auf die eigene Mühle leitet, ....

 

Wenn wir Diagnostik als Konstruktion von Wirklichkeit auffassen, kann Diagnostik jedoch durchaus sinnvoll sein. Wir behaupten dann allerdings nicht, so und nicht anders wäre es, sondern wir benutzen Diagnostik als Mittel zur Herstellung einer Hypothese (Wirklichkeitskonstruktion) und einer auf dieser Konstruktion ansetzenden gewünschten Veränderung. 

 

Diagnostik kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden.  

- Explorationsgespräche mit den Beteiligten

- Gemeinsame Gespräche der Beteiligten, die vom Gutachter in unterschiedlichem Maß moderiert oder nichtmoderiert (strukturiert) werden 

- Familienanamnese einschließlich des familiären Herkunftssystems unter Verwendung familiendiagnostischer Verfahren wie z.B. Genogrammarbeit, Familienskulptur, zirkuläres Fragen, Familienbrett

- Interaktionsbeobachtungen zwischen den Beteiligten, insbesondere aber zwischen den direkten Konfliktparteien, in der Regel Mutter und Vater, sowie zwischen den Eltern und ihrem Kind

- gegebenenfalls Gespräche mit außenstehenden Dritten (z.B. Lehrer, Verfahrenspfleger, Jugendamtsmitarbeiter, Geschwistern, Großeltern)

- In seltenen Fällen könnte die Durchführung  standardisierter (psychometrischer) oder nichtstandardisierter (z.B. projektiver) psychodiagnostischer Testverfahren angezeigt sein. Ihre Verwendung ist vom Gutachter in Bezug auf den Auftrag des Gerichtes zu begründen. Außerdem sind bei standardisierten Test Aussagen über die Objektivität, Reliabilität, Validität und Normierungen der eingesetzten Test zu treffen.

- sonstige

 

 

Bei der Analyse und Auswertung der Gerichtsakten handelt es sich nicht um eine unmittelbare diagnostische Tätigkeit, denn die Akte ist eine Sammlung divergierender Wirklichkeitskonstruktionen, nicht aber die Wirklichkeit selbst, die es zu untersuchen gilt. 

 

Letztlich muss der Gutachter entscheiden, welche geeignet erscheinenden Methoden und welches Vorgehen er anwendet, um dem gerichtlichen Auftrag nachzukommen. Dabei darf er aber nicht der Beliebigkeit verfallen, sondern muss sich immer wieder am gerichtlichen Auftrag orientieren.

Das Gericht, so der traditionelle Ansatz, möchte vom Gutachter etwas wissen, so z.B. bei welchem Elternteil das Kind die besseren Entwicklungsbedingungen hätte. Diese Ebene juristischen Denkens und Fragens vorausgesetzt, muss der Gutachter versuchen, das familiäre System, die familiäre Dynamik, die Interaktionsmuster, etc.  diagnostisch zu erfassen (Diagnostik). Dies kann auch im günstigsten Fall immer nur annähernd geschehen, da die Totalität nicht erfassbar ist und sich überdies alles in ständiger Bewegung befindet (panta rhei - alles fließt), wie schon die alten Griechen wussten.

 

Auf Grund eines möglicherweise quasireligiösen magischen Denkens wird im familiengerichtlichen Verfahren einer "umfassenden" Diagnostik ein Stellenwert eingeräumt, der ihr hinsichtlich der Idee, einen familiären Konflikt oder ein familiäres Problem lösen zu wollen, bei weitem oder sogar überhaupt nicht zukommt. 

Der traditionelle statusdiagnostische Ansatz (Erbsenzähleransatz) erinnert dabei an die Tätigkeit von militärischen Aufklärern im Krieg, die im besten Fall zwar eine Fülle von Informationen über den jeweiligen "Feind" sammeln, jedoch den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen und letztlich den kriegerischen Konflikt der verfeindeten Parteien (Eltern und involvierte Kinder und Jugendliche)  nicht nur nicht lösen helfen, sondern ihn oft noch verschärfen. 

 

 

Technotöne vom Titan

Die Landung der Sonde »Huygens« auf dem Saturnmond Titan ist für die Europäer ein voller Erfolg. Die Auswertung von Daten und Bildern wird Jahre dauern, und vielerorts fehlt dazu das Geld

Von Michael Tekath

In den frühen Morgenstunden des vergangenen Samstags war klar: John Zarnecki hatte die Wette um einen zehn Jahre alten Whisky gewonnen. Bis auf sieben Sekunden genau hatte der Wissenschaftler der Europäischen Weltraumagentur Esa die Sinkzeit der Huygens-Sonde vorhergesagt – mit Glück, wie er selbst zugab. Exakt zwei Stunden, 28 Minuten und 50 Sekunden brauchte die Raumkapsel, um nach dem Eintritt in die Atmosphäre des Titans sanft auf dem Saturn-Mond aufzusetzen. Dann kannte der Jubel im Europäischen Raumfahrtzentrum in Darmstadt keine Grenzen mehr: Die wohl aufwändigste und gewagteste Planetenmission der vergangenen Jahre war geglückt. Und die Europäer hatten daran den größten Anteil.

...

Das Cassini-Huygens-Projekt ist auch nach der Landung von Huygens nicht beendet. Die Hauptsonde Cassini wird mit ihren verbleibenden zwölf Instrumenten noch bis zum Jahr 2008 die Ringe und Monde des Saturns erkunden. Die Bilder und Daten aus der Atmosphäre und von der Oberfläche des Titans sind allerdings so etwas wie das Herzstück der Mission. Von ihnen erhoffen sich die Forscher nicht nur neue Erkenntnisse über den Saturnmond selbst, sondern auch Aufschlüsse über das äußere Sonnensystem und auf die Entstehung von Himmelskörpern allgemein. Schließlich ist Titan – neben der Erde – der einzige bekannte Himmelskörper, der über eine Atmosphäre aus Stickstoff verfügt. Vielleicht lassen sich aus Huygens’ Daten Rückschlüsse auf die Frühgeschichte unseres eigenen Planeten ziehen?

Bei aller Freude über die gelungene Huygens-Mission herrscht bei manchen der beteiligten Forscher doch auch ein gewisses Maß an Frust. Denn zum Teil können sie die riesigen Datenmengen gar nicht richtig verarbeiten. Das hat freilich keine technischen, sondern ganz profane irdische Gründe. »Für die Auswertung der Daten vom Ultraviolet-Imaging-Spektrografen auf Cassini fehlt mir schlicht ein Postdoktorand«, klagt beispielsweise der Planetenforscher Horst Uwe Keller. Dabei haben die Ultraviolettdaten bereits faszinierende Einblicke in die Struktur der Saturnringe geliefert – doch die weltweit abgedruckten Bilder stammen von Kellers amerikanischen Kooperationspartnern. Ähnliche Klagen kommen aus dem Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Dort soll der Astronom Eberhard Grün eigentlich die Daten zum kosmischen Staub analysieren, die die Cassini-Sonde liefert. Doch nach jahrelangen Kürzungen steht Grün für diese Arbeit nur noch eine »Restgruppe« zur Verfügung. »Wir kämpfen derzeit darum, Doktoranden zu bekommen«, sagt Grün.

Paradoxer könnte die Situation kaum sein. Einerseits stellte sich Bundesforschungsministerin Bulmahn voller Stolz in Darmstadt vor die Kameras und lobt die Mission als »hervorragendes Symbol europäischer Zusammenarbeit«. Andererseits klagen die beteiligten Forscher über mangelnde politische Unterstützung und darüber, dass die extraterrestrische Forschung in Deutschland seit Jahren stiefmütterlich behandelt werde.

Zwar hat Deutschland über ein Viertel der 400 Millionen Euro für die Huygens-Mission finanziert. Doch mit diesem Geld, das hauptsächlich an die Europäische Weltraumagentur Esa floss, wurde vor allem Start und Betrieb des Unternehmens sichergestellt. Die wissenschaftliche Auswertung dagegen bleibt den einzelnen nationalen Instituten überlassen. Macht sich dort, etwa in der Max-Planck-Gesellschaft, niemand für die Extraterrestrik stark, vergammeln die Daten aus dem All eben ungenutzt am Boden.

Vielleicht hat der Frust über diese Situation ja auch einen jungen deutschen Forscher dazu inspiriert, eine Botschaft auf jener CD mitzuschicken, die Huygens mit an Bord hat. Denn unter den 80000 Beiträgen findet sich darauf auch jene Nachricht: »Liebe Titanier. Wenn Sie einen Job für mich auf Ihrem Planeten haben, melden Sie sich umgehend. Mein Wohnort: Erde.«

DIE ZEIT 20.01.2005 Nr.4

http://www.zeit.de/2005/04/T-Huygens

 

 

 

Ähnlich wie in dem hier beschriebenen Raumfahrtprojekt sieht es oft in der familiengerichtlichen Praxis und der Tätigkeit bei Gutachtern aus. Ein immenser Aufwand zur Sammlung von Staub und auf der anderen Seite ist kein Geld da, um etwas sinnvolles für die Trennungsfamilien und ihre Kinder zu tun. Der Staub (Gutachten) kommt in das Aktenregal und nach 10 Jahren in die Aktenvernichtung. Das war es dann. Es soll keiner sagen können, es wäre nichts geschehen. Dies ist so ähnlich wie bei der schulmedizinischen Krebsbekämpfung. Ein oft irrsinniger Aufwand, Chemotherapie und noch mal Chemotherapie und zum Schluss ist der Patient dennoch meist tot. Dabei geht es oft nicht um den Patienten, sondern um das Gefühl der Behandler, wir haben alles getan und natürlich um finanzielle Interessen des medizinisch-industriellen Komplex.

 

Vergleiche hierzu:

Retzer, Arnold: "Tod und Töten in der Familie", In: "Familiendynamik", 1/2005, S. 23-43)

 

 

Ein Beispiel einer wohl unangemessen hoch eingestuften Einschätzung von Diagnostik gibt Joseph Salzgeber, die dieser im Zusammenhang mit der Diskussion um das sogenannte PAS (Partental Alienation Syndrome) äußert: 

 

"... somit sieht  sich die Fachwelt wieder zurückverwiesen auf das, was die grundlegende Arbeit jedes verantwortungsvollen Fachmanns kennzeichnet: Zunächst detaillierte Diagnostik im Hinblick auf möglichst alle bestimmenden Faktoren eines Problems und erst im Anschluß eine hierauf möglichst differenziert abgestimmte Intervention, die sich wiederum an alle Beteiligten richtet. 

Erst auf der Basis eines breiten Verstehens der familiären Gegebenheiten, welches ohne eine ausführliche Diagnostik nicht herstellbar ist, erscheint eine Intervention im Sinne der Wiederherstellung von abgebrochenen Kontakten nachhaltig aussichtsreich.. Dieses Vorgehen entspricht auch der Forderung nach Verhältnismäßigkeit. Ausgangspunkt jeder juristischen Entscheidung hat die Information zu sein. Erst bei Vorliegen hinreichenden Tatsachenmaterials kann das Gericht eine Entscheidung treffen." (Salzgeber, 2001, S. 86)

 

 

Neben der Überbewertung der Diagnostik durch Salzgeber fällt auf, dass dieser gleich eine Einschätzung für die gesamte Fachwelt zu geben scheint "... somit sieht  sich die Fachwelt wieder zurückverwiesen".  Vielleicht liegt das daran, dass Salzgeber in möglicher Überschätzung seiner wissenschaftlichen und praktischen Kompetenzen meint, die Fachwelt würde ohnehin nur das denken, was er vorgedacht hat. Die umfangreiche Anzahl seiner in Fachzeitschriften publizierten Arbeiten mag das nahe legen - fleißig ist der Mann schon - ein Beweis dessen ist es aber noch nicht. Dann gibt Salzgeber auch gleich noch den Gerichten die Marschrichtung vor "Erst bei Vorliegen hinreichenden Tatsachenmaterials kann das Gericht eine Entscheidung treffen." 

Es bedarf wohl keiner hellseherischen Fähigkeiten, wer diese viele unabdingbare Diagnostik zumindest in Bayern leisten sollte - die von Salzgeber geführte GWG mit Stammsitz in München drängt sich bei so viel geballter Kompetenz ja gerade zu auf. 

Im Gegensatz zu der von Salzgeber vertretenen Auffassung sei hier die These vertreten, dass einem gut qualifizierten und praxiserfahrenen Professionellen schon nach zwei bis drei Elterngesprächen klar wird, dass es sich um eine hochkonflikthafte Familie handelt. Weitere Diagnostik auf Vorrat bringt für die Lösung des Familienkonfliktes genau so viel, als wenn man siedendes Wasser noch weitere 20 Stunden auf der Herdflamme ließe, in der irrigen Annahme oder irreführen wollenden Absicht, dann über die Temperatur des Wassers genauere Angaben machen zu können, als zu Beginn des Siedevorgangs. Die 20 Stunden neben dem Wassertopf sitzen lässt man sich natürlich gut bezahlen, wozu hat man sonst so viele Jahre Psychologie studiert. 

Der unangemessen hohe Stellenwert traditioneller Diagnostik im familiengerichtlichen Verfahren ergibt sich auch aus der juristischen Haltung mit der viele Familienrichter an familiäre Konfliktlagen herangehen. Dem traditionellen juristischen Ansatz liegt eine eher entscheidungsorientierte Entweder-Oder Haltung zu Grunde. Mediative und auf Ausgleich und Entwicklung angelegte Haltungen führen im juristischen Betrieb trotz einiger hoffungsvoller Ansätze im wesentlichen wohl noch immer ein Schattendasein. Und wo ein juristischer Auftraggeber ist, der nach Diagnostik und vermeintlicher Klarheit verlangt, statt nach menschlicher Entwicklung, da sind auch die Diagnostiker nicht weit, so wie die Heinzelmännchen zu Köln ihr stilles Werk zu verrichten. Ob das den betroffen Menschen viel bringt, sei hier angezweifelt, auf alle Fälle ist der Schein von Ernsthaftigkeit und Geschäftigkeit gewahrt. Man übt sich gar in Wissenschaftlichkeit und wer wollte wohl in unserem wissenschaftsgläubigen Zeitalter etwas dagegen sagen. Das Wort Liebe interessiert nicht, da es wissenschaftlich und diagnostisch nicht erfassbar ist. 

Doch auch in unserer wissenschaftsgläubigen Zeit geschehen wohl noch dann und wann wahre Wunder. So z.B. bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht 1 BvR 784/03 – 2. März 2004. Der Kreis Flensburg wollte einem sogenannten Heiler, der sich weigerte eine Heilpraktikerausbildung zu absolvieren, die Ausübung seiner Tätigkeit des Handauflegens untersagen. Das Bundesverfassungsgericht widersprach dieser Untersagung und sprach dem Heiler das Recht zur Berufsausübung zu. Nur Diagnostizieren dürfe der Heiler nicht, was dieser auch gar nicht vor hatte. Wozu diagnostizieren, wenn Heilung auch ohne Diagnose möglich ist. Wenn man dazu noch bedenkt, wie vielen Menschen von Medizinern Krebs oder andere schwere Krankheiten diagnostiziert werden und wie hoch die Sterbensrate trotz Diagnose und einem wahren schulmedizinischen Bombardement auf diese Patienten ist, der kann den mitunter zweifelhaften Wert von Diagnostik ermessen. Nicht viel anders scheint es im üblichen familiengerichtlichen Getriebe zu sein. Ein wahres Großaufgebot von Diagnostik mit meist umgekehrt proportionalen Heilungserfolgen für die "kranken" Familien oder wie es so schön heißt , es kreißte der Berg und gebar eine Maus.

 

 

 

 

Testdiagnostik

Während "normale" Diagnostik wie sie auch Gutachter betreiben mit dem gesunden Menschenverstand noch verstanden werden kann, wenn auch nicht immer die gleiche Schlussfolgerung daraus erwachsen, so handelt es sich bei der Testdiagnostik, wie sie etwa von der Testzentrale, Hogrefe Verlag vertrieben wird um eine Art Geheimwissenschaft, die definitionsgemäß nur Diplompsychologen und Master auf Scienc-Psychologen verstanden werden könne. So sieht es jedenfalls Richterin Lubecki - 231 F 1608/18 UG - Amtsgericht Magdeburg - die in einem Schreiben vom 30.06.2020 vorträgt:

 

Soweit der Antragsteller um die Benennung der für die testpsychologischen Untersuchungen (SKEI, IGIP und K-FAF verwendeten Schlüssel bittet, wird nach telefonischer Rücksprache mit der Sachverständigen (Dr. Anne K. Liedtke - Anmerkung Peter Thiel) darauf hingewiesen, dass die "Schlüssel" nicht herausgegeben werden können. Testmanuale, in denen die Auswertungsmodalitäten beschrieben werden und Schablonen bzw. Auswertungsprogramme zur Erhebung der Ergebnisse der testpsychologischen Untersuchungen können grundsätzlich nicht an die Beteiligten herausgegeben werden, weil diese nur durch ausgebildete Akademiker (Diplompsychologen und Master auf Scienc-Psychologen)fachgerecht angewendet werden können. Von der Testzentrale, Hogrefe Verlag, werden diese auch nur an insoweit autorisierte Personen herausgegeben und vertrieben, sie sind nicht für Laien geeignet.

 

 

Nun ist die Richterin nach ihrer eigenen Definition ebenfalls Laie, was die Testdiagnostik betrifft. Wie will sie dann aber beurteilen, ob die Ergebnisse, die Frau Liedtke aus den textdiagnostischen Untersuchungen gewonnen haben will oder die getroffenen Schlussfolgerungen, plausibel, nachvollziehbar undrichtig sind. Dies entzieht sich also definitionsgemäß dem Urteilsvermögen von Richterin Lubecki, dies würde aber konsequenterweise bedeuten, dass sie solcherart erlangte Testergebnisse für ihre Beschlussfindung nicht verwenden kann, was wiederum die logische Schlussfolgerung nach sich zieht, dass die Testdiagnostik der Frau Liedke nicht verwertbar ist und möglicherweise von der Justizkasse auch nicht zu bezahlen ist, weil aus den genannten Gründen überflüssig. Kein Richter würde das Horoskop eines Astrologen für seine Beschlussfindung verwenden, es sei denn der Richter hätte die Prinzipien der Astrologie verstanden und anerkannt, was mir aber bisher noch nicht zu Ohren gekommen ist.

 

 

 

 

 

Diagnostik in der Gegenwart statt vergangenheitsverliebter Aktenanalyse

Sicherlich sollte sich der Gutachter einen gewissen Überblick der vorhandene Aktenlage verschaffen. Es kann aber nur dringend davor gewarnt werden, eine Aktenanalyse exzessiv zu betreiben. Es ist normalerweise völlig unsinnig und für das Verfahren wohl auch oft ohne Bedeutung Hunderte von Aktenseiten lesen und womöglich auch noch verstehen zu wollen. Für die Beantwortung der gerichtlichen Beweisfrage ist eine umfassende Aktenanalyse  zumeist auch völlig unnötig, da sich diese auf die von früheren Beteiligtenschriftlich festgehaltene Vergangenheit bezieht, während es aktuell um die Gegenwart geht und diese naturgemäß in keiner Akte zu finden ist, sondern im realen Leben selbst.

Man darf zudem die Darstellung in den Akten nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. In der Regel sind es parteiisch und subjektive, mitunter auch hasserfüllte Vorträge der streitenden Beteiligten oder auch ihrer Anwälte, die man in den Akten zu lesen bekommt. 

Der Gutachter sollte sollte daher in einer eventuellen Auswertung der Akten innerhalb seines Gutachtens nur diejenigen Punkte vortragen, die überhaupt von Belang für die Erfüllung des gerichtlichen Auftrages sind, die unstrittig sind oder bei unterschiedlichen Ansichten der Beteiligten, die in den Akten zum Ausdruck kommen, diese bei einer Wiedergabe auch gesondert zu kennzeichnen. 

 

Beispiel 1

In einem von Dr. Joseph Salzgeber unterschriebenen 81-seitigen Gutachten vom 23.05.2007, das vom Amtsgericht Dachau am 23.05.2006 in Auftrag gegeben, also erst  12 Monate nach gerichtlicher Inauftraggabe fertiggestellt wurde, findet man eingangs eine 25-seitige Aktenanalyse eröffnet (S. 5-30) von der wohl kaum ersichtlich ist, welchen Informationswert diese Aktenanalyse in Bezug auf die gerichtliche Beweisfrage des Gerichtes, dem ja alle Akten vorliegen, haben soll.

Wer sich einmal der Mühe unterzogen hat, aus einer umfangreichen gerichtlichen Akte, relevante Sachverhalte auszuwählen und darzustellen, wird wissen, dass dies eine recht mühselige und zeitraubende Tätigkeit ist. Die Annahme dass diese Tätigkeit nicht vom bestellten Gutachter Joseph Salzgeber, sondern von einer anderen Person, mutmaßlicher Weise dem gerichtlich nicht bestellten Diplom-Psychologen Rüdiger Eisenhauer vorgenommen wurde, liegt wohl nicht ganz fern.

Wäre dies der Fall, dann läge möglicherweise nicht nur eine überflüssige Referierung bekannter Akteninhalte vor, sondern auch noch eine strafbare Verletzung des Datenschutzes vor, denn das den Gutachter bestellenden Gericht muss davon ausgehen, dass der Gutachter mit der Einsichtnahme in die Gerichtsakten Einsicht über private Geheimnisse der Beteiligten erhält und daher nicht berechtigt ist, die ihm höchstpersönlich zur Verfügung gestellte Akte anderen vom Gericht nicht autorisierten Personen zur Einsichtnahme zu überlassen.

 

Strafgesetzbuch 

§ 203 Verletzung von Privatgeheimnissen

(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als

1.

2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung

3. ... 4.

5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder

6. ...

anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) ... (5)

 

 

 

Eine kurze chronologische Übersicht hinsichtlich der für das familiengerichtliche Verfahren relevanten Ereignisse durch den Gutachter dürfte sinnvoll sein, damit der Richter und auch die anderen Verfahrensbeteiligten, inklusive ihrer Rechtsanwälte oder anderer hinzugezogener Beistände, sehen können, ob der Gutachter den durch die Akten und die Vorträge der Eltern dargestellten Konfliktverlauf einigermaßen erfasst hat und nicht, wie es in einigen Fällen denkbar zu sein scheint, der Gutachter auf Grund von Arbeitsüberlastung oder Verwirrung verschiedene von ihm bearbeitete Fälle verwechselt. Zum anderen gibt die spezifische Darstellung des Konfliktverlaufes durch den Gutachter auch oft einen ersten Eindruck von dessen subjektiver Sicht auf den Fall wider, denn schon die Auswahl der für bedeutsam gehaltenen Ereignisse und ihre sprachliche Darlegung durch den Gutachter lassen Rückschlüsse auf ihn selbst zu.

 

Ob es darüber hinaus anerkennenswerte Gründe für eine ausführliche Darstellung gibt, ist zu Recht umstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass alle Darstellungen die nicht in einem aufzeigbaren Zusammenhang mit der gerichtlichen Beweisfrage stehen, für die Beantwortung dieser Beweisfrage logischerweise auch überflüssig und von daher auch nicht vergütungsfähig sind. 

 

vergleiche hierzu:

Bettina Knauth; Stephan Wolff: "Am Gericht vorbei? eine konversationsanalytische Untersuchung der Bedeutung von Aktenauszug und körperlichem Befund in psychiatrischen Gerichtsgutachten", In: "Monatschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform", 1991, Heft 1,  S. 27-40

 

 

 

Beispiel 2

Während einige Gutachter recht sparsam hinsichtlich einer eigenen Zusammenfassung des bisherigen Konfliktverlaufes zu sein scheinen, so z.B. bei Dr. Sibylle Kurz-Kümmerle (18.02.05) und Diplom-Psychologin Kae-Rza (15.2.2005) oder nur die Angaben der Eltern wiedergeben, so z.B. bei Dr. Sibylle Kurz-Kümmerle, 04.07.2005, geben andere Gutachter recht umfängliche Darstellungen wieder, so z.B. auf sechs Seiten die Diplom-Psychologin Helga Feyerabend (07.01.2005).

 

 

Beispiel 3

Die als Gutachterin bestellte Diplom-Psychologin Iris Witzani widmet einer Aktenanalyse über 10 Seiten ihres 43-seitigen Gutachtens, das ist ein Viertel des gesamten schriftlichen Gutachtens.

 

Diplom-Psychologin Iris Witzani, Gutachten vom 30.01.2008 für Amtsgericht Wetzlar , S. 4-14

 

 

 

Beispiel 4

Bezeichnet ein Gutachter seine Darstellung mit "Problemsituation nach Aktenlage" (Dr. Klaus Schneider, Gutachten vom 24.05.2005, S. 2), so kann man fragen, was er damit meint und wozu er überhaupt eine solche Überschrift wählt. Meint er ein Problem zu beschreiben, wie er es sieht oder wie es die Beteiligten sehen? Und wieso schreibt er nicht einfach "Aktenlage", sondern "Problemsituation nach Aktenlage". Wozu ist es gut an allen möglichen und unmöglichen Stellen Probleme (Problem - das Vorgelegte, Duden Fremdwörterbuch 1997) sehen zu wollen, wo möglicherweise gar keine sind oder keine erzeugt werden, wenn wir sie nicht selbst konstruierten. Vielleicht nur dafür, um die Bedeutsamkeit und Unabkömmlichkeit des Gutachters herauszustreichen und schließlich im Wege der selbsterfüllenden Prophezeiung Probleme zu erzeugen, wo vorher keine waren. Hier mag man einwenden, wenn Eltern vor dem Familiengericht stehen, dann ist es doch klar, dass sie ein Problem hätten. Man kann es aber auch in Anlehnung an Watzlawick so sehen, dass es die Rahmung ist, die wir - und hier insbesondere die beteiligten Fachkräfte - einer Sache verleihen, um aus ihr ein Problem zu konstruieren oder eben nicht. 

 

vergleiche hierzu:

Watzlawick, Paul: "Münchhausens Zopf oder Psychotherapie und `Wirklichkeit`", Verlag Hans Huber, 1988; Piper Verlag April 2005, S. 187-190

 

 

Dass es im familiengerichtlichen Verfahren einen Hang zur Problemerzeugung durch die Fachkräfte zu geben scheint, mag seinen Grund auch darin haben, dass die Fachkräfte von sogenannten Problemen leben und das Verschwinden von Problemen ein neues Problem hervorrufen kann, nämlich Arbeitslosigkeit der betreffenden Fachkräfte. Dies kann sicher niemand wollen, der ein Herz für Gutachter hat - und wer hätte ein größeres Herz für Gutachter, als der Gutachter selbst - und so muss alles getan werden damit dieser schlimmste Fall nicht eintritt.

 

 

 

Beispiel 5

Der von Richter Scheepers am Amtsgericht Mönchengladbach als Gutachter beauftragte Diplom-Psychologe Peter Wessler, widmet  real 50 Prozent seines 27-seitigen Gutachtens vom 10.03.2008 der Wiedergabe "der persönlichen und familiären Vorgeschichte (nach Akte und Exploration)". 

Der beauftragende Richter hat aber nicht darauf gebeten, die "persönliche und familiäre Vorgeschichte (nach Akte und Exploration)" zu erfahren, sondern: 

 

I. Es soll Beweis über folgende Fragen erhoben werden

1. Sind beide Elternteile uneingeschränkt erziehungsfähig.

2. Der Aufenthalt bei welchem Elternteil entspricht am besten dem Wohl von A?

 

 

wobei die Beweisfrage von Richter Scheepers nicht für eine besonders hohe richterliche Kompetenz, Beweisfragen zu stellen, spricht, denn welcher Elternteil einschließlich des Richters Scheepers ist schon - bei Anlage eines nichtvorhandenen Ideals der Erziehungsfähigkeit - "uneingeschränkt erziehungsfähig", so dass man fragen kann, wozu eine solche Frage dann gestellt wird? 

Ebenso könnte man auch fragen: Ist Richter Scheepers uneingeschränkt urteilsfähig oder Diplom-Psychologe Peter Wessler uneingeschränkt untersuchungsfähig und könnte bei einer Verneinung dieser Frage die Schlussfolgerung ziehen, Richter Scheepers müsse aus dem Richteramt entlassen und  Diplom-Psychologe Peter Wessler dürfe nicht mehr als Gutachter beauftragt werden, grad so wie ein Elternteil beim Nichtvorhandensein einer "uneingeschränkten Erziehungsfähigkeit" nach §1671 BGB aus der elterlichen Verantwortung entlassen werden kann, "wenn dies nach Auffassung des Richters "dem Wohl des Kindes am besten entspricht".

 

Wenn die richterliche Beweisfrage bei fachkundiger Beurteilung schon das Prädikat "ungenügend" erhalten würde, wäre das aber sicher noch kein Freibrief für den als Gutachter beauftragten Peter Wessler eine unverhältnismäßig breit angelegte Aktenanalyse zu betreiben, wozu ihn das Gericht gar nicht aufgefordert hat. Denn die wie auch immer zu beurteilende Erziehungsfähigkeit der beiden Eltern ergibt sich nicht aus dem Inhalt der Gerichtsakte oder den subjektiven und von Idealisierungen und Auslassungen problematischer Verhaltensweisen geprägten Vorträgen beider Eltern, sondern aus der realen Interaktion der Eltern mit ihrem Kind in den verschiedensten Lebenssituationen. Diese hat der Gutachter zu beobachten, um zu einer vom Gericht erfragten Beurteilung der Erziehungsfähigkeit der Eltern zu kommen. Wenn der Gutachter sich dabei weniger als eine Stunde Zeit nimmt, die tatsächliche Interaktion von Mutter und Kind zu beobachten, dann kann man schon vermuten, dass er sich mit seinen beurteilenden Behauptungen über die Erziehungsfähigkeit der Mutter und des Vaters in das Reich der Spekulationen begibt.

 

 

 

 

 

Ursachenforschung

 

 

Auf der Suche

Jemand beobachtete Nasrudin, wie dieser etwas auf dem Boden suchte.

"Was hast du verloren, Nasrudin", fragte er.

"Meine Schlüssel!", sagte der Mulla.

Beide lagen nun auf den Knien und suchten. Nach einer Weile fragte der andere "Wo hast du sie denn eigentlich verloren?"

"In meinem Hause."

"Aber warum suchst du ihn dann hier draußen?"

"Weil es hier heller ist."

 

aus: Idris Shah: Die fabelhaften Heldentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasrudin

 

 

 

Diese kleine nette Geschichte, lässt sich auch auf viele Gutachter übertragen. Diese fangen oftmals an zu suchen, obwohl sie entweder gar nicht wissen, wonach sie suchen oder sie suchen an Stellen, an der es im Sinne des ihnen übertragenen Auftrages nichts zu finden gibt, und sie nur deshalb an einer Stelle suchen, wo es nichts zu finden gibt, nur weil es dort heller ist. So z.B. wenn sie sich auf die Suche nach "Ursachen" begeben. Dies hat wesentlich damit zu tun, dass die meisten Gutachter aus einer psychologischen Tradition kommen, in denen dem Finden (Aufdecken) der sogenannten "Ursachen" entscheidende Bedeutung beigemessen wird. So etwa bei Siegmund Freud, der als ein Ziel psychoanalytischer Therapie ansieht, die sogenannte Urszene aufzudecken, also das wichtige Schlüsseltrauma, das für die aktuellen Probleme des Analysanden verantwortlich sein soll, zu identifizieren und bewusst zu machen. 

 

Urszene

Ein Begriff der Freudschen Psychoanalyse, der „die Vorstellungen des Kindes von der Beobachtung des elterlichen Geschlechtsverkehrs“ umfasst. Gemäss Freud hat die Urszene eine pathogene Wirkung. Der „im frühen Kindesalter beobachtete [oder auch fantasierte] Koitus der Eltern“ wird verdrängt und später unbewusst zum Auslöser für Neurosen. Dabei wird angenommen, dass das Kind den Sexualakt als aggressive Handlung des Vaters gegenüber der Mutter erlebt, also im sadistischen Sinne. „Seit dem 'Wolfsmann' [(1918)] hat sich der Gebrauch des Begriffs 'Urszene' für die Beobachtung des elterlichen Geschlechtsverkehrs eingebürgert.“ Daneben gibt es bei Freud aber auch eine allgemeinere Definition der Urszene, die sämtliche traumatisierende szenenhafte Kindheitserlebnisse umfasst. Die den Neurosen zugrundeliegenden Szenen oder Fantasien (in Kindheitserinnerungen sind Realität und Fantasie oft vermischt) des Patienten werden in der Analyse rekonstruiert.

Quelle: Handbuch der psychoanalytischen Grundbegriffe, S. 775-776. Hgs. Wolfgang Mertens, Bruno Waldvogel. Stuttgart: Kohlhammer, 2000.

http://www.film.unizh.ch/studium/studiengang/elearning/wiki/index.php?n=Main.Urszene

 

 

Die moderneren therapeutischen Modelle wie Gestalttherapie (Frederik Perls), systemische und lösungsorientierte Kurzzeittherapien (Paul Watzlawick, Steve de Shazer u.a.), Hypnotherapie (Milton H. Erickson) haben gezeigt, dass es für die Veränderung aktueller Schwierigkeiten und Probleme in der Regel gar nicht darauf ankommt "die Ursachen" zu finden, die sich ohnehin trotz anderslautender Beteuerungen der orthodoxen Psychotherapie nicht finden lassen. Perls hat schon, seiner Zeit wohl weit voraus, darauf aufmerksam gemacht, dass der erinnerten Szene - die ohnehin nicht die tatsächlich stattgefundene Szene widerspiegelt -  nicht per se ein therapeutischer Nutzen innewohnt, sondern dass die erinnerte Szene nur insoweit therapeutisch nutzbar ist, als sie als ein Bild einer wichtigen aktuellen Thematik - einer unvollständigen Gestalt - dient, die es zu schließen gilt.

 

Vergleiche hierzu:

Perls, Frederick S.; Hefferline, Ralph F.; Goodman, Paul: Gestalttherapie Grundlagen. dtv, 1979, amerikanische Originalausgabe 1951, S. 84: Der therapeutische Nutzen der erinnerten Szene

 

 

Leider wird die antiquierte psychoanalytische "Ursachenforschung" mitunter auch bei systemisch orientierten Bildungsträgern - von denen man es wirklich nicht erwartet - angeboten. Man gefällt sich in der akademischen Frage: Wieso bin ich so wie ich bin?, anstatt sich sinnvoller Weise auf eine gegenwartsbezogen Forschungsreise mit dem Titel: Wo stehe ich, wo will ich hin, was brauche ich dazu, was werde ich als nächstes tun? zu begeben. Dabei kann es gelegentlich sinnvoll sein kann, einen virtuellen Blick in die Vergangenheit, die es längst nicht mehr gibt, zu werfen, ließe sich mit einem gegenwartsbezogenen Ansatz gut vereinen.  

 

Seminar 2006 am Institut für Familientherapie, Weinheim

Anmeldung: Freiburger Str. 46, 69469 Weinheim

Tel: 06201-65952 info@if-weinheim.de

 

Ich, der Mann - eine Forschungsreise

Wieso bin ich so wie ich bin? Gewalttätig/aggressiv - sanft hingebungsvoll, machtgierig - unterwürfig, väterlich fürsorglich - egoistisch, sportlich fit - gemächlich, lebenslustig - zurück gezogen, humorvoll - ernsthaftig, kommunikativ - sprachlos ...Themen, die die männliche Seele elementar berühren, uns leiten und einen existenziellen Part in allen Beziehungen einnehmen.

Die Reise führt in die Vergangenheit und berührt zentrale Botschaften, sie legt unentdeckte Ressourcen frei und bietet die Chance die frei werdenden Energien für eine alternative Zukunftsgestaltung zu nutzen.

Als Therapeuten müssen wir auf der Grundlage unserer eigenen Geschichte und Erfahrungen mit Männern erkennen was wir unter Männlichkeit verstehen und wie wir von unserem Bild in der täglichen Arbeit beeinflusst sind. Der Weg zur Männlichkeit wird uns begleiten und die Rollen als Vater, (Sex-)Partner, "Versorger" und Freund tangieren.

Das Seminar ist so angelegt dass Bausteine davon für die Durchführung von eigenen Gruppen übernommen werden können.

 

Termin: 20.- 22. Oktober 2006

Seminarort: Bad Wimpfen

SeminarNr:

Leitung: Hans-Georg Pflüger, Paar- u. Familientherapeut, Supervisor

Thomas Hannss, Familientherapeut, Supervisor

Teilnahmegebühr: € 230,00

 

 

 

Das neuere Wissen von der Redundanz von Ursachenforschung hat sich aber häufig noch nicht im etablierten akademischen Lehrbetrieb, der an sich oft auch redundant sein dürfte, herumgesprochen. Dort unterrichtet man die Studenten häufig noch im Geist der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Und so kann es nicht wundern, dass viele Gutachter, denen ohnehin oft ein sehr konservatives Weltbild zu eigen sein scheint, im 21. Jahrhunderts mit Methoden der 50er Jahre arbeiten  - zum teile erheblichen Schaden vieler Kinder und ihrer Eltern.

 

Die Suche nach "den Ursachen" ist aber oft nicht nur überflüssig, sondern nicht selten auch an sich fehlerhaft. So z.B. in einer vom Autor selbst erlebten kleinen Begebenheit, die in ähnlicher Weise jeder Mensch schon einige Dutzend Male erlebt haben dürfte:

Ein Freund von mir ist an einem Abend als Kassierer bei einer "Modern Dance" Tanzvorführung eingesetzt. Deshalb kann ich in die Vorstellung, ohne bezahlen zu müssen. Die Vorstellung beginnt tänzerisch recht anspruchsvoll und interessant. Leider habe ich aber wenig später noch einen anderen Termin, den ich unbedingt wahrnehmen muss. Daher stehe ich in einer kurzen Pause, in der das Licht erlischt auf und gehe aus dem Zuschauersaal. Am nächsten Tag erzählt mir der Freund, die Regisseurin hätte sich mit ihm unterhalten und bemerkt, da wäre ein Mann schon nach einer halben Stunde gegangen, weil er die Dramatik des Stückes nicht ausgehalten hätte. Die Regisseurin hat sich also einen Sinn, eine Ursache meines Gehens konstruiert, denn wer zahlt schon 8 Euro Eintritt - sie konnte nicht wissen, dass ich gar nichts bezahlt hatte - und geht dann gleich wieder? Sie wählt dabei die Erklärungsvariante, dass ihr Stück ein sehr gutes Stück sei, deshalb könne die Ursache des Weggehens des Zuschauers nur die sein, dass ich die Dramatik des Stückes nicht ausgehalten hätte. Wäre die Regisseurin stark von Selbstzweifeln geplagt, so hätte sie sicher angenommen, mir habe das Stück nicht gefallen und sie hätte sich selbstquälerisch auf die Suche nach den Ursachen begeben, warum mir das Stück nicht gefallen habe. Dass ich als Zuschauer aber einfach nur los musste und dies mir um so leichter viel, als ich nicht bezahlt hatte, kam ihr als mögliche "Ursache" nicht in den Sinn.

Bei den meisten Gutachtern der in Deutschland bedauerlicherweise oft anzutreffenden dürftigen Provenienz dürfte die Suche nach den Ursachen ähnlich erfolglos verlaufen, nur dass diese im Gegensatz zu der Regisseurin noch nicht einmal eine gelungene Vorstellung auf die Bühne bringen.

 

Vieles von dem, was in der familiengerichtlichen Landschaft als Diagnostik angeboten wird, dürfte für die Lösung schwieriger Familienkonflikte ungefähr genau so hilfreich sein, als wenn man während eines Großbrandes einen Gutachter einsetzen würde, der die Ursache des Brandes ermitteln soll. Während der Gutachter die Ursache ermittelt oder zu ermitteln meint, wartet die Feuerwehr (Familiengericht) untätig am Rande auf den abschließenden Bericht des Gutachters, um dann unverzüglich mit den Löscharbeiten zu beginnen. Nur leider ist dann nichts mehr zu löschen, das alles bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist. Die Krankenwagen und Leichenwagen haben inzwischen die Verletzten und Toten abgefahren. Der Gutachter lässt sich sein angeblich wohlverdientes Honorar von 2.5000-6.000 Euro auszahlen (vgl.  hierzu: Salzgeber 2003, S. 556) und wähnt sich in dem Glauben, Gutes getan zu haben. Was die Deckung seines Kontos angeht, dürfte er sogar recht haben.

 

Gutachterliche Diagnostik sollte nicht mit "Ursachenforschung" verwechselt werden, wie das in der gutachterlichen Praxis bedauerlicherweise noch oft geschieht. "Ursachenforschung" ist in der Regel für die aktuelle Bewertung des Konfliktes nur wenig oder gar nicht hilfreich. Dies rührt zum einen daraus, dass es keine monokausalen Ursachen gibt und dass das, was die Beteiligten als "die Ursache" betrachten, immer nur eine subjektive Deutung der Wirklichkeit ist, nie aber die Wirklichkeit selbst. Selbst wenn man "die Ursache" kennen würde, nützt das in er Regel nichts, denn "die Ursache" liegt in der Vergangenheit und die Vergangenheit ist unabänderlich und nur in der Gegenwart man ein Problem oder einen Konflikt lösen. Dazu kann es mitunter sinnvoll sein, einen subjektiv gefärbten Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen, so wie dies in psychotherapeutischen Verfahren geschieht. Dies hat aber keinen Selbstzweck, es sei denn die Therapie geschieht zum Selbstzweck, sondern um die Gegenwart neu und lebenswert zu gestalten. Man sollte aber immer bedenken, die Vergangenheit lässt sich in der Erinnerung niemals so rekonstruieren wie sie wirklich war, sondern so wie wir sie heute sehen. 

 

Das Ursache-Wirkung Denken entspricht mechanistischen naturwissenschaftlichen Vorstellungen von der Natur. Spätestens mit dem Beginn der modernen Physik, so z.B. der Relativitätstheorie hat sich gezeigt, dass ein solches Verständnis der Naturprozesse nur wenig oder gar nicht für eine adäquate Beschreibung komplexer Vorgänge geeignet ist. 

 

"... In den letzten Jahren seines Lebens arbeitete Einstein unermüdlich an einer allgemeinen Feldtheorie, an die schon Maxwell und Faraday gedacht hatten. Er bewegte sich somit in eine bestimmte Richtung, die dahin führte, den monokausalen Reduktionismus durch eine multikonditionelle Feldtheorie zu ersetzen, und die den rigiden Determinismus  durch die Begriffe der Relativität und der Wahrscheinlichkeit (Gibbs) ersetzen sollte. Dieses Unternehmen wurde allerdings erst mit der Quantentheorie voll realisiert. ... Bohr (1975, S. 471 ff.) ersetzte den Begriff des festen Partikels durch den Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeitswelle. Heisenberg (1974, S. 515 ff.) formulierte 1927 die Unschärferelation. Das Prinzip der Unschärfe hält fest, daß man nicht gleichzeitig das Momentum (Geschwindigkeit) und die Position eines Elektrons bestimmen kann. dies ist so, weil die Position des Untersuchers das Untersuchungsfeld derart beeinflußt, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt nur eines der beiden Phänomene eindeutig bestimmt werden kann." 

Guntern, Gottlieb: "Die kopernikanische Revolution in der Psychotherapie: der Wandel vom psychoanalytischen zum systemischen Paradigma"; In: "Familiendynamik", 1980, S. 16

 

 

Multikausalität, Feldbezogenheit, Wahrscheinlichkeit und Unschärfe haben auch im Bereich menschlicher Interaktion ihre Gültigkeit. Die Systemtheorie hat hier eine bedeutende Erweiterung des Verständnisses menschlichen Verhaltens gegenüber dem traditionell linear individualpsychologischen Ansatz gebracht. 

Dass die Systemtheorie wesentlich aus nordamerikanischen Wurzeln entstanden ist, dürfte mit dem gegenüber europäischen Denken lösungsorientierten amerikanischen Pragmatismus zusammenhängen, der in den Erfahrungen der frühen Siedlergenerationen wurzelt (vgl. Walker 1996, S. 219).

 

Östliches Denken, so z.B. der Buddhismus, hat sich schon immer vom Ursachenfetischismus distanziert. So erzählt der Buddha folgendes Gleichnis: 

 

"Ein Mann ist von einem Pfeil schwer verwundet worden. Ein Arzt wird eilig herbeigeholt, um den Pfeil aus dem Körper zu ziehen. Doch der Verwundete verweigert sich. Er fordert vor dem rettenden Eingriff zu wissen, wer den Pfeil abgeschossen habe, wie schnell der Pfeil vor dem Auftreffen geflogen sei, und aus welchem Material die Pfeilfedern beschaffen wären."

(zitiert nach Gruber, Hans: "Kursbuch Vipassaná", 1999, S. 220)

 

 

 

"Keine Antwort auf die Frage nach dem Warum.

Heute vor einer Woche folgten drei kleine Mädchen ihrer Mutter in den Kältetod"

 

titelt die "Freie Presse" am 8.3.2005 eine Nachricht, in der über eine Mutter berichtet wird, die offenbar Suizid durch Kältetod begangen hat, wobei sie sich dazu auf ein Feld bei Groitzsch begeben hat und dabei ihre 3, 8 und 10jährigen Töchter "mitgenommen" hat. Das Drama endete mit dem Tod der Kinder und ihrer Mutter:

 

"Unter dem toten Körper der Mutter lagen die nur dünn bekleideten Kinder regelrecht aufeinander."

 

Abgesehen davon, dass die Tötung der drei Mädchen durch ihre Mutter, in der Titelüberschrift in eine quasi freiwillige Handlung der Kinder umgedeutet wird, stellt sich die Frage wozu es gut sein soll, das "Warum" zu beantworten. Warum hat die Mutter dies getan, warum sind die Kinder nicht von ihr weggelaufen, warum hat der Vater nichts bemerkt. Die Frage nach dem Warum taugt bestenfalls noch für die Zeitungsleser, die die Zeitungsmeldung kaum fassen können oder den Staatsanwalt. Vielleicht kann er jemanden wegen unterlassener Hilfeleistung anklagen. Den Kindern nützt das Warum nichts mehr.

 

 

Mindestens 36 Tote in Moskauer Uni-Wohnheim
Brandkatastrophe an Hochschule für Ausländer - Ursache war wahrscheinlich ein Kurzschluss


Völlig ausgebrannt: das Wohnheim am Morgen nach der Katastrophe 
Foto: AP 

Moskau - Die Katastrophe ereilte das Wohnheim Nr. 6 an der Miklucho-Miklaja-Straße 15 in Moskau in der Nacht. Ein Inferno in dem Studentenwohnheim hat am Montag mindestens 36 junge Menschen getötet. Die Flammen verwandelten das fünfstöckige Gebäude in Minutenschnelle in eine tödliche Feuerfalle. 

Das Feuer brach nach Behördenangaben im Quarantänezimmer aus, in dem drei neu angekommene nigerianische Studentinnen lebten. "Auf der zweiten Etage im Zimmer 203 wird es irgendeinen Kurzschluss gegeben haben", sagte der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow bei einem Besuch der Brandstätte. Auch der stellvertretende Innenminister Raschid Nurgalijew sprach unter Hinweis auf erste Ermittlungen von einem Problem in einer elektrischen Anlage. 

Die Studentinnen waren nicht in ihrem Zimmer, als das Feuer ausbrach. Eines der Mädchen wurde später von der Polizei festgenommen, konnte aber in bruchstückhaftem Russisch keine sinnvollen Angaben machen. Deshalb gingen die Behörden vom Kurzschluss eines Elektroheizgeräts aus - eine übliche Brandursache in schlecht geheizten russischen Häusern. Die Stadtführung kündigte eine Überprüfung der Brandsicherheit in allen Wohnheimen und Hotels in Moskau an. dpa/AP 

Morgenpost 24.11.2003
http://morgenpost.berlin1.de/inhalt/aus_aller_welt/story643557.html



Für die von der Brandkatastrophe Betroffenen ist es im Moment des Brandes völlig egal, was die Ursache des Brandes war. Ob Kurzschluss, Brandstiftung, Blitzeinschlag oder eine ins Bett gefallene Zigarette. Die Ermittlung der Brandursache ist nur deswegen wichtig, um dann, wenn alles vorbei ist, Schadensersatzansprüche und eventuelle strafrechtliche Verantwortlichkeiten klären zu können, so z.B. warum möglicherweise keine Feuerlöscher im Haus waren oder keine Fluchtwege bereitstanden. Die Ursache festzustellen kann dann noch dazu dienen, um durch Prävention etwaige Wiederholungen zu verhindern, so z.B. wenn sich herausstellen würde, dass ein Elektrolüfter einer bestimmten Baureihe einen Fabrikationsfehler aufweist. Im familienrechtlichen Verfahren geht es jedoch nicht um die Feststellung von Schadensersatzforderungen, sondern um die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft der Trennungsfamilie.

Natürlich kann der Gutachter für sich selbst eine Arbeitshypothese formulieren, welche Ursachen der heutige Konflikt haben könnte. Dies hat aber nur dann eine Bedeutung für das familiengerichtliche Verfahren, wenn der Gutachter darauf aufbauend versucht, den gerichtlichen Auftrag nachzukommen. Das Gericht fragt aber in der Regel nicht nach den Ursachen eines Familienkonfliktes. Wenn doch, ist diese Frage meist überflüssig. 

Statt dessen kann das Gericht sinnvoller Weise fragen, was der Gutachter für geeignet hält, um den vorliegenden Konflikt unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben, wie Förderung des Kindeswohls, Berücksichtigung der Rechte der Beteiligten, etc. zu lösen. Leider haben viele Gutachter gar nicht die fachlichen Kompetenzen, darauf kompetente Antworten zu geben. Mitunter scheinen sie gerade deswegen Gutachter geworden zu sein, weil sie mit dem Thema Veränderungen und Wandel in menschlichen Beziehungen, ihre persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten haben.  Mitunter scheinen sie noch nicht einmal die Leistungsangebote der Jugendhilfe zu kennen. 

 

 

Im familiengerichtlichen Verfahren ist, anders als in den Geschichtswissenschaften oder der Versicherungsbranche, Ursachenforschung in der Regel nicht angebracht, weil es hier nicht darum geht, rückwärts in die Vergangenheit zu schauen, sondern geeignete Interventionen für die Gegenwart und Zukunft in die Wege zu leiten oder bestimmte dem Sachverhalt und der jetzigen Situation angemessene Entscheidungen zu treffen.

 

"Die Restrukturierung, die zum therapeutischen Wandel führen soll, erfolgt im Hier und Jetzt. Die Vergangenheit ist nur insofern von Interesse, als sie im hic et nunc auftritt und als sie Voraussagen (wahrscheinlicher Natur) über die Zukunft eines Humansystems ermöglicht. Schilderungen der Vergangenheit — gebrochen durch die Brille betroffener Subjektivität — werden unterbrochen, und dann wird das geschilderte Beziehungsmuster (z. B. Paarkonflikte) im Hier und Jetzt realisiert (enactment). Auf diese Art und Weise wird eine direkte Beobachtung ermöglicht, und man entgeht der bekannten Gefahr, subjektive Berichte als die objektive Ausgangsbasis für eine Therapie zu nehmen und über subjektive Spekulationen nicht minder subjektive Metaspekulationen anzustellen, die dann als unsicheres Sprungbrett für den angestrebten Wandel dienen.

- Die Diagnose ist immer eine Diagnose des gesamten therapeutischen Systems. D.h., daß die Diagnose die Präsenz des Therapeuten und seine Interventionen berücksichtigt. Die Diagnose ist somit eine Beziehungsdiagnose; sie ist relativ in der Zeit und relativ für das Beziehungsmuster, das zutage tritt, sobald sich der transaktionale Prozeß um ein bestimmtes Problem (issue) herum kristallisiert. Die gleiche Familie kann bezüglich verschiedener Probleme verschieden strukturiert sein, d.h. sie funktioniert dysfunktional in einem Fall und funktional im andern Fall. Transaktionsprozesse können funktional sein in der Präsenz eines Therapeuten und dysfunktional in der Präsenz eines andern Therapeuten, sie können heute funktional sein und morgen dysfunktional. Mit andern Worten, der Traum vom neutralen Beobachter ist ausgeträumt, und Einsteins Relativitätstheorie, Heisenbergs Unschärferelation sowie die gesamte systemische Epistemologie haben schließlich - wenn auch mit etlicher Verzögerung - auch im Bereich der Therapie Einzug gehalten."

 

Guntern, Gottlieb: "Die kopernikanische Revolution in der Psychotherapie: der Wandel vom psychoanalytischen zum systemischen Paradigma"; In: "Familiendynamik", 1980, S. 2-41

 

Was sich für die systemische Therapie sagen lässt, kann man auch auf die Arbeit eines Gutachters übertragen. 

 

So trägt z.B. die Diplom-Psychologin Helene Ruppert vor: 

 

"Die Ursachen für diese Auffälligkeiten sind in den pathologischen familiären Beziehungen bzw. in unangemessenen elterlichen Erziehungsverhalten, insbesondere des Vaters, zu suchen, wie es im folgenden dargestellt wird." 

Gutachten vom 07.03.05 an das Oberlandesgericht Nürnberg, S. 10

 

 

Nun irritiert bei genauem Lesen an dieser Feststellung folgendes. Zum einen scheint sich die Gutachterin immer mehr vom Auftrag des Gerichtes entfernt zu haben. Das Gericht hat nicht danach gefragt, welche Auffälligkeiten es bei dem Kind gibt und welche Ursachen, diese, wenn es sie gibt, haben könnten. Vielmehr stellte das Gericht die Frage:

 

"Es ist Beweis zu erheben über die Frage, ob es dem Wohl des Kindes A, geborenen am ....1995, eher entspricht, sich überwiegend beim Vater oder bei der Mutter aufzuhalten. Es ist auch dazu Stellung zu nehmen, inwieweit es dem Kindeswohl entspricht, wenn die Betreuung, wie zur Zeit, fast hälftig auf die Eltern aufgeteilt ist." (Gutachten S. 3)

 

Das Gericht ist Familiengericht und kein Strafgericht, daher interessiert es in der Regel nicht, was in der Vergangenheit gewesen sein könnte, sondern was in der Gegenwart ist und was dem Kindeswohl in dieser Gegenwart und prognostisch, so man dies überhaupt feststellen kann, in der Zukunft am besten dienen könnte. Die Vergangenheit interessiert nur in so fern, als sie in Bezug auf die Gegenwart von Relevanz ist. 

 

Die Beschäftigung mit Fragen nach "den Ursachen"  ist in der Regel geistige Onanie. Auf die wesentliche Frage wie wünschenswerte oder notwendige Veränderungen gestaltet werden können haben die meisten Gutachter keine Antworten geschweige denn praktische Kompetenz, weil sie in ihrer akademischen Schmalspurigkeit und Blindheit von der Veränderung der menschlicher Wirklichkeit kaum etwas wissen, geschweige denn diese aktiv gestalten können.

 

 

 

 

 

 

Diagnostik als Konstruktion von Wirklichkeit

Die vorgetragenen Geschichten der Beteiligten sind niemals die Wahrheit, die es in Beziehungsfragen ohnehin nicht gibt, sondern die subjektive Sicht der Beteiligen auf die Vergangenheit und Gegenwart (Konstruktion von Wirklichkeit zweiter Ordnung, vgl. Paul Watzlawick). Dies kann in einer Therapie seine Berechtigung haben, in einem schriftlichen Gutachten ist es in der Regel wertlos, schädlich oder strafbar. 

Im Sinne des Konstruktivismus handelt es sich bei dem Versuch Diagnostik zu betreiben, um den Versuch, Wirklichkeit zu konstruieren. Dies nun nicht als bedauernswerter Ausnahmeerscheinung einer kleinen Reihe schwarzer Schafe unter den Gutachtern, sondern als der Gutachterei immanenter und gesellschaftlich allgemein anerkannter Bestandteil. 

In dem Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" finden sich zwei schöne Beispiele diagnostischer Irrtümer. Als Amélie noch ein kleines Mädchen ist, wünscht sie sich nichts sehnlicher als die körperliche Nähe ihres Vaters, der als Militärarzt arbeitet. Doch dieser ist ein gefühlsarmer Mann,  und bietet der kleinen Tochter keinen Körperkontakt an. Nur ab und an untersucht er seine Tochter, ob sie gesund ist. Er hört Amélie mit dem Stethoskop ab und da Amélie ganz aufgeregt ist, ihrem Papa so nah sein zu dürfen, schlägt ihr Herz wie wild. Da dies immer geschieht, wenn der Vater seine Tochter abhört, meint er, seine Tochter wäre herzkrank. Wegen dieser irrigen Diagnose kommt Amélie nicht auf die Schule, sondern wird zu Hause von der Mutter unterrichtet. Fortan lebt Amélie in dem Glauben, sie wäre herzkrank.

Viel später, als junge Frau von 23 Jahren meint Amélie einem geheimnisvollen Mann auf der Spur zu sein, der an Pariser Fotofixautomaten zerrissene Passfotos von sich hinterlässt. Insgesamt zwölf Mal tauchen diese Fotos in einer Fotosammlung des von Amélie angebeteten Nino auf. Das vermeintliche Geheimnis entpuppt sich schließlich als völlig unbedeutendes Geschehen. Der geheimnisvolle Fremde ist niemand anderes als der Wartungsmonteur der Fotofixautomaten, der nach den von ihm durchgeführten Wartungen Probeaufnahmen von sich selbst macht und die er nach der Wartung zerreist und achtlos wegwirft.

 

Jean-Pierre Jeunet:

Die fabelhafte Welt der Amélie

Mit Audrey Tautou in der Rolle der Amélie Poulain

 

 

Die Gefahr der Entstehung ähnlicher diagnostischer Irrwege zeigt auch Watzlawick auf:

 

"Ein vierjähriges Mädchen begann am ersten Tag seines Kindergartenbesuches so heftig zu weinen, als sich die Mutter zum Weggehen anschickte, daß diese keine andere Wahl hatte, als beim Kind zu bleiben. Dasselbe wiederholte sich auch an den folgenden Tagen und machte es der Mutter, im Gegensatz zu allen anderen Müttern, unmöglich, ihr Kind einfach in den Kindergarten zu bringen und dort zu lassen. Verständlicherweise wurde die Lage dadurch für die Mutter zu einer schweren zeitlichen und gefühlsmäßigen Belastung. Nach einigen Wochen war die Mutter aus uns unbekannten Gründen eines Morgens verhindert, und der Vater lieferte die Kleine in der Schule (Kindergarten gemeint?, Anm. P. Thiel) ab und fuhr darauf zur Arbeit. Das Kind begann wie üblich zu weinen, beruhigte sich aber rasch, und dabei blieb es auch am nächsten Morgen, als die Mutter es wieder zur Schule brachte.

Man kann mit Fug und Recht fragen, wie dieser Fall verlaufen wäre, wenn der schulpsychologische Dienst eine Chance gehabt hätte, sich seiner anzunehmen. Höchstwahrscheinlich wäre die Diagnose einer Schulphobie gestellt worden, und je nach der theoretischen Orientierung des Psychologen hätten sich seine Bemühungen auf die prägenitale Fixierung des Kinde, auf das neurotische Bedürfnis der Mutter, die symbiotische Bindung zur Tochter aufrechtzuerhalten, auf die bei genügend tiefer Exploration sicherlich zutage kommenden Eheschwierigkeiten der Eltern, oder irgendwelche ähnlichen Kausalfaktoren konzentriert."

Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003, S. 101-102

 

 

 

Nicht anders als im "Fall Amélie" und "Diagnose Schulphobie" scheint es oft bei Gutachtern zuzugehen, wenn sie meinen, sie wären wichtigen Fragen nach "tiefgehender Diagnostik" auf die Spur gekommen, doch tatsächlich dabei nur aus Mücken Elefanten machen oder Schein und Wirklichkeit verwechseln. Tiefenpsychologisch oder psychoanalytisch orientierte Gutachter scheinen für Spekulationen besonders anfällig zu sein, dies liegt schon beim Stammvater Sigmund Freud begründet, der sich bei allen zu nennenden Verdiensten auch gleich noch diversen unbegründeten Spekulationen hingab. 

So nimmt es kein Wunder, wenn Watzlawick ein böses Bonmot von Karl Kraus zitiert: 

 

"So gilt die Psychoanalyse in einer bekannten, sarkastischen Definition als die Krankheit, für deren Behandlung sie sich hält - ein Aphorismus, der ihr paradoxes. selbstrückbezügliches Wesen sehr gut umreißt, ..." (S. 93)

Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003

 

 

Diagnostische Arbeit ist immer fehlerbehaftet, wenn Gutachter den Anspruch erheben, die Wahrheit herausfinden zu wollen. Und da nicht wenige Gutachter von sich meinen, sie würden dies können, nimmt es nicht Wunder, was Gutachter in ihrem Gutachten mitunter an selbsterfundenen Geschichten und Deutungen erzählen, von denen sie meinen, diese würden auch die Realität adäquat beschreiben. 

 

Neben der Konstruktion von Wirklichkeit auf Grund subjektiver Anschauungen kommt es auch zu Konstruktionen von Wirklichkeit an und für sich objektiv feststehender Tatsachen. So ist es kein Wunder, wenn z.B. bei einem Verkehrsunfall, der ja an sich eine objektive Tatsache darstellt, verschiedene Zeugen des Unfalls verschiedene Beobachtungen gemacht haben wollen.

 

"Schon Laien wissen - anscheinend im Gegensatz zu manchen Psychologinnen/Psychologen -, dass jede Art von Fremd- und Selbstaussagen (Interviews, Fragebögen, Beurteilungsskalen) der Gefahr subjektiver Verfälschungen ausgesetzt ist." 

Plaum, Ernst; Hünerfauth, Thomas: "Diagnostik in der Psychotherapie - was heißt das?"; In: "reportpsychologie", 1/2004, 37-43

Universitätsprofessor Dr. Ernst Plaum, Leiter der Fachgruppe Psychologisch-Klinische Diagnostik der Sektion Klinische Psychologie im BDP, Professur an der Katholischen Universität Eichstätt

 

 

 

 

 

 

 

Auswertung von Datenmaterial

 

"Schriftliche Protokolle verbaler Interaktionen stellen zwar eine beträchtliche Vereinfachung des Materials dar, sind aber unbefriedigend, weil sie kaum mehr als den rein sprachlichen Inhalt vermitteln, den Großteil des analogen Materials dagegen (Volumen, Geschwindigkeit, Pausen und alle anderen akustischen Stimmungsmanifestationen wie Lachen, Seufzen usw.) unberücksichtigt lassen." 

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet, H.; Jackson, Don D.: "Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern; 1969/2000/2003; S. 72

 

Das gilt natürlich auch für sonstige nonverbale Kommunikation. Aus Protokollen lässt sich in der Regel auch nicht ersehen, in welcher nonverbalen Interaktion der Gutachter und der Klient (Elternteil oder Kind) steht. Um ein einigermaßen reales Abbild von den Zusammenkünften des Gutachters mit dem Klienten zu bekommen, müsste man wenigstens einen Tonbandmitschnitt, besser noch einen Videomitschnitt der Treffen anfertigen. Dieser sollte auf Anfrage vom Gutachter auch dem jeweilig betroffenen Klienten ausgehändigt werden.

Doch es geht auch anders und wohl auch wesentlich wirkungsvoller, wie Erfahrungen aus der Familientherapie zeigen, auch wenn sich Familiendiagnostik bei getrenntlebenden Eltern naturgemäß von der zusammenlebender Eltern unterschiedet. In abgewandelter, angepasster oder erweiteter Form können familiendiagnostische Verfahren durchaus auch für die Diagnostik getrennt lebender Familien verwendet werden können. 

So. z.B. die im folgenden wiedergegebene diagnostische Vorgehensweise von Davidson; Quinn und Josephson, veröffentlicht unter dem Titel "Diagnostik in der Familientherapie"; In: "Familiendynamik", 2003, Heft 2:

 

 

"Hier sollen vielmehr vier Basisdimensionen der Familiendiagnostik herausgearbeitet werden, die sich auf die genannten Quellen stützen und deren klinische Bedeutung allgemein anerkannt ist. Dabei handelt es sich um (1) strukturelle Komponenten, (2) historische Betrachtungen, (3) entwicklungspsychologische Faktoren und (4) Prozessdimensionen. Die Übersichtstabellen 1 bis 4 enthalten eine Zusammenfassung der wesentlichen Konzepte jeder Dimension sowie Fragen, die als klinische Leitlinien zur Erfassung jeder dieser Dimensionen dienen.

 

Tabelle 1: Strukturelle Komponenten

Grenzen und Subsysteme

Wie stabil, sind die Subsysteme, und wie sind sie zusammengesetzt? Normal (z.B. Eltern) oder pathologisch (z. B. Vater-Kind-Koalition)?

Gibt es Hinweise auf eine Grenzverletzung (z.B. sexueller Missbrauch, ein parentifiziertes Kind, Koalitionen über die Generationen hinweg)? Werden Kinder in elterliche Konflikte hineingezogen?

Gibt es Hinweise auf eine hierarchische Organisation? Wer hat die Autorität? Wer unterwirft sich? Wer trifft Entscheidungen, und wie werden sie umgesetzt?

Sind die Rollen in der Familie, besonders die der Eltern und der Ehepartner, komplementär, in sich konsistent und umfassend?

Welcher Art sind die Grenzen zur erweiterten Familie und zur Gemeinschaft? Welcher Art sind die Grenzen zwischen der Gegenwartsfamilie und Mitgliedern aus früheren Familien?

 

Kohäsion

Wie drücken die Individuen ihre Autonomie aus?

Wird Selbstausdruck als illoyal gegenüber der Familie angesehen?

Ist Selbstausdruck möglich, ohne dass dies die Familienangehörigen belastet?

Reagiert die Familie unterstützend auf Verlust oder Misserfolg von Angehörigen?.

Wie groß sind das Ausmaß und die Art der Fürsorge für Familienmitglieder?

 

Anpassungsfähigkeit

Wie haben sich die familiären Rollen an vorhersehbare und nicht vorhersehbare Entwicklungsaufgaben angepasst?

Gibt es in der Familie gegenseitige Unterstützung, und wurden kreative Wege gefunden, um Herausforderungen zu begegnen?

Scheinen individuelle Symptome das bevorzugte Interaktionsmuster der Familie aufrechtzuerhalten?

Welche Mechanismen sorgen dafür, dass die Symptome aufrechterhalten werden?

 

 

Tabelle 2: Historische Betrachtungen

Elterliche Entwicklung

Gibt es besondere Ereignisse in der Herkunftsfamilie eines Elternteils, die sich offenbar besonderes stark auswirken (z. B. sexueller Missbrauch)?

Gibt es eine Vorgeschichte kumulativer Entwicklungserfahrungen, die einen Elternteil beeinflusst haben (z.B. hartes strafendes Verhalten in der Herkunftsfamilie)?

Gibt es Hinweise darauf, dass frühere Erfahrungen bleibende Auswirkungen auf das elterliche Verhalten eines Elternteils haben?

 

Elterliches Funktionsniveau

Wurde bei einem Elternteil eine psychische Störung oder eine körperliche

Krankheit diagnostiziert, die sein Elternverhalten beeinflusst?

Gibt es Anzeichen dafür, dass eine besondere Anfälligkeit für derartige Störungen auf die Kinder übertragen wurde?

Welchen grundlegenden Persönlichkeitsstil hat der Elternteil?

 

Intergenerationales Funktionsniveau

Gibt es Anzeichen für eine Persönlichkeitsstörung?

Wie lässt sich die derzeitige Interaktion zwischen Eltern, Kindern und Großeltern charakterisieren?

Unterstützen die Großeltern den Erziehungsstil der Eltern, oder mischen sie sich ein?

Welche gegenwärtigen Anforderungen an die Eltern haben mit Bedürfnissen der Großeltern zu tun?

 

Vorgeschichte der Ehe

Was hat Vater und Mutter zueinander hingezogen?

Wie sieht die Chronologie ihrer Beziehung aus?

Welche Erwartungen hatten die Partner in der Anfangszeit ihrer Beziehung zueinander? Haben sie sich verändert?

Gab es frühere Ehen oder Beziehungen?

Wurden aus diesen Verbindungen Kinder geboren? 

Welche Faktoren führten zur Beendigung dieser Beziehungen?

Beeinflussen solche Faktoren die gegenwärtige Beziehung?

In welcher Weise beeinflussen frühere Ehepartner die gegenwärtigen Ehen?

Welches sind gegenwärtig die Bereiche der Befriedigung und Frustration im Hinblick auf Beruf, Finanzen, Sexualität, Elternschaft?

 

 

Tabelle 3: Entwicklungspsychologische Faktoren

Individuelle Entwicklung

Wie unterstützt und fördert die Familie individuelle Entwicklung? Wie setzt die Familie Grenzen, und wie vermittelt sie Internalisierungen bzw. Selbstkontrolle?

Wie fördert die Familie frühe Sozialisationsbemühungen?

Wie fördert die Familie Leistung und Erfolg, einschließlich schulischer Erfolge?

Wie fördert die Familie Unabhängigkeit bzw. Eigenständigkeit und Individuation?

Reagiert die Familie ausgewogen und empathisch auf die Entwicklungsbedürfnisse der Kinder?

Koordinieren die Eltern ihre Regulation der Entwicklung der Kinder, oder gehen sie widersprüchlich vor?

Ist die Regulation der Entwicklungsbedürfnisse in der Familie angemessen oder unangemessen? Zeigen sich Über- oder Unterregulation bzw. inkonsistente Regulation?

 

Lebenszyklus der Familie

Wie hat sich die Familie auf die Ereignisse des Lebenszyklus vorbereitet, und wie geht sie damit um?

Mit welchen nicht vorhersehbaren und einzigartigen Herausforderungen war die Familie konfrontiert (z.B. Arbeitslosigkeit, Krankheiten)?

Hat die Familie angepasst oder unangepasst reagiert?

Stimmen die Generationen, was ihre Entwicklungsbedürfnisse im Hinblick auf persönlichen Raum und Distanzregulation angeht, überein (oder herrschen z.B. in einer Generation zentrifugale Kräfte vor, während es in einer anderen Generation zentripetale Kräfte sind)?

 

Kontextfaktoren

Wie hat der sozioökonomische Status der Familie die Kinder und deren klinisches Bild beeinflusst?

Wie hat sich der kulturelle und religiöse Hintergrund der Familie auf die Kinder ausgewirkt?

Gab es in jüngerer Zeit andere bedeutsame Ereignisse (wie Umzüge, Wiederverheiratung, Schulwechsel)?

Ist die Familie vom äußeren sozialen Umfeld isoliert, oder hat sie Kontakt zu anderen Gruppen?

Richtet sich die Aufmerksamkeit der Familie derzeit auf ein bestimmtes zentrales Thema oder eine bestimmte Herausforderung?

 

Tabelle 4: Prozessdimension

Klarheit

Sind die Familienregeln klar? Gelingt es der Familie, klinische Fragen im Interview darzustellen?

Werden emotionale Botschaften direkt geäußert? Wird die beabsichtigte Wirkung damit erreicht?

Ausdruck von Emotionen

Welcher Art ist der emotionale Ausdruck der Familie? Warmherzig oder feindselig, unterstützend oder kritisch?

Entspricht der emotionale Ausdruck den Themen, um die es geht (z.B. Ärger bei inakzeptablem Verhalten, Trauer bei Verlust)?

Werden die Gefühle der Familienangehörigen sensibel wahrgenommen?

Wird akzeptiert, dass Gefühle (zornige Gefühle eingeschlossen) auch ausgedrückt werden?

Welches Gefühl weckt der Kommunikationsstil der Familie beim Interviewer?

 

Problemlösen

Wie hat die Familie ihre Probleme bisher gelöst?

Sind bestimmte Familienangehörige an der Lösung von Problemen stärker beteiligt als andere?

Gibt es bei den Problemlösungsstrategien geschlechtsspezifische Unterschiede?

Wer trifft Entscheidungen? Fragt der Betreffende nach der Meinung aller Familienangehörigen?

Welche Rolle hat das Kind bei Problemlösungen? Hat das Kind zu viel oder zu wenig Einfluss?

Wird mehr als eine Art von Disziplinierung eingesetzt? Wird erfolgloses disziplinarisches Verhalten geändert?

 

Kommunikation

Sind verbale und nonverbale Kommunikation kongruent?

Bestätigen oder disqualifizieren andere Familienangehörige verbale Äußerungen?

Eskaliert die Familie bei verbalen Konflikten immer wieder?

 

Muster

Zeigt sich die Familie wenig bereit, von etablierten Verhaltensmustern abzugehen?

Ist die Familie bereit, Veränderungen in Betracht zu ziehen? Sieht es so aus, als würden notwendige Veränderungen zugunsten der bestehenden Homöostase vermieden?

 

 

aus: 

Davidson, Bernard; Quinn, William H.; Josephson, Allan M.: "Diagnostik in der Familientherapie"; In: "Familiendynamik", 2003, Heft 2, S.159-175

 

 

 

Die vom Gutachter ausgewählten diagnostischen Mittel und Methoden müssen dem Untersuchungsgegenstand entsprechen. Es ist daher unzulässig, wenn  z.B. auf Grund der Frage des Gerichtes, welche Regelung des Aufenthalts dem Kindeswohl am besten entsprechen würde, ein Gutachter eine testdiagnostische Untersuchung mit den Beteiligten vornimmt, um eine eventuelle Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren. Eine solche Testung wäre nur dann gegebenenfalls denkbar, wenn der Gutacher nach einer vorherigen Hypothesenbildung, eine Persönlichkeitsstörung bei einem der Beteiligten vermuten muss und die Abklärung dieser Frage im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Auftrag steht.

 

 

"Als Albert Einstein gestorben und in den Himmel gekommen war, wollte man ihm wegen seiner großen Verdienste um das Wissen und Forschen einen Wunsch erfüllen. Einstein bedachte sich nicht lange und sagte: "Wenn ich wirklich einen Wunsch frei habe, dann möchte ich doch jetzt in Erfahrung bringen, woran ich mit meinem Denken und Forschen immer wieder gescheitert bin." Und Einstein erbat sich, von Gott selbst die Weltformel zu hören. Gott begann, eine lange und komplizierte Formel aufzusagen. Einstein hörte aufmerksam zu, stutzte bald, schüttelte den Kopf, wurde immer unwilliger und rief schließlich: "Aber diese Formel ist voller Fehler!" Da lächelte Gott und sagte: "Ich weiß."

 

Solcherart göttliche Weisheit wünscht man vielen Gutachtern, die landauf und landab wie Wanderprediger meinen, die Wahrheit zu verkünden. Doch man kann immer wieder die Erfahrung machen - es irrt der Mensch so lang er strebt (Goethe). Manche Menschen und manche Gutachter scheinen noch nicht einmal zu streben und irren trotzdem, das ist dann schon traurig, manchmal auch tragisch für die davon Betroffenen. Noch trauriger ist es, wenn sie auch noch irren und ihren Irrtum der Menschheit oder dem Familiengericht als der Weisheit letzter Schluss verkaufen wollen, das ist dann wohl schon Gotteslästerung.

 

 

 

 

 

 

Kernstück der Begutachtung ist die Meinung des Gutachters

Statusdiagnostiker nehmen zumeist für sich in Anspruch, besonders objektiv zu sein und die Wahrheit herausfinden zu können. Zur Untermauerung ihrer angeblichen Objektivität benutzen sie mit großer Vorliebe sogenannte psychodiagnostische Testverfahren.

 

 

"Kernstück der kinderpsychologischen Begutachtung ist die testpsychologische Begutachtung"

 

schreibt im Brustton der Überzeugung der als Gutachter beauftragte Thomas Busse, räumt aber ein:

 

"Hierzu gibt es je nach spezifischer Fragestellung eine Fülle von auf dem Markt befindlichen Verfahren. Alle diese Verfahren werden in der einschlägigen Literatur immer wieder kritisch beleuchtet, insbesondere hinsichtlich ihrer sog. Reliabilität und Validität, d.h. ihrer Gültigkeit und Zuverlässigkeit."

 

 

Doch Herr Busse hat auch gleich das passende Rezept gegen diese Mängel parat:

 

"Bei der Erstellung einer entsprechenden Testbatterie ist deshalb sehr sorgfältig vorzugehen." 

Busse; Thomas: "Kindliche Verhaltensauffälligkeiten im elterlichen Konfliktfeld", In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 1/1999, S. 4

 

Herr Busse will mit dem letzten Satz wohl suggerieren, dass durch eine sorgfältige "Erstellung einer entsprechenden Testbatterie" - er schlägt dafür sechs verschiedene Testverfahren vor - sich eine qualitativ ausreichende Diagnostik realisieren lassen würde. Nun weiß man allerdings aus dem realen Leben, dass sechs Stotterer zusammen nicht besser sprechen können als einer allein. Ähnlich dürfte es mit einer Testbatterie sein. Wenn deren einzelne Test schon fragwürdig sind, wird auch ein Mix aus diesen sechs Tests nicht besser sein können als einer allein. Es kann sogar das Gegenteil eintreten, dass die sechs Tests einander widersprechende Aussagen liefern. Die hohe Kunst des statusdiagnostischen Gutachters scheint dann darin zu bestehen, die Widersprüche so umzuinterpretieren, bis schließlich das von ihm gewünschte Ergebnis herauskommt. 

 

Andere Personen behaupten, Kernstück der Begutachtung wären "entscheidungsorientierte Gespräche:

 

"Das Kernstück familienrechtlicher Begutachtungen sind entscheidungsorientierte Gespräche. Mit ihnen können die meisten entscheidungsrelevanten Informationen erhoben werden."

Patricia Terlinden-Arzt; Antje Klüber; Karl Westhoff: "Die Planung Entscheidungsorientierter Psychologischer Begutachtung für das Familiengericht"; In: "Praxis der Rechtspsychologie", Juni 2004, S. 26

 

 

Dieser Meinung schließt sich der zitierende Diplom-Psychologe Hendrik Heetfeld ( Gutachten für Amtsgericht Moers - 472 F 102/07 - Richter Dr. Martiensen, S. 6) an, offenbar um zu begründen, warum er keine Verhaltensbeobachtungen macht und sich statt dessen nur der Testdiagnostik und der oben genannten "entscheidungsorientierten Gespräche" bedient.

Wie man sieht, die Gutachterei ist ein elender Gemischtwarenladen in dem sich jeder Halb- und Ungebildete aussuchen kann, was er will. Der eine behauptet dies, der andere behauptet das. Wer da als Außenstehender noch an Objektivität und psychologischen Sachverstand glaubt, ist wohl reif für die Irrenanstalt oder den deutschen Karnevalsorden.

 

 

Der Diplom-Psychologe Hendrik Heetfeld verzichtet auf Verhaltensbeobachtungen (Interaktionsbeobachtungen) zwischen Elternteil und Kind mit der Begründung:

 

"Der Verfasser verzichtet auf Verhaltensbeobachtungen als Ergänzung der Explorationsgespräche und der testpsychologischen Untersuchungen zur Diagnostik der Erziehungsfähigkeit bzw. Erziehungseignung ... weil der Verfasser in Übereinstimmung mit der überwiegenden Zahl der Fachautoren einzelne Verhaltensbeobachtungen als ein dafür wenig valides und somit wenig geeignetes Untersuchungsinstrument ansieht."

Diplom-Psychologe Hendrik Heetfeld, Gutachten für Amtsgericht Moers - 472 F 102/07 - Richter Dr. Martiensen, S. 5

 

 

 

 

 

 

Inaugenscheinnahme, Explorationen und Interaktionsbeobachtung 

Im allgemeinen wird der gerichtlich beauftragte Gutachter versuchen, die für die richterliche Fragestellung relevanten Fragen im Rahmen des persönlichen Augenscheins, des Gesprächs und von Interaktionsbeobachtungen zu klären. Es ist sinnvoll wenn der Gutachter sich in groben Umrissen Informationen über den elterlichen oder familiären Konflikt, wie auch über das familiäre Herkunftssystem, verschafft, bzw. geben lässt. Dies dem Gutachter zugänglich gemachten Informationen sind jedoch nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln, sondern sind selektiv ausgewählte subjektive Erinnerungen, Zuschreibungen und Wertungen (Wirklichkeitskonstruktion). Aber auch die jeweilige Konstruktion der Wirklichkeit durch die Beteiligten sagt etwa über die Beteiligten und auch ihre Interaktion aus

 

In der Regel ist eine Exploration des Kindes und für das Kind wichtiger Bezugspersonen des Kindes wie z.B. den Eltern, einem Vormund, den Pflegeeltern oder bei einer stationären Unterbringung des Kindes den Erziehern durch den Gutachter geboten. Die dabei eingeholten Informationen sind allerdings nicht objektiv. Der Wahrheitsgehalt ist naturgemäß problematisch, da von verschiedenen Interessen und Sichtweisen geprägt. So kommt es oft vor, dass von beiden Eltern ganz gegensätzliche Vorträge über ein und den gleichen Sachverhalt vorgetragen werden.

Damit es nicht im Nachhinein Streit darüber gibt, ob die vom Gutachter vorgetragenen Beobachtungen den Tatsachen entsprechen oder nicht, sollten die Beteiligten darauf bestehen, dass der Gutachter von wichtigen Gesprächen und Interaktionen Videoaufzeichnungen oder wenigstens Tonbandmitschnitte anfertigt, denn nur so ist es im Nachhinein möglich eine aufgestellte Behauptung des Gutachters über das Verhalten eines Beteiligten zu verifizieren oder falsifizieren.

Eine Exploration und Verhaltensbeobachtung eines Kindes oder Jugendlichen sollte nach Möglichkeit sowohl im Haushalt des betreuenden wie des nichtbetreuenden Elternteils, aber auch auf neutralen Boden, so z.B. in der Praxis des Gutachters stattfinden. Der neutrale Boden birgt die Chance, dass sich das Kind unbefangener und offener als in den Haushalten der Eltern bewegen und äußern kann. Dies gilt erst recht in Fällen von Eltern-Kind-Entfremdungen. 

 

Informationen zu den Herkunftsfamilien kann man mit den Beteiligten in der strukturierten Form eines Genogramms erarbeiten. Im Genogramm können die wichtigen familiären Personen, wie Eltern, Kinder, Geschwister, Großeltern, Tanten und Onkel, Großeltern, Stiefeltern, Adoptionen, Tod, Trennung und andere wichtige Ereignisse im Familiärensystem, ausgegrenzte Personen, familiäre Aufträge und Vermächtnisse usw. sichtbar gemacht werden. Aus dieser Arbeit können auch die Beteiligten einen Gewinn ziehen, da schon während der Erarbeitung des Genogramms interessante Einsichten auf den heutigen familiären Konflikt möglich sind.

Stundenlanges Reden lassen der Beteiligten bei einer Exploration ist völlig unangezeigt. Gutachterliche Arbeit ist keine Psychoanalyse, in der krankenkassenfinanziert 300 Stunden für die unzensierten Assoziationen der Analysanden zur Verfügung steht. Inkompetente Gutachter kann man daran erkennen, dass sie die Gesprächsführung den Beteiligten überlassen, ihnen einen ununterbrochen Redefluss und das Werfen von verbalen Nebelbomben ermöglichen, die von den kritischen Themen ablenken sollen und dann diesen redundanten Wortschwall noch in voller Breite im schriftlichen Gutachten präsentieren. Kompetente Gutachter unterbrechen, wenn nötig, fragen gezielt nach und komprimieren ihre abschließenden schriftlichen Darstellung auf ein sinnvolles Maß.

Der als Gutachter tätige Diplom-Psychologe Thomas Busse zeigte mehrfach, dass ihm schon 30 Minuten Gespräch mit einem Elternteil genügen, dann noch der eine oder andere Test, ein bisschen Interaktionsbeobachtung und schon gibt er dem Gericht ein Vorschlag, welchem Elternteil das Sorgerecht in Gänze oder teilweise entzogen werden soll. Das ist fürwahr eine sehr moderne und für ganz Deutschland zu empfehlende Arbeitsweise, die man auch in dem Film "Moderne Zeiten" von Charlie Chaplin bewundern kann. Man könnte sich die Sache sogar noch einfacher machen, wenn man einfach von Gesetzeswegen dafür sorgen würde, dass Eltern kein Sorgerecht haben. Wenn Eltern kein Sorgerecht haben, dann braucht man ihnen dieses bei Bedarf ja auch nicht zu entziehen, wie schon das Bundesverfassungsgericht in seinem wundersamen Beschluss aus dem Jahr 2003 gezeigt hat.

 

Gutachter können ihre oft vorhandene eigene Unsicherheit durch verschiedene Maßnahmen kaschieren. Beim autoritär geprägten Gutachter geschieht dies durch das Einnehmen einer sich als unangreifbar darstellenden Machtpose. Das unterschiedliche Geschlecht von Gutachter und Elternteil kann zu Unsicherheit des Gutachters führen. Nicht jeder weibliche Gutachterin und nicht jedem männliche Gutachter fällt es leicht in einer faktisch nicht selbst gewünschten Situation allein mit einem gegengeschlechtlichen Erwachsenen zusammen zu sein. Da kann es schon mal passieren, dass eine Gutachterin anlässlich der Interaktionsbeobachtung zwischen Kind und Vater "zur Auflockerung" ein "Spiel" mitbringt aber eigenartiger Weise offenbar beim Termin mit der Mutter nicht. 

 

"Interaktion zwischen A und ihrem Vater: 

Zur Auflockerung hatte die Sachverständige ein Spiel mitgebracht für das Herr X wenig Begeisterung zeigte"

Diplom-Psychologin Dr. Vera Mall, Gutachten vom 13.10.2005 für Amtsgericht Hamburg-St.Georg, S. 44

 

 

Wer so wenig Begeisterung für Spiele zeigt, die eine Gutachterin zur "Auflockerung" mitbringt, muss sich nicht wundern, wenn Abstrafung durch die Gutachterin auf dem Fuß folgt: 

 

"Herr X zeigte trotz seiner grundsätzlich emotionalen Zugewandtheit zu A Verhaltensweisen auf, die als wenig förderlich zu bezeichnen sind. Zum gemeinsamen Spiel mit der Sachverständigen, auf das sich A erfreut und lustvoll eingelassen hatte, traf Herr X negative Äußerungen auf die A mit Verunsicherung regierte. Es fiel Herrn X dabei sehr schwer, sich losgelöst von seiner persönlichen kritischen Beurteilung des Spiels und seiner Befindlichkeit im Begutachtungsverlauf sein Missbehagen hinter die Spielbedürfnisse seiner Tochter zu stellen."

Diplom-Psychologin Dr. Vera Mall, Gutachten vom 13.10.2005 für Amtsgericht Hamburg-St. Georg, S. 69

 

 

Vielleicht hätte die Gutachterin zur Auflockerung lieber vorher mal eine Stunde Supervision nehmen sollen und dabei ihre eigenen Ängste zum Thema Distanz und Nähe reflektiert, anstatt von einem Vater zu erwarten, dass er für das Wohlbefinden der Gutachterin sorgt. Die Gutachterin müsste sich nicht wundern, wenn sie auf Grund einer solchen fachlich bedenklichen Intervention seitens des Vaters dem Vorwurf der Befangenheit begegnen würde. 

 

 

Kommt das Kind in Abwesenheit der Eltern oder eines Elternteils mit dem Gutachter zusammen, so ist zu beachten dass es bei Kindern im Loyalitätskonflikt immer von erheblichen Einfluss ist, bei welchem Elternteil sich das Kind unmittelbar vor diesem Termin aufgehalten hat. Bringt die Mutter das Kind in die Praxis, nach dem es schon seit einer Woche oder länger im mütterlichen Haushalt lebt, liegt es auf der Hand, dass es dem mütterlichen Einfluss in erheblich stärkeren Maße unterliegt, als dem väterlichen. Die Aussagen des Kindes, bzw. eventuelle Testergebnisse müssen daher vom Gutachter dementsprechend diskutiert werden. Der Gutachter muss auch mitteilen, wo sich die Mutter zum Zeitpunkt der Exploration aufhält, z.B. im Wartezimmer oder ob der Gutachter die Mutter gebeten hat, nach einer Stunde wieder zu kommen. Unterbleibt eine solche fachliche Diskussion durch einen Gutachter (so z.B. bei Irmtraud Roux 2003) schränkt dies die Aussagefähigkeit des Gutachtens erheblich ein.

Führt ein Gutachter mit dem Kind gar Testverfahren im Haushalt nur eines Elternteils durch, so wird man die erzielten Testergebnisse sicher regelmäßig als unverwertbar, da situativ durch die Situation im betreffenden Haushalt geprägt, bezeichnen müssen.

 

Wenn es sinnvoll erscheint, kann der Gutachter auch Übergabesituationen des Kindes zwischen den Eltern begleiten werden, um sich so über die Interaktion der Beteiligten in einer solchen Situation einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. 

 

 

Einige Gutachter beschränken ihre Begegnungen mit den Beteiligten auf ein bis zwei Treffen mit jeder beteiligten Person. Ob dies für eine einigermaßen verlässliche Diagnostik reicht, ist fraglich. Sicher kann der Gutachter nach dieser kurzen Zeit dem Gericht seine Eindrücke von diesen Treffen mitteilen. Mehr aber auch nicht. Wenn er dies tut, und es mag eine Reihe von Fällen geben, wo dies nicht anders möglich oder nötig ist, muss er dies dem Gericht gegenüber auch deutlich machen und darf nicht so tun, als ob er valide diagnostische Ergebnisse erarbeitet hätte.

Will der Gutachter seinen Angaben eine größere Verlässlichkeit geben, so müsste er möglicherweise bis zu 12 diagnostische Termine mit jedem Beteiligten durchführen. 

 

"Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass solche, hinreichend multimethodalen Untersuchungen zumeist mindestens etwa 12 Stunden in Anspruch nehmen, weil die Psyche eines Menschen mit ihren Umweltbezügen zweifellos zu den kompliziertesten und am schwersten erkennbaren Systemen des gesamten Kosmos gehört; nebenbei bemerkt zeigen praktische Erfahrungen, dass sich Probanden vielfach erst an einem zweiten Untersuchungstag unmittelbarer und weniger fassadenhaft präsentieren."

Plaum, Ernst; Hünerfauth, Thomas: "Diagnostik in der Psychotherapie - was heißt das?"; In: "reportpsychologie", 1/2004, 37-43

 

 

Doch auch 12 Termine werden nicht viel nützen, wenn es dem Gutachter nicht gelingt, ein Arbeitsbündnis mit den Beteiligten herzustellen. Das Arbeitsbündnis ist die Grundlage dafür, dass der Gutachter mit den Beteiligten in einen Dialog kommt, der dabei helfen kann, die gerichtliche Fragestellung zu beantworten. Ohne Arbeitsbündnis begegnet der Gutachter nur Menschen mit Pokerface oder in Abwehrhaltung. Wenn es einer der konventionellen, schlicht strukturierten Gutachter ist, die von Phänomen wie Übertragung und Gegenübertragung kaum etwas wissen, geschweige denn damit umgehen können, ist der Misserfolg vorprogrammiert. Der Gutachter wird es durch wissenschaftliches Wortgeklingel zu verdecken suchen, einige Beispiele dafür findet man in dem hier vorliegenden Aufsatz. 

Es liegt allerdings in der Logik vieler familiengerichtlicher Beweisbeschlüsse, insbesondere wenn sie selektiv orientiert sind, dass ein Arbeitsbündnis zwischen Gutachter und den Beteiligten von vornherein mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt, weil einer oder mehrere der Beteiligten befürchten müssen, dass sich ein solches Arbeitsbündnis für sie negativ auswirken kann, so z.B. wenn der Gutachter dem Gericht abschließend empfiehlt, einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen. Gutachter die selektiv arbeiten, liegen daher in der Regel schon nach kurzer Zeit mit einem der Beteiligten (Vater, Mutter, etc.) im Clinch, weil der Beteiligte natürlich nicht dumm ist und merkt, von wo der Wind weht. Befangenheitsanträge gegen den Gutachter sind zu recht die Folge, was wiederum beim Gutachter zu Unmut führt und er sich in seiner negativen Meinung bestätigt sieht, die er sich von diesem Beteiligten (Elternteil) bereits gebildet hat. 

 

Fertigt der Gutachter ein Soziogramm an, um die Bindungen des Kindes zur Oma und zur leiblichen Mutter zu untersuchen, so muss er dies sowohl im Haushalt der Oma, als auch im Haushalt der Mutter gesondert durchführen, da es sein kann, das durch die unmittelbare Erfahrung des Kindes im jeweiligen Haushalt, das Kind jeweils andere Beziehungswahrnehmungen berichten wird. Unterbleibt eine solche Abgleichung, so kann gefordert werden, dass dieser die fehlende Untersuchung noch nachholt oder die von ihm nur einseitig durchgeführte  Untersuchung als nicht aussagekräftig anzusehen.  

Eine Familienanamnese muss immer am gerichtlichen Auftrag orientiert sein. Meistens ist es für den aktuellen Konflikt völlig unwichtig, herausbekommen zu wollen, wie die Eltern sich vor 15 Jahren kennen gelernt haben, ob die Mutter eine glückliche Kindheit hatte, ob der Vater schon mit 16 Jahren das Elternhaus verlassen hat oder ähnliches. 

 

 

Fragt das Gericht: 

 

"Welche Sorgerechtsregelung und welche Aufenthaltsregelung dient dem Wohl des Kindes A am besten", 

 

 

so ist, abgesehen von der unzulässigen Delegation einer rechtlichen  Fragestellung durch den zuständigen Familienrichter an einen Gutachter, der beauftragten Gutachterin Diplom-Psychologin Sigrid Friedrich (03.09.2003) teilweise zuzustimmen, wenn sie auf der 227-sten geschriebenen Seite ihres Gutachtens meint: 

 

"Nach den ersten psychologischen Untersuchungsschritten wurden beide Eltern gemeinsam nochmals über die Funktionsweise einer Begutachtung und deren Grenzen unterrichtet (keine Ermittlungstätigkeit)." (S. 227).

 

Die Formulierung "die Funktionsweise einer Begutachtung" ist allerdings wohl sprachlich völlig misslungen, denn eine Begutachtung hat, im Gegensatz etwa zu einem Kühlschrank, keine Funktionsweise. Wenn die Gutachtrein dann aber zwei Seiten später über den von beiden Eltern berichteten "Terror" des jeweilig anderen Elternteil berichtet, bleibt zu fragen, ob sie ihrem eigenen Vorsatz treu geblieben ist. 

 

Der Gutachter sollte versuchen, die Beteiligten (Vater-Kind, Mutter-Kind, aber auch Vater-Mutter und Vater-Mutter-Kind im direkten Kontakt miteinander zu erleben. Im direkten Kontakt mit beiden Beteiligten kann der Gutachter tatsächlich vorhandene und nicht nur behauptete wesentliche Konfliktpunkte und Beziehungsmuster ermitteln. Gleichzeitig hat er die Chance, mit den Beteiligten zu versuchen, einen anderen und konstruktiveren Umgang miteinander als bisher zu ermöglichen. Ist dies  im Rahmen der gutachterlichen Tätigkeit auf Grund einer Blockierung durch einen oder mehrere der Beteiligte oder aus anderen Gründen nicht möglich, so sollte der Gutachter in seiner Stellungnahme für das Gericht darauf eingehen und dem Gericht bei Notwendigkeit geeignete Vorschläge unterbreiten, so  z.B. eine gerichtliche Ladung der betreffenden Personen, um im Beisein des Richters und des Gutachters das notwendige Gespräch zu führen.

Nimmt eine Gutachterin zur Frage der Kooperationsfähigkeit der Eltern Stellung, ohne die Eltern jemals zu einem gemeinsamen Gesprächstermin geladen und erlebt zu haben, so stellt sich die Frage, inwieweit die Gutachterin dann behaupten kann, dass sich die Eltern "derzeit auf keine Frage die Erziehung des Kindes betreffend einigen können." (Diplom-Psychologin Cornelia Rombach, 23.12.2003, S. 97)

 

Manche Gutachter nehmen noch nicht einmal das betroffene Kind in Augenschein, geschweige denn, dass sie eine Interaktionsbeobachtung zwischen Kind und Elternteil vornehmen. Dies scheint sie jedoch nicht daran zu hindern, zu schreiben: 

 

"Hinweise auf eine nicht normgerechte Entwicklung des Kindes haben sich nicht ergeben. ...

Auf eine Exploration des Kindes hat der SV verzichtet, um dem Kind weitere Belastungen zu ersparen. Dass Bindungen des Kindes zu beiden Ke bestehen wird von den Ke nicht bestritten.

Dem SV sind keine Zweifel geblieben, dass jeder Elternteil angemessen mit dem Kind umgehen kann, so wie es in einer üblicherweisen einstündigen Verhaltensbeobachtung deutlich werden kann. Auf eine eigene Verhaltensbeobachtung" des Kindes im Umgang mit einem Elternteil wurde deshalb verzichtet."

Prof. Dr. R. J. Feinbier, 11.10.04, S. 5 und 6, Gutachten für das Amtsgericht Regensburg

 

 

Schließlich empfiehlt der Diplom-Psychologe Feinbier den Wechsel des Kindes aus dem väterlichen Haushalt in den Haushalt der inzwischen 280 Kilometer im Haus der eigenen Eltern entfernt lebenden Mutter. Man fragt sich da erschreckt, was in Deutschland eigentlich noch alles passieren muss, bis alle Gerichte ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber dem Kind und ihrer Aufsichtspflicht gegenüber den Gutachtern nachkommen? 

 

 

Andere Gutachter meinen, .... 

 

"..."

Diplom-Psychologe U. Wa...-Pe...., Gutachten vom 19.11.2004, S. 6

 

... 

 

 

 

 

 

 

Exploration der Eltern

Berichtet eine Gutachterin unter der Überschrift:

 

"1.1.3. Angaben von Frau X (Mutter) zur Erziehungssituation des Kindes

...

Frau X berichtete der Sachverständigen, dass der Kindesvater spezielle sexuelle Neigungen habe, dass er sich Internetseiten zum Thema "Fussfetisch" heruntergeladen habe."

Dr. Sibylle Kurz-Kümmerle, Gutachten vom 04.07.2005 für Amtsgericht Königstein, S. 12

 

 

so stellt sich die Frage, wieso Frau Kurz-Kümmerle diese von der Mutter gemachte Angabe unter die Überschrift "Erziehungssituation des Kindes" stellt? Will die Gutachterin damit möglicherweise den Vorwurf lancieren, es bestünde die Gefahr der Vater wäre bezüglich seines Kindes sexuell übergriffig oder könnte dies werden?

Andere Gutachter scheinen anders mit diesem Thema umzugehen, so z.B. die Diplom-Psychologin Edda Gräfe, die einer Mutter, die angesichts deren  Mutmaßung, es könne sexuelle Übergrifflichkeiten  seitens eines Bekannten des Vaters gegenüber dem Kind gegeben haben, vorhält:

 

"Auffallend ist, das die Kindesmutter trotz einer solchen Mutmaßung dies nicht vor Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzung angesprochen hat, bzw. hat überprüfen lassen; sie diesbezüglich nicht Kontakt aufgenommen hat zu zu diesem Zeitpunkt bereits involvierte fachkompetenten Dritten, wie dem Jugendamt oder Herrn D bzw. sie nicht unbeteiligte fachkompetente Dritte aufgesucht hätte, um diesen Punkt abzuklären.

Trotz dieser Mutmaßung hatte die Kindesmutter keine fachlichen Dritten aufgesucht zur Abklärung dieser Mutmaßung, sie hatte weiterhin Umgangskontakte im Haushalt des Kindesvater geduldet, was insgesamt als eine Einschränkung in der Erziehungs- und Förderkompetenz der Kindesmutter anzusehen wäre, sofern die Mutter tatsächlich diesen Verdacht gehabt haben sollte.

...

Sofern die Kindesmutter jedoch nicht tatsächlich von einem möglichen sexuellen Missbrauch im Haushalt des Kindesvaters durch den betreffenden Z ausgehen sollte, sondern dies im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung um das Sorgerecht und einen Verbleib des Kindes im Haushalt des Vaters funktionalisierend einsetzen sollte, wäre hierin ebenfalls eine ganz gravierende Einschränkung in der Erziehungs- und Förderkompetenz zu sehen."

Edda Gräfe, Gutachten vom 10.08.2005, S. 24

 

 

Die Gutachterin übersieht hier geflissentlich, dass es durchaus negative Auswirkungen auf einen Elternteil haben kann, wenn dieser eine vermeintliche Kindeswohlgefährdung beim anderen Elternteil zu sehen meint und deswegen an verschiedene staatliche Stellen wie Polizei, Jugendamt und Familiengericht herantritt. Sehr schnell kann ihm dann nämlich fehlende Bindungstoleranz vorgeworfen werden. Und wenn man Pech hat, führt ein solcher Vorwurf sogar dazu, dass dem besorgten und aktiv handelnden Elternteil auch mit dieser Begründung schließlich das Sorgerecht nach §1671 BGB entzogen wird.

Ähnliches musste z.B. ein Vater erfahren, der der Ansicht war, sein Sohn würde bei der Mutter misshandelt. Die vom Gericht eingesetzte Gutachterin attestierte darauf hin dem Vater:

 

"Die gestörte Elternbasis wurde durch die Vorträge des Vaters, der seit Jahren eine Kindeswohlgefährdung A`s im mütterlichen Haushalt sieht, die durch ihn betriebenen Gerichtsverfahren und nicht zuletzt dadurch, dass er die Polizei zum mütterlichen Haushalt schickte, weiter vertieft, wobei die Ausgangslage die elterliche Trennung und die damit verbundenen persönlichen Kränkungen darstellen dürfte." 

Diplom-Psychologin Carola Wagner, Gutachten für Amtsgericht Oschatz vom 20.07.2005, S. 51 

 

 

 

 

 

Exploration des Kindes

Mit der Befragung von Kindern ist das so eine Sache, es soll Gutachter geben, die bereits Babys danach fragen, willst du bei deiner Mutter oder bei deinem Vater leben. Und wenn das Baby bei dem Wort Mama oder Papa einen Pups lässt, interpretiert das der studierte Gutachter als deutliches Ja für den betreffenden Elternteil.

Nicht ganz so begnadet, doch offenbar eifrig am Üben, der "Fachpsychologe für Rechtspsychologie“ Dr. Klaus Schneider vom sogenannten Institut für Gericht und Familien in Berlin der ein knapp vierjähriges Kind befragt, wo sein Zuhause ist. Das hätte Herr Schneider mal lieber nicht machen sollen, denn:

 

„Mit der Frage des SV, A. , und wo ist dein Zuhause ? konnte das Kind (altersbedingt) nichts anfangen.“ 

Dr. Klaus Schneider, Gutachten vom 06.01.2010, S. 13 (für Amtsgericht Oranienburg - 36 F 125/09 - Richter Jahnke)

 

Offenbar ist Herrn Schneider erst nach dem Stellen seiner Frage aufgefallen, dass das Kind (altersbedingt) mit seiner Frage gar nichts damit anfangen konnte. Nächstens fragt Herr Schneider noch eine Kassiererein bei Aldi, ob sie ihm seinen Computer reparieren kann und stellt dann fest: 

 

Mit der Frage des Herrn Schneider an die Kassiererin bei Aldi, können Sie mir meinen Computer reparieren, konnte die Kassiererin (ausbildungsbedingt) nichts anfangen.

 

Angesichts einer solchen diplomierten Unbekümmertheit ist man zu Recht echt ratlos.

 

 

 

 

 

Exploration Dritter

Werden durch einen Gutachter in eine Exploration auch die Großeltern oder andere weiter entfernt erscheinende Personen einbezogen, so ist vom Gutachter deutlich zu machen, warum und mit welchem Ziel eine solche Exploration erfolgte. Dies kann sinnvoller Weise am Anfang des diesbezüglichen Kapitels oder an einer anderen exponierten Stelle geschehen. Wird dies unterlassen oder passiert das lediglich an versteckter Stelle im Gutachten, so z.B. durch die als Gutachterin tätig gewesene Mechthild Gödde, Gutachten vom 24.10.2005 für Amtsgericht Augsburg,  so wird es dem Leser, sei es der Richter, die Eltern, die Verfahrensbeistände oder sonstige herangezogene Personen erheblich erschwert, sich über Sinn und Unsinn einer solchen Exploration eine Meinung zu bilden.

 

 

 

 

 

Primär- und Sekundärmeinung

Der Gutachter wird vom Gericht nicht beauftragt, Vorträge von Verfahrensbeteiligten wiederzukäuen oder Mitteilungen von Fachkräften ungeprüft als Tatsachenvortrag zu übernehmen.

 

Beispiel

 

"Nach Ausarbeitung und Diktat des Gutachtens erreichte mich am 14.01.2014 per Mail die Mitteilung von Frau Jespersen vom Jugendamt Pankow, dass sich seit Weihnachten die familiären Verhältnisse erneut zugespitzt hätten. Die getroffene Erweiterung der Umgangskontakte und das Unvermögen der Eltern zur Beziehungsklärung hätten wieder erhebliche Spannungen geschürt und Konflikte erzeugt." (Gutachten S. 13)

Diplom-Psychologe Uwe Schilling, Gutachten vom 25.01.14 für Amtsgericht Pankow/Weißensee - 203 F 2203/13 - Richter Molter

 

 

Diesen, im Konjunktiv geschriebenen Vortrag verwendet Herr Schilling in seiner abschließenden "Einschätzung und Prognose"

 

"Auch wenn die Eltern immer wieder erklären und versichern, dass sie eine Paartherapie absolvieren und ihre Konflikte ausräumen wollten, besteht aktuell und auf absehbare Zeit keine ausreichende Fähigkeit für eine verantwortungsvolle elterliche Kooperation und Kommunikation.

Die jüngste Meldung von Frau Jespersen, Jugendamt Pankow, per Email v. 14.01. bestätigte diese ungünstige Einschätzung und Prognose." (Gutachten S. 43)

 

Hier vermischt Herr Schilling Konjunktiv und Indikativ, dass einem Sprachwissenschaftler die Haare zu Berge stehen könnten. Aus hätte wird so ist es, aus so ist es wird "ungünstige Einschätzung und Prognose".

Herr Schilling meint auch etwas über absehbare Zeiträume aussagen zu können. Was bei ihm absehbar ist, teilt er nicht mit. Manche Leute können noch nicht einmal 5 Minuten absehen. Grad noch entspannt im Flugzeug bei einem Glas Wein, geht es schon 10 Minuten im Sturzflug dem Atlantik entgegen.

 

 

 

 

 

 

 

Interaktionsbeobachtung

 

Beispiel 1

Der von Richter Scheepers am Amtsgericht Mönchengladbach als Gutachter beauftragte Diplom-Psychologe Peter Wessler (27-seitiges Gutachten vom 10.03.2008) widmet nach Angabe der Mutter weniger als eine Stunde der Interaktionsbeobachtung von Mutter und Kind. Wie er da die Beweisfrage des Gerichtes:

 

1. Sind beide Elternteile uneingeschränkt erziehungsfähig.

2. Der Aufenthalt bei welchem Elternteil entspricht am besten dem Wohl von A?

 

 

sachkundig beantworten will, bleibt sicher unklar.

 

 

 

Beispiel 2

 

"Kernstück der kinderpsychologischen Begutachtung ist die testpsychologische Begutachtung"

 

schreibt im Brustton der Überzeugung der als Gutachter tätige Thomas Busse, räumt aber ein:

 

"Hierzu gibt es je nach spezifischer Fragestellung eine Fülle von auf dem Markt befindlichen Verfahren. Alle diese Verfahren werden in der einschlägigen Literatur immer wieder kritisch beleuchtet, insbesondere hinsichtlich ihrer sog. Reliabilität und Validität, d.h. ihrer Gültigkeit und Zuverlässigkeit."

 

 

Doch Herr Busse hat auch gleich das passende Rezept gegen diese Mängel parat:

 

"Bei der Erstellung einer entsprechenden Testbatterie ist deshalb sehr sorgfältig vorzugehen." 

Busse; Thomas: "Kindliche Verhaltensauffälligkeiten im elterlichen Konfliktfeld", In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 1/1999, S. 4

 

Herr Busse will mit dem letzten Satz wohl suggerieren, dass durch eine sorgfältige "Erstellung einer entsprechenden Testbatterie", er schlägt dafür sechs verschiedene Testverfahren vor, sich eine qualitativ ausreichende Diagnostik realisieren lassen würde. Nun weiß man allerdings aus dem realen Leben, dass sechs Stotterer zusammen nicht besser sprechen können als einer allein. Ähnlich dürfte es mit einer Testbatterie sein. Wenn deren einzelne Test schon fragwürdig sind, wird auch ein Mix aus diesen sechs Tests nicht besser sein können als einer allein. Es kann sogar das Gegenteil eintreten, dass die sechs Tests einander widersprechende Aussagen liefern. Die hohe Kunst des statusdiagnostischen Gutachters scheint dann darin zu bestehen, die Widersprüche so umzuinterpretieren, bis schließlich das von ihm gewünschte Ergebnis herauskommt. 

 

 

Beispiel 3

 

"Der Verfasser verzichtet auf Verhaltensbeobachtungen als Ergänzung der Explorationsgespräche und der testpsychologischen Untersuchungen zur Diagnostik der Erziehungsfähigkeit bzw. Erziehungseignung ... weil der Verfasser in Übereinstimmung mit der überwiegenden Zahl der Fachautoren einzelne Verhaltensbeobachtungen als ein dafür wenig valides und somit wenig geeignetes Untersuchungsinstrument ansieht."

Diplom-Psychologe Hendrik Heetfeld, Gutachten für Amtsgericht Moers - 472 F 102/07 - Richter Dr. Martiensen, S. 5

 

 

 

 

 

 

Interaktionsbeobachtung bei fehlender Mitwirkungsbereitschaft eines Elternteils.

Mitunter erklären Gutachter, sie wären am Ende ihres Lateins, weil sie keine Interaktionsbeobachtung durchführen konnten.

 

 

Beispiel: 

 

"...

Die Fertigstellung und Erstattung des Gutachtens nach psychologisch wissenschaftlich fundierten Kriterien kann ohne eine psychodiagnostische Begutachtung der Kontakte von A mit seinem Vater unter normalen Bedingungen (längerer Aufenthalt des Jungen im Haushalt des Vaters ohne Einflussnahme der Mutter) nicht verantwortet werden.

...

Zu weiteren Procedere schlage ich daher vor, den Jungen nach einer gelungenen Einschulung - ... erneuert und diesmal unter realistischen Bedingungen psychodiagnostisch zu untersuchen."

Diplom-Psychologe Manfred Beckmann, Schreiben vom 20.01.2007 an das Amtsgericht Büdingen - 54 F 651/05 - Richter Jöntgen

 

Das ist nun recht seltsam, dass Herr Beckmann es anscheinend nicht fertig bekommt, zum Zwecke einer Interaktionsbeobachtung einen noch nicht sechs Jahre alten Jungen mit seinem Vater zusammenzubekommen. Nächstens werden fünfjährige Jungen noch als Aufseher an psychologischen Fakultäten angestellt, um darüber zu wachen, dass die Psychologiestudenten auch immer brav an den Vorlesungen teilnehmen. Schöne Neue Welt.

 

 

 

 

 

 

Kommunikation der Eltern

Es mutet immer wieder seltsam an, wenn einige Gutachter meinen, zur gegenseitigen Kommunikation der Eltern etwas relevantes sagen zu können, ohne die Eltern je bei einem gemeinsamen Elterngespräch erlebt zu haben. Das ist wie bei den Indianergeschichten von Karl May, der zwar zu der Zeit als er diese Geschichten schrieb, noch nie in Amerika, dafür aber mehrmals im Gefängnis war. Das hat ihn freilich nicht daran gehindert in aller Ausführlichkeit zu beschreiben, wie es den Indianern und Cowboys, Winnetou und Old Shatterhand im Wilden Westen so miteinander gehen soll.

Die Karl May`s von heute machen es ähnlich unbekümmert. So behauptet der auf den Spuren Karl May`s wandernde Gutachter, die Eltern könnten nicht kommunizieren und empfiehlt dem Gericht einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen, da die gemeinsame Sorge nur dann funktionieren könne, wenn die Eltern in der Lage wären zu kommunizieren. Auf die Idee, beide Eltern zu einer professionellen Beratung hinzuwesen und notfalls zu zu verpflichten, kommt der Gutachter nicht, sei es dass er selbst im geheimen davon überzeugt ist, dass Elternberatung ohnehin sinnlos sei oder dass er weiß, die Angebote im Landkreis sind von dermaßen schlechter professioneller Qualität, dass man niemanden ernsthaft empfehlen möchte dort hinzugehen.

 

 

 

 

 

 

Erziehungsfähigkeit

Fragt das Gericht nach der Erziehungsfähigkeit der Eltern, sollte der Gutachter darlegen können, was er unter diesem Begriff versteht, da sonst der Eindruck entstehen kann, es fiele in die Hoheit des Gutachters, seine eigene Definition von Erziehungsfähigkeit zu benutzen. Definiert der Gutachter diesen Begriff nicht (so z.B. der Diplom-Psychologe Dirk Kriegeskorte, 29.02.2004), so sollte er den ihn beauftragenden Richter ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass er dieses nicht getan hat und seine eigene nicht bekannt gegebene Auffassung von Erziehungsfähigkeit für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung verwendet. Geschieht dies nicht, so kann der Effekt eintreten, dass der Richter irrtümlich meint, der Gutachter hätte einen allgemein anerkannten Begriff von Erziehungsfähigkeit verwendet, nicht jedoch seinen eigenen, für den er nur selbst den Maßstab gesetzt hat.

 

Die Frage nach der "Erziehungsfähigkeit" stellt den Begriff der Fähigkeit in den Raum. Eine solche Frage lässt sich in der Regel sehr differenziert beantworten, in dem Stärken und Schwächen der betreffenden Person beschrieben werden.

Fragt das Gericht jedoch nach "der Erziehungseignung" der Mutter (Amtsgericht Zehdenick 05.01.2004), so scheint eine solche Frage eine Entweder-Oder Beantwortung zu implizieren. Entweder die Mutter ist geeignet oder sie ist nicht geeignet. Differenzierungen sind hier offenbar nicht abgefragt und erwünscht. Ob dies mit dem richterlichen Ermittlungsauftrag zu vereinbaren ist, scheint fraglich. Fühlt sich dann noch der eingesetzte Gutachter Diplom-Psychologe W.-P. unaufgefordert berufen einen eventuell stattgefundenen sexuellen Missbrauch in der Kindheit der Mutter spekulativ aufdecken zu wollen und dem Gericht seine diesbezügliche Meinung mitzuteilen, so kann man die Frage stellen, ob der Gutachter hier gegenüber der Mutter nicht selbst übergriffig wird?

 

Stellt das Gericht die Frage nach der "Erziehungsfähigkeit" eines Elternteils, so muss der Gutachter darlegen, was er überhaupt unter Erziehungsfähigkeit versteht. In den gängigen psychologischen und pädagogischen Wörterbüchern ist der Begriff der Erziehungsfähigkeit gar nicht aufgeführt. Sieht der Gutachter die Befähigung der Eltern zur Betreuung und Versorgung des Kindes als Teil der Befähigung zur Erziehung oder als eigenständige Kompetenzen? Ein Elternteil der seinem Kind saubere Sachen anzieht und ein gesundes Essen kocht, kann durchaus Schwierigkeiten bei einer angemessenen Erziehung haben, so z.B. wenn er einen sehr autoritären Erziehungsstil oder einen Erziehungsstil des Laisser-faire praktiziert. Versorgungskompetenz und Erziehungskompetenz sind also durchaus nicht das gleiche.

Anschließend muss der Gutachter mitteilen, an Hand welcher überprüfbaren Kriterien er die "Erziehungsfähigkeit" diagnostizieren will. Die bloße und unbegründete Durchführung von persönlichkeitsdiagnostischen Tests oder gar von Intelligenztests reicht dafür keinesfalls aus. Möglicherweise verletzt der Gutachter damit sogar die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.

Die Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes kann nur an Hand deren vorhandener Kompetenzen, Möglichkeiten und Ressourcen beurteilt werden. Es ist falsch, wenn ein Gutachter (Diplom-Psychologe Volker Kruse 2003) das Kontinuitätsprinzip, die Bindungen zwischen Kind und Elternteil oder gar den Willen des Kindes zum Kriterium für die Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes erhebt.

 

Werden vom Gutachter keine Kriterien genannt, die für oder gegen die Erziehungsfähigkeit sprechen, so kann er die Frage des Gerichtes wohl auch nicht ordnungsgemäß beantworten. Ein solcherart erstelltes Gutachten kann regelmäßig als unbrauchbar zurück gewiesen werden.

 

 

Formuliert das Gericht die Beweisfrage in Form einer juristischen Fragestellung:

 

1. Es wird ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten zu der Frage erholt, wie die elterliche Sorge für A , geb. ...2005, geregelt werden soll: gemeinsame elterliche Sorge der Eltern, alleinige elterliche Sorge des Vaters, alleinige elterliche Sorge der Mutter.

2. ...

3. Der Sachverständige wird gebeten, über den in Ziffer 1 genannten Bereich hinausgehend zu prüfen, wie für das Wohl von A, der Umgang zwischen Vater und Tochter, gestaltet werden sollte.

Amtsgericht Rosenheim - Richterin Fey-Wolf, Beweisfrage vom 19.03.2008; als Gutachter beauftragt: Diplom-Psychologe Peter A. Menzel (GWG München)

 

 

muss sich die verfahrensführende Richterin nicht wundern, wenn sie auf ihre juristische Frage nach der Regelung der elterlichen Sorge, die allein von ihr, nicht aber von einem Gutachter zu beantworten ist, im weiteren Verlauf vom beauftragten Diplom-Psychologen Peter A. Menzel die folgende Antwort erhält:

 

"Bezüglich der Erziehungsfähigkeit beider Elternteile wurde auch über den Vater lediglich festgestellt, dass er als erziehungsfähig anzusehen ist. Auch beim Vater wurden diesbezüglich keine weiteren Untersuchungen vorgenommen. Der gerichtliche Auftrag bezog sich auch nicht explizit auf die Erziehungsfähigkeit sondern allgemein auf die Frage nach der elterlichen Sorge. ..."

Stellungnahme des Diplom-Psychologe Peter A. Menzel auf die Stellungnahme des Rechtsanwaltes des Vaters und eine durch Herrn Peter Thiel zum Gutachten erstellte Expertise, S. 3.  

 

 

 

 

 

 

Kindeswille

Die unreflektierte Verwendung des Begriffs Kindeswille ist höchst problematisch und mitunter kindeswohlgefährdend, so z.B. wenn der geäußerte "Kindeswille" für eine Elternselektion durch den Gutachter oder das Gericht benutzt wird. Es gibt im elterlichen Streit um das Kind keinen autonomen Kindeswillen, wie das einige Gutachter suggerieren wollen. Jeder Erwachsene hat das schon einmal erlebt, wenn er in einer Gruppe ist, in dem sich zwei widerstreitende Lager gegenüber stehen und er zu beiden Lagern positive Verbindungen hat. Parteilichkeit für das eine Lager bedeutet Verrat am anderen Lager.

Dass der "Kindeswillen wesentlich situativ generiert ist, kann man feststellen, wenn man elterliche Konflikte über einen längeren Zeitraum verfolgt, das Kind in diesem Zeitraum von einem Elternteil zum anderen wechselt und der vormals vom Kind, welches bei diesem lebte, "bevorzugte" Elternteil nun zum vom Kind, bei dem es nun nicht mehr lebt, "benachteiligten" Elternteil wird (so z.B. berichtet bei dem Gutachter beauftragten Klaus Schneider, 2003 und 15.12.2004). Dem zugrunde liegt häufig ein massiver Koalitionsdruck seitens des jeweils betreuenden Elternteils und ein verzweifeltes "Ziehen" des nichtbetreuenden Elternteils, wobei es letztlich völlig egal ist, wer hier gerade in der machtvolleren Position ist, die Mutter oder der Vater. Wechselt das Kind die Fronten vertauschen Mutter und Vater die Täter- und die Opferrolle. Die Fixierung eines Gutachter ist "Verrat am Kindeswohl", so wie die strenggläubige Altfeministin Anita Heiliger eines ihrer Bücher betitelt hat, wenngleich es Frau Heiliger selbst vielleicht unmöglich ist, systemische Zusammenhänge zu erkennen oder zu verstehen.

 

Wenn ein knapp dreijähriges Mädchen, das gute Beziehungen zu beiden getrennt lebenden Eltern hat, von der Diplom-Psychologin Isabelle N. Koch mit Kopfbogen von Prof. Dr. Gunther Klosinski: "Einverstanden aufgrund eigener Urteilsbildung") befragt wird, ob sie lieber bei Papa oder Mama leben wolle, dann liegt hier mit Sicherheit eine fachliche Fehleinschätzung hinsichtlich der Fähigkeit von dreijährigen Kindern zur autonomen Willensbildung und zur Erfassung einer familiären Situation und antizipierten familiären Zukunft vor, die ein dreijähriges Kind noch gar nicht leisten kann.

 

 

Gibt eine Gutachterin unter der Überschrift

 

"Kind A`s Beziehungen zu ihren Bezugspersonen"

 

 

das achtjährige Kind mit dem Worten wieder:

 

"Ich möchte so gerne bei Oma weiterwohnen, mit Papa zusammensein und Mama am Wochenende besuchen"

Diplom-Psychologin Helga Feyerabend, Gutachten für  Amtsgericht Hagen - 51 F 316/03 vom 15.03.2004, S. 33 

 

so muss die Gutachterin auch unmissverständlich mitteilen, wo sie das Kind befragt hat, bei der Oma, beim Vater oder bei der Mutter. Da der Kindeswille kontextabhängig ist, muss das Kind bei allen drei Beteiligten nach seinen Wünschen befragt werden, ansonsten dürfte ein gravierender Fehler der Gutachterin vorliegen, der zumindest die Verwertung der Aussage des Kindes wertlos macht und in deren Folge sich die Frage stellt, ob die Gutachterin über die für ihre Arbeit erforderliche Kompetenz verfügt.

Gutachter, die einen "autonomen Kindeswillen" im elterlichen Konflikt behaupten, sollten im Interesse der Kinder von den Gerichten besser nicht mehr bestellt werden.

 

 

In der Praxis der richterlichen Fragestellungen oder auch den vom Gutachter selbst aufgestellten sogenannten "psychologischen Fragen" finden wir - vorausgesetzt es handelt sich nicht um unzulässige juristische Fragestellungen wie die nach dem Sorge- oder Umgangsrecht - häufig Fragen nach:

- der entwicklungsbezogenen Ausgangslage des Kindes

- situationsspezifische Verhaltens- und Erlebnismuster des Kindes

- den Bindungen und Beziehungen in der Familie

- dem Kindeswillen

- der Bindungstoleranz

- der Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft

- der Erziehungsfähigkeit

- der Erziehungskompetenz

- der Erziehungseignung

- den Förderkompetenzen

- der Kontinuität

- den äußeren Betreuungsmöglichkeiten der Eltern (sozio-ökonomische Rahmenbedingungen)

 

Mitunter werden von Gutachtern Fragestellungen auch als "Kriterien" bezeichnet, dies ist sprachlich nicht korrekt, denn Kriterien sind keine Fragen, sondern "Prüfsteine, unterscheidendes Merkmal, Kennzeichen" (Duden Fremdwörterbuch 1997).

Ein Kriterium ist z.B. ein Zensurendurchschnitt von mindestens 1,2 um Psychologie studieren zu dürfen. Es liegt auf der Hand, dass der Zensurendurchschnitt keine Fragestellung ist - und so bleibt nur die Verwunderung, dass es einige Menschen trotz eines Diploms in Psychologie Schwierigkeiten haben, sich sprachlich korrekt auszudrücken.

Wenn man von einem Kriterium spricht, muss man dies auch benennen. So z.B. das Kriterium der Bindungstoleranz. Dieses könnte man so definieren, dass damit die Befähigung eines Elternteiles gemeint ist, den Kontakt zwischen den Kind und dem anderen Elternteil grundsätzlich gutzuheißen und zu fördern.

 

"Fragestellungen" oder "Kriterien" werden leider häufig dazu verwandt, selektiv einen "besseren" Elternteil herausfinden zu wollen. Man muss sich außerdem darüber im klaren sein, dass Kriterien von Menschen geschaffene Maßstäbe sind, die subjektiven Wertungen und Sichtweisen unterliegen. Sie sind niemals absolute und objektive Maßstäbe. So gilt in einigen Teilen der Welt die sogenannte Beschneidung von Jungen und Mädchen als Teil geglückter Individuation. In Deutschland wird dies bei Mädchen als genitale Verstümmelung strafverfolgt, bei der genitalen Verstümmelung von Jungen wird dagegen zur Zeit noch ein Auge zugedrückt oder wie in einem besonders krassen Fall auf Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Beschluss vom 23.7.2002 - 4 ME 336/02, veröffentlicht in "NJW", 2003, Heft 45, S. 3290) die genitale Verstümmelung eines Jungen auch noch aus Steuermitteln finanziert.

 

 

Den Gutachtern ist es weitestgehend ins Belieben gestellt, je nach persönlicher Vorliebe, aus der richterlichen Beauftragung eigene Kriterien, bzw. "Psychologische Fragen" zu kreieren. 

So z.B. die Diplom-Psychologin Ulrike Weinmann. Sie stellt in einem Fall die "Psychologische Frage":

 

"Kümmern sich die Eltern aktiv um die Förderung ihrer Kinder und unterstützen sie gegebenenfalls darin, mögliche Rückstände aufzuholen?"

Diplom-Psychologin Ulrike Weinmann, Gutachten für Amtsgericht Grimma, 5.12.2003

 

 

Der erste Teil der Frage ist sicher sinnvoll, der zweite Teil bezieht sich, so geht es aus dem Gutachten hervor, auf eventuell bestehende schulische Rückstände der Kinder. Diese, wenn sie denn überhaupt in einem relevanten Maß zu finden sein sollten, waren aber vor Gutachtenbeginn gar nicht Thema des gerichtlichen Verfahrens. Die Gutachterin hat, so muss vermutet werden, diese Frage erst im Laufe ihrer Untersuchung gestellt, um in der Folge den einen Elternteil gegenüber den anderen Elternteil als den besseren auszuzeichnen. Im übrigen ist es in einen gerichtlichen Sorgerechtsverfahren nach §1671 BGB völlig daneben, zu fragen, welcher Elternteil besser mit dem Kind für die Schule übt.

 

 

In anderen Fällen werden Fragen wie die nach der Kooperationsfähigkeit der Eltern von der Gutachterin zwar formuliert, gleichwohl lädt die Gutachterin die Eltern nicht zu einem gemeinsamen Elterngespräch ein, um sich ein einigermaßen reales Bild von deren beiderseitiger Kooperationsfähigkeit zu machen (so z.B. Diplom-Psychologin Cornelia Rombach 23.12.2003)

 

 

 

 

 

Gewalt

 

"Wie bereits ausgeführt, hat die Mutter in anbetracht der familiären Beziehungsdynamik eine schwierige Position als Erzieherin. ... Ohne Zweifel steht die Mutter daher unter erheblichen Druck, gelegentlich kann des dabei auch zu Überforderungsreaktionen kommen, wie es offenbar der Fall war, als sie im Zeitraum der Begutachtung in einer Konfliktsituation A eine Ohrfeige gab.

... Die Erziehungs- und Förderkompetenz der Mutter ist, gerade angesichts der spezifischen Problematik des Kindes und der erschwerten erzieherischen Anforderung, insgesamt positiv zu beurteilen."

Diplom-Psychologin Helene Ruppert, Gutachten 07.03.2005. S. 25, an Oberlandesgericht Nürnberg

 

 

 

 

 

Missbrauch

Wohl nur wenige Begriffe sind so mystifiziert und emotional und ideologisch besetzt wie der Begriff "sexueller Missbrauch". So heißt es in einem Programm einer Fachtagung:

 

"Der Umgang mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs in familiengerichtlichen Verfahren".

 

Die Formulierung "des sexuellen Missbrauchs" suggeriert, es gäbe so etwas wie "den" Missbrauch. Kein Mensch käme auf die Idee einen Satz zu formulieren: "Der Umgang mit dem Vorwurf der körperlichen Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren", statt dessen würde man schreiben: "Der Umgang mit dem Vorwurf körperlicher Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren", was anzeigt, dass es körperliche Gewalt in den verschiedensten Formen und unterschiedlicher Schwere gibt. Nicht so jedoch bei "dem" sexuellen Missbrauch, diesen gibt es nach dieser Formulierung nur in einer einzigen Form und es gilt dann nur noch abzuklären, ob "er" stattgefunden hat oder nicht. Vielleicht liegt es gar an dem Artikel "der", dass man landläufig meint, sexueller Missbrauch wäre männlich.

Es ist aber auch zu fragen, welche Erscheinungsformen sexuellen Missbrauchs es gibt. Vätern kann unberechtigt oder berechtigt relativ schnell ein sexueller Missbrauch unterstellt werden, während man bei Müttern offenbar annimmt, diese wären asexuelle Wesen vom Typ Jungfrau Maria, bei denen ein sexueller Missbrauch ihres Sohnes oder ihrer Tochter als undenkbar erscheint. Schläft eine Mutter mit ihrem inzwischen siebenjährigen Sohn seit dessen Geburt immer in einem gemeinsamen Bett und nässt der Sohn ein (10.03.05), so kann man durchaus die Frage stellen, ob die Mutter den Sohn, auch wenn es nicht zu direkten sexuellen körperlichen Kontakten zwischen beiden kommt, nicht sexuell missbraucht. Würde im umgekehrten Fall ein Vater mit seiner siebenjährigen Tochter ständig in einem Bett schlafen, so müsste dieser Vater bei bekannt werden, sich sicherlich auf einige scharfe Fragen seitens zuständiger Fachkräfte einstellen.

 

Mitunter beauftragt das Gericht einen Gutachter einen Missbrauchsvorwurf oder -verdacht gegenüber einem Elternteil, meist gegenüber dem Vater, gerade so, als ob nur Männer und nicht auch Frauen Kinder sexuell missbrauchen würden, abzuklären. Viele Missbrauchsvorwürfe dürften nicht aufzuklären sein. Dies gilt logischerweise für alle Vorwürfe, bei denen ein Missbrauch nicht stattgefunden hat. Die Beauftragung eines Gutachters, abzuklären, ob ein Missbrauch stattgefunden habe, enden daher oft wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen. Der Gutachter teilt mit, dass er keine schlüssigen Anhaltspunkte für einen Missbrauch gefunden hat, aber ein Missbrauch natürlich auch nicht vollständig ausgeschlossen werden könnte. In der Zwischenzeit zwischen Missbrauchsvorwurf und Gutachterbericht an das Familiengericht wird häufig der Kontakt zwischen Kind und beschuldigten Elternteil unterbunden und am Ende bleibt dann doch der Missbrauchsvorwurf im Raum stehen, denn wenn auch der Gutachter ihn nicht ausschließen konnte, so heißt das ja nicht, dass er nicht dennoch stattgefunden haben könnte. Mit einer solchen Hypothek belastet dürfe der Kontakt zwischen Kind und beschuldigten Elternteil zukünftig erheblich belastet sein, bzw. für lange Zeit abbrechen.

 

Berichtet eine Gutachterin unter der Überschrift:

 

"1.1.3. Angaben von Frau X (Mutter) zur Erziehungssituation des Kindes

...

Frau X berichtete der Sachverständigen, dass der Kindesvater spezielle sexuelle Neigungen habe, dass er sich Internetseiten zum Thema "Fussfetisch" heruntergeladen habe."

Dr. Sibylle Kurz-Kümmerle, Gutachten vom 04.07.2005 für Amtsgericht Königstein, S. 12

 

 

so kann man die Frage stellen, wieso die Gutachterin diese von der Mutter gemachte Angabe unter die Überschrift "Erziehungssituation des Kindes" stellt? Will die Gutachterin damit möglicherweise den Vorwurf lancieren, es bestünde die Gefahr der Vater wäre bezüglich seines Kindes sexuell übergriffig oder könnte dies werden?

Andere Gutachter scheinen anders mit diesem Thema umzugehen, so z.B. die Diplom-Psychologin Edda Gräfe, die einer Mutter, die angesichts deren Mutmaßung, es könne sexuelle Übergrifflichkeiten seitens eines Bekannten des Vaters gegenüber dem Kind gegeben haben, vorhält:

 

"Auffallend ist, das die Kindesmutter trotz einer solchen Mutmaßung dies nicht vor Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzung angesprochen hat, bzw. hat überprüfen lassen; sie diesbezüglich nicht Kontakt aufgenommen hat zu zu diesem Zeitpunkt bereits involvierte fachkompetenten Dritten, wie dem Jugendamt oder Herrn D bzw. sie nicht unbeteiligte fachkompetente Dritte aufgesucht hätte, um diesen Punkt abzuklären.

Trotz dieser Mutmaßung hatte die Kindesmutter keine fachlichen Dritten aufgesucht zur Abklärung dieser Mutmaßung, sie hatte weiterhin Umgangskontakte im Haushalt des Kindesvater geduldet, was insgesamt als eine Einschränkung in der Erziehungs- und Förderkompetenz der Kindesmutter anzusehen wäre, sofern die Mutter tatsächlich diesen Verdacht gehabt haben sollte.

...

Sofern die Kindesmutter jedoch nicht tatsächlich von einem möglichen sexuellen Missbrauch im Haushalt des Kindesvaters durch den betreffenden Z ausgehen sollte, sondern dies im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung um das Sorgerecht und einen Verbleib des Kindes im Haushalt des Vaters funktionalisierend einsetzen sollte, wäre hierin ebenfalls eine ganz gravierende Einschränkung in der Erziehungs- und Förderkompetenz zu sehen."

Edda Gräfe, Gutachten vom 10.08.2005, S. 24

 

 

 

Die Gutachterin übersieht hier offenbar, dass es durchaus negative Auswirkungen auf einen Elternteil haben kann, wenn dieser eine vermeintliche Kindeswohlgefährdung beim anderen Elternteil zu sehen meint und deswegen an verschiedene staatliche Stellen wie Polizei, Jugendamt und Familiengericht herantritt. Sehr schnell kann ihm dann nämlich fehlende Bindungstoleranz vorgeworfen werden. Und wenn man Pech hat, führt ein solcher Vorwurf sogar dazu, dass dem besorgten und aktiv handelnden Elternteil auch mit dieser Begründung schließlich das Sorgerecht nach §1671 BGB entzogen wird.

Ähnliches musste z.B. ein Vater erfahren, der der Ansicht war, sein Sohn würde bei der Mutter misshandelt. Die vom Gericht eingesetzte Gutachterin attestierte darauf hin dem Vater:

 

"Die gestörte Elternbasis wurde durch die Vorträge des Vaters, der seit Jahren eine Kindeswohlgefährdung A`s im mütterlichen Haushalt sieht, die durch ihn betriebenen Gerichtsverfahren und nicht zuletzt dadurch, dass er die Polizei zum mütterlichen Haushalt schickte, weiter vertieft, wobei die Ausgangslage die elterliche Trennung und die damit verbundenen persönlichen Kränkungen darstellen dürfte."

Diplom-Psychologin Carola Wagner, Gutachten für Amtsgericht Oschatz vom 20.07.2005, S. 51

 

 

 

 

 

Bindungen

Die Bindungstheorie und die Erforschung des menschlichen Bindungsverhaltens gehen auf den englischen Psychiater John Bowlby zurück.

 Es werden meist drei Bindungsklassifikationen unterschieden:

1. Sicheres Bindungsverhalten

2. Unsicher-vermeidendes Bindungsverhalten

3. Unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten

 

 

Hinzu kommt als Zusatzklassifikation die sogenannten desorganisierten und/oder desorientierten Bindungsanteile die innerhalb aller drei Bindungsqualitäten auftreten kann. Diese wird mitunter irreführend als Desorganisierte Bindung benannt, so dass der Eindruck entstehen kann, es handele sich hier um eine eigenständige Bindungsqualität.

 

„Desorganisierte und/oder desorientierte Bindungsanteile: Diese können innerhalb aller drei obigen Bindungsqualitäten auftreten. Das Kind zeigt dann einen kurzfristigen Zusammenbruch seiner Verhaltens- und Aufmerksamkeitsstrategie.“

Fock, Kai Uwe: "Bindung? Ja Sicher!"; In: "Pfad", 22/2001, S. 10

 

 

Was denn nun eigentlich überhaupt eine Bindung sein soll, die bekanntlich noch niemand gesehen hat, darüber streiten die Götter und gelegentlich äußert sich auch mal ein Psychologe dazu, ohne deswegen Licht ins Dunkle zu kriegen

 

"Unter `Bindung` versteht man ein lang andauerndes affektives Band eines Kindes zu bestimmten Personen, die nicht ohne weiteres auswechselbar sind."

Diplom-Psychologe Michaele Sobczyk, 19.02.2004, S. 12

 

 

Diese Definition von Sobczyk zeigt, dass Begriffe wie Kindeswohl, Kindeswille, Bindungen usw. Konstrukte sind, die der Auslegung bedürfen. Was heißt in diesem Fall "lang andauerndes Band"? Was ist lang? Eine Woche, ein Monat, ein Jahr. Was ist ein "Band", wie "stark" ist es? Hat ein vierjähriges Kind zu einer vernachlässigenden Mutter Bindungen? Vier Jahre dürften lang genug sein, doch wie steht es um die Stärke des "Bandes"? Was heißt "nicht ohne weiteres auswechselbar`"? In Deutschland werden jedes Jahr einige Zehntausend Väter und Mütter durch den betreuenden Elternteil "ausgewechselt", ohne dass deswegen der Staat als Wächter des Kindeswohls einschreitet. Im Gegenteil, mitunter ordnet das Familiengericht eine solche Auswechslung sogar an (Pflegschaften) oder es unterbindet den Kontakt zwischen Kind und Bindungsperson nach §1684 BGB (4). So schlimm kann es doch mit dem "Auswechseln" offenbar nicht sein, sonst würde der Staat doch etwas tun und zum Beispiel ein Ministerium zum Schutz des Kindes vor Auswechslungen einrichten oder wenigstens einen Bundesbeauftragten zum Schutz des Kindes vor Auswechslungen benennen.

 

Einige Gutachter, die man als Messfetischisten bezeichnen kann, behaupten, man könne die Stärke von "Bindungen" objektiv messen. Dabei könnten "maßgeschneiderte Tests" helfen.

Andere Gutachter meinen dagegen:

 

"... kann es bei der Abklärung der Bindungsqualitäten nicht vorrangig um die Feststellung gehen, zu welchem Elternteil eine Kind die `stärkeren` Bindungen entwickelt hat (wobei in der Psychologie ohnehin kein valides Messinstrument zur Erfassung der `Stärke` einer Bindung vorliegt."

Diplom-Psychologe Michele Sobczyk, 19.02.2004, S. 12

 

 

Letzterer Standpunkt dürfte realistisch sein. Wenn Gutachter behaupten sie könnten eine quantitative Messung der Bindungsstärke vornehmen, so dürfte das ähnlich realistisch sein, wie die Behauptung eines Alchimisten, er könne aus Blei Gold machen oder eines Wünschelrutengängers, er könne den geeigneteren Elternteil mittels Wünschelrutenmessung ermitteln. Wo solches parawissenschaftliches Denken an der Tagesordnung ist, sollte man an dies auch an der Haustür des Betreffenden kenntlich machen und nicht in anmaßender Weise ranschreiben Familienrichter oder Gutachter.

Dabei steht es jedem Gutachter frei, sich in seiner Freizeit der Alchimie oder der Esoterik zu widmen oder mit einer Wünschelrute über sein Gartengrundstück laufen. Doch spätestens mit Arbeitsbeginn hat der Gutachter zu dem zurückzukehren, was allgemeiner wissenschaftlicher Konsens ist.

 

Wieder andere Gutachter behaupten, die aktuelle Stärke einer Bindung, hinge als direktes Resultat der Vergangenheit nur davon ab, ob wenn ein Elternteil dem Kind im ersten Lebensjahr überwiegend als Bezugsperson zur Verfügung gestanden habe. 

 

"Die Mutter ist für die Kinder die Hauptbindungsperson, da sie ihnen im ersten Lebensjahr überwiegend als Bezugsperson zur Verfügung stand."

Diplom-Psychologin Ludwina Poll, Gutachten für Amtsgericht Bad Oeynhausen, 31.05.2006, S. 89

 

 

Wer so etwas vorträgt, hat die Bindungstheorie offenbar gar nicht verstanden, vielleicht auch im Psychologiestudium nicht an den einschlägigen Vorlesungen teilgenommen oder zeitweilig geschlafen, denn die Bindungstheorie geht davon aus, dass es auch bei zeitlich umfangreicher Anwesenheit einer Betreuungsperson zu ganz verschiedenen Bindungsausprägungen kommen kann:

 

1. Sicheres Bindungsverhalten

2. Unsicher-vermeidendes Bindungsverhalten

3. Unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten

 

 

Ob eine Person Hauptbezugsperson war oder nicht entscheidet daher nicht automatisch ob diese Person später als Hauptbindungsperson zu identifizieren ist. Es ist durchaus möglich, dass der andere Elternteil, der zwar anfänglich zeitlich weniger involviert war, dafür aber dem Kind mehr Verlässlichkeit, Schutz und positiven Körperkontakt anbieten konnte, die spätere "Hauptbindungsperson" ist. 

 

 

 

Obwohl niemand so recht weiß, wie man eigentlich die Qualität von Bindungen bestimmten kann, fehlt es nicht an Vorträgen von Gutachtern etwas über die Bindungen des Kindes erfahren zu können. So z.B.:

 

"Auf die Bindungsqualität kann geschlossen werden durch die Erhebung der Voraussetzungen, die das Kind zum Bindungsaufbau hatte, durch Interaktionsbeobachtungen sowie durch testpsychologische Untersuchungen.

A hat auf Grund der Verfügbarkeit und der bedingungslosen Zuwendung beider Eltern Bindungen zu beiden aufgebaut. Dass sie sich problemlos von der Mutter lösen kann, deutet auf Bindungssicherheit in Bezug auf die Mutter hin. Bezüglich des Vaters sind die Verlustängste größer."

Dr. Sibylle Kurz-Kümmerle, Gutachten für Amtsgericht Königstein, 04.07.2005, S. 39

 

 

Man fragt sich, wie die Gutachterin im Nachhinein die Voraussetzungen, die das Kind in der Vergangenheit zum Bindungsaufbau hatte, verlässlich beurteilen will. Schließlich war sie ja nicht dabei und kann von der Vergangenheit in der Regel nur aus den subjektiven Erzählungen (Narrationen) der Eltern erfahren.

Dann deutet die Gutachterin die problemlose Lösung des Kindes (beim Wechsel von der Mutter zum Vater, der dem Kind in der Vergangenheit und Gegenwart als Hauptbezugsperson zur Verfügung stand und steht) als größere Bindungssicherheit, ohne zu fragen, ob es dem Kind womöglich deswegen schwerer fällt vom Vater zur Mutter zu gehen, weil es womöglich das Gefühl hat, bei der Mutter keine ausreichende (Bindungs)Sicherheit zu finden. Bleibt anzumerken, dass Frau Kurz-Kümmerle schließlich mit Verweis auf die angeblich größere Bindungssicherheit des Kindes in Bezug auf die Mutter und der angeblich fehlenden Bindungstoleranz des Vaters, dem Gericht vorschlägt, dass das Kind seinen Hauptaufenthaltsort zukünftig bei der Mutter haben soll (S. 43). Der sogenannte Kontinuitätsgedanke, der gewöhnlich hoch gehandelt wird, ist der Gutachterin dabei keine Rede wert.

 

Bei so viel Wirrwar drängt sich die Vermutung auf, die Bindungsforschung wäre nur deswegen erfunden worden, um im familiengerichtlich ausgetragenen Streit der Eltern ein neues Streitfeld zu eröffnen, zu welchen Elternteil das Kind die stärkeren Bindungen hätte. Im Krieg ist bekanntlich jedes Mittel recht und so liefern auch Bindungsforscher unfreiwillig oder freiwillig Waffen in Krisengebiete. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage, so hat es schon Goethe formuliert.

 

 

 

 

 

Fremde Situation

Die sogenannte Fremde Situation ist eine Experimentalsituation nach Ainsworth et al. 1978, bei der die Bindung zwischen Kind und einer Bezugsperson, z.B. einem Elternteil, bestimmt werden soll. Wird eine solche Experimentalsituation bei gleichzeitiger Interaktionsbeobachtung in der in der Praxis eines Gutachters statt, muss man festhalten, dass diese nicht losgelöst von der Beziehung zwischen Elternteil und dem Gutachter gesehen werden kann. Jeder der ein Bewerbungsgespräch oder eine Prüfung zu absolvieren hat, kann das bei sich feststellen, wird der Büroleiter oder Prüfer als wohlwollend und zugewandt wahrgenommen, so hat dies zur Folge, dass sich der Bewerber oder Prüfling unmittelbar entspannt. Wird der Büroleiter oder Prüfer dagegen als streng, kritisch oder gar ablehnend wahrgenommen, löst dies zusätzlichen Stress bei dem Bewerber oder Prüfling aus. Dies ist in Fällen familienrechtlicher Begutachtung natürlich nicht anders.

Mutter und Kind, bzw. Vater und Kind, Mutter und Gutachter, bzw. Vater und Gutachter bilden systemisch gesehen Subsysteme, also Untersysteme im System der Trennungsfamilie. Das Verhältnis in einem Subsystems hat immer Auswirkungen auf das andere Subsystem. Das ist bei Loyalitätskonflikten von Kindern deutlich zu sehen. Bei zerstrittenen Elternteilen, die von ihrem Kind Loyalität und Beistand gegenüber dem jeweils anderen Elternteil einfordern, kann dies das Kind nicht gleichzeitig erfüllen. Es kommt entweder zum Aufbau zweier aufgespaltener Beziehungswelten des Kindes oder früher oder später zur Entfremdung zwischen Kind und einen der beiden Elternteil zugunsten einer Koalition zwischen Kind und dem anderen Elternteil (sogenanntes PAS-Phänomen).

Wäre das Verhältnis zwischen Mutter und dem Gutachter entspannt und herzlich, würde sich dies auch positiv auf das Verhältnis zwischen Kind und dem Gutachter auswirken. Die "Fremde Situation" wäre davon unmittelbar beeinflusst. Analoges kann für die Vater-Tochter Beziehung in der "Fremden Situation" festgestellt werden. Ist die Beziehung zwischen dem Vater und dem Gutachter positiv, so hat dies unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten des Kindes in der "Fremden Situation". Der Gutachter muss daher diese Beeinflussungen in seinem Gutachten diskutieren.

 

Hinzu kommt folgendes:

 

"Eine bindungsorientierte Vorgehensweise erfordert also eine genaue Diagnose der Bindungsbeziehungen des Kindes im Hinblick auf ihre Qualität. ... Auch wenn normalerweise davon ausgegangen werden kann, dass Verhalten und Repräsentationen als Symptome ein und desselben zugrunde liegenden `Inneren Arbeitsmodells` vergleichbare Informationen liefern, so sind gerade in der Situation der elterlichen Scheidung aufgrund von Destabilisierungs- und Desorganisationstendenzen Diskrepanzen zu erwarten.

So könnte es durchaus vorkommen, dass beispielsweise ein Vorschulkind, welches aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen eine sichere Bindung zu seiner Mutter oder seinem Vater aufgebaut hat und somit zu einer ausgeglichenen Balance zwischen Bindung und Exploration gefunden hat, nach der Trennung der Eltern (und die dadurch bedingte Aktivierung des Bindungsverhaltenssystems) vermehrte Trennungsangst zeig oder nach längerer Trennung von einem der beiden Elternteile vermeidendes Verhalten äußert und somit bei der Beobachtung im Hinblick auf seine Bindungsqualität den Eindruck von Bindungsunsicherheit vermittelt, obwohl in seiner Repräsentationen die gleiche Bezugsperson als verfügbar und als sichere Basis gegeben ist. Ähnliche Diskrepanzen können aufseiten der Bezugsperson auftreten. So könnten Eltern mit einer eigenen sicheren Bindungsrepräsentation, die gewöhnlich mit emotional unterstützendem und feinfühligem Elternverhalten einhergeht (van Ijzendoorn, 1995), aufgrund der im Zusammenhang mit der Scheidung gegebenen Belastung, Einschränkungen in der Qualität ihres Verhaltens zeigen. ..."

Spangler, Gottfried: "Beiträge der Bindungsforschung zur Situation von Kindern aus Trennungs- und Scheidungsfamilien", In: "Praxis der Rechtspsychologie", Sonderheft 1, 2003, S. 86

 

 

 

 

 

 

Kontinuität

Um bei widerstreitenden Elterninteressen herauszufinden, welche Entscheidung das Gericht treffen sollte, bedienen sich viele Gutachter des Begriffs der Kontinuität. Dabei geht man davon aus, dass die bisherige Betreuungssituation (in der z.B. die Mutter bisher den überwiegenden Teil der Betreuung des Kindes übernommen hat) nicht ohne wichtige andere Gründe abgeändert werden sollte, um den Kind in einer ohnehin von Umbrüchen geprägten Zeit nicht noch zusätzliche möglicherweise belastende Veränderungen zuzumuten, wie es z.B. der Wechsel vom mütterlichen in den väterlichen Haushalt darstellen kann.

Allerdings gibt es im familiengerichtlichen Verfahren kein Kontinuitätsprinzip, wie oftmals irreführend vorgetragen wird. Der Begriff Prinzip wird im allgemeinen Sprachgebrauch so verstanden, dass es sich dabei um eine Regel, Richtschnur, Grundsatz oder Gesetzmäßigkeit handelt (vergleiche hierzu: Duden Fremdwörterbuch). Danach könnte man ein sogenanntes Kontinuitätsprinzip so verstehen, dass es eine Regel wäre, nach der das Kind bei einer Trennung der Eltern zukünftig von dem Elternteil überwiegend betreut werden soll, der vorher die überwiegende Betreuung des Kindes übernommen hätte. Eine solche Gesetzesregelung gibt es allerdings nicht. 

Vielmehr hat der Gesetzgeber formuliert: 

 

§ 1697a BGB Kindeswohlprinzip

Soweit nicht anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel (Anm.: §1626 bis 1698b) geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

 

 

Beispiel 1

Der als Gutachter tätige Diplom-Psychologe Matthias Petzold meint dennoch auf der Grundlage eines von ihm aufgestellten "Prinzips der Kontinuität" eine Empfehlung an das Familiengericht abgeben zu können:

 

"Aufgrund der durchgängig etwas größeren Verantwortung der Mutter für den Lebensalltag mit den Kindern (Erziehungsurlaub, Haushaltsführung usw.) erscheint uns ein hauptsächlicher Lebensmittelpunkt bei der Mutter als die eher dem Prinzip der Kontinuität entsprechende Lösung."

Diplom-Psychologe Matthias Petzold, Gutachten vom 17.04.2007 für Amtsgericht Köln, S. 30 

 

 

 

Lässt man den suggestiv wirkenden Begriff "Prinzip der Kontinuität" weg und setzt statt dessen die rechtlich leitgebende Formulierung aus §1697a BGB ein, so erhält man die folgende Fassung:

 

Aufgrund der durchgängig etwas größeren Verantwortung der Mutter für den Lebensalltag mit den Kindern (Erziehungsurlaub, Haushaltsführung usw.) erscheint uns ein hauptsächlicher Lebensmittelpunkt bei der Mutter als die dem Kindeswohl am besten entsprechende Lösung.

 

Das wäre juristisch sauber formuliert. Dass eine juristisch saubere Formulierung nicht einmal vielen Familienrichter gelingt, darf nicht als Entschuldigung dienen, dass es familiengerichtlich bestellte Gutachter nicht wenigstens versuchen sollten.

Hier wäre nun aber nun noch zu prüfen, ob der Umstand, dass die Mutter in der Vergangenheit eine etwas größere Verantwortung für den Lebensalltag mit den Kindern getragen hätte, gleichbedeutend damit sei, dass dies fortgeführt auch in der Zukunft die dem Kindeswohl am besten entsprechende Lösung sei. Gesetzt den Fall, die Mutter hätte starke neurotische Muster, die sie mit den Kindern ausagieren würde, der Vater aber nicht, so könnte man die neurotische Interaktion der Mutter mit den Kindern zum Anlass nehmen, den Vater in einem größerem Anteil die Betreuung der Kinder übernehmen zu lassen.

Was wäre aber, wenn wie im vorliegenden Fall, der Gutachter beiden Elternteilen im wesentlichen gleiche Betreuungskompetenzen attestiert? Soll dann die in der Vergangenheit "etwas größere Verantwortung der Mutter für den Lebensalltag" dafür maßgeblich sein, so wie vom Gutachter vorgeschlagen, den Vater auf eine Betreuungszeit von 4 Tagen innerhalb eines 14-tägigen Rhythmus zu reduzieren? Würde man streng mathematisch vorgehen, so würde bei der Anwendung des Petzold´schen "Prinzips der Kontinuität", bei einem hier einmal angenommen vorherigen Betreuungsgewicht von 60 Prozent durch die Mutter und 40 Prozent durch den Vater, vom Gericht eine zukünftige Betreuungsaufteilung von 60:40 anzuordnen sein. Bei einem 14-tägigen Turnus wären die Kinder dann 7,6 Tage bei der Mutter und 6,4 Tage beim Vater. Was spräche eigentlich dagegen?

Die Antwort gibt womöglich der Gutachter gleich selbst. 

 

"Mit der Empfehlung des Lebensmittelpunktes bei der Mutter ist aber gleichzeitig auch die Empfehlung verbunden, die intensive Beziehung zum Vater weiterhin zu schützen und einen ausführlichen Besuchskontakt zu sichern." (S. 31)

 

Bei einer Betreuungsregelung 7,6 Tage bei der Mutter und 6,4 Tage beim Vater kann man sicher nicht davon sprechen, dass die Kinder bei einem der beiden Elternteile "zu Besuch" wären, sondern dass beide Elternteile, so wie im Grundgesetz formuliert:

 

Artikel 6 Satz 2 Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

 

das Recht und die Pflicht haben, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen. Eine Trennung der Eltern ändert an diesem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz nichts. Dies mag einigen Menschen nicht genehm sein. Sie sollten dann vielleicht eine Initiative starten, im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit für eine Abänderung von Artikel 6 Satz 2 zu gewinnen. Doch bis dahin werden sie sich damit abfinden müssen, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht ist, womit die Übernahme einer Rolle als "Besuchselternteil" nicht vereinbart werden kann.

 

 

 

Beispiel 2

Der als Gutachter tätige Diplom-Psychologe Prof. Dr. R. J. Feinbier bereichert die Debatte zur Kontinuität nun um eine offenbar von ihm gemachte Erfindung. Er schreibt anlässlich eines gerichtlichen Streites der Eltern um den Lebensmittelpunkt ihrer dreijährigen Tochter, die seit einem Jahr im Haushalt des Vaters lebt:

 

"Die Frage der Kontinuität ist angesichts der noch langen anstehenden Erziehungszeit dieses Kindes insbesondere vorausschauend zu prüfen."

Diplom-Psychologe Prof. Dr. R. J. Feinbier, 11.10.2004, S. 5

 

 

Die Kontinuität soll also vorausschauend geprüft werden. Man muss wahrscheinlich mindestens Professor sein, um solches zu verstehen, gewöhnlichen Sterblichen scheint dies nicht vergönnt. Man darf dem Diplom-Psychologen Prof. Feinbier für die Kreation des wegweisenden Begriffes vorausschauende Kontinuität sehr herzlich danken. Sprachwissenschaftler werden sicher ihre helle Freude daran haben, über diese originelle Sprachschöpfung ihre Dissertation zu verfassen. Man darf nur hoffen, dass dieses nicht im Verdikt für Herrn Feinbier endet.

Fakt scheint indessen zu sein, dass das Kind das letzte Drittel seines bisherigen Lebens beim Vater lebte und von diesem in dieser Zeit ganz überwiegend betreut wurde. Der Kontinuitätsaspekt spricht nun ganz deutlich für den Verbleib des Kindes im Haushalt des Vaters. Den Gutachter beeindruckt dies jedoch offenbar nicht, er empfiehlt abschließend, nicht ohne vorher auf neun Seiten über "Alleinerziehender Väter" und deren Probleme referiert zu haben (man stelle sich einmal vor, ein Gutachter würde in ähnlicher Weise über "Alleinerziehender Mütter" und deren Probleme referieren, dies würde wahrscheinlich zur sofortigen Entlassung des Gutachters durch das Gericht führen):

 

"Unter der begründeten Annahme guter Bindungen des Kindes zu beiden Elternteilen, angesichts des Umstandes, dass ein eigener Kindeswille nicht angemessen erfassbar ist, kommt der Persönlichkeit der Ke und der jeweiligen Erziehungseignung der Ke, sowie dem Aspekt der vorausschauenden Kontinuität unter Berücksichtigung verfügbarer Ressourcen bei diesem Alter des Kindes besondere Bedeutung zu."

Diplom-Psychologe Prof. Dr. R. J. Feinbier, 11.10.2004, S. 33

 

 

 

Beispiel 3

Unter der Kapitelüberschrift "Kontinuität" trägt die Diplom-Psychologin Carola Wagner vor:

 

„A hat diverse Hobbies und Interessen entwickelt.“

Diplom-Psychologin Carola Wagner, Gutachten vom 20.07.2005 für Amtsgericht Oschatz - 2 F 375/04 - Richterin Zöllner, S. 52

 

 

Was das mit dem Kriterium Kontinuität zu tun haben soll, bleibt schleierhaft. Zudem fragt man sich, ob man bei einem zum Zeitpunkt der Exploration viereinhalb-jährigem Kind von „Hobbies“ sprechen sollte und wenn, was denn dann die Hobbies sein sollen, die das Kind angeblich entwickelt hat? Die Gutachterin trägt hierzu bezüglich der „Hobbies“ des Kindes im Haushalt der Mutter vor:

„A`s Interesse an B (Halbbruder - Anmerkung P. Thiel) nehme immer mehr zu. Er wünsche sich, A zu tragen und wenn er ihn bekomme, trage er ihn wie einen `kleinen Kartoffelsack`. A schiebe den Kinderwagen und helfe auch beim Anziehen des Babys. Wenn er früh ins Schlafzimmer komme, schaue er zuerst in B`s Bett und komme dann zu ihr, der Mutter zum Kuscheln.“ (S. 13)

„Derzeit kaue er (A) auf Gegenständen herum, beispielsweise auf einem Buch oder einem Plastikstern“ (S. 16)

 

Bezüglich des Vaters trägt die Gutachterin vor:

„Der Vater wurde gebeten, die Interessen des Kindes zu benennen. Er berichtete, dass A vor allem im Haus gerne mit LKWs, einem Krokodil, generell mit Autos und einem Radlader spielt. Wenn sie draußen seien, führe er gerne Rad und spiele im Sandkasten. Sie gingen spazieren und würden auch im Garten arbeiten. A habe selbst ein kleines Beet und fege auch Laub zusammen. Sie malten mit Kreide, machten Seifenblasen und fütterten die Enten.“ (S. 20)

„Er wolle bei Papa leben. ... Dort habe er wenigstens etwas zum spielen und seinen Fleischfresser (Dinosaurier). „ (S. 29)

 

 

Schöne Hobbys, kann man da wohl nur sagen. 

 

 

 

 

 

Kindliche Bedürfnisse

 

"Bereitschaft der Eltern, die kindlichen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen

Der Kindesvater stellt alle persönlichen Bedürfnisse gegenüber denen des Kindes zurück. Das betrifft einerseits seinen beruflichen Werdegang, andererseits aber zum Beispiel auch seine Wohn- und Umzugspläne. Die Kindesmutter hingegen versucht, A`s Bedürfnisse und ihre eigenen zu vereinbaren, wobei sie Verantwortung für die Konsequenzen dafür übernimmt, wenn sie den eigenen Bedürfnissen mehr Vorrang gibt, was der Kindesvater wiederum als verantwortungslos betrachtet.

Beim Kindesvater ist A der Hauptlebensinhalt, während die Kindesmutter durch Partnerschaft und Beruf weitere Inhalte damit zu vereinbaren hat. Damit orientiert sich der Kindesvater letztendlich nicht ausschließlich an A`s Bedürfnissen, sondern befriedigt mit ihr und mit seiner intensiven Betreuungsrolle auch seine eigenen Rollenbedürfnisse als Vater."

Dr. Sybille Kurz-Kümmerle, Gutachten für Amtsgericht Königstein, 04.07.2005, S. 37

 

 

Aus dem Vortrag der Dr. Kurz-Kümmerle, die nach eigenen Angaben Mitglied der sogenannten GWG München ist, wird man nun nicht ganz schlau. Wahrscheinlich weil die Gutacherin widersprüchliche und den Eindruck von Konfusion vermittelnde Angaben macht. Dies resultiert sicher zum einen daraus, dass die Gutachterin es unterlässt, aufzuzeigen, was denn hier angeblich die Bedürfnisse des Kindes wären. Ist es das Bedürfnis des Kindes, dass der Vater einer Erwerbsarbeit nachgeht? Ist es dass Bedürfnis des Kindes, dass ihre Mutter sich weniger beruflich engagiert und statt dessen mehr Zeit für das Kind verwendet?

Die Gutachterin fragt einerseits in ihrer Überschrift nach der Bereitschaft der Eltern, kindliche Bedürfnissein den Vordergrund zu stellen, wenn dies aber, wie die Gutachterin vorträgt, der Vater weit mehr als die Mutter zu machen scheint, wird dieser von der Gutachterin kritisiert:

 

"Beim Kindesvater ist A der Hauptlebensinhalt, während die Kindesmutter durch Partnerschaft und Beruf weitere Inhalte damit zu vereinbaren hat. Damit orientiert sich der Kindesvater letztendlich nicht ausschließlich an A`s Bedürfnissen, ..."

 

 

 

 

 

Kontext

 

"Ein unausgesprochenes Merkmal psychiatrischer Diagnosen ist, daß sie die Quellen der Geistesverwirrung innerhalb des Individuums suchen und nur selten in der Vielfalt der Reize. Infolgedessen werden Verhaltensweisen, die durch die Umgebung provoziert werden, gewöhnlich fälschlicherweise der Krankheit des Patienten zugeschrieben. so traf eine freundliche Schwester einen Scheinpatienten, wie er die langen Krankenhausgänge auf und ab ging. `Nervös, Mr. X?` fragte sie. `Nein, gelangweilt`, sagte er.

Die Notizen der Scheinpatienten sind voll von Verhaltensweisen der Kranken, die von wohlmeinenden Personal fehlgedeutet wurden. Oft genug `drehte` ein Patient `durch`, weil er wissentlich oder unwissentlich von jemandem, etwa von einem Pfleger, falsch behandelt wurde. Eine Schwester, die auf der Bildfläche erschien, pflegte dann kaum einmal nur oberflächlich nach dem äußeren Anlaß für das Verhalten des Patienten zu fragen. Sie nahm vielmehr an, der Ausbruch entstamme der Krankheit und nicht der augenblicklichen Auseinandersetzung mit anderen Angestellten. Gelegentlich vermutete das Personal, die Familie des Patienten (insbesondere, wenn diese kürzlich zu Besuch gekommen war) oder andere Patienten hätten den Ausbruch provoziert. Aber niemals kam es vor, daß die Angestellten dachten, jemand unter ihnen oder die Struktur des Krankenhauses habe etwas mit dem Verhalten eines Patienten zu tun. Ein Psychiater deutete auf eine Gruppe von Patienten, die eine halbe Stunde vor dem Mittagessen vor dem Eingang der Cafeteria saßen. Einer Gruppe von jungen Ärzten erklärte er, ein solches Verhalten sei charakteristisch für die oral-fixierte Natur des Syndroms. Es schien ihm nicht in den Sinn zu kommen, daß es in einem psychiatrischen Krankenhaus außer Essen wenig Erwartenswertes gibt."

Rosenhan, David L.: "Gesund in kranker Umgebung", In: "Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus."; Herausgegeben von Paul Watzlawick; Piper 1981, S. 1221-122

 

 

Für die Beurteilung einer Situation müssen wir uns über den Kontext in der diese stattfindet informieren. In den modernen Naturwissenschaften ist dies mittlerweile eine Binsenweisheit, nur einige psychologische Gutachter scheinen davon noch nichts gehört zu haben und tüfteln fleißig an "objektiven" und "unbeeinflussten Beobachtungssituationen" herum, um dann dem staunenden und ahnungslosen Volk sogenannte "maßgeschneiderte Tests" zu offerieren. 

Es macht keinen Sinn in einer "kinderpsychologischen" Untersuchung Antworten "im Kind" finden zu wollen, die nur aus dem agierenden familiären System in dem das Kind lebt und dessen aktives Mitglied es schon als Baby ist, erfahrbar und verständlich gemacht werden können. Ein individualdiagnostischer Ansatz in der Begutachtung ist daher regelmäßig zum Scheitern verurteilt.

Will ein Gutachter in der sogenannten "fremden Situation" die Bindungen des Kindes zu seinen Bezugspersonen Mutter und Vater diagnostizieren, so kann dies einem Laien als eine absolut neutrale Testumgebung erscheinen, die absolut sichere Ergebnisse über das tatsächliche Bindungsverhalten des Kindes zu seinen Eltern erbringen würde. Tatsächlich gibt es auch hier keine kontextunabhängigen Beobachtungsergebnisse. Ist das Kind krank, wird es ein anderes Verhalten zeigen als an einem Tag an dem es gesund ist. Bringt der Vater das Kind in die Praxis der Gutachter und herrscht zwischen Vater und der Gutachter eine von Sympathie möglicherweise sogar von Zuneigung geprägte Beziehung, so kann das nicht ohne Einfluss auf das Kind bleiben, dass die positive Stimmung des Vaters (noch dazu auf einer zweistündigen Autofahrt des Vaters mit dem Kindes vom Wohnort zur Praxis der Gutachterin) bemerkt und sich in der Identifikation mit dem Vater positiv auf den Kontakt mit der Gutachterin einstimmt. Befindet sich dagegen die Mutter mit der Gutachterin im emotionalen Clinch, so wird das Kind auf der zweistündigen Autofahrt sich mit der Gefühlslage der Mutter identifizieren und dementsprechend gegenüber der Gutachterin anders als bei dem Besuch mit dem Vater reagieren (vgl. Gutachten Diplom-Psychologin Cornelia Rombach, 23.11.2004).

 

Der Rahmen in dem Gutachten erstellt werden ist natürlich keine "natürliche und unbeeinflusste Situation, in der die sogenannten Probanden agieren, als wenn kein von außen kommender Beobachter (Gutachter) anwesend wäre. Dies ist nicht erst seit heute bekannt, doch der "verzerrende" Einfluss des Gutachters auf die Interaktion im Familiensystem wird selten diskutiert.

 

vergleiche hierzu: 

Rudolf Cohen: "Die Psychodynamik der Test-Situation"; In: "Diagnostica", 1962, S. 3-12 

 

 

 

 

 

Narrationen

Dass die Vorträge der Eltern nicht die Wirklichkeit widerspiegeln, sondern Narrationen sind, also erzählte Geschichten über das was sie für die Wirklichkeit oder die Vergangenheit halten, müsste eigentlich jedem Diplom-Psychologen bekannt sein, es sei denn er oder sie hat im Studium geschlafen oder nachfolgend einiges vergessen was er / sie einmal gewusst hat. 

In der Familientherapie kann man sich Narrationen für therapeutische Zwecke zunutze machen. Im Bereich der Tatsachenfeststellung durch Gutachter ist deren ungeprüfte Übernahme dagegen ein Zeichen mangelnder Professionalität.

 

Vergleiche hierzu:

M. Withe; D. Epston: "Die Zähmung der Monster. Der narrative Ansatz in der Familientherapie.", Carl Auer Verlag, Heidelberg, 1998

M. Withe: "Der Vorgang der Befragung: eine literarisch wertvolle Therapie?", In: "Familiendynamik", 14 (2), 1989, S. 114-128

 

 

Für einen vom Gericht eingesetzten Gutachter verbietet es sich auf Grund des gerichtlichen Auftrage Narrationen als Wirklichkeit zu suggerieren, denn der Gutachter soll keine konstruktivistische Therapie durchführen, sondern Beweisfragen beantworten.

 

 

Beispiel

Unter der Überschrift "Zum Erleben und Verhalten des Kindesvaters ..." schreibt die als Gutachterin beauftragte Diplom-Psychologin Ulrike Weinmann in der sprachlichen Form des Konjunktivs (Möglichkeitsform):

 

"Seit 1996 habe er in einer eigenen Wohnung gelebt, zuerst in ..., dann in ... .

Er habe nacheinander drei längerfristige Partnerschaften geführt, aber auch Zeiten allein gelebt."

Diplom-Psychologin Ulrike Weinmann, Gutachten vom 16.04.2013 für Amtsgericht Grimma - 2 F 593/12 - Richterin Roderburg, S. 9.

 

 

Unter der Überschrift "Zum Erleben und Verhalten des Kindesvaters ..." springt die Gutachterin Frau Weinmann von der sprachlichen Form des Konjunktivs in den Indikativ (Wirklichkeitsform) und dann wieder in den Konjunktiv:

 

"Bereits mit 22 Jahren lebte Herr ... im eigenen Haushalt, führt drei längerfristige Partnerschaften, bevor er mit 29 Jahren Frau ... kennen lernt. ...

...

Bewusst habe er ihr viele Freiräume gelassen. ..."

Diplom-Psychologin Ulrike Weinmann, Gutachten vom 16.04.2013 für Amtsgericht Grimma - 2 F 593/12 - Richterin Roderburg, S. 22.

 

 

Die Verwendung des Indikativs ist aber unzulässig, wenn es sich nicht um nachprüfbare, bzw. geprüfte Tatsachen handelt. Vermutlich hat Frau Weinmann weder einen glaubhaften Nachweis, darüber, dass der Vater mit 22 Jahren in einem eigenen Haushalt gelebt hätte, noch darüber, dass er nacheinander drei längerfristige Partnerschaften geführt hat. Wobei noch zu fragen wäre, ob man bei drei Partnerschaften innerhalb von 7 Jahren die zudem noch von Zeiten des Alleinleben des Vaters unterbrochen gewesen sein sollen, von Längerfristigkeit sprechen sollte.

Aus der Verwendung des Indikativs bei der Beschreibung des "Erlebens" eines Elternteils, statt des gebotenen Konjunktivs, könnte man zudem die Besorgnis der Befangenheit ableiten, denn es ist schon etwas seltsam, wenn der Vortrag eines Elternteils als Tatsachenvortrag und der des anderen Elternteils als Möglichkeitsvortrag präsentiert wird.

 

 

Sprachtest für Jurastudenten: "Das Ergebnis war teils verheerend"

"Vollumfänglich", "übervorteilt", "verlustig" - Juristendeutsch kann grausam sein. Doch Jura-Professorin Jantina Nord fand heraus, dass ihre Studenten nicht nur an Fachvokabeln scheitern, sondern an grundlegenden Grammatikregeln. Vor allem der Konjunktiv ist ihnen nicht geheuer.

...

SPIEGEL ONLINE: Sie haben zuerst Textproben ihrer Studenten auf Fehler untersuchen lassen und danach einen Sprachkompetenztest durchgeführt. Was kam dabei heraus?

Nord: Leider war das Ergebnis teils verheerend. Besonders schlimm ist es beim Konjunktiv. Jeder zweite Teilnehmer beherrschte die indirekte Rede nicht sicher. Die ist aber wichtig, denn wenn sie als Juristin schildern sollen, was in einem Fall streitig ist, brauchen sie den Konjunktiv. In Klausuren werden gerne mal Subjekt oder Prädikat vergessen.

...

27.05.2013

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/sprachkompetenz-von-jurastudenten-das-ergebnis-war-teils-verheerend-a-900387.html

 

 

 

 

 

 

 

Psychische Störung

Störungen haben Vorrang, heißt es in der Gestalttherapie. Das klingt vernünftig, denn wenn mir der Bauch vor Hunger knurrt, dann rückt im Allgemeinen das Interesse am Geschlechtsverkehr in den Hintergrund.

Hunger ist - man muss es ehrlich sagen, eine psychische Störung ersten Ranges. Daher können Roboter auch nicht "psychisch gestört" sein, weil ihnen - das ist trivial - die Psyche fehlt. Roboter können aber gestört sein, so etwa wenn das Sprachprogramm im Eimer ist und sie ständig rufen: Ich habe eine psychische Störung. 

Wer gestört ist und wer nicht, das bestimmen in Deutschland Psychiater und Gutachter. Wie im alten Rom, heben oder senken sie den Daumen. Zum Glück wird man heute nicht mehr in der Arena von wilden Tieren zerfleischt, sondern nur noch etikettiert, isoliert oder auch weggesperrt. Der Fall Gustl Mollath, der es zu einiger Berühmtheit geschafft hat, ist hier nur die Spitze des Eisberges.

Die "Störungssuche" läuft auf Hochtouren und der u.a. für das Oberlandesgericht Brandenburg - 15 UF 31/10 als Gutachter tätige Diplom-Psychologe Michael Wiedemann sucht eifrig mit und wer lange genug sucht, findet oft auch etwas, ansonsten wäre die ganze Suche ja auch für die Katz

Zitat Oberlandesgericht Brandenburg - 3. Familiensenat - 15 UF 31/10 - im Beschluss vom 11.02.2013: 

 

"Der Sachverständige hat sein Gutachten unter dem 28.09.2010 erstattet. Es bescheinigt dem Vater eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert ..."

 

Herr Wiedemann ist aber nicht nur für sein emsiges Suchen nach "psychischen Störungen bekannt, auch sein indiskretes Interesse zum Geschlechtsverkehr der Eltern gilt als vorbildlich und völlig störungsfrei, wohl weil noch nie ein Gutachter oder Psychiater dieses merkwürdige Interesse des Herrn Wiedemann näher untersucht hat.

 

„Das Element der sexuellen Entwicklung wurde vom Sachverständigen damit eingeleitet, dass ein Beginn nötig sei. Dies sei die indiskreteste Frage, nämlich das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs. Der Kindesvater gab als Antwort, dass dies den Sachverständigen nichts angehe.“ 

Diplom-Psychologe Dr. Michael Wiedemann, Gutachten für Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg - 141 F 3086/08, Richterin Dr. Vesting - vom 01.06.2008, S. 22

 

Wo er recht hat, hat er Recht, der "Kindesvater". Herr Wiedemann hätte auch "Vater" schreiben können, stellen wir uns nur vor, der "Heilige Vater" in Rom würde von Herrn Wiedemann mit "Heiliger Kindesvater" bezeichnet, das wäre ein klarer Fall für die Irrenanstalt. Fragt sich nur, ob es im Vatikan auch eine Irrenanstalt gibt. 

Gutachter sind zum Glück definitionsgemäß nicht irre, noch irren sie sich (von vielen Einzelfällen abgesehen). Irre sind immer die anderen, die Bösen, die mit der "Psychischen Störung". Und das es so viele Gestörte gibt, muss es auch viele Gutachter und Psychiater geben, die die Gestörten aufspüren und so es geht mollathisieren (Schöne Neue Welt).

 

Herr Wiedemann erläutert dem naiven Leser freundlicherweise wie das geht, mit der "Begutachtung von psychisch gestörten Eltern im Familienrecht".

 

Michael Wiedemann: Begutachtung von psychisch gestörten Eltern im Familienrecht; In: Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 1/2013, S. 6-16

 

Dort lesen wir solche literarischen Kostbarkeiten wie: 

 

"Prinzipiell ist die Schizophrenie eine Störung, die durch genetische, biologische und soziale Elemente gestaltet ist.

 

Herr Wiedemann verleiht einem von Menschen geschaffenen Konstrukt, denn nichts anderes ist "die Schizophrenie" den Rang einer Störung. Grad so als wenn er bescheinigt:

 

Prinzipiell ist die Schizophrenie bei Engeln eine Störung, die durch genetische, biologische und soziale Elemente gestaltet ist.

 

 

Da "die Schizophrenie" als Wirklichkeitskonstruktion etwas ist, was es real (Wirklichkeit erster Ordnung) nicht gibt, scheint es, als ob Herr Wiedemann halluziniert, da er ja etwas sieht, was es real nicht gibt. Wer nun aber meint Herr Wiedemann wäre "gestört", irrt sich, denn auch gottgläubige Menschen halluzinieren (einen Gott), den es real nicht gibt und es ist strafrechtlich verboten, sie deswegen als "gestört" zu bezeichnen (üble Nachrede).

 

§ 186 Üble Nachrede

Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__186.html

 

 

Eine psychische Störung - was immer das auch sei, scheint etwas anderes zu sein als eine psychische Krankheit, sonst müssten - einer Studie der Techniker Krankenkasse zufolge - 30 Prozent der Bundesbürger schon einmal psychisch krank gewesen sein. Frauen wären danach sogar noch öfter psychisch krank gewesen, als Männer, was das sexistische Vorurteil, Frauen wären generell etwas durch den Wind, stützen könnte. Vielleicht ist es aber einfach so, dass Männer erst gar nicht zum Arzt gehen, so dass ihnen die nutzlose Diagnose einer "psychischen Störung" oder einer "psychischen Krankheit" erspart bleibt und somit die sozialversicherungspflichtigen Betragszahler entlastet werden.

 

Techniker Krankenkasse: Psychische Störungen häufiger als vermutet

11.06.2008 17:18

Berlin (dpa) - Psychische Leiden sind einer Studie zufolge verbreiteter als bisher angenommen. Dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse zufolge wurde bei mehr als jedem fünften Erwerbstätigen 2006 bei einem Arztbesuch mindestens einmal die Diagnose «Psychische Störung» gestellt. Diese Daten zeigten, dass psychische Erkrankungen deutlich häufiger vorkämen als bisherige Auswertungen von Krankschreibungen und Arzneimittel-Rezepten vermuten ließen, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Christoph Straub, am Mittwoch in Berlin. Besonders betroffen seien Frauen und Menschen in den Stadtstaaten.

Bei fast jeder dritten Frau zwischen 15 und 65 Jahren wurde der Studie zufolge mindestens einmal eine psychische Diagnose gestellt, bei den Männern dagegen nur bei nahezu jedem Sechsten. Auch gibt es ein deutliches West-Ost-Gefälle. In Ostdeutschland seien durchweg weniger psychische Störungen diagnostiziert worden als im Bundesdurchschnitt, hieß es. Besonders häufig waren psychische Erkrankungen in Bremen, Hamburg und Berlin. In der Hauptstadt war mit 27,4 Prozent mehr als jeder vierte Erwerbstätige betroffen. 

 

 

 

 

 

 

Etikettierung

Diagnostik, gleich wie kompetent sie daher kommen mag, ist als Wirklichkeitskonstruktion immer auch Etikettierung (vgl. hierzu: Oetting, Jürgen: "Prognosebegutachtung: Über die Wiederkehr des homo criminalis durch psychiatrische Etikettierungen"; In: "Neue Kriminalpolitik",  3/2003, S. 87).

Dies kann so passieren, dass die Etikettierung für den durchschnittlichen Betrachter kaum sichtbar wird oder auch so plakativ vorgetragen wird, dass man geneigt ist, entsprechende Rückschlüsse auf die Person vorzunehmen, die die Etikettierung vorgenommen hat.

 

 

Beispiel 1

 

"Während der Gespräche mit der Probandin zeigte sich eine emotional schwingungsfähige affektiv reagible Persönlichkeit mit deutlichen Simulations- und Dissimulationstendenzen, bei grundsätzlich hinreichender Introspektionsfähigkeit."

Diplom-Psychologe Thomas Busse, 26.7.2003

 

und in einen anderen Gutachten:

 

"Während der Gespräche mit der Probandin zeigte sich eine emotional schwingungsfähige affektiv reagible Persönlichkeit mit deutlichen Simulations- und Dissimulationstendenzen, bei grundsätzlich hinreichender Introspektionsfähigkeit."

Diplom-Psychologe Thomas Busse 

 

 

Doch es wäre sicher ungerecht dem Gutachter fehlende Kreativität bei der Erfindung von Etiketten vorzuwerfen. Wir finden durchaus auch im Laufe der Zeit abgewandelte Texte, die vom kreativen Schaffen zeugen. 

 

"Während der Exploration der Probandin zeigte sich eine emotional schwingungsfähige affektiv reagible Persönlichkeit mit hinreichender Introspektionsfähigkeit."

Diplom-Psychologe Thomas Busse, Gutachten vom 12.07.2005 für Amtsgericht Gera, S. 16

 

 

"Während des Probanden zeigte sich eine emotional schwingungsfähige diskret affektlabile Persönlichkeit mit vergleichsweise geringer Introspektionsfähigkeit."

Diplom-Psychologe Thomas Busse, Gutachten vom 12.07.2005 für Amtsgericht Gera, S. 17

 

 

 

Beispiel 2

 

"Mit der Persönlichkeitsstruktur der Mutter seiner Tochter erscheint der Proband jedoch überfordert"

Diplom-Psychologe Thomas Busse, Gutachten vom 12.07.2005 für Amtsgericht Gera, S. 17/18

 

Wer in psychiatrischen Begriffsystemen denkt, braucht sich sicher nicht wundern, wenn die ganze Welt voller psychisch Kranker zu stecken scheint und es dann nur noch "geeigneter" Diagnostiker bedarf, die selbstverständlich als einzige unter lauter Verrückten noch normal sind.

 

 

 

Beispiel 3

Bei aller Verrücktheit auf dieser Welt, Ordnung muss sein. Daher sollen - laut Rechtsprechung - psychiatrische Etikettierungen (Diagnosen) nur von Psychiatern und eventuell auch von Psychologischen Psychotherapeuten und Heilpraktikern (Psychotherapie) vergeben werden.

So meint das Berliner Kammergericht, dass die Feststellung des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins einer "psychiatrischen Erkrankung" nicht in die Fachkompetenz eines Psychologen fallen würde.

 

"... Die Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung liegt außerhalb des Fachgebiets einer Psychologin, ..."

Kammergericht - 16 UF 283/12 - Beschluss vom 26.03.2012

 

 

Am Oberlandesgericht Brandenburg hat man mit der Behauptung psychiatrischer Erkrankungen durch Diplom-Psychologen aber offenbar keine Probleme. Das ist die berühmte Brandenburger Toleranz, hier darf jeder alles behaupten, auch wenn ihm die Qualifikation dafür fehlt und kriegt dafür auch noch ordentlich Geld von der Justizkasse.

 

"Der Senat hat .... sodann beschlossen, ein weiteres Sachverständigengutachten (Dr. Wiedemann) einzuholen ...

Der Sachverständige hat sein Gutachten ... unter dem 28.08.2010 erstattet. Es bescheinigt dem Vater eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert ... ."

Oberlandesgericht Brandenburg - 15 UF 95/07 und 15 UF 31/10 - Beschluss vom 11.02.2013 - Vorsitzender Richter Langer, Richterin Jungermann und Richterin am Amtsgericht Stahn

 

 

 

Das erinnert an ein Theaterstück von William Shakespeare mit dem sinnigen Titel "Wie es euch gefällt (englisch As You Like It). Oder um mit Astrid Lindgren zu sprechen: Jeder bastelt sich die Welt zusammen, die ihm gefällt.

Auf alle Fälle, es kann ja nicht schaden, wenn man "nur" Psychologe ist, eine psychiatrische Diagnose nicht zu vergeben. Psychologen und Sozialpädagogen mögen sich also ihren Teil denken (die Mutter ist eine Borderlinerin, der Vater ist ein Schizophrener), aber nicht vortragen.

Aber auch Psychologen möchten mitunter gerne psychiatrische Etikettierungen vergeben, um zu demonstrieren wie klug sie sind, so dass sie gelegentlich zu Tricks greifen, um eine Etikettierung wenigstens ins Gespräch zu bringen, frei nach dem Motto, irgend etwas bleibt immer haften.

Unter Stalin reichte allein schon der Verdacht, dass man ein Volksfeind sei, zur Feststellung, dass man ein Volksfeind ist, was dann regelmäßig mit mindestens 10 Jahren Lagerhaft oder Erschießung des Betroffenen endete.

 

Alexander Solschenizin: Der Archipel Gulag. Scherz Verlag Bern, 1974

 

 

Heute wird man - zumindest in Deutschland - von Staats wegen nicht mehr erschossen, das ist schon mal ein zivilisatorischer Fortschritt. über den wir uns freuen dürfen.

 

Die vom Amtsgericht Königs Wusterhausen - Richterin Dr. Schleicher - als Sachverständige ernannte Diplom-Psychologin Birgit Heyer zeigt, dass sie von psychiatrischen Diagnosen offenbar nicht viel zu sagen, weiß, außer dass es solche gibt und es ja sein könne, dass die im Verfahren beteiligte Mutter eine solche vielleicht verdienen würde.

 

Die Sachverständige sah Anlass zu prüfen, ob die Mutter am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leide, das auch im Kontext einer möglichen Borderline-Erkrankung stehen könne.

Zitat im Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg - 9 UF 190/16 - vom 01.06.2017

 

 

In der Folge wurde vom Amtsgericht der Facharzt für Psychiatrie und Forensische Psychiatrie Pietzka als Sachverständiger ernannt. Dieser, so das Oberlandesgericht Brandenburg, kam ganz klar zu dem Ergebnis, "dass bei der Mutter keine psychiatrische Erkrankung vorliegt. Anhaltspunkte für ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom lägen nicht vor."

Ja, so kann es passieren, manche meinen, sie sitzen im Flugzeug nach Paris und plötzlich landen sie auf dem Mond.

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Vorbemerkung

2. Allgemeines

3. Kosten

4. Beweisbeschluss

5. Auswahl und Ernennung eines Gutachters (Sachverständigen) durch das Gericht

6. Kompetenzen und Professionalität eines Gutachters

7. Einzelfragen

8. Tatsachenfeststellung

9. Sprache

10. Beantwortung der Beweisfrage

11. Auseinandersetzung mit der Arbeit des Gutachters

12. Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren: Beratung - Coaching - Begleitung - Analyse - Expertise

 

 

 

 


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