Kindeswohl

 

 

 

 

 

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Sollte sich eine der hier namentlich genannten Fachkräfte ungerecht oder in unzulässiger Weise behandelt fühlen, so kann sich diese zur Klärung ihrer Einwände direkt an mich wenden. Der direkte Weg erspart der betreffenden Fachkraft möglicherweise Anwalts- und Gerichtskosten in erheblicher Höhe, so wie sie etwa der Diplom-Psychologe Klaus Schneider im Rechtsstreit mit Peter Thiel vor dem Landgericht Berlin hinnehmen musste.

Zur Frage der Zitierfähigkeit familiengerichtlich eingeholter Gutachten - Urteil des Landgerichtes Berlin vom 07.11.2006 - 16 O 940/05 - Landgericht Berlin - Rechtsstreit Diplom-Psychologe Klaus Schneider gegen Peter Thiel - Veröffentlicht auch in: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", 16/2007, 15.08.2007, S. 1324-1325

Auf Grund der an einigen Amts- und Landgerichten, so z.B. beim Landgericht Frankenthal und beim Landgericht Hamburg, möglicherweise in Einzelfällen stattfindenden Zensur und der Beschneidung der Informations- und Meinungsfreiheit zugunsten sich hier kritisiert sehender Fachkräfte, erkläre ich vorsorglich, dass es sich auf meiner Internetseite - wenn nicht eindeutig von mir als Tatsache vorgetragen - immer um meine persönliche, verfassungsrechtlich geschützte Meinung handelt, die als solche naturgemäß weder wahr noch falsch sein kann. Mithin wird von mir auch ausdrücklich erklärt, dass es sich bei meiner Meinung, dass an einigen Amts- und Landgerichten, so z.B. beim Landgericht Frankenthal und beim Landgericht Hamburg, Zensur ausgeübt wird und die Informations- und Meinungsfreiheit zugunsten sich hier kritisiert sehender Fachkräfte beschnitten wird, um meine persönliche Meinung, nicht aber um eine Tatsachenbehauptung handelt.

 

Peter Thiel

Systemischer Berater, Systemischer Therapeut / Familientherapeut (DGSF), Verfahrenspfleger (SPFW Brandenburg) und Umgangspfleger 

30.07.2015

 

 

 

Schlüsselwörter

Elternwohl, Entwicklungspsychologie, Ergänzungspflegschaft, Erziehungsfähigkeit, Hilfen zur Erziehung, Kindeswohl, Kindeswohlgefährdung, Objektbeziehungstheorie, Objektkonstanz, parallele Elternschaft, Sorgerechtspflegschaft, Umgangspflegschaft

 

 

 

 

Kindeswohl

 

"Der Maßstab des Kindeswohl ist eine Mystifikation"

David Matza zitiert nach: Mnookin, Robert H.: "Was stimmt nicht mit der Formel `Kindeswohl?"; In: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", 1975, Heft 1, S. 4

 

 

Der Begriff des Kindeswohl ist ein sogenannter unbestimmter juristischer Begriff (unbestimmter Rechtsbegriff). 

Obwohl der Begriff des Kindeswohls unbestimmt ist, wird er durch das Familiengericht als zentrales Entscheidungskriterium benutzt.

 

§ 1697a BGB Kindeswohlprinzip

Soweit nicht anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel (Anm.: §1626 bis 1698b) geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1697a.html

 

 

Das erscheint so ähnlich als würde man ein Sieb in einen mit Wasser gefüllten Eimer tauchen und das auf diese Weise mit Wasser gefüllt Sieb zum Amtsgericht tragen, wo der Richter dann so täte, als wäre das Sieb mit Wasser gefüllt und er könne das im sieb befindliche Wasser nun wägen oder dessen Volumen bestimmen. 

Watzlawick (?) berichtet von einem ähnlichen Phänomen der Benutzung eines Gegenstandes, den niemand der Handelnden je gesehen hat, aber alle so tun, als ob sie sich von seiner Existenz selbst überzeugt hätten:

In früheren Zeiten wurde auf einigen Südseeinseln Steine als Zahlungsmittel benutzt. Steine sind auf den Inseln dieser Gegend bekanntermaßen nicht oder kaum zu finden und sind daher einen ähnlichen Wert wie es andernorts Gold zugeschrieben wird. Zwei Stämme zweier benachbarter Inseln handelten miteinander und benutzten dabei Steine als Zahlungsmittel, die bei einem Kauf oder Verkauf von Waren ihren Besitzer, mithin also auch die Insel wechselten. Bei einer Rückfahrt von der einen zur anderen Insel mit einem Kanu, kenterte das Kanu und der Stein versank vor den Augen von Angehörigen beider Inselstämme  in der Tiefe des Meeres. Der versunkene Stein gehörte rechtmäßig dem einen Inselstamm. Da beide Inselstämme den Untergang des Steines beobachtet hatten, einigten sie sich darauf, den untergegangenen Stein weiter als Zahlungsmittel zu benutzen. Fortan wechselte der Stein bei den nächsten Käufen und Verkäufen wieder wie gewohnt mehrfach den Besitzer, ohne dass allerdings der jeweilige Besitzer diesen auf dem Meeresboden hinuntergesunkenen Stein je zu Gesicht bekam, aber von seiner Existenz überzeugt war, da frühere Zeugen versicherten, sie hätten den Untergang des Steines beobachtet. Im Laufe der Jahre starben diese Zeugen, aber die tradierte Versicherung, der Stein würde noch unten auf dem Meeresboden liegen, reichte aus, dass die beiden Inselvölker dem Stein reale Existenz zubilligten, obwohl ihn zwischenzeitlich keiner mehr je gesehen hatte.

Ähnlich scheint es auch in der modernen Finanzwirtschaft zu sein, in der Banken mit Milliarden von Euro oder Dollar, Wertpapieren, Staatsanleihen oder Pfandbriefen operieren, für die man die Vermutung unterstellt, diese symbolisierten einen realen Reichtum in Form von Immobilien, Bodenschätzen oder diversen Gebrauchsgegenständen wie Computern, Autos oder Nahrungsmitteln wie Kartoffeln oder Weizen. In diversen Bankkrisen löst sich das scheinbar so wertvolle Geld nicht selten in Luft auf, die allgemein verabredete Fiktion vom Wert des Geldes platzt. 

 

 

Auf Grund der Unbestimmtheit des Begriffes Kindeswohl, gibt es sehr viele ganz verschiedene Ansichten was denn das Kindeswohl sei, von denen keine den Anspruch auf die Wahrheit beanspruchen kann, da der Begriff des Kindeswohls eine Konstruktion ist, und damit keine Wirklichkeit erster Ordnung, die sich relativ scharf definieren ließe. 

 

vergleiche hierzu:

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet, H.; Jackson, Don D.: "Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern; 1969/2000/2003

Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003

Watzlawick, Paul: "Die erfundene Wirklichkeit". Wie wir wissen, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus", 1985, Piper Verlag, München

Watzlawick, Paul: "Gesund in kranker Umgebung", In: "Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus."; Piper 1981

Watzlawick, Paul; Nardone, Giorgio: "Kurzzeittherapie und Wirklichkeit"; Piper Verlag, München, 1999

 

 

Eine Wirklichkeit erster Ordnung stellt zum Beispiel ein Stuhl dar. Der Stuhl ist unmittelbar sinnlich wahrnehmbar, man kann ihn sehen und auch fühlen. IM allgemeinen wird es wenig Streit darüber gegen, ob der Stuhl existent wäre oder nicht.

Für den Begriff Stuhl gibt es wahrscheinlich eine hohe Übereinstimmung verschiedener Menschen darüber, was denn ein solcher sei, so z.B.:

Ein Stuhl ist eine Sitzgelegenheit mit vier Beinen und einer Rückenlehne, die in der Regel nebeneinander nur Platz für eine Person benutzt wird..

 

Mit dieser Definition wird klar, dass eine Sitzgelegenheit ohne Rückenlehne kein Stuhl ist, sondern nach allgemeiner Übereinkunft ein Hocker. Eine Parkbank ist auch kein Stuhl, sie hat zwar unter Umständen vier Beine und eine Rückenlehne, sie bietet aber Platz für mehr als eine Person. Ein Drehschemel ist auch kein Stuhl, er ist zwar eine Sitzgelegenheit, aber er hat keine Lehne und auch nicht vier Beine. Eine Sitzgelegenheit mit drei Beinen, so z.B. ein ehemaliger Stuhl, bei dem ein Bein verloren gegangen ist, ist auch kein Stuhl mehr, da ihm das vierte Bein fehlt. 

Wie man sieht bietet schon ein simpler sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand wie ein Stuhl Gelegenheit zu allerlei Erörterungen. Um wie viel mal mehr muss das für das sogenannte Kindeswohl gelten, das noch nie jemand gesehen, gehört, geschmeckt, gerochen oder gefühlt hat. Ist das Kindeswohl damit nicht so etwas ähnliches wie "Des Kaisers neue Kleider", die ja auch niemand gesehen hat, von der aber alle, bis auf die beiden sich als Schneider ausgebenden Betrüger und ein kleines naives Mädchen annahmen, dass sie wirklich vorhanden wären.

 

Oder aber wie in einer von Bateson berichteten Geschichte:

 

"Ein interessantes Beispiel dafür wurde Bateson von den Einwohnern einer Küstenniederung Neu-Guineas berichtet, die für ihre alltäglichen Geschäfte Muschelgeld verwendeten, sich für größere Transaktionen aber schwerer zylindrischer Steine bedienten. Eines Tages wurde ein solcher Stein über eine Flußmündung hinweg von einem Dorf in eine anderes transportiert, wobei das Boot in der Brandung kenterte und der Stein auf Nimmerwiedersehen verschwand. Da dieses Unglück aber allen Beteiligten bekannt war, wurde der Stein weiterhin als Zahlungsmittel verwendet und anerkannt, obwohl seine Wirklichkeit, streng genommen, nur mehr in den Köpfen einer größeren Anzahl von Menschen existierte."

Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003, S. 120

 

 

 

Der Unterschied zum sogenannten Kindeswohl liegt hier aber darin, dass der Stein vor seinem Verschwinden in den Tiefen des Meeres von den Beteiligten früher immerhin tatsächlich einmal gesehen wurde, während das Kindeswohl noch nie jemand erblickt hat, gleichwohl alle darüber sprechen als wäre es leibhaftig da. Im psychiatrischen Sinne müsste man hier eigentlich von einem Wahn oder Halluzinationen sprechen. Man stelle sich nur einmal vor, ein Mann würde beim Psychiater erzählen, er hätte das Kindeswohl gesehen. Der Psychiater würde dem Mann wahrscheinlich gleich 20 Sitzungen in Folge verschreiben, in der Hoffung den Patienten dann in dieser Frage als halbwegs geheilt entlassen zu können. 

 

Trotzdem seiner Unbestimmtheit ist der Begriff des Kindeswohls einer der am häufigsten benutzten Begriffe im Familienrecht. Der Begriff kann je nach ideologischer oder ethischer Einstellung verschieden benutzt werden. Ein selektionsorientiert denkender Gutachter wird den Begriff benutzen um seinen Selektionsvorschlag zu rechtfertigen. Eine systemisch-lösungsorientierte Fachkraft wird dagegen den unbestimmten Begriff des Kindeswohls als Auftrag benutzen, mit den Beteiligten eine Lösung des Familienkonfliktes zu finden, bei der das Wohl des Kindes integraler Bestandteil ist. 

Während in der familiengerichtlichen Debatte, mit seiner anmaßenden Behauptung, die Wahrheit und das Richtige feststellen zu wollen und darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen, das Konstrukt Kindeswohl den Rang eines Götzen eingeräumt bekommt, gibt es in der psychologischen Debatte, die sich außerhalb des familiengerichtlichen Diskurses bewegt den Begriff Kindeswohl gar nicht. Dies sieht man daran, dass dieser Begriff in einschlägigen psychologischen Wörterbüchern gar nicht aufgeführt ist.

 

siehe hierzu z.B.: 

Arnold, Wilhelm; Eysenck, Hans-Jürgen; Meili, Richard: "Lexikon der Psychologie"; Herder 1997

 

 

Auf Grund der Unbestimmtheit des Begriffs des Kindeswohls ist der Begriff vielseitig verwendbar und es steht jedem frei zu sagen, was er oder sie meint, was das Kindeswohl wäre. Im familiengerichtlichen Verfahren tragen so alle möglichen Beteiligte vor, wie es denn um das Kindeswohl bestellt wäre. 

Dass im familiengerichtlichen Verfahren die Meinung des Richters schließlich die ausschlaggebende ist, liegt nicht daran, dass er um das Kindeswohl am besten wissen würde, sondern, dass er in der offiziellen Machthierarchie an der höchsten Stelle steht. Seine Meinung widerspiegelt nicht die Wirklichkeit "richtig" ab, sondern konstruiert Wirklichkeit zu konstruieren.

Was das Kindeswohl sei, darüber darf zwar jeder etwas sagen, schließlich leben wir in einer Demokratie, doch was es letztlich sei, legen die Fachkräfte (Sozialarbeiter, Verfahrenspfleger, Gutachter, Familienrichter) fest, die im familiengerichtlichen Verfahren involviert sind. Das letzte Wort hat der Familienrichter oder die Familienrichterin. 

Es gilt hier letztlich die eiserne Regel:

 

 

§ 1. Der Richter hat immer Recht

§ 2. Hat der Richter einmal nicht recht, tritt automatisch § 1 in Kraft.

 

 

Dass der Richter oder die Richterin immer recht hat, gilt auch dann, wenn ein Elternteil als Kinder- und Jugendlichentherapeut arbeitet. Dies befähigt ihn zwar nach offizieller Meinung zu wissen, was für fremde Kinder und Jugendliche das Beste wäre, nicht aber für sein eigenes Kind (vergleiche hierzu: Amtsgericht Lichtenfels, 2006). Was für das eigene Kind das beste ist, weiß letztlich nur die zuständige Familienrichterin, über der sich nur noch das Oberlandesgericht Bamberg und sonst der blaue Himmel wölbt.

 

Die Meinung des Richters gibt den Ausschlag, weil diesem die staatliche Legitimation zur vorerst abschließenden Wertung verliehen ist. Dies gilt selbst dann, wenn ein Elternteil Erzieher, Lehrer, Sozialpädagoge oder Diplom-Psychologe ist, also formal dem Richter an pädagogischen Fachkenntnissen überlegen ist. Ja selbst ein Familienminister der durch widrige Umstände mit dem Familiengericht als Elternteil zu tun hätte, müsste damit leben, dass die Meinung des Richters schließlich mehr zählt als die Stimme des Ministers dem immerhin das Recht eingeräumt ist, ein ganzes Land mit seinen politischen Anschauungen zur Familie zu beglücken. Käme der Richter zu der Meinung, dem Minister sollte nach §1671 BGB das Sorgerecht  entzogen werden, weil dies angeblich dem Kindeswohl am besten dienen würde, bliebe dem Familienminister nur noch, am nächsten Tag eine Vorlage in den Bundestag einzubringen, mit der solche gesetzlich zugelassene Elternselektion zukünftig abgeschafft würde. Wenn der Bundestag dann so langsam arbeiten würde wie an der Kindschaftsrechtsreform von 1998 (16 Jahre brauchte der Bundestag von 1982 bis 1998 um das Kindschaftsrecht in Übereinstimmung mit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu bringen), dann hätte auch der Minister keine Chance und er dürfte zukünftig noch nicht einmal die Zeugnisse seiner Kinder unterschreiben.

Ähnliches konnte in der DDR erst gar nicht passieren. Hätte man da der Volksbildungsministerin Margot Honecker das Sorgerecht für eine ihrer Töchter entziehen wollen, hätte Margot abends mal mit ihrem Ehemann Erich gesprochen, und schon am nächsten Tag hätte der Richter seine Meinung geändert. Das DDR-Parlament, die Volkskammer hätte Frau Honecker erst gar nicht zu fragen brauchen, weil die Abgeordneten sowie so nichts relevantes zu bestimmen hatten. So konnte man in der DDR ganz schön viel Geld für die Abgeordneten sparen. Heute beschäftigen sich unserer Bundestagsabgeordneten dagegen Jahrzehnte mit längst überfälligen Regelungen, von denen bei Verabschiedung dann schließlich auf Grund des Zeitablaufes kaum noch jemand weiß, wozu sie überhaupt verabschiedet werden. Der Ehrlichkeit halber muss man aber einräumen, dass man im Bundestag mitunter auch sehr schnell ist, insbesondere dann, wenn das der eigenen Partei nützt oder den Wählern populistischer Aktionismus, sei es gegen Terroristen, Kinderschänder, Kampfhundehalter oder heimliche Vaterschaftstest verkauft werden soll.

 

Das Kindeswohl kann als ein sich historisch entwickelnder Begriff verstanden werden. Je nach Zeitgeist wird darunter etwas anderes verstanden. Um 1900 wurde die Züchtigung von Kindern als angemessen und notwendig für eine gesunde Erziehung betrachtet:

 

"Der Vater hatte das Recht und die Pflicht, die als angemessen angesehenen Zuchtmittel anzuwenden (Züchtigungen, Einsperrung, Einschränkungen). Vor dem Ersten Weltkrieg wurde viel die Frage erörtert, ob auch ein ungerufener Dritter ein Züchtigungsrecht hatte, ob z.B. ein passant einem ungezogenen Jungen auf der Stelle eine angemessene Strafe verpassen konnte. Die überwiegende Auffassung leitete ein solches Recht aus der Geschäftsführung ohne Auftrag ab. ... Neben dem Vater hatte die Mutter während der Dauer der Ehe auch das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, freilich ohne das Recht zur Vertretung; bei einer Meinungsverschiedenheit ging allerdings die Meinung des Vaters vor. Die Mutter hatte danach also ein Züchtigungsrecht, durfte es aber nicht gegen den Willen des Vaters ausüben." 

Derleder, Peter: "Das Jahrhundert des deutschen Familienrechtes" In: "Kritische Justiz", 1/2000, S. 1-21

 

Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie ein Windhund war vor dem zweiten Weltkrieg eine beliebte Erziehungsmaxime für Jungen. Fünfzig Millionen Tote waren die Folge. So hat es den Anschein, dass der Begriff des Kindeswohls häufig grad so benutzt wird, wie es der persönlichen Weltsicht des Betreffenden entspricht.

Seit November 2004 darf nach dem vom Bundestag verabschiedeten neuen Adoptionsrecht für lesbische und schwule Ehepaare ein Kind sogar zwei lesbische Frauen oder zwei schwule Männer als rechtliche Eltern haben. Das Kindeswohl wurde damit politisch neu definiert, ohne dass sich die Realität geändert hätte. Von einem Tag auf den anderen ist etwas plötzlich Kindeswohl, was den Tag da vor Nichtkindeswohl war. Mir geht es gut, ich habe zwei lesbische Mütter oder mir geht es gut, ich habe zwei schwule Väter mag das solcherart beglückte Kind nun sagen. 

Im Jahr 2010 wird die Bundesregierung möglicherweise definieren, das Kindeswohl bestände darin, dass ein Kind drei lesbische Mütter hätte oder drei schule Väter. Wenn die Bundesregierung dagegen eher christlich-konservativ geprägt ist, wird man das Kindeswohl als gesichert ansehen, wenn das Kind am Tag drei mal zum Beten angehalten wird. Das Kindeswohl ist also ein interessengeleiteter Begriff.

 

Eins dürfte zumindest unstrittig, sein, dass es ab dem achtzehnten Geburtstag der betreffenden Person kein Kindeswohl mehr gibt, schlicht daher, weil dann über Nacht im juristischen Sinne aus dem Kind ein Erwachsener geworden ist. Dementsprechend gibt es auch keine Kindeswohlgefährdung mehr. So schnell können sich durch reinen Zeitablauf manchmal Probleme lösen. 

Ist ein Kind noch ungeboren (ungeborenes Kind) scheint es auch kein Kindeswohl zu geben, denn das Ungeborene gilt juristisch nicht als Mensch. Schädigungen des ungeborenen Kindes, so z.B. durch exzessiven Suchtmittelmissbrauch durch die schwangere Frau sind daher juristisch weitestgehend erlaubt. Schlägt jemand eine schwangere Frau, so gilt dies nicht als Körperverletzung des ungeborenen Kindes und der Schwangeren, was es im selben Moment sein kann, sondern als Körperverletzung der schwangeren Frau. Eventuelle Schädigungen des ungeborenen Kindes sind juristisch nicht von Interesse. Das ist verwunderlich aber wahr. Es ist bisher noch nicht bekannt geworden, dass Kinder die auf Grund stattgefundener Schädigungen behindert geboren wurden oder bestimmte Krankheiten entwickelt haben, erfolgreich Schadensersatzansprüche gegen die Verursacher hätten geltend gemacht. 

Einzig ein Schwangerschaftsabbruch, also die absichtsvolle Tötung des ungeborenen Kindes, wird vom Staat mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet (§218 StGB). Straflosigkeit tritt aber dann ein, wenn der Abbruch vor der 12. Schwangerschaftswoche stattfindet (§218a StGB). Bleibt festzuhalten, dass es staatlicherseits offenbar keine Stelle gibt, die dem Wohl des ungeborenen Kindes notfalls auch mittels geeigneter Hilfen im Zwangskontext (hier wäre z.B. an die Bestellung einer Ergänzungspflegerin für das ungeborene Kind durch das Vormundschaftsgericht zu denken). 

 

"Das Kindeswohl", "die Kindeswohlgefährdung" und "die Erziehungsfähigkeit"  sind soziale (begriffliche) Konstruktionen (vergleiche Kohaupt 2003). Die Definition, was denn nun konkret das Kindeswohl sei, wann es gefährdet ist, wann etwas dem Kindeswohl am meisten entspricht, ist im Gegensatz zur landläufigen Meinung nicht in einem Lexikon zu finden oder in diversen Büchern professioneller Kinderexperten, sondern wird durch die professionell Beteiligten vorgegeben und konstruiert. Konstruiert heißt nicht, dass die Konstrukteure deswegen schlechte Fachleute sein müssen. Sie können durchaus sehr kompetent sein, so wie es bedauerlicherweise auch inkompetente Fachleute gibt. Kompetenz und Inkompetenz sind ja zwei Seiten einer Medaille. Die Eltern sind in dieser Vorgehensweise in der Regel nur Statisten. Eine ernsthafte Einbeziehung wird ihnen häufig nicht zugebilligt. 

Die Definitionsmacht der Professionellen birgt gleichzeitig auch die Möglichkeit der "falschen" Einschätzung der Situation. Von solchen Fällen wird ab und an in den Medien berichtet. Das involvierte Jugendamt hat in einer konkreten Familie keine akute Gefährdung des Kindeswohls gesehen und trotzdem ist das Kind durch seine Eltern wenig später misshandelt, verletzt oder sogar getötet worden. 

Oder umgekehrt, das Jugendamt, Gericht etc. kommen zu der Ansicht eine Gefährdung des Kindeswohls würde vorliegen mit den Konsequenzen wie Umgangsauschluss, Sorgerechtsentzug etc. obwohl bei einer guten fachlichen Betreuung der Familie sich die familiäre Situation mittelfristig verbessert hätte.

 

Auch wenn der Begriff des Kindeswohls im Elternstreit häufig bemüht wird, in der Regel  um nachzuweisen, dass gerade der andere Elternteil nicht fähig wäre, das Kindeswohl zu sichern, geht es doch nicht selten darum, sich am anderen "schuldigen" Elternteil zu rächen oder diesen auszugrenzen, manchmal auch nur deswegen, um der vermuteten oder tatsächlichen Ausgrenzungsbemühung des anderen Elternteils zuvor zu kommen. 

Dass das "Kindeswohl" häufig nur als Worthülse oder Waffe benutzt wird, bemerkt man spätestens dann, wenn Eltern nicht bereit sind, professionelle Beratung, Familientherapie etc. in Anspruch zu nehmen. Dies wäre aber gerade bei sehr zerstrittenen Eltern nötig, um statt der feindseligen und mitunter auch hasserfüllten Kommunikation zu konstruktiven Kommunikationsformen zu kommen und somit dem Kindeswohl einen Raum zu schaffen. 

 

 

 

 

 

"Das Kindeswohl" ist eine Konstruktion

Wie jeder andere unbestimmte Begriff ist "das Kindeswohl" eine Konstruktion (vergleiche hiezu: Konstruktivismus). Was denn das Kindeswohl im konkreten Fall sei und wann es gefährdet erscheint wird von den Beteiligten (Vater, Mutter, Familienrichter, Gutachter, Verfahrenspfleger, Sozialarbeiter des Jugendamtes) konstruiert und im Diskurs verhandelt. Die vorläufig entgültige Definition gibt der Familienrichter, dem staatlicherseits die abschließende Deutungshoheit eingeräumt ist. Für ein offizielles Infragestellen muss dann schon dass Oberlandesgericht oder ein anderes übergeordnetes Gericht angerufen werden.

 

Im Gesetz finden wir lediglich an einer Stelle, was der Gesetzgeber als Kindeswohl definiert wird. 

 

"§ 1626 BGB (Elterliche Sorge, Grundsätze)

(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.

   

 

Elke Ostbomk-Fischer, tätig an der Fachhochschule Köln, Fachbereich Sozialpädagogik nimmt diese Regelung zum Anlass zur Kritik: 

 

"... 

Leider finden wir auch im reformierten Gesetzestext diese wichtigen Teilbereiche nicht namentlich aufgeführt. 

Die einzige Konkretion nennt Paragraph 1626.3

"Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen."

Die Aussage in der bestehenden Form ist unzutreffend.

Das `Wohl des Kindes` ist in dieser Formulierung ein hypothetisches Konstrukt, welches sich aus falschen Grundannahmen speist: 

..."

Ostbomk-Fischer, Elke: "Das `Kindeswohl` im Diskurs und Konflikt zwischen Wissenschaft und Praxis", In: "Sozialmagazin, 6/2001, S. 31

 

 

 

Nun irrt hier aber nicht der Gesetzgeber, wie Frau Ostbomk-Fischer meint, sondern sie selbst. Und dabei zeigt sie auch noch selbst auf, dass sie es ist, die sich irrt. 

 

"Das `Wohl des Kindes` ist in dieser Formulierung ein hypothetisches Konstrukt, ..."

 

 

schreibt Ostbomk-Fischer und stellt damit richtiger Weise klar, dass der Kindeswohlbegriff eben ein Konstrukt ist. Das weiß "in der Regel" auch der Gesetzgeber, deshalb ist es unseriös, ihn hier einer Kritik zu unterziehen. 

Ein Konstrukt kann weder wahr noch falsch sein, wie Ostbomk-Fischer unterstellt, sondern nur nützlich oder nicht nützlich und auch dies differiert je nach Interessenlage. Eine Mutter oder ein Vater, denen die Misshandlung ihres Kindes vorgeworfen wird, werden eine andere Kindeswohlkonstruktion bevorzugen als der zuständige Jugendamtsmitarbeiter oder Familienrichter. 

 

Frau Ostbomk-Fischer übersieht auch noch geflissentlich oder weil sie eine ideologisch eingefärbte Brille trägt, dass in der Formulierung 

 

"Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen."

 

 

die Wortgruppe "in der Regel" klarmacht, dass der Gesetzgeber nicht in jedem Fall den Umgang als zum Kindeswohl gehörig sieht, sondern eben in den meisten Fällen (in der Regel). Für die Fälle, in denen eine Kindeswohlgefährdung unterstellt wird hat der Gesetzgeber folgende Regelung getroffen:

 

 

§ 1684 BGB Umgang des Kindes mit den Eltern

(4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

 

 

Ganz nebenbei outet sich Frau Ostbomk-Fischer auch noch als offenbar männerfeindlich, wenn sie diffamierend schreibt: 

 

"Bei der Gesamtpopulation bzw. der überwiegenden Mehrheit der biologischen Väter wird eine positive Wirkung auf die Persönlichkeit des Kindes angenommen. Beide Grundannahmen stehen nicht in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft." (S. 32)

 

 

Fragt sich, welche Wirklichkeit Ostbomk-Fischer meint, ihre Wirklichkeit; die Wirklichkeit der anderen oder die wirkliche Wirklichkeit, die alle drei, so wie das Kindeswohl auch, Konstruktionen sind

 

Man kann sich hier nur wundern, wie wenig manche Leute, die an Fachhochschulen Bereich Sozialpädagogik arbeiten, von Watzlawick gelernt zu haben scheinen, der eines seiner grundlegenden Bücher, auch zum Thema der Konstruktion, immerhin schon 1969 erstmals veröffentlicht hat. 

 

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet, H.; Jackson, Don D.: "Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern; 1969/2000/2003

 

 

Unter dem Kindeswohl wird man in der Regel unstrittig die Sicherung wichtiger Bedürfnisse des Kindes zählen, z.B. die physiologischen  Bedürfnisse Essen, Trinken und Schlafen, etc., das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit, das Bedürfnis nach Verständnis und sozialer Bindung, das Bedürfnis nach seelischer und körperlicher Wertschätzung, das Bedürfnis nach Anregung, Spiel und Leistung und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zählen (zitiert nach Schone, Gintzel u.a.: "Kinder in Not, Vernachlässigung im frühen Kindesalter und Perspektiven sozialer Arbeit", Münster, Votum-Verlag 1997, S.23-24). Im konkreten Fall wird es dann allerdings schon schwierig sich darauf zu einigen, was das Kindeswohl noch sei, was ihm dient, was ihm schadet oder was schlichtweg mit dem Kindeswohl nicht viel oder gar nichts zu tun hat. Spätestens an dieser Stelle wird der Begriff des Kindeswohls zum Konstrukt, dass heißt jeder kann seine Definition dessen, was er unter Kindeswohl versteht in die Debatte einbringen. Die Anhänger des Desorganisationsmodells werden das Ruheargument (das Kind soll endlich zur Ruhe kommen, dazu ist gegebenenfalls einer der Elternteile auszugrenzen) als Kindeswohlkonstrukt benutzen. Die Anhänger des Reorganisationsmodells (die bisherige Kernfamilie transformiert zur Trennungsfamilie in der Kind mit beiden Elternteilen förderliche Beziehungen unterhält) werden den möglichst ungestörten Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen als Kindeswohl definieren.

 

Kindeswohl, so meine Definition (Thiel, 29.04.2004) ist die Summe aller für die Förderung der aktuellen und der langfristig fortlaufenden Entwicklung und für die Individuation des Kindes oder Jugendlichen wünschenswerten und relevanten Parameter. Die Summe dieser Parameter ist nicht als bloße Summation in der Art eines Kräfteparallelogramms zu verstehen, sondern als Gefüge mit gegenseitigen Verstärkungen, Rückkopplungen und Synergismen. Die Vorstellung vom Kindeswohls ist historisch geprägt und interessengeleitet konstruiert. Es berücksichtigt die Interessen des Kindes und seiner wichtigsten Bezugspersonen, sowie die gesellschaftlichen Erwartungen und Normvorstellungen. 

 

Wenn sich schon einmal Psychologen an die Definition des Kindeswohls heranmachen, darf man häufig nicht zuviel erwarten. Leider sind die Erwartungshaltungen von Laien gegenüber Psychologen oft umgekehrt proportional zu deren tatsächlich vorhandener Kompetenz.

 

Sprachlich völlig misslungen dürfte folgende Kindeswohldefinition sein: 

 

"Das Kindeswohl hat sich an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern, sowie am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren."

aus: "Bei Partnerschaftsgewalt kein elterliches Umgangsrecht nach der Trennung", Astrid Höflinger, Doktorandin an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main in: "Zentralblatt für Jugendrecht", 2/2004, S. 64

 

 

"Das Kindeswohl" ist weder eine Person noch hat es personenähnliche Eigenschaften wie die Doktorandin Astrid Höflinger offenbar meint. Daher kann sich "das Kindeswohl" auch nicht an bestimmten Grundsätzen orientieren, so wie das z.B. in folgenden Sätzen formuliert werden kann: "Die Politik muss sich an den Vorgaben des Grundgesetzes orientieren" oder "der Familienrichter muss sich an den Beschlüssen des Oberlandesgerichtes orientieren". Denn mit dem Begriff "die Politik" sind ja nicht die leblosen Computer im Bundeskanzleramt gemeint, sondern die lebenden jeweils verantwortlichen Politiker in der Legislative und Exekutive. Tote Politiker wie Konrad Adenauer oder Walter Ulbricht müssen sich natürlich nicht am Grundgesetz orientieren, zum einen weil sie beide tot sind und bei Walter Ulbricht, wenn er denn noch leben würde und die DDR noch bestände würde die Verpflichtung entfallen, weil Walter Ulbricht sich als Bürger eines anderen Landes, nämlich der DDR verstehen würde. Eine etwas bessere sprachliche Ausdrucksfähigkeit, als die von Frau Höflinger hier zitierte sollte man von einer Doktorandin sicher erwarten dürfen. Es wäre interessant zu wissen, wer der Doktorvater von Frau Höflinger ist - es sei gemutmaßt, es ist Professor Ludwig Salgo aus Frankfurt/Main, von dem böse Zungen behaupten, er wäre ein Hans Dampf in allen Gassen und würde in Familienrechtszeitschriften "Zwischenrufe" abgegeben, die vor der gemeinsamen elterlichen Sorge warnen. Ob jemand der mit den Anliegen von Vätern nicht auf allzu guten Fuß zu stehen scheint, wenigstens ein guter Doktorvater sein kann , entzieht sich unserer Kenntnis.

Solange Frau Höflinger noch nicht promoviert hat, kann es zum Glück noch möglich sein, dass sie sich von ihrer in ihrem Aufsatz dargestellten schwarz-weißen Sicht (Frauen=Opfer, Männer=Täter emanzipiert und sich auch sonst ihre wissenschaftliche Arbeit so verändert, dass sie statt ausgiebigen Zitieren aus Aufsätzen anderer Autoren zukünftig eigene originäre und wohlbegründete Gedanken äußert. 

 

 

 

 

 

 

Familiengericht und "das Kindeswohl"

 

"Es soll Beweis erhoben werden über die Frage, ob die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für A, geb. am auf die Kindesmutter oder die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Kindesvater dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Im Rahmen des Gutachtens sollte auch dazu Stellung genommen werden, ob das Kindeswohl im Haushalt der Kindesmutter durch körperliche Gewalt seitens ihres Ehemannes Y gefährdet wird und ob das Kindeswohl gefährdet wird durch die Beeinflussung eines Elternteils oder anderer Bezugspersonen."

Amtsgericht Krefeld, 27.04.2004, Gutachtenauftrag an Diplom-Psychologin Mirca Musiloik

 

 

Wenn das Kindeswohl ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, und darüber sind sich wohl fast alle Fachleute einig, so ist die Frage eines Richters an eine Gutachterin nach dem Kindeswohl eine juristische Frage, die aber ein Gutachter per Definition seiner Rolle gar nicht zu beantworten hat, da er kein Hilfsrichter ist, sondern nur Ermittlungsgehilfe des Richters in Fragen bei denen dem Richter die erforderliche Sachkunde fehlt oder zu fehlen scheint. Will der Richter eine juristische Frage wie die zum unbestimmten Rechtsbegriff Kindeswohl  beantwortet wissen, müsste er auch einen dafür sachkundigen Gutachter einsetzen, dies könnte dann aber kein Psychologe, sondern müsste ein Jurist sein. Die Bestellung eines Juristen als Gutachter ist aber gesetzlich nicht vorgesehen, weil ja der Richter selbst Jurist und es zu seinen originären Aufgaben gehört, juristische Fragen eben selber zu klären.

 

 

 

 

 

Das "Kindeswohl" als Gestaltungsauftrag

 

 

"Das Kindeswohl ist ein Gestaltungsauftrag."

Dr. Hermann Scheuerer-Englisch auf der 2. Bundesfachtagung "Begleiteter Umgang", November 2000

 

Während eine Reihe von Fachkräften meinen, der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wäre eine Keule, mit der man widerborstige und uneinsichtige Eltern entsorgen könne, geben sich humanistische geprägte Fachkräfte mit solchen totalitär anmutenden Auffassungen nicht zufrieden, sondern interpretieren den Begriff des Kindeswohls, so wie der Leiter der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle Regensburg und passionierte Bindungsforscher Hermann Scheuerer-Englisch, als Gestaltungsauftrag. 

Das Kindeswohl als Gestaltungsauftrag ist in den uns hier interessierenden oft hochstrittigen familiengerichtlichen Verfahren, kein statisches Geschehen, das per Schriftwechsel zweier parteilicher Anwälte und einem darauf folgenden familiengerichtlichen Beschluss gesichert würde, sondern ein dynamisches Geschehen, das darauf abzielt, wenn möglich die elterlichen Kompetenzen und den Willen zur Kooperation der Eltern zu stärken oder wenn dies unmöglich erscheint eine fachliche Rahmung zu setzen, so etwas durch einen Begleiteten Umgang, eine Umgangspflegschaft oder eine Sorgerechtspflegschaft, durch die das Kind von unzumutbaren Belastungen möglichst weitgehend verschont bleibt.

 

Wer sich nicht auf den unfruchtbaren Weg der Festschreibung einer ein für alle mal angenommenen Kindeswohlgefährdung begeben will, so etwa üblich in der traditionellen Statusdiagnostik und gerichtlicher Elternselektion nach §1671 BGB, wird das Kindeswohl als Gestaltungsauftrag begreifen. Dies ist auch im Zusammenhang von Trennung und Scheidung ein relativ neuer Gedanke. Bis in die 80er Jahre galt hier das "Desorganisationsmodell" als dem Kindeswohl am förderlichsten. Dieses Modell wird den amerikanischen Psychologen Freud, Goldstein und Solnit zugeschrieben. Die "Problemlösung" bestand in der "Ausgrenzung" des nicht sorgeberechtigten Elternteils und der Kür eines "Erziehungschampions" (Weisbrodt in: "Kind-Prax" 1/2001). Mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 hat sich der deutsche Gesetzgeber größtenteils von diesem menschenfeindlichen Modell abgewendet. Reste dieses alten Modells finden wir aber noch in Form der Selektionsparagrafen §1626a und §1671 BGB. Auch in der Praxis von Jugendämtern und Familiengerichten wird das alte Denkmodell gelegentlich noch in versteckter Form praktiziert. 

Wer es ernst meint, mit dem Kindeswohl, wird dieses nicht als statisch unveränderlich betrachten, nach dem Motto einmal schlecht immer schlecht und man könne nur noch zwischen verschiedenen Übeln wählen, das heißt das geringste Übel auszuwählen. Wer es ernst meint mit dem Kindeswohl, wird ausloten welche Veränderungen nötig und möglich sind und diese auch initiieren und begleiten, um das Kindeswohl zu sichern oder herzustellen. 

 

In der heutigen Zeit wird nun auch behauptet, dass das Kindeswohl auch im Zusammenhang mit der tatsächlichen oder vermeintlichen Benachteiligung homosexueller Partnerschaften im Zusammenhang stehe. So zu lesen im Infobrief 2 des "Forum Gegen Rassismus / Nationaler Runder Tisch, Arbeitsgruppe Gleichbehandlung" (zu erreichen über die Geschäftsstelle im Bundesministerium des Innern: Ref. IS 3, 10559 Berlin): 

 

"Es gibt keinen sachlichen Grund, Menschen allein wegen ihrer Homosexualität vom Adoptionsrecht auszuschließen. Unter den gleichen Voraussetzungen wie für Ehepaare muss auch für Eingetragene Lebenspartnerschaften die sogenannte "Stiefkindadoption" ermöglicht werden. Das gleiche gilt für das gemeinsame Adoptionsrecht sowie für das gemeinsame Sorgerecht. Die Benachteiligung lesbischer und schwuler Familien muss beendet werden. Sie müssen steuer- sozial- und namensrechtlich gleichgestellt werden. Das ist schon aufgrund des Kindeswohles dringend geboten."

 

 

Nun soll hier nicht darüber diskutiert werden, ob die Privilegien der heterosexuellen Ehe auch auf die homosexuelle Ehe oder Lebensgemeinschaft ausgeweitet werden sollen. Vieles spreche eher dafür, die Ehe als staatliche Institution abzuschaffen und außerstaatliche Möglichkeiten der Eheschließung zu ermöglichen, so z.B. kirchlich oder beim Humanistischen Verband.  Warum es aber angeblich das Kindeswohl erfordern soll, lesbische und schwule Ehepaare hinsichtlich der Privilegien der heterosexuellen Ehe gleichzustellen, bleibt von den Autoren ungesagt. 

 

Im Bereich familiengerichtlicher Verfahren kann es der staatliche Wächter mit dem Kindeswohl nicht all zu ernst meinen, denn er gestattet hochzerstrittenen Eltern regelmäßig Rechtsanwälte in ihren Elternkonflikt hineinzuziehen, die in vielen Fällen konflikteskalierend wirken. Dies führt dann häufig dazu, dass das Kindeswohl noch stärker gefährdet wird, als vor Hinzuziehung der Anwälte. Der Staat meint, solches auch noch durch finanzielle Alimentierung finanziell schwacher Eltern in Form von steuergeldfinanzierter Prozesskostenhilfe befördern zu müssen. Spätestens hier erweist sich die lautstark propagierte Formel des Kindeswohls als Luftballon, der sobald man in ihn hineinpiekst mit lautem Knall zerplatzt. 

 

 

 

 

 

 

 

Gesetzliche Bestimmungen

In den einschlägigen Gesetzestexten finden wir den Begriff des Kindeswohls an verschiedenen Stellen, so im Bürgerlichen Gesetzbuch unter anderen (hier blau gekennzeichnet) in: 

 

 

§ 1632 BGB (Anspruch auf Herausgabe des Kindes; Umgangsbestimmung; ...)

(1) Die Personensorge umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält.

(2) Die Personensorge umfasst das Recht, den Umgang des Kindes auch mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen.

(3) Über Streitigkeiten, die eine Angelegenheit nach Absatz 1 oder 2 betreffen, entscheidet das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils.

(4) Lebt das Kind längere Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.

 

 

§ 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls)

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

(2)... (3)... (4)...

 

 

 

§ 1666a BGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen)

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. ...

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, daß sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

 

 

 

 

§ 1671 BGB (Übertragung der Alleinsorge nach bisheriger gemeinsamer elterlicher Sorge bei Getrenntleben der Eltern)

(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, daß ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt.

(2) Dem Antrag ist stattzugeben, soweit

1. Der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, daß das Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder

2. zu erwarten ist, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

(3) ...

 

 

 

 

§ 1626 BGB

(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.

 

 

 

 

§ 1684 BGB

(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.

(2) Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. ...

(3) Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten regeln. ...

(4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann insbesondere anordnen, daß der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist. Dritter kann auch ein Träger der Jugendhilfe oder ein Verein sein; dieser bestimmt dann jeweils, welche Einzelperson die Aufgabe wahrnimmt.

 

 

 

 

§ 1685 BGB (Umgangsrecht anderer Bezugspersonen)

(1) Großeltern und Geschwister haben ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient.

(2) Gleiches gilt für Ehegatten oder frühere Ehegatten eines Elternteiles, der mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und für Personen, bei denen das Kind längere Zeit in Familienpflege war.

(3) § 1684 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

 

 

 

 

Um entscheiden zu können, ob in einer konkreten Konfliktsituation 

 

- das Kindeswohl gefährdet ist

- etwas dem Kindeswohl dient

- etwas zum Kindeswohl gehört

- etwas zum Wohl des Kindes erforderlich ist

- etwas dem Kindeswohl am besten entspricht

- das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde

 

muss immer erst definiert werden, was denn das Kindeswohl in dieser konkreten Situation sei. Beispielhaft soll das an §1684 (4) gezeigt werden. 

 

4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

 

 

 

Eingriffe in das elterliche Pflichtrecht persönlichen Kontakt zu seinem Kind zu pflegen dürfen nur nach den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden. Dabei kann man sich an §1666a BGB orientieren.

 

§ 1666a BGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen)

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. ... 

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, daß sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

 

 

 

Die entscheidende Frage ist also letztlich nicht, ob das Kindeswohl aktuell gefährdet ist, sondern ob "der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann" oder "wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, daß sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen". Bevor z.B. eine auf Dauer angelegte Herausnahme eines Kindes aus der Familie beschlossen werden kann, oder der Ausschluss des persönlichen Umgangs vom Gericht getroffen wird, ist zu prüfen, ob andere weniger invasive Eingriffe oder Hilfen geeignet sind, eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Das Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe zählt einige solcher Hilfen, die gleichzeitig auch immer fachliche Interventionen darstellen, auf. So z.B. Erziehungsberatung, soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer, sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehung in einer Tagesgruppe und intensive sozialpädagogische Einzelfallbetreuung (§27-32, § 35 SGB VIII. Neben den ausdrücklich im Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe genannten Hilfearten, kann das Jugendamt auch andere geeignete und auf den jeweiligen Fall zugeschnittenen Hilfen anbietet, so z.B. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie oder systemische Familientherapie.

 

 

Sorgerechtsentzug nach §1666 BGB wegen Kindeswohlgefährdung

Das Recht, der leiblichen Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen, kommt dem Staat nicht schon unter der Voraussetzung zu, dass das Kind bei Pflegeeltern besser aufgehoben ist, als bei seiner Mutter. Einen Anspruch des Kindes auf die bestmöglichen Eltern gibt es nicht. Vielmehr ist Voraussetzung für einen derart weitgehenden Eingriff in das Elternrechtrecht aus Artikel 6 II Satz 1 Grundgesetz, dass andernfalls das geistige, seelische oder körperliche Wohl des Kindes unter anderem durch unverschuldetes Versagen der leiblichen Mutter gefährdet wäre und mildere Maßnahmen diese Gefährdung nicht abwenden können.

OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 4.9.2002 - 2 UF 228/02, in: "FamRZ" 2003, Heft 17, S. 1316-1317

vollständig in: "Das Jugendamt", 2003, 39

 

 

 

 

 

Beispiel:

Mit Beschluss des Amtsgericht Krefeld vom 20. Juni 2001 wurde der Diplom-Psychologe Udo Lünebrink zum Gutachter ernannt. Dieser sollte zu der folgenden gerichtlich formulierten Frage Stellung nehmen:

 

„Es soll ein familienpsychologisches Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Mutter eingeholt werden.“

 

 

In seinem 90-seitigen Gutachten kommt Herr Lünebrink schließlich zu der Ansicht: 

 

"In der Familiensache .... soll Stellung genommen werden zu der Frage der Erziehungsfähigkeit der Mutter. Die Beantwortung der Frage geschieht gemäß dem gerichtlichen Auftrag und stützt sich auf die durch die psychologische Untersuchung ermittelten Ergebnisse.

Beantwortung der Fragestellung

Die Kindesmutter ist nur stark eingeschränkt erziehungsfähig.

Begründung:

Diese Empfehlung entspricht dem Kindeswohl am meisten."

 

Diplom-Psychologe Udo Lünebrink, Gutachten für Amtsgericht Krefeld, 18.03.2002, S. 88

 

 

 

Abgesehen von der etwas wirr wirkenden Formulierung:

 

Beantwortung der Fragestellung

Die Kindesmutter ist nur stark eingeschränkt erziehungsfähig.

Begründung:

Diese Empfehlung entspricht dem Kindeswohl am meisten.

 

 

muss man im Sinne Watzlawicks feststellen, dass diese Ansicht des Gutachters weder wahr noch falsch, weder richtig noch unrichtig ist, da Ansichten ja gerade die Eigenschaft zukommt, subjektiv und damit nicht verifizierbar zu sein. Als Leser dieses Gutachtens kann man sicher der Meinung sein, diese Ansicht würde überzeugend wirken oder eben nicht überzeugen wirken. Der verfahrensführende Richter sah den Vortrag des Gutachters wohl als überzeugend an, denn er entzog daraufhin der Mutter das Sorgerecht, u.a. mit der Begründung:

 

"Denn das Kindeswohl ist für A im mütterlichen Haushalt gefährdet, sowohl aufgrund der mangelnden Erziehungsfähigkeit der Mutter als auch wegen der festen Bindung von A an seinen `Pflege-`Vater X." (S. 4)

 

 

Nun ist allerdings eine "mangelnde Erziehungsfähigkeit der Mutter" allein kein rechtfertigender Grund für einen Sorgerechtsentzug nach §1666 BGB, wie auch das daraufhin angerufene Oberlandesgericht Düsseldorf feststellte:

 

"Das Eingreifen des Familiengerichts gem. §§166, 1666a BGB setzt eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr voraus, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit einiger Sicherheit voraussehen lässt (BGH FamRZ 1978, 135, 136). Die gesamte Personensorge kann nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen - insbesondere auch öffentliche Hilfen - erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen. Bei der Trennung von Eltern und Kind handelt wes sich um eine wegen des damit einhergehenden Eingriffs in Art. 6 GG stets auch mit Blick auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfende Maßnahme, die nur als außergewöhnliches Mittel angeordnet werden darf (vgl. BVerG, FamRZ 1982, 567)....

Das Sorgerecht für ihre Kinder steht den leiblichen Eltern unabhängig davon zu, ob sie ihren Kindern eine optimale Umgebung zu bieten in der Lage sind; nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 1666, 1666 a BGB kann in das auch verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht eingegriffen werden. ..."

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 31. März 2005, II-4 UF 225/03

 

 

 

 

 

 

Geschwistertrennung

Einerseits ist man sich in Fachkreisen im wesentlichen einig, dass eine Geschwistertrennung eine zusätzliche Belastung von Kindern in Trennungssituationen oder bei Herausnahmen aus der Herkunftsfamilie ist, die nach Möglichkeit vermieden werden sollte.

 

Michael Karle; Gunther Klosinski: "Die Bedeutung der Geschwisterbeziehung bei einer Trennung der Eltern", In: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie" 50: 401-420 (2001)

Brigitte Spangenberg; Ernst Spangenberg: "Geschwisterbindung und Kindeswohl"; In: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", 2002, Heft 15, S. 1007-1010

 

 

Andererseits herrscht bei einigen Jugendämtern der blanke Pragmatismus vor. Gemacht wird das, was der Logik des Amtes oder der Kassenlage am besten entspricht.

 

 

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: ...

Gesendet: Mittwoch, 2. März 2011 10:48

An: info@system-familie.de

Betreff: Sorgerechtsentzug

 

Hallo Herr Thiel,

ich bin heute zufällig auf Ihre interessante Homepage gestoßen, die mich dazu bewegt, Ihnen zu schreiben.

Seit ... begleite ich einen Vater von vier Kindern, den im Laufe eines Verfahrens über eine Umgangsregelung letztendlich das Sorgerecht für die Kinder entzogen wurde ebenso wie der Mutter. Die Kinder wurden zunächst in Obhut genommen und dann jeweils zu zweit in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. Dann hat man die Kinder nochmals voneinander getrennt und einzeln vier Pflegefamilien zugeordnet. Zuständig ist das Jugendamt ..., die Kinder leben inzwischen in .... Der Vater hat alle 6 Wochen Umgang mit jeweils zwei Kindern und sieht sich ohnmächtig gegenüber der geballten Ladung an pädagogischen Fachpersonal: Case-Managerin des Jugendamtes, vier Vormünder, vier Pflegmütter, zwei Leiterinnen der unterbringenden Einrichtung. Die Akte ist bis vor das Oberlandesgericht ... gelangt; inzwischen sind zwei Anwälte verschlissen und der Vater ist finanziell am Ende. Sein Glaube an seine Kinder und an eine gemeinsame Zukunft ist das Letzte, was ihn noch hoffen lässt.

Ich bin ebenfalls zurzeit sehr unsicher, welcher Weg noch offen ist. Die Akte ist eine Ansammlung von Katastrophen menschlichen Versagens, besonders aber im Zusammenhang mit den staatlichen Fachkräften, die alles tun, damit dieser Sachverhalt im Dunklen bleibt.

Gibt es noch irgendeine Chance?

Mit freundlichen Grüßen

...

 

 

 

 

Aber auch der eine oder andere Gutachter meint, dass eine Geschwistertrennung dem Wohl des Kindes am besten entsprechen würde.

 

 

Vor dem Hintergrund der Befunde insgesamt erscheint es aus psychologischer Sicht dem Wohl der Kinder unter den gegebenen Umständen am besten zu entsprechen, wenn A (Sohn - 5 Jahre) seinen zukünftigen Lebensmittelpunkt beim Vater hat und der zukünftige Lebensmittelpunkt des Kindes B (Tochter - knapp 3 Jahre) im mütterlichen Umfeld definiert wird.

Diplom-Psychologe Thomas Busse, Gutachten vom 03.09.2011 für das Amtsgericht Landau - 2 F 151/11 - Richter Wagner

 

 

Wie man sieht, es gibt keine Regel auf die man sich verlassen kann. Was an der einen Stelle streng verpönt ist, wird an der anderen Stelle empfohlen. So gestaltet sich jeder die Wirklichkeit, wie es grad gut zu passen scheint.

 

 

 

 

Alkohol

 

"Herr Doktor, können sie mir helfen? Meine Hände zittern ständig!" - "Trinken sie viel?" - "Nein, das meiste verschütte ich!"

 

 

 

Dass Eltern im Beisein ihrer Kinder, zumal wenn diese noch klein sind, sehr zurückhaltend in der Konsumtion von Alkohol sein sollten, findet sicher weitgehend Zustimmung. 

Es gibt aber offenbar auch weniger strenge Auffassungen:

 

"Ob der Kindesvater während eines Umgangs mit den Kinder alkoholisiert war, ist mit psychologischen Mitteln wahrscheinlich nur in seltenen Fällen (und dann nur im Sinne einer Glaubhaftigkeitsbewertung) zu beurteilen. 

 

Wie wahr, wie wahr. Und dann weiter:

 

"Desweiteren ist zu fragen, was mit `alkohololisiert`gemeint ist. Für Kinder ist es normal, auch einmal zu erleben, dass Eltern z.B. bei Besuch von Freunden Wein oder Wodka trinken und dann alkoholisiert sind."

Diplom-Psychologe Dr. Michael Wiedemann, Gutachten vom 18.03.2010 für das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg - 166B F 16927/09, Richterin Dahlmann-Dietrichs, S. 77, Kinder zum Zeitpunkt der Begutachtung 8 und 4 Jahre alt.

 

 

Nun ja, Dr. Wiedemann wird es sicher wissen. Immerhin hat er promoviert und wird sich mit dem Thema Alkohol sicher das eine oder andere Mal im Selbstversuch auseinandergesetzt haben. Gut möglich, dass dann auch seine eigenen Kinder dabei waren, die dann erleben konnten, dass es normal ist "auch einmal zu erleben, dass Eltern z.B. bei Besuch von Freunden Wein oder Wodka trinken und dann alkoholisiert sind." In diesem Sinne Prost.

 

 

 

 

 

Kindeswohl als finanzielle Größe

 

 

Kinderarzt muss in Neukölln 44 000 Fälle betreuen

Jugendgesundheitsdienste der Bezirke personell schlecht ausgestattet

Von Sonja Pohlmann

 

Stefanie Vogelsang, Stadträtin für Gesundheit im Bezirk Neukölln, schlägt Alarm: Zurzeit gibt es nur einen einzigen Kinderarzt im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst ihres Bezirks. Und der geht im Sommer in Pension. Zuständig ist er heute für 44 000 Neuköllner unter 18 – so prekär ist das Verhältnis in keinem anderen Bezirk von Berlin. Aber auch in Bezirken wie Reinickendorf und Friedrichshain-Kreuzberg geht die Entwicklung in eine ähnliche Richtung. Angesichts der großen sozialen Probleme in der Stadt und den gehäuften Fällen von Verwahrlosung wollen die Bezirke die Personalnot nicht länger hinnehmen.

„Wir haben eine sehr schwere Situation im Gesundheitsdienst“, sagt CDU-Politikerin Vogelsang. Seit 2005 muss sich Kinderarzt Dietrich Gundert alleine darum kümmern, dass Neugeborene und ihre Eltern besucht, Kinder in den Kitas medizinisch begutachtet werden und alle Kinder zur Einschulungsuntersuchung kommen. Solche Kontrollen sind wichtig, denn hier fallen gefährdete oder vernachlässigte Kinder auf und ihnen kann früh genug geholfen werden.

2003 gab es außer Gundert sechs weitere Kinderärzte im Gesundheitsdienst Neukölln. Als die Ärzte das Pensionsalter erreicht hatten, wurden ihre Stellen nicht mehr besetzt. Grund waren die Kürzungen im Rahmen der Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Zwar wird der Neuköllner Mediziner heute von etwa 50 Mitarbeitern, darunter sieben Ärzte anderer Fachgebiete, unterstützt. Dennoch sind Lücken in der Gesundheitsvorsorge entstanden.

So schaffen es die Ärzte nicht, alle 2000 Kinder im Alter von dreieinhalb bis vier Jahre in den Tagesstätten zu untersuchen, denn die meisten Kinder von Neukölln sind „zu problembeladen“, wie Gundert sagt. Sie gründlich zu untersuchen und alle Entwicklungsstörungen zu dokumentieren, koste viel Zeit. Bisher haben er und seine Kollegen nur 500 der 2000 Kinder untersuchen können.

Stadträtin Vogelsang sorgt sich jetzt darum, was aus seiner Stelle wird. Denn Kinderärzte für den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst zu finden, ist schwer. Im Stellenpool der Stadt gibt es keine Mediziner mit entsprechender Fachrichtung. Und um Stellen ausschreiben zu dürfen, „müssen wir wahnsinnige bürokratische Hürden bewältigen“, sagt Vogelsang. Sie fordert vom Senat, dass es künftig unkomplizierter ist, Ärztestellen öffentlich auszuschreiben.

Auch ihre Kollegen aus anderen Bezirken klagen über Probleme im Kinder- und Jungendgesundheitsdienst. Beispielsweise kann in Friedrichshain-Kreuzberg die Einschulungsuntersuchung nur mithilfe von Freiwilligen bewältigt werden. Und in Reinickendorf gibt es deutliche Lücken bei den zahnmedizinischen Untersuchungen der Kitakinder. „Wir haben zu wenig Personal und müssen uns deshalb auf die Bereiche mit sozial schwächeren Familien konzentrieren“, sagt SPD-Gesundheitsstadtrat Andreas Höhne.

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) weist die Vorwürfe zurück. „Die Rahmenbedingungen für Außeneinstellungen sind geschaffen. Die Bezirksämter müssen nur langfristig genug planen.“

 

http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/07.02.2007/3066471.asp

 

 

 

Wie man an vorstehender Meldung sieht, beschränkt sich bei knapper Haushaltslage die Sorge um das Kindeswohl auf einen im öffentlichen Gesundheitsdienst tätigen Kinderarzt für 44 000 Neuköllner unter 18 Jahren. Der schafft es es nicht, "alle Kinder gründlich zu untersuchen und alle Entwicklungsstörungen zu dokumentieren". Bisher haben er und seine Kollegen nur 500 der 2000 Kinder untersuchen können. Nun, man mag sich trösten, von der Dokumentation von Entwicklungsstörungen allein, hat noch nie ein Kind eine bessere Entwicklung nehmen können. Von daher mögen fehlende Dokumentationen nicht von großem Belang sein. Und im übrigen scheint man in Berlin Geld lieber in teuere familienpsychologische Gutachten stecken, selbstverständlich nicht aus der Kasse des Bezirkes Neukölln, sondern aus der Kasse der Justizsenatoren von der Aue, denn deren Kasse scheint noch gut gefüllt zu sein. 

 

 

Was das Kindeswohl im Einzelfall sein soll, hängt nicht nur von der Sichtweise der Beteiligten ab, sondern auch von der Kassenlage der öffentlichen Haushalte. Ist wie in 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Kasse voll, so wird wesentlich früher interveniert oder auch Kinder aus dem Haushalt einer Familie genommen. Ist der Staat oder die Kommune fast pleite, so wie Anfang des 21. Jahrhunderts, so schickt man seitens des Jugendamtes hilfesuchende Eltern schon mal nach Hause mit dem verheißungsvollen Trost, wenn das Kind öfter klaut, andere Kinder zusammenschlägt oder sich zu Tode hungern will, könnten sie ja wiederkommen, dann wird man sehen, was man tun kann.

  

 

(08.11.2005 )

Jugendhilfe soll klüger sparen

Koalition einigt sich: Bezirke erhalten weniger Geld, aber der Senat hilft

Bei der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, die 2006 weiter gekürzt werden soll, haben sich SPD und PDS auf ein neues Finanzierungsmodell geeinigt. Zwar bleibt es bei der Sparvorgabe von 33 Millionen Euro, aber den Bezirken wird zugesichert, dass Kostenüberschreitungen am Jahresende zu 75 Prozent vom Senat übernommen werden.

Allerdings ist dieser Kompromiss, auf den sich die Haushaltspolitiker der Koalition verständigt haben, an Auflagen gebunden. So wird von den Mitarbeitern der bezirklichen Jugendämter verlangt, dass sie an Schulungen teilnehmen, um die Kosten für die „Hilfen zur Erziehung“ besser in den Griff zu bekommen. „Wir wollen eine einheitliche Linie reinbringen“, kündigte die haushaltspolitische Sprecherin der SPD, Iris Spranger, an. Noch gingen die Bezirksämter sehr unterschiedlich mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen um. „Bezirksübergreifende Standards“ forderte auch der Finanzexperte der Linkspartei, Carl Wechselberg. Die Bezirke sollen sich an Pilotprojekten orientieren, die zum Beispiel in Friedrichshain-Kreuzberg oder Marzahn-Hellersdorf entwickelt wurden.

Staatliche „Hilfen zur Erziehung“ sind: Heime für Kinder ab sechs Jahren, Wohngruppen, sozialpädagogisch betreute Tagesgruppen für Kinder, die zu Hause wohnen, Betreuungshelfer oder Familienberatungsstellen. Es gibt also stationäre und ambulante Hilfen; Heime sind naturgemäß die teuerste Lösung. Geregelt sind die Ansprüche im Kinder- und Jugendhilfegesetz. Doch letztlich muss das Jugendamt in jedem Einzelfall entscheiden, ob das Kind, der Jugendliche oder der junge Erwachsene wirklich Hilfe braucht – und in welchem Umfang.

Dieser Ermessensspielraum wird in Berlin bisher recht unterschiedlich ausgelegt. In Spandau wurden 2004 (pro Einwohner unter 21 Jahren) 731 Euro für Erziehungshilfen ausgegeben. In Steglitz-Zehlendorf nur 363 Euro. Irgendwo dazwischen bewegen sich die anderen Bezirke und die großen Kostenunterschiede sind nicht nur mit der Sozialstruktur der einzelnen Stadtregionen erklärbar. Zum Beispiel hat Friedrichshain-Kreuzberg den mit Abstand größten Anteil betreuter Jugendlicher, gibt aber weniger Geld aus als andere, weniger belastete Bezirke.

Schon 2001 beschloss Friedrichshain-Kreuzberg, den Bezirk in acht Sozialräume aufzuteilen. Anschließend wurde für diese Regionen ein „Indikatorenmodell zur Verteilung der Zuwendungen an freie Träger“ entwickelt, die Kinder- und Jugendarbeit machen. In Marzahn-Hellersdorf wiederum wird in zwei Ortsteilen ausprobiert, wie sich die verschiedenen Hilfeangebote kostengünstig vernetzen lassen. Solche Modelle sollen berlinweit zum Vorbild werden. Die Bezirke haben es auch schon geschafft, die Ausgaben für „Hilfen zur Erziehung“ von 451 Millionen Euro (2002) auf 360 Millionen Euro (2004) zu senken. Trotzdem wurden die Haushaltsansätze regelmäßig überschritten, weil ein Teil der Bezirke mit dem Budget nicht auskam. Die neuen Kürzungspläne des Senats machen Etatüberschreitungen auch in Zukunft wahrscheinlich. Davon soll der Senat aber 75 Prozent übernehmen. za

http://www.tagesspiegel.de/berlin/index.asp?ran=on&url=http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/08.11.2005/2160961.asp#art

 

 

 

 

Die Kosten für Maßnahmen nach §27 Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe liegen bei einer Heimerziehung in der Regel bei 2.500 bis 3.000 Euro je Monat. Die Unterbringung im Betreuten Jugendwohnen kostet in Berlin ca. 2.000 Euro monatlich. Von daher kann es nicht erstaunen, wenn die Definition darüber, was denn eine Kindeswohlgefährdung im konkreten sei, auch finanziellen Gesichtspunkten unterliegt. In der Praxis richtet man sich daher auch nach finanziellen Aspekten für die Definition dessen was Kindeswohl oder Kindeswohlgefährdung eigentlich sei. 

So ist z.B. unter dem Druck der jahrelang selbstverschuldet herbeigeführten maroden öffentlichen Kassen ein Umsteuern in der öffentlichen Jugendhilfe feststellbar. Hilfen zur Erziehung werden teils drastisch zurückgefahren, kostenintensive Heimunterbringungen, zugunsten von Unterbringungen in Pflegestellen (Pflegefamilien) reduziert. Letzteres ist allerdings in der Regel zu begrüßen und man fragt sich, ob es immer erst einer Finanzkrise bedarf, um eine auch sozialpädagogisch sinnvolle Umsteuerung vorzunehmen. 

Aber auch Eltern nehmen mitunter von sinnvoll erscheinenden Jugendhilfemaßnahmen für ihr Kind Abstand, nachdem sie erfahren, dass sie bei einer außerhäuslichen Betreuung des Kindes Barunterhalt für ihr Kind leisten sollen.

 

Um den persönlichen Umgang zwischen Elternteil und seinem von ihm getrennt lebenden Kind auszuschließen, muss dargelegt werden, dass alle in Frage kommenden und geeigneten fachlichen Maßnahmen, wie Begleiteter Umgang, Umgangspflegschaft, Familienberatung, Familientherapie erfolglos sein würden oder bereits erfolglos geblieben sind. In der Praxis kommt es bedauerlicherweise häufig gar nicht bis zu dieser Stelle. Es heißt dann von fachlicher Stelle oft lapidar, "so etwas gibt es bei uns im Landkreis nicht" oder "wer soll das bezahlen" oder "das bringt ja doch alles nichts". Es ist aber keine Frage ob es so etwas im Landkreis noch nicht gibt. Wenn es noch so sein sollte, muss das Jugendamt als zuständige Leistungsbehörde dafür sorgen, dass diese Angebote geschaffen werden.

Man stelle sich nur mal vor, in einem Landkreis gäbe es keinen Kinderarzt und die für die medizinische Versorgung zuständigen Kassenvertreter oder die Kassenärztliche Vereinigung würde sagen, "so etwas gibt es bei uns im Landkreis nicht" oder "wer soll das bezahlen" oder "das bringt ja doch alles nichts". Das ist in der Bundesrepublik, zumindest bis heute, unvorstellbar.

Eigenartiger Weise scheint die Justizkasse von der allgemeinen Mittelknappheit nicht betroffen zu sein, andernfalls kann man es sich nicht erklären, dass der Deutsche Bundestag im Jahr 2004 ein Gesetz verabschiedete, mit der die Stundensätze von familiengerichtlich tätigen Gutachtern von vorher ca. 45 Euro auf jetzt 55 bis 80 Euro angehoben wurden. Geld scheint also genug, da zu sein, nur leider gießt man mit der Gießkanne nicht immer die Richtigen.

 

Kommen Maßnahmen der Jugendhilfe nicht in Betracht, so wäre vom Gericht zu prüfen, ob nach BGB §1666 a (1) andere Maßnahmen ergriffen werden können. Dies können z.B. Ergänzungspflegschaften (z.B. Umgangspflegschaft oder Sorgerechtspflegschaft) nach § 1909 sein. Offenbar wird dieses Instrumentarium jedoch von den Gerichten viel zu selten genutzt. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass damit für die Richter eine zusätzliche Arbeitsbelastung entsteht, dass sie die Ergänzungspflegschaften hauptverantwortlich zu überwachen hätten. So scheint es, dass eine sinnvolle Alternative zur Trennung von Kindern und ihren Eltern auf Grund von Arbeitsüberlastungen der Richter unterbleibt. Dies steht natürlich im Widerspruch zu den Rechten der Eltern und der Kinder, doch wie hier besprochen, scheitert das Kindeswohl und das Recht mitunter eben auch am fehlenden Geld. Der Volksmund umschreibt das mit dem saloppen Spruch "ohne Moos nix los".

 

 

 

 

 

 

Lebenswohl des Kindes

Zum Kindeswohl muss auch die Lebensperspektive des Kindes beachtet werden. Diese könnte man als Lebenswohlperspektive bezeichnen. Bei einem Kind massiv streitender Eltern kann es durchaus kurzzeitig positive Effekte haben, wenn einer der streitenden Elternteile aus dem Leben des Kindes ausgegrenzt wird. Das Kind kann dadurch entlastet werden (Ruheargument). Oder wie Dettenborn (2003) zu Kindern, die den Umgang zu einem Elternteil ablehnen schreibt: 

"Es wird übersehen, dass es um Bewältigungsstrategien des Kindes geht, um sein Bestreben wieder handlungsfähig zu sein im lähmenden Elternkonflikt ... und um die Reduzierung der überfordernden Umgebungskomplexität".

 

In der Kurzzeitperspektive kann man Dettenborn zustimmen. Kurzfristig kann der Kontaktabbruch des Kindes zum nichtbetreuenden Elternteil, gegenüber dem, dem massiven Elternstreit ausgesetzt sein, die das Kindeswohl weniger schädigende Alternative sein. Mittel- oder langfristig dürfte aber aus einem solchen ungelösten Konflikt und Beziehungsabbruch eine Lebenswohlgefährdung des Kindes die Folge sein. Repräsentative Untersuchungen mit Erwachsenen, die als Kind für immer den Kontakt zu einem Elternteil verloren haben, fehlen. Zu vermuten ist, dass der manifeste Elternverlust gravierende negative Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Lebensbewältigung hat.

 

Kaum diskutiert ist der Zusammenhang von Kindeswohl und Elternwohl. In der Regel ist es so, dass Kinder und Jugendliche in einem mehr oder weniger starken emotionalen Bezug zu ihren Eltern stehen. Wenn es den Eltern schlecht geht, und das ist bei Trennung und Streit der Eltern sehr oft der Fall, geht es auch den Kindern schlecht. Soll es den Kindern wieder besser gehen, muss also auch das Elternwohl im Blickpunkt stehen. Das heißt natürlich nicht, dass Kinder für ihre Eltern verantwortlich sind (Parentifizierung), sondern dass Eltern es, gegebenenfalls mit privater oder professioneller Unterstützung schaffen, wieder emotional, physisch und psychisch auf festen Boden zu kommen.

 

 

 

 

 

Elternwohl

Ohne Elternwohl kein Kindeswohl. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass Kinder bei ihren Eltern leben. Nach den beiden Weltkriegen war das keine Selbstverständlichkeit mehr und heute ist es so, dass viele Kinder auf Grund einer Trennung ihrer Eltern nur wenig oder sogar gar keinen Kontakt mehr zu einem Elternteil haben. Einige Zehntausend Kinder und Jugendliche in Deutschland leben heute in einer sogenannten Fremdunterbringung oder sind inkognito adoptiert worden, was an Gepflogenheiten in halbfaschistische Diktaturen in Südamerika, nicht aber an einen Rechtsstaat erinnert. 

Hinzu kommen Tendenzen der Verstaatlichung der Kindheit. In dem 1932 erschienenen Roman "Schöne neue Welt (engl. Brave New World) von Aldous Huxley wird eine solche verstaatlichte Kindheit beschrieben. In einer Gesellschaft, in der „Stabilität, Frieden und Freiheit“ durch Konditionierung des Einzelnen, das Fehlen von tieferen Gefühlen und die Beschränkung von Religion und Kultur gewährleistet werden. Mittels physischer Manipulationen des Fötus und anschließender Konditionierung werden alle Menschen auf eine festgelegte Rolle in der Gesellschaft genormt. Durch permanente Beschäftigung mit Sex, Konsum und der Droge Soma zufriedengestellt, verlieren die Menschen das Bedürfnis zum kritischen Denken und Hinterfragen der Weltordnung. Eine reibungslose Regierung der Welt wird für eine Handvoll „wohlwollender“ Kontrolleure möglich.

Wer da meint, solche Tendenzen wären nur in realsozialistischen Ländern anzutreffen irrt. Ähnliches kann man auch in den spätkapitalistischen Staaten des Westens beobachten. Dies hängt zum einen mit dem Bedürfnis der Menschen ab, eigene Verantwortlichkeiten an "den Staat" zu delegieren. Andererseits hat "der Staatsapparat" als ein System mit eigenen Interessen seiner Mitglieder auch ein Interesse daran, die Aufzucht von Kindern zu verstaatlichen, sichert es doch die eigene Bedeutsamkeit und Unabkömmlichkeit der Mitglieder des Staatsapparates. 

In Zeiten relativer Stabilität sind die entmündigenden totalitären Tendenzen des Staatsapparates und des mit ihm mehr oder weniger symbiotisch verhafteten durchschnittlichen Staatsbürgers halbwegs erträglich. Dies kann aber schnell umschlagen, sobald sich der Kontext ändert. Im sogenannten Milgram-Experiment  wurde eine solche autoritär beherrschte Situation untersucht:

 

Das Milgram-Experiment ist ein erstmals 1962 durchgeführtes psychologisches Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment

 

 

 

In Zeiten chronischer Anspannung und Not kann der totalitäre Staat schnell an Einfluss gewinnen, da dann viele Menschen nach autoritären Führern dürsten, von denen sie dann regelmäßig ins Verderben geführt werden.

 

Massenmord in Jonestown

Am 18.11.1978 wurden in Jonestown in Guyana 912 Menschen ermordet, darunter 276 Kinder.

Die Kinder waren in der Siedlung der Volkstempel- Sekte vielfach wie Sklaven gehalten worden, getrennt von den Eltern, die sie gegen Belohnung ausspionieren mußten. Kinder über 6 Jahre mußten 11 Stunden täglich hart körperlich arbeiten, bei Temperaturen bis zu 40 Grad. Kinder wurden zur Strafe in einen dunklen Brunnen geworfen, nachdem man ihnen gesagt hatte, daß unten Schlangen auf sie warteten. Sie wurden in Holzkisten gesperrt, 1,80 mal 0,90 mal 1,20 Meter klein. Bei öffentlichen körperlich Züchtigungen wurden ihnen Zähne ausgeschlagen. Sektengründer Jim Jones sah zu. Kindern wurden Elektroden an den Armen befestigt, sie wurden mit elektrischen Stromschlägen traktiert. Zwei Sechsjährigen, die versucht hatten, wegzulaufen, waren Ketten und Eisenkugeln an die Fußgelenke geschmiedet worden. Kinder wurden sexuell mißbraucht, auch von Jim Jones selbst.

www.agpf.de/inf98-9.htm

 

 

 

Im Einzelfall kommt es aber auch, wie die Geschichte Deutschlands zeigt, innerhalb von nur 6 Jahren zum staatlich organisierten und durchgeführten Massenmord. Auch Kinder sind bei diesen Massenmorden in keiner Weise geschützt. Ein "starker Staat" ist also kein Garant für das Kindeswohl.

Aber auch ein Staat, der wie die DDR ohne staatlich legalisieren Massenmord oder Folter ausgekommen ist, zeigte die Tendenz der Entmächtigung der Eltern zum Zwecke der Ermächtigung des Staates. Angeblich geschah dies, um das Kindeswohl, das in der DDR als die Entwicklung des Kindes zur "entwickelten sozialistischen Persönlichkeit" definiert wurde, zu fördern

Heute ist es nicht viel anders, nur dass man nicht mehr von der "entwickelten sozialistischen Persönlichkeit" spricht, die im Jugendwerkhof Torgau in einem letzten Versuch hervorgezaubert werden soll, sondern vom Kindeswohl, zu dessen Sicherung es notwendig ist, dem Kind bessere Eltern (Adoptiveltern, Pflegeltern, Heimerzieher, etc.) zu beschaffen. 

Es gibt zum Glück auch gegenteilige Tendenzen, bei denen es darum geht, die Eltern zu unterstützen ihren Kinder gute Eltern sein zu können. Eine Fremdunterbringung der Kinder kann hierbei im Einzelfall durchaus geboten sein, wenn dies zugleich damit verbunden wird, mit den Eltern an der Verbesserung ihrer elterlichen Kompetenz zu arbeiten und somit eine Rückkehroption der Kinder in den Haushalt der Eltern offen zu halten. 

 

Vergleiche hierzu etwa: 

Marie-Luise Conen (Hrsg.): "Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie"; Carl-Auer-Systeme Verlag 2002

Georg Kohaupt: "Wirkungen des Rechts auf Hilfebeziehungen im Kinderschutz. Elternverantwortung und Kindeswohl im Dreieck Familie, Beratungsstelle und Jugendamt"; In: "Das Jugendamt", 12/2003, S. 567-572

 

 

In der Praxis ist dies noch lange keine Selbstverständlichkeit, wie man immer wieder bei bestimmten Fällen feststellen kann.

 

 

 

 

Literatur: 

Gerhard Amendt: "Kultur, Kindeswohl und homosexuelle Fortpflanzung"; In: "Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft"; 02/2002, S. 162-174

Michael Coester: "Inhalt und Funktion des Begriffs der Kindeswohlgefährdung - Erfordernis einer Neudefinition?; In: "Das Jugendamt", 1/2008, S. 1-9

Gerhard Fieseler: "Bemerkungen zur Sicherung des Kindeswohls", In: "Sozialextra", 2000, 7/8, S. 14-23

Betina Finke: "Elternwohl"; In: "Das Jugendamt", 1/2008, S. 10-16

James L. Framo: „Scheidung der Eltern – Zerreißprobe für die Kinder“; In: „Familiendynamik“, 3/1980, S. 204-228

Michael-Sebastian Honig: "Wem gehört das Kind? Kindheit als generationale Ordnung", In: Liebau, Eckart; Christoph Wulf (Hg.): "Generation. Versuch über eine pädagogisch-anthropologische Grundbedingung", Weinheim: Deutscher Studienverlag, S. 201-221

Heinz Kindler; Annegret Drechsel: "Partnerschaftsgewalt und Kindeswohl"; In: "Das Jugendamt", 2003, Heft 5

Wolfgang Klenner: "Essay über die Emanzipation des Kindes im Familienrechtsverfahren"; In: "Kindschaftsrecht und Jugendhilfe"; 2006, Heft 1, S. 8-11

R. Koechel: Kindeswohl im gerichtlichen Verfahren. Luchterhandverlag, Neuwied, 1995

Georg Kohaupt: "Wirkungen des Rechts auf Hilfebeziehungen im Kinderschutz. Elternverantwortung und Kindeswohl im Dreieck Familie, Beratungsstelle und Jugendamt", In: "Das Jugendamt", 12/2003, S. 567-572

Matthias Leder: "Elterliche Fürsorge - ein vergessenes soziales Grundmotiv"; In: "Zeitschrift für Psychologie"; 212 (1), 10-24, 2004

Reinhart Lempp: "Kindeswohl und Kindeswille", NJW, 1996, S. 440-441

Elisabeth Mackscheidt: "Loyalitätsproblematik bei Trennung und Scheidung - Überlegungen zum Kindeswohl aus familientherapeutischer Sicht", In: "FamRZ", 1993, Heft 3, S. 254-257

Robert H. Mnookin: "Was stimmt nicht mit der Formel `Kindeswohl?"; In: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", 1975, Heft 1, S. 1-6

Professionelle Kooperation zum Wohle des Kindes: Hinwirken auf elterliches Einvernehmen im familiengerichtlichen Verfahren. Eine Veröffentlichung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V.; Herausgeber Klaus Menne; Juventa-Verlag, 2011

Julius Schwoerer: "Kindeswohl und Kindeswille", In: "Neue juristische Wochenschrift" NJW, 1964, Heft 1/2, S. 5-8

R. Siegier; J. DeLoache, N. Eisenberg: Entwicklungspsychologie im Kindes und Jugendalter/ München: Elsevier (2005)

 

 


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