Expertise zum Schreiben des Verfahrensbeistandes Patrick Bühren vom 07.10.2010 an das Oberlandesgericht Köln - II-12 UF 84/10

 

 

Familiensache: X (Mutter) und Y (Vater)

Kind: A (Tochter) - geboren am ... .2008

 

Amtsgericht Wipperfürth - Aktenzeichen: 10 F 586/09

Richter: Herr Dr. Krause

Mitwirkendes Jugendamt: Kreisjugendamt Gummersbach

 

 

 

Erarbeitung der Expertise durch Peter Thiel

...

 

 

 

Mit Beschluss vom 02.09.2010 bestellte das Oberlandesgericht Köln unter dem Aktenzeichen II-12 UF 84/10 Herrn Patrick Bühren als Verfahrensbeistand für das Kind A mit der Maßgabe:

 

„… ihm wird die zusätzliche Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken.“

 

 

In seinem Schreiben vom 07.10.2010 an das Oberlandesgericht Köln trägt Herr Bühren unter Angabe eines falschen Aktenzeichens II-2 UF 84/10 vor:

 

„… als Verfahrensbeistand von A informiere ich Sie über den aktuellen Stand in der Sache.“

 

 

Es ist allerdings nicht Aufgabe eines Verfahrensbeistandes, das Gericht „über den aktuellen Stand in der Sache“ zu informieren. Der Verfahrensbeistand ist weder Berichterstatter für das Gericht, noch Sachverständiger, dem es auf Grund eines gerichtlichen Beweisbeschlusses zukäme, hinsichtlich einer vom Gericht gestellten Beweisfrage „über den aktuellen Stand in der Sache“ zu informieren. Der Verfahrensbeistand ist „Interessensvertreter des Kindes“, in so weit also Parteivertreter. Er hat daher ebenso wenig wie ein Anwalt eines Elternteils „über den aktuellen Stand in der Sache“ zu berichten, sondern in geeigneter Weise die Interessen des Kindes zu vertreten.

Herr Bühren versucht sich dann anscheinend in der Rolle eines Sachverständigen, dem es zukäme, die Bindungen des Kindes zu seinen Eltern zu erkunden und diese hinsichtlich einer Entscheidung des Gerichtes zu wichten. So trägt Herr Bühren vor:

 

„Bei der bisherigen Frage der Beantwortung des Lebensmittelpunktes von A wird in der Rückschau deutlich, dass der Fokus überwiegend auf pragmatische Aspekte wie die zeitlichen Betreuungskapazitäten der Eltern, der Großeltern und dritte gesetzt wurde. Nach meiner Meinung wurde zu wenig Gewicht auf die jeweilige Bindung von A zur Mutter und zum Vater gelegt.“

 

Herr Bühren lässt offen, auf wessen angeblich gehalten Vortrag oder Ansichten er sich hier bezieht, auf den des Amtsgerichtes Wipperfürth, des dort als Sachverständigen beauftragten Diplom-Pädagogen und Familientherapeuten Jürgen Brand, die Mutter oder aber den Vater. Würde man Herrn Bühren hier folgen, so könnte man meinen, dass der vom Amtsgericht Wipperfürth mit Beschluss vom 15.12.2009 mit der Beweisfrage:

 

„Zu der Frage, ob ob die von beiden Eltern jeweils begehrte Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf sich dem Wohle des Kindes am besten entspricht soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens eines Sachverständigen.“

 

als Sachverständiger ernannte Diplom-Pädagoge und Familientherapeut Jürgen Brand schlecht gearbeitet hätte, was wiederum die Frage aufwürfe, ob Richter Krause vom Amtsgericht Wipperfürth seinen Beschluss vom 05.07.2010, mit dem dem Vater unter Bezugnahme auf den als Sachverständiger ernannten Diplom-Pädagogen und Familientherapeuten Jürgen Brand das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen wurde, schlecht begründet hat, womöglich gar so schlecht, dass der Beschluss bei sachkundiger Prüfung in der Beschwerdeinstanz zu verwerfen wäre?

Dass Richter Krause vom Amtsgericht Wipperfürth den Antrag auf Bestellung eines Verfahrensbeistandes mit Beschluss vom 05.07.2010 ablehnte, das Oberlandesgericht Köln aber dem Kind einen solchen nur zwei Monate später mit Beschluss 02.09.2010 bestellt hat, spricht wohl nicht unbedingt für die Qualität der Verfahrensführung und Beschlussfassung durch Richter Krause vom Amtsgericht Wipperfürth.

 

Herr Bühren referiert in seinem Schreiben vom 07.10.2010 an das Oberlandesgericht Köln dann weiter über biografische Aspekte im Leben des Kindes A und über das Thema Bindungen, wobei er die Behauptung vorträgt:

 

„… ist Frau X als die primäre Bindungsperson für A anzusehen“ (S. 2)

 

Was Herr Bühren unter dem Begriff einer „primären Bindungsperson“ versteht und welche Bedeutung eine solche, wenn es sie denn gäbe, für das Kind A aktuell hätte, erläutert Herr Bühren leider nicht. Auf das Gutachten des als Sachverständigen ernannten Diplom-Pädagogen und Familientherapeuten Jürgen Brand bezieht sich Herr Bühren augenscheinlich nicht, denn Herr Brand verwendet den Begriff „primäre Bindungsperson“ nicht, sondern attestiert stattdessen:

 

„Festzustellen ist, dass die Eltern bislang in der Entwicklung von A in der Lage waren, der Tochter eine Grundlage zu bieten, in der sie sichere Bindungen hat entwickeln können, dies nicht nur zu den Eltern, sondern auch zu weiteren Bezugspersonen in den jeweiligen Familien. A hat somit sichere Bindungen zu Mutter und Vater entwickelt, …“ (Gutachten S. 40)

 

In so fern steht der Vortrag von Herrn Bühren im leeren Raum und man könnte meinen, ihm wäre es hierbei mehr um Suggestion, als um Argumentation gegangen.

 

Zum Thema Bindung:

Bowlby, John: Bindung und Verlust 1. Bindung; Reinhardt, München (Mai 2006)

Bowlby, John: Bindung und Verlust 2. Trennung: Angst und Zorn; Reinhardt, München (Mai 2006)

Bowlby, John: Bindung und Verlust 3. Verlust: Trauer und Depression; Reinhardt, München (Mai 2006)

Brisch, Karl Heinz; Grossmann, Klaus E.; Grossmann, Karin; Köhler, Lotte (Hrsg.): Bindung und seelische Entwicklungswege. Grundlagen, Prävention und klinische Praxis"; Klett-Cotta, 2002

Suess, Gerhard J.; Scheuerer-Englisch, Herrmann; Grossmann, Klaus: "Das geteilte Kind - Anmerkungen zum gemeinsamen Sorgerecht aus Sicht der Bindungstheorie und -forschung"; In: "Familie, Partnerschaft, Recht", 1999, Heft 3

 

 

Wenn man einmal unterstellen würde, Herr Bühren würde mit der Bezeichnung „primäre Bindungsperson“ eine für das Kind exklusive positive Bindungsbeziehung zu einer Person meinen, die in den ersten Lebensmonaten die meiste Zeit mit dem Kind verbracht hat, so ist dem entgegenzuhalten, dass eine solche Bindungsbeziehung nicht durch bloße Anwesenheit entsteht, sondern durch die Qualität der Interaktionen dieser Person mit dem Kind. Dass dies hier in einer für das Kind positiv bedeutsamen Weise im Kontakt mit seiner Mutter entstanden sein könnte, darüber bleibt Herr Bühren allerdings den Nachweis schuldig. Im übrigen kollidiert der Vortrag von Herrn Bühren mit der oben zitierten Feststellung des als Sachverständigen ernannten Diplom-Pädagogen und Familientherapeuten Jürgen Brand.

Schließlich bleibt aber noch festzustellen, dass der Mensch kein ein für alle Male determiniertes Wesen ist, sondern die Fähigkeit besitzt, neue Erfahrungen - im Guten wie im Schlechten - zu machen und aus diesen heraus, sein inneres Modell von der Welt weiterentwickeln oder zu verändern.

 

Vergleiche hierzu:

Gloger-Tippelt: Transmission von Bindung bei Müttern und ihren Kindern im Vorschulalter; In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie; 1999 (48), S. 113-128

Daniel N. Stern: "Die Lebenserfahrung des Säuglings"; Klett-Cotta; Auflage: 9., erw. Aufl. (Juni 2007)

 

 

Im übrigen mangelt es dem Vortrag von Herrn Bühren auch an Überzeugungskraft, welche Beziehungsqualitäten das Kind aktuell zu beiden Eltern hat und ob es Hinweise darauf gibt, wie sich dies in der näheren Zukunft fortentwickeln könnte.

Herr Bühren vergaloppiert sich dann auch noch in einem Zirkelschluss, wenn er schreibt:

 

„Hinsichtlich des zukünftigen Lebensmittelpunktes von A ist m.E. nicht nur ausschlaggebend, inwieweit sich ein Elternteil aus zeitlicher Sicht mehr in die Betreuungszeiten von A einbinden lässt als das andere, sondern inwieweit der Verbleib von A bei ihrer primären Bindungsperson - der Mutter - ermöglicht wird.“ (S. 2)

 

 

Herr Bühren reitet im folgendem auf dem von ihm aufgesattelten Pferd der Mutter als „primäre Bindungsperson“ herum, doch von Wiederholungen allein wird die Argumentationskraft nicht stärker. im Gegenteil, wenn man einen Kaffee drei Mal aufbrüht, schmeckt er davon nicht besser, sondern schlechter.

 

Die Frage der mangelnden Bindungstoleranz der Mutter spricht Herr Bühren zwar an, relativiert diese jedoch gleich wieder durch den Verweis auf deren vermeintliche Rolle als „primäre Bindungsperson“ des Kindes.

Ansonsten geht Herr Bühren aber offenbar von einer gleichwertigen Qualität der Eltern aus, obgleich er einräumt, dass die Betreuungsmöglichkeiten auf Seiten des Vaters besser sind, als auf Seiten der Mutter, was er aber - da es wohl nicht mit in seinem Plan, die Mutter an die Spitze der elterlichen Hierarchie zu setzen, zu relativieren sucht:

 

„Selbst wenn Herr Y seine Arbeitszeiten …“ (S. 2)

 

Herr Bühren zeigt schließlich noch seine offenbar prinzipielle Abneigung gegen das Wechselmodell (Paritätmodell). Während verschiedene Oberlandesgerichte dieses Betreuungsmodell unter der Voraussetzung hinreichender Kommunikationsbereitschaft der Eltern gutheißen

 

Vergleiche hierzu:

Gutjahr, Jens: "Gerichtliche Entscheidungen über die elterliche Sorge und das Umgangsrecht im Zusammenhang mit dem Wechselmodell; In: "Familie, Partnerschaft, Recht"; 07/2006, S. 301-305

 

 

fällt Herr Bühren sein Verdikt:

 

„… Das annähernde Wechselmodell bedient ausschließlich die Bedürfnisse und Interessen der beteiligten Erwachsenen der Familiensysteme X und Y.

A benötigt für ihre psychische Entwicklung jedoch Stabilität, Kontinuität, einen festen Lebensmittelpunkt sowie kindgerechte Umgangskontakte zum nichtbetreuenden Elternteil und nicht ein dauerndes Hin und Her, wie es derzeit praktiziert wird.“ (S. 2)

 

Herr Bühren zeigt hier nicht nur einen Unfehlbarkeitsanspruch auf Feststellung der Wirklichkeit, sondern auch ...

 

Mit seiner Formulierung: „kindgerechte Umgangskontakte zum nichtbetreuenden Elternteil“, zeigt Herr Bühren schließlich, dass ihm die Intention von

 

Artikel 6 Satz 2 Grundgesetz

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

 

 

wohl unbekannt ist, denn das Grundgesetz kennt keinen „nichtbetreuenden Elternteil“, sondern nur Eltern, denen das Pflichtrecht zugesichert wird, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen.

 

Vergleiche hierzu auch:

Leder, Matthias: "Elterliche Fürsorge - ein vergessenes soziales Grundmotiv"; In: "Zeitschrift für Psychologie"; 212 (1), 10-24, 2004

 

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 15.11.2010

...

 

 

 

 

 

 

Siehe hierzu auch die vorherige Expertise von Peter Thiel zum Gutachten des Diplom-Pädagogen Jürgen Brand vom 13.04.2010

 

 

 


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