Zur Stellungnahme des Verfahrenspflegers Jens Bosler an das Amtsgericht München vom 20.06.2005

 

Familiensache: X (Vater) und Y  (Mutter)

Kind: A geb. ....1999

 

Amtsgericht München

Geschäftsnummer: ...

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

...

 

 

Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf die vorliegende 13-seitige schriftliche Stellungnahme des Verfahrenspflegers und den Beschluss des Amtsgerichts vom 28.06.2005

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeines

 

Der Verfahrenspfleger referiert auf den Seiten 2 bis 9 die Positionen des Vaters und der Mutter. Dies ist allerdings nicht seine Aufgabe als Verfahrenspfleger, denn dieser ist weder Vertreter des Vaters noch der Mutter. Der Verfahrenspfleger ist auch kein Gutachter, der eine Beweisfrage des Gerichtes zu beantworten hätte.

 

Vergleiche hierzu:

Balloff, Rainer: Verfahrenspflegschaft und Sachverständigentätigkeit. Erfahrungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus Sicht eines Gutachters. In: Kind-Prax, 2/2003, S. 46-49

 

 

Der Verfahrenspfleger hat auch nicht die Aufgabe eines Mitarbeiters des zuständigen Jugendamtes oder eines gegebenenfalls vom Amtsgericht nach § 1909 zu bestellenden Ergänzungspflegers. Der Verfahrenspfleger vertritt vielmehr die Interessen des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren, wozu einerseits eine Sprecherfunktion gehört (subjektive Interessen des Kindes, Kindeswille) und andererseits Überlegungen zum Kindeswohl, (objektiven Interessen des Kindes). Um dies wirkungsvoll tun zu können, bedarf es sicher nicht der vorherigen Referierung der Positionen von Vater und Mutter, die ohnehin schon aktenkundig sein dürften

 

 

 

 

Einzelpunkte

Im folgenden soll untersucht werden, in wie weit es dem Verfahrenspfleger gelungen ist, in seiner Stellungnahme beginnend ab Seite 9, die Interessen des Kindes herauszufinden und diese gegebenenfalls wirksam in das familiengerichtliche Verfahren einzubringen.

Der Verfahrenspfleger schildert in seiner Stellungnahme (S. 9) eine Situation während des Hausbesuches bei der Mutter am 16.06.05, in der er offensichtlich erst mit der Mutter allein und danach mit dem Kind sprechen wollte. Die Mutter, so der Verfahrenspfleger, war offenbar gegenteiliger Absicht und wollte, dass der Verfahrenspfleger zuerst mit dem Kind spricht. Dies wurde vom Verfahrenspfleger offenbar weder bejaht noch verneint. Statt sich hier nun eindeutig zu positionieren und mit der Mutter hinsichtlich des weiteren Vorgehens zu vereinbaren oder gegebenenfalls auch im Dissens mit der Mutter den Hausbesuch abzubrechen, fragte der Verfahrenspfleger den fünfjährigen A, ob er ihm „sein Zimmer zeigen wolle“. Worauf der Junge dem Verfahrenpfleger mitteilte, „dass er nicht ohne seine Mutter“ mit ihm sprechen wolle (S. 9).

Der Verfahrenspfleger fand sich ab nun an in einer Situation, die er so wohl eigentlich nicht wollte. Gleichwohl führte er das Gespräch mit dem Jungen (dargestellt auf S. 9-10 sowie in einer dem Unterzeichnenden vorliegenden siebenseitigen Bandabschrift).

 

Der Verfahrenspfleger gibt dann unter der Überschrift „7. Zusammenfassung und Empfehlung“, seinen Eindruck vom Vater wieder, wobei man den Eindruck gewinnen kann, der Verfahrenspfleger wäre Interessenvertreter des Vaters, nicht aber des Kindes (S. 10/11). Gleichzeitig stellt der Verfahrenpfleger dar, dass er mit der Mutter offenbar keinen so guten Kontakt herstellen konnte wie mit dem Vater und es ihm nicht gelang, seine „Gesprächskonzepte, noch die geplanten Inhalte der Gespräche mit Mutter und Sohn zu verwirklichen“ (S. 11). Der Verfahrenspfleger muss sich aber wohl auch selbst vorwerfen lassen, dass dies so geschehen ist, denn er hat offenbar recht fixiert an seinem bisherigen Plan festgehalten, anstatt flexibel zu überlegen, wie sinnvoller Weise zu verfahren ist. So hätte er z.B. der Mutter sagen können, dass er unter den angetroffen Bedingungen nicht bereit ist, mit dem Kind zu sprechen und um eine Neuterminierung bittet, bei der er allein mit dem Kind sprechen kann. Wäre dies nicht gelungen, so hätte der Verfahrenspfleger dies ganz in Ruhe dem Familiengericht mitteilen können und gegebenenfalls eine gerichtliche Rahmung erbitten können, in der ihm ein Gespräch allein mit dem Kind möglich gewesen wäre.

Anhand der Stellungnahme des Verfahrenspflegers wird leider nicht klar, ob er mit der Mutter auch noch allein ein Gespräch geführt hat oder ob dieses Gespräch (S. 10) im Beisein des Kindes stattfand. Wenn dem so wäre, muss sich der Verfahrenspfleger fragen lassen, ob er hier in einer fachlich angemessenen Weise gehandelt hat.

 

 

 

Der Verfahrenspfleger trägt dann vor:

„Das Wohl von A bei seiner Mutter ist nach Ansicht des Verfahrenspflegers in besonderer Weise gefährdet. Zu dieser Ansicht gelangt er nach sorgfältiger Untersuchung des vorhandenen Datenmaterials“ (S. 10).

 

Der Verfahrenspfleger führt zur Stützung seiner Ansicht dann an, die Mutter befördere

„Ängste des Sohnes indem sie ihn – völlig unsensibel – immer wieder in eine in keiner Weise gerechtfertigte Entscheidungsposition bringt“. (S. 11)

 

 

 

Der Verfahrenspfleger schildert nachfolgend verschiedene Schwierigkeiten, die sich bisher bei der Realisierung von Umgangskontakten zwischen Vater und Kind ergaben (S. 12-13) und schreibt dann abschließend:

„Der Verfahrenspfleger spricht sich aus den oben genannten Erwägungen heraus dafür aus, A`s Lebensmittelpunkt ab sofort bei dem Vater einzurichten. Die Einrichtung einer Umgangspflegschaft zur Sicherstellung des Kontaktes zwischen Mutter und Sohn wird angeraten.“ (S. 13)

 

 

Vom Grundsatz der zu wahrenden Verhältnismäßigkeit befremdet der Vorschlag des Verfahrenspflegers. Wenn es beim Umgang bisher Schwierigkeiten gegeben hat, gilt es zu überlegen, was bisher falsch gemacht wurde und was nun anders gemacht werden kann. Watzlawick behandelt die „mehr desselben“, Lösungen verhindernde Herangehensweise ausführlich in seinem Buch : "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels".

 

 

„Mehr desselben – oder: Wenn die Lösung selbst das Problem ist

 

Zuerst wirbeln wir eine Menge Staub auf,
dann klagen wir, weil wir nichts mehr sehen.

George Berkeley

(1685 - 1753), englischer Philosoph und Theologe

zitiert nach Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 2003; S. 51

 

Nun bist du mit dem Kopf durch die Wand.

Und was wirst du in der Nachbarzelle tun?

Stanislaw J. Lec: Neue unfrisierte Gedanken

 

...

 

Was die bisher angeführten Beispiele gemeinsam haben und veranschaulichen sollen, ist die Tatsache, dass unter bestimmten Umständen das Entstehen von Problemen die unmittelbare Folge falscher Lösungsversuche einer bestehenden Schwierigkeit ist.“

Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003, S. 51-59

 

 

Zu überlegen ist also, welche Intervention unterhalb der Schwelle einer abrupten Herausnahme des Kindes aus dem vertrauten mütterlichen Haushalt und Überstellung in den väterlichen Haushalt – was eine weitere erhebliche zusätzliche und unnötige Belastung des Kindes darstellen dürfte - sinnvoll sein kann. Als ein Mittel der ersten Wahl böte sich dafür sicher eine Umgangspflegschaft an, deren Durchführung durch einen kompetenten, erfahrenen, feinfühligen und durchsetzungsfähigen Umgangspfleger für beide Eltern wie auch für das Kind von Nutzen sein können.

 

Vergleiche hierzu:

Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453

 

 

 

 

Peter Thiel, 06.07.2005

 

...

 

 

 

Literatur:

 

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Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453

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