Stellungnahme zur Familiensache
Herr X (Vater) und Frau Y (Mutter)
Kind: A. Y., geboren am .2005 (Sohn)
Amtsgericht Oschatz
Richterin Zöllner
Geschäftsnummer: 2 F 112/07
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
Herr X , der Vater von A , hat mich um eine kurze fachliche Stellungnahme zu verschiedenen dem Gericht vorliegenden Materialien gebeten.
1. Attest der Dr. med. Christa-Maria Rieder, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, 04808 Wurzen vom 21.05.2007
2. Schreiben des Kinderschutz Zentrum Leipzig, Herr Gerald Gruß zum Begleiteten Umgang - 13.02.2007
3. Stellungnahme von Herrn Hamann, Jugendamt des Landkreises Torgau-Oschatz vom 14.06.2007
Herr X strebt eine Regelung des Umganges mit seinem Sohn A durch das Amtsgericht Oschatz an.
Maßgebliche rechtliche Grundlagen für eine Regelung des Umgangs sind:
§ 1626 BGB (Elterliche Sorge, Grundsätze)
(1) ...
(2) ...
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.
§ 1684 BGB Umgang des Kindes mit den Eltern
(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.
(2) Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet.
(3) Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten regeln. Es kann die Beteiligten durch Anordnungen zur Erfüllung der in Absatz 2 geregelten Pflicht anhalten.
(4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann insbesondere anordnen, daß der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist. Dritter kann auch ein Träger der Jugendhilfe oder ein Verein sein; dieser bestimmt dann jeweils, welche Einzelperson die Aufgabe wahrnimmt.
§ 1697a BGB Kindeswohlprinzip.
Soweit nicht anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel (Anm.: §1626 bis 1698b) geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Zu 1. Attest der Dr. med. Christa-Maria Rieder
Während der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Umgang mit beiden Elternteilen in der Regel zum Wohl des Kindes gehört, versucht die privat von der Mutter konsultierte Dr. med. Christa-Maria Rieder in einem Attest vom 21.05.2007 - aufbauend auf den Erzählungen der Mutter - den Eindruck zu erwecken, der Umgang des Kindes mit seinem Vater könne zu einer „Fehlentwicklung“ des Kindes führen und das Kind „psychischen Streß“ aussetzen. Statt dessen solle es - nach Ansicht der Dr. med. Christa-Maria Rieder - keine „Genehmigung“ eines Begleiteten Umganges des Kindes mit dem Vater geben, da dies nach Meinung der Dr. med. Christa-Maria Rieder dem Kindeswohl wiedersprechen würde.
Frau Christa-Maria Rieder begründet allerdings nicht, warum es dem Kindeswohl wiedersprechen sollte, wenn der Vater Umgang mit seinem Sohn hätte. Sie trägt auch nicht vor, dass der Vater nicht dazu in der Lage wäre, einfühlsam und kindgerecht mit seinem Sohn umzugehen. Dies kann Dr. med. Christa-Maria Rieder auch nicht wissen, denn sie hat Vater und Sohn nicht im Kontakt erlebt, sondern nur die Mutter von A, die - so Christa-Maria Rieder: „den kleinen Patienten“ A in der kinderärztlichen Praxis vorstellte und offenbar später von der Kinderärztin ein Attest erbat. Nicht unwahrscheinlich erscheint, dass die Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. med. Christa-Maria Rieder berufsständig nicht ermächtigt ist, unaufgefordert gutachtenähnliche Stellungnahmen an ein Familiengericht zu versenden. Zutreffend dürfte wohl eher sein, dass ärztliche Atteste auf medizinische Erhebungen und darauf folgende mögliche medizinische Behandlungsempfehlungen zu beschränken sind, nicht aber einem Elternteil als Kampfmittel im familiengerichtlichen Verfahren zur Verfügung gestellt werden.
Vergleiche hierzu:
Andritzky, Walter: "Entfremdungsstrategien im Sorgerechts- und Umgangsstreit: Zur Rolle von (kin-der-)ärztlichen und -psychiatrischen `Attesten`.", In: "Das Parental Alienation Syndrome (PAS). Internationale Konferenz, Frankfurt(Main) 18.-19.Oktober 2002. Herausgegeben von Wilfried von Boch-Galhaus, Ursula Kodjoe, Walter Andritzky & Peter Koeppel. Verlag für Wissenschaft und Bildung 2003
Im übrigen sind die von Dr. med. Christa-Maria Rieder vorgetragenen Symptome des Jungen Zähneknirschen und Schlafstörungen - die sie aber wohl nur aus den Erzählungen der Mutter kennt und nicht selber diagnostiziert hat - derart unspezifisch, dass sie -– falls sie so aufgetreten sind - nicht kausal dem Kontakt des Kindes mit seinem Vater während des Begleiteten Umgang im Kinderschutz Zentrum Leipzig zugeordnet werden können, sondern Symptome einer ganz anderen Belastungssituation, beispielsweise einer Overprotectnes (Überbehütung) seitens der Mutter und einem damit einhergehenden Ausgrenzungsbemühen des Vaters seitens der Mutter geschuldet sein können.
Wäre dem so, dann wäre die Überbehütung des Kindes durch die Mutter ein deutliches Indiz für eine Kindeswohlgefährdung seitens der Mutter und man könnte davon ausgehen, dass die Einholung eines ärztlichen Attestes durch die Mutter Teil ihres Bemühens wäre, einen nachhaltigen Kontaktabbruch zwischen Vater und Sohn zu befördern, um so möglicherweise Enttäuschungen und Kränkungen aus der aufgelösten Beziehungen zwischen ihr und Herrn X zu kompensieren und gleichzeitig für die eigene emotionale Stabilisierung eine symbiotische Bindung des Sohnes an die Mutter sicherzustellen.
Vergleiche hierzu:
Klenner, Wolfgang: "Rituale der Umgangsvereitelung", In: "FamRZ", 1995, Heft 24, S. 1529-1535
Kodjoe, Ursula: "Elternentfremdung nach Trennung und Scheidung. Ein Überblick zur aktuellen Forschungslage bei Elternentfremdung"; In "Das Jugendamt", 9/2002, S. 386-390
Kraus, Martin: "PAS und seine Geschwister. Strukturell-systemische Überlegungen zur Ge-fährdung des Kindeswohls durch sechs verschiedene Muster pathologischer Trennungsbewältigung"; In "Das Jugendamt", 1/2002, S. 2-6
Napp-Peters, Anneke: "Mehrelternfamilien als `Normal`-Familien - Ausgrenzung und Eltern-Kind-Entfremdung nach Trennung und Scheidung"; In: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", 54: 792-801 (2005)
Walker, Wolfgang: "Die Forschungen zur Schizophrenie und die Entstehung der ´Double-Bind´-Hypothese", In: "Abenteuer Kommunikation. Baeteson, Perls, Satir, Erikson und die Anfänge des Neurolinguistischen Programmierens (NLP)", S. 93-103, Klett-Cotta 1996
Warshak, Richard: "Eltern-Kind-Entfremdung und Sozialwissenschaften"; In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 5/2005, S. 186-200
Zu 2. Stellungnahme des Kinderschutz Zentrums Leipzig
In der Stellungnahme des Kinderschutz Zentrums Leipzigs, Herr Gerald Gruß findet sich die dringende Empfehlung, dass beide Eltern im Rahmen einer Beratung die Möglichkeit nutzen sollen, Anliegen aus der Zeit als Paar zu klären. Dies ist offenbar bis heute nicht geschehen und es erscheint fraglich, ob die Mutter dazu bereit ist. Das von Frau Y privat eingeholte kinderärztliche Attest, lässt jedenfalls auf eine solche Bereitschaft nicht schließen.
Vergleiche hierzu:
Clement, Ulrich: „Offene Rechnungen“ - Ausgleichsrituale in Paarbeziehungen; Erschienen in: R. Welter-Enderlin u. B. Hildenbrand (Hrsg.): Rituale – Vielfalt in Alltag und Therapie; Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag 2002, S.122-138
Wardetzki, Bärbel: "Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung"; Kösel 2001
Wolf, Doris: "Wenn der Partner geht ... Die seelische Bewältigung der Trennung", In: "Fami-lie, Partnerschaft, Recht", 1997, H 1, 29-35
Die seitens des Kinderschutz Zentrums Leipzigs geäußerter Ansicht, dass das Alter des Kindes für die Kontaktanbahnung zwischen Vater und Sohn im Rahmen eines Begleiteten Umgangs als zu gering erscheint, ist leider nicht begründet worden. Die Erfahrungen der Praxis zeigen dagegen, dass dies sehr wohl möglich ist.
Vergleiche hierzu auch:
Fricke, Astrid, "Begleiteter Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern", In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 10/2005, S. 389-392
Im übrigen ist es eine Erfahrungstatsache, dass sicher gebundene Säuglinge und Kleinkinder sehr schnell vertrauensvolle Kontakte zu einem einfühlsam auftretenden Erwachsenen aufnehmen können.
Vergleiche hierzu:
Brisch, Karl Heinz; Grossmann, Klaus E.; Grossmann, Karin; Köhler, Lotte (Hrsg.): Bindung und seelische Entwicklungswege. Grundlagen, Prävention und klinische Praxis"; Klett-Cotta, 2002
Zu 3. Stellungnahme von Herrn Hamann, Jugendamt Torgau-Oschatz
Herr Hamann, Mitarbeiter des Jugendamtes gibt in seiner Stellungnahme vom 14.06.2007 das Geburtsdatum des Kindes mit ... .2007 an. Wenn dem so wäre, könnte sich das Gericht mit einer Umgangsregelung Zeit lassen, denn dann würde das Kind A erst in vier Monaten geboren. Tatsächlich ist A aber kein ungeborenes Kind und auch kein Baby mehr, was die Sache wesentlich vereinfacht.
Seitens der Mutter wird offenbar eine „bestehende starke Mutter-Kind-Bindung“ vorgetragen.
Vergleiche Jugendamtsbericht, Herr Hamann, 14.06.2007, S. 2
Nun ist es allerdings fraglich, ob es sich bei der hier behaupteten „starken Mutter-Kind-Bindung“ um eine sichere Bindung handelt, oder um eine eher neurotische Bindung, bei der dem Kind die Aufgabe zukommt, Stabilisierungsfunktionen für die Mutter zu übernehmen, was auf einen emotionalen Missbrauch des Kindes hinauslaufen würde.
Vergleiche hierzu:
Hubschmidt, Tedy; Kurz, Christina: "Das Elternkind", In: "Familiendynamik", 1986, Heft 3, S. 223-233
Eine Ausgrenzung des Vaters könnt in diesem Zusammenhang der Reduzierung von intrapsychischen Ängsten der Mutter dienen, wenn diese sich durch den Vater in ihrer exklusiven Rolle für den Sohn und der damit einhergehenden narzisstischen Aufwertung der eigenen Person durch den Sohn gefährdet sehen sollte.
Vergleiche hierzu:
Blesken, Karl W.: "Der unerwünschte Vater: Zur Psychodynamik der Beziehungsgestaltung nach Trennung und Scheidung", In: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", 1998, S. 344-354
Vorliegend wäre daher gegebenenfalls die Frage zu klären, in wie weit der Mutter der Aufbau einer sicheren Bindung für ihren Sohn gelungen ist und wenn nicht, wie solches im Nachhinein gegebenenfalls noch unterstützt werden. Die umgangsrechtliche Ausgrenzung des Vaters wäre dafür allerdings nicht das angezeigte Mittel, sondern wäre Ausdruck einer familiengerichtlichen Befürwortung der Etablierung einer kindeswohlgefährdenden exklusiven Mutter-Kind-Dyade.
Herr Hamann gibt als einen Grund für die feindselige Haltung der Mutter gegen den Vater an, dass die Mutter vor Herrn X Angst habe.
Vergleiche Jugendamtsbericht, Herr Hamann, 14.06.2007, S. 1
Ob dem so ist oder nicht und welche in der Vergangenheit liegenden Gründe dafür gegebenenfalls ursächlich sein könnten, sei dahin gestellt. Jedenfalls bietet der Aufbau eines Kontaktes zwischen Kind und Vater im Rahmen eines Begleiteten Umgangs gerade an, möglicherweise aus der Vergangenheit begründeten Ängsten der Mutter fachlich angemessen zu entsprechen. Eine unkontrollierte oder unbegleitete Zusammenkunft zwischen der Mutter und dem Vater ist beim Begleiteten Umgang ausgeschlossen. Der Unterzeichnende ist seit vielen Jahren im Begleiteten Umgang und auch als Umgangspfleger tätig und daher entsprechend aussagekräftig.
Vergleiche hierzu:
Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453
Im übrigen kann der Begleitete Umgang bei Bedarf - wie vom Kinderschutz Zentrum Leipzig angeführt – auch dafür genutzt werden, eine unabgeschlossene Paarproblematik aufzulösen und so im Interesse des Kindes zu einer zukünftigen sachlichen und verantwortungsvollen Co-Elternschaft beizutragen. Allerdings ist dem Unterzeichnenden nicht klar, ob die Mutter daran überhaupt Interesse hat. Möglicherweise geht es ihr eher darum, eine Täter-Opfer-Dichotomie zu konstruieren, in der sie das arme Opfer und der Vater der böse Täter ist, vor dem der Sohn geschützt werden müsse.
Vergleiche hierzu:
Cierpka, Astrid; Frevert, Gabriele; Cierpka, Manfred: "Männer schmutzen nur! Eine Untersuchung über alleinerziehende Mütter in einem Mutter-Kind-Programm."; In: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", 41, 1992, S. 168-175
Stoffels, H.; Ernst, C.: "Erinnerung und Pseudoerinnerung. Über die Sehnsucht, Traumaopfer zu sein."; In: "Der Nervenarzt", 5/2002, S. 445-451
Watzlawick, Paul: "Die erfundene Wirklichkeit". Wie wir wissen, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus", 1985, Piper Verlag, München
Der Unterzeichnende geht auf Grund seiner langjährigen fachlichen Erfahrungen davon aus, dass die Einrichtung eines Begleiteten Umganges allein wohl nicht ausreichen wird, den wünschenswerten Beziehungsaufbaus zwischen A und seinem Vater in ausreichendem Maße zu befördern. Um die Durchführung es Begleiteten Umganges sicherzustellen, dürfte die Einrichtung einer flankierenden Umgangspflegschaft nach §1909 BGB angezeigt sein. Dem Umgangspfleger käme hier gegebenenfalls die Aufgabe zu, gegenüber der Muter auf die Einhaltung festgelegter Termine beim Begleiteten Umgang hinzuwirken. Geschieht das nicht, so geht der Unterzeichnende davon aus, dass seitens der Mutter keine ernsthaften Bemühungen unternommen werden, den Kontakt zwischen Kind und Vater zu fördern. Über kurz oder lang wäre dann das Gericht erneut gefordert, dazu eine entsprechende Regelung zu treffen.
Weiterhin kann es sinnvoll sein, dass das Gericht der Mutter die Möglichkeit der Inanspruchnahme psychotherapeutischer Unterstützung zur Stabilisierung ihrer eigenen emotionalen Lebenssituation aufzeigt und gegebenenfalls auch gerichtlich verbindlich festlegt. Um so mehr es der Mutter durch eine solche Unterstützung gelänge, eigene Ängste zu reduzieren und Vertrauen in die eigene Kraft und Beziehungsfähigkeit und ihre mütterliche Kompetenz zu entwickeln, um so stärker würde das Risiko minimiert werden, dass der Sohn der Mutter zukünftig als Partnerersatz zur Verfügung stehen müsste und ein dauerhafter Kontaktabbruch von Kind und Vater vorprogrammiert wird.
Bei Bedarf steht der Unterzeichnende den Eltern und dem Gericht für die Übernahme verschiedener Aufträge wie Mediation, Begleiteter Umgang oder Umgangpflegschaft zur Verfügung.
Peter Thiel, 17.07.2007