Konstruktivismus
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Sollte sich eine der hier namentlich genannten Fachkräfte ungerecht oder in unzulässiger Weise behandelt fühlen, so kann sich diese zur Klärung ihrer Einwände direkt an mich wenden. Der direkte Weg erspart der betreffenden Fachkraft möglicherweise Anwalts- und Gerichtskosten in erheblicher Höhe, so wie sie etwa der Diplom-Psychologe Klaus Schneider im Rechtsstreit mit Peter Thiel vor dem Landgericht Berlin hinnehmen musste.
Zur Frage der Zitierfähigkeit familiengerichtlich eingeholter Gutachten - Urteil des Landgerichtes Berlin vom 07.11.2006 - 16 O 940/05 - Landgericht Berlin - Rechtsstreit Diplom-Psychologe Klaus Schneider gegen Peter Thiel - Veröffentlicht auch in: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht", 16/2007, 15.08.2007, S. 1324-1325
Auf Grund der an einigen Amts- und Landgerichten, so z.B. beim Landgericht Frankenthal und beim Landgericht Hamburg, möglicherweise in Einzelfällen stattfindenden Zensur und der Beschneidung der Informations- und Meinungsfreiheit zugunsten sich hier kritisiert sehender Fachkräfte, erkläre ich vorsorglich, dass es sich auf meiner Internetseite - wenn nicht eindeutig von mir als Tatsache vorgetragen - immer um meine persönliche, verfassungsrechtlich geschützte Meinung handelt, die als solche naturgemäß weder wahr noch falsch sein kann. Mithin wird von mir auch ausdrücklich erklärt, dass es sich bei meiner Meinung, dass an einigen Amts- und Landgerichten, so z.B. beim Landgericht Frankenthal und beim Landgericht Hamburg, Zensur ausgeübt wird und die Informations- und Meinungsfreiheit zugunsten sich hier kritisiert sehender Fachkräfte beschnitten wird, um meine persönliche Meinung, nicht aber um eine Tatsachenbehauptung handelt.
Peter Thiel
Systemischer Berater, Systemischer Therapeut / Familientherapeut (DGSF), Verfahrenspfleger (SPFW Brandenburg) und Umgangspfleger
27.10.2018
Konstruktivismus
Die gute Nachricht zuerst: Alle haben irgendwie recht.
Und nun die schlechte Nachricht: Nicht jeder hat die Macht, sein Recht auch zu behaupten oder gar durchzusetzen.
Entgegen der Auffassung der traditionellen philosophischen Erkenntnistheorie, die den Unterschied von Subjekt und Objekt als konstitutiv für die Philosophie ansieht, vertritt der Radikale Konstruktivismus den Standpunkt, daß es keine vom Beobachter unabhängige Wirklichkeit gibt und daß wir unsere Wirklichkeit selbst konstruieren. Danach ist das Objekt immer nur Objekt eines Subjekts und der Anspruch ist, daß man mit dieser Alternative die Komplexität der in den Wissenschaften untersuchten Prozesse und die Bedeutung der einzelnen Elemente in diesen Prozessen angemessener erklären kann als mit anderen Theorien.
http://www.uni-koblenz.de/~odsjgroe/konstruktivismus/index1.htm
Im Kapitel "Distanz und Nähe" habe ich schon die folgende von Paul Watzlawick erzählte Geschichte zitiert:
"In einem Reitklub von São Paulo passiert es, dass von einer dort befindlichen Terrasse, die nur über ein niedriges Geländer verfügt, immer wieder Personen hinunterfallen und sich dabei schwer verletzen. Ein Anthropologe soll der Sache nachgegangen sein und kam zu einem Resultat, dass es in verschiedenen Kulturen verschiedene Regeln gibt, wie der Abstand zu sein hätte, wenn zwei Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Der "richtige" Abstand bei einem Gespräch in Nordamerika ist die Armlänge. In Südamerika (und Mitteleuropa) ist der "richtige" Abstand geringer als eine Armlänge. Ein Nordamerikaner und ein Brasilianer kommen auf der Terrasse ins Gespräch. Der Nordamerikaner stellt den "richtigen" Abstand her, eine Armlänge, der Südamerikaner stellt darauf hin den "richtigen" Abstand her, er rückt auf. Der Nordamerikaner rückt zurück und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her, der Südamerikaner rückt auf und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her. Der Nordamerikaner rückt zurück und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her, der Südamerikaner rückt auf und stellt damit wieder den "richtigen" Abstand her. ... , der Nordamerikaner rückt zurück, um den "richtigen" Abstand herzustellen und fällt schließlich rücklings über das zu niedrige Geländer.
Tiefenpsychologisch betrachtet würde die Diagnose gestellt, der Nordamerikaner folge seinem Todestrieb. Wir sehen jedoch, dass es das Beharren und Insistieren auf den "richtigen" Abstand in der Interaktion der beiden Gesprächspartner ist, dass schließlich dazu führt, dass der Nordamerikaner die Terrasse herunter fällt."
wiedergegeben nach Paul Watzlawick: "Vom vermeintlichen Sinn des Unsinns", Baseler Psychotherapietage 1998, Video
http://auditorium-netzwerk.de/
Diese Geschichte passt ganz gut, um den Grundgedanken des Radikalen Konstruktivismus (hier abgekürzt als "Konstruktivismus" bezeichnet), für den Autoren wie Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld und Paul Watzlawick als Vertreter stehen, zu erläutern: Realität (Wirklichkeit) ist nicht an sich gegeben, sondern wird vom Menschen konstruiert. Dies trifft insbesondere auf die sogenannte Realität (Wirklichkeit) zweiter Ordnung zu. Was der "richtige" Abstand zwischen zwei Menschen ist, ist keine naturgegebene Konstante, sondern hängt von den Lebenswirklichkeiten der betreffenden Personen ab. Der "richtige" Abstand für einen Südamerikaner ist kürzer als der eines Nordamerikaners. Beide versuchen in der Interaktion, den jeweils für sie "richtigen" Abstand herzustellen, mit der Folge, dass der Nordamerikaner, der immer einen Schritt zurücktritt, um den "richtigen" Abstand herzustellen, schließlich rücklings die Terrasse herunterfällt. Watzlawick merkt ironisch an, dass ein monadisch denkender Psychoanalytiker meinen würde, der Absturz des Nordamerikaners wäre Ausdruck seines Todestriebes (Thanatos).
Die verrücktesten Konstrukteure finden wir, wen kann das wundern, in den Chefetagen der Gesellschaft. Wer schreibt, der bleibt oder wer gut fabulieren kann, kommt oft weit oben. So wäre z.B. der Lügenbaron Münchhausen bestens geeignet gewesen, die Stelle eines Richters am Bundesverfassungsgericht einzunehmen. Denn dort muss man sich die Gesellschaft jeden Tag zu recht konstruieren, um den Wandel ein wenig aufzuhalten. So etwa wenn der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht unter seinem Vorsitzenden Prof. Dr. jur. habil. Dr. h.c. Hans-Jürgen Papier, ein Mann der sich mit dem von ihm geführten Ersten Senat für die nächsten hundert Jahre einen guten Platz unter den größten Sciencefiction Autoren Deutschlands gesichert haben dürfte, in dem er dem verblüfften Publikum im Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003 - 1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01 - Gemeinsame elterliche Sorge nichtverheirateter Eltern für nichteheliche Kinder - einen idealtypisch phantasierten unverantwortlichen nichtverheirateten Vater und eine idealtypisch phantasierten verantwortungsvolle nichtverheiratete Mutter erfindet, um die Diskriminierung sorgerechtliche Diskriminierung nichtverheirateter Väter und ihrer Kinder zu rechtfertigen.
Wahrheit
„Jede Wahrheit durchläuft drei Stufen:
Erst
erscheint sie lächerlich,
dann wird sie bekämpft, schließlich ist sie
selbstverständlich.“
(Arthur Schopenhauer)
Was Schopenhauer da so sagt, scheint im ersten Moment "richtig" zu sein. Wer könnte da nicht Beispiele nennen, wo neue Gedanken, anfangs lächerlich erschienen, später bekämpft und schließlich selbstverständlich wurden. So etwa der Traum des Menschen vom Fliegen.
Der Schneider von Ulm
(Ulm 1592)
„Bischof, ich kann fliegen“,
Sagte der Schneider zum Bischof.
„Pass auf,
wie ich’s mach’!“
Und er stieg mit so ‘nen Dingen,
Die aussahn wie
Schwingen
Auf das große, große Kirchendach.
Der Bischof ging weiter.
„Das sind so lauter Lügen,
Der Mensch ist kein Vogel,
Es wird nie ein
Mensch fliegen“,
Sagte der Bischof vom Schneider.
...
Bert Brecht
Bei einigem Nachdenken wird man aber hinsichtlich des von Schopenhauer verwendeten Begriffs der Wahrheit vorsichtiger werden. Denn was Schopenhauer meinen könnte, ist nicht die Wahrheit (Wirklichkeit 1. Ordnung wie es im Radikalen Konstruktivismus heißt), sondern die Idee, Weltanschauung oder Meinung (Wirklichkeit 2. Ordnung). Hier hat sich im Bereich des Familienrechtes in den letzten hundert Jahren einiges entwickelt, so etwa beim nichtverheirateten Vater und seinen Kindern, die in der reaktionären Bundesrepublik Deutschland der Nachkriegszeit noch nicht einmal als verwandt galten, staatlicherseits gab es nur eine "Zahlvaterschaft". Es dauerte bis Anfang des 21. Jahrhunderts, bis die staatlcihe Diskriminierung nichtverheirater Väter und ihrer Kinder, die letzlich auf gesellschaftlichen Konstrukten beruhte, zu Großen teilen, aber immer noch nicht vollständig, abgeschafft wurde. Gleiches erleben wir aktuell in der Debatte um das Paritätmodell / Wechselmodell. Auch hier viele Jahrzehnte das ideologische Konstrukt: Was nicht sein darf, das nicht sein kann.
Der Wertewandel in der Gesellschaft führt zwischenzeitlich dazu, dass sich das Paritätmodell aus einem mit Missstrauen bedachten Nischendasein zu einem gesellschaftlichen Leitmodell entwickelt, sehr zum Missgefallen von SPD gehätscheltten Lobbyistenverbänden sogenannter "alleinerziehender Mütter und Väter", die den totalítären Anspruch auf Alleinvertretung und Besitz über "ihr" Kind zum Maßstab (Wahrheit) aller Dinge, bis hin zur Steuerklasse und der väterdiskriminierenden "Mütterrente" erklärt haben.
Die systemische Therapie und Beratung ist ganz wesentlich vom Konstruktivismus inspiriert. Sie hat sich damit aus der Sackgasse befreit, in der sich zum Beispiel die Psychoanalyse befindet, die fußend auf dem Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts, meint, dass ihrem Theoriegebäude Wahrheitswert zukäme. Die Psychoanalyse und andere auf dem Wahrheitsparadigma pochende psychologische Schulen befinden sich in einem ähnlichen Dilemma in dem sich die Astronomen vor Kopernikus und Galilei befanden, die auf der Grundlage des Ptolemäischen Weltbildes, nach dem die Sonne um die Erde kreist, versuchten, die Planetenbahnen vorher zu bestimmen und dabei zu immer größeren akrobatischen Kunstgriffen Zuflucht nehmen mussten, da ihnen die Berechung dieser Bahnen unter Zugrundelegung des alten Weltbildes nicht gelang. So wurde die Psychoanalyse immer unverständlicher und spekulativer, was die Krankenkassen allerdings nicht daran hindert, ihr einen Heilungseffekt zuzusprechen, obgleich die Kostenfinanzierung für ein einfaches Mutter Maria Heiligenbild in Höhe von 20 Euro vielleicht den gleichen Placeboeffekt wie eine dreijährige Psychoanalyse für 20.000 Euro hervorrufen könnten.
Wenn es nach den Angaben bestimmter psychologische Lexika ginge, so könnte man jedoch meinen, es gäbe gar keine Theorie mit dem Namen Konstruktivismus oder Radikaler Konstruktivismus oder wenigstens, diese hätten für das Gebiet der Psychologie keine wesentliche Bedeutung.
So kann man z.B. im "Lexikon der Psychologie" von Arnold, Wilhelm; Eysenck, Hans-Jürgen; Meili, Richard, erschienen im Jahr 1997, den Begriff Konstruktivismus nicht finden.
Arnold, Wilhelm; Eysenck,
Hans-Jürgen; Meili, Richard: "Lexikon der Psychologie"; Augsburg 1997
Man könnte daher postulieren, es gäbe gar keinen Konstruktivismus, aber immerhin eine Psychoanalyse, denn dieser werden in dem Lexikon vier Seiten gewidmet.
Im Sinne des Konstruktivismus, könnte man der Konstruktion, es gäbe keinen Konstruktivismus, keinen Wahrheitsgehalt zusprechen, denn jeder konstruiert sich die Wirklichkeit so, wie er sie braucht oder sieht. Die Aussage "Es gibt keinen Konstruktivismus" ist daher weder wahr noch falsch. Alles verstanden?
Wenn man aber der Meinung folgt, es gäbe einen Konstruktivismus oder gar noch einen radikalen Konstruktivismus, dann könnte man sicher auch fragen, was ist das?
Wer es weniger wissenschaftlich mag, der sei ganz einfach auf Astrid Lindgrens Geschichten von Pippi Langstrumpf, genauer Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf verwiesen. Die neunjährige Pippi lebt ohne ihre Eltern, ihr Papa ist Kapitän und ihre Mutter ein Engel, gemeinsam mit dem Affen Herrn Nilson und ihrem Pferd in der Villa Kunterbunt. Pippi ist eine radikale Konstruktivistin und erfindet sich die Welt täglich selbst. Das machen zwar auch alle anderen Leute, auch die, die sich ausdrücklich als Nichtkonstruktivist erklären würden, doch bei Pippi fällt die Konstruktion sofort auf, da sie die hergebrachten Normen, also die Definitionen, wie es richtig oder wahr sei, für sich nicht in Anspruch nimmt und statt dessen ihre eigene Definition für zutreffend ansieht.
So z.B. als Pippi, in ein Kinderheim gebracht werden soll. Eines Tages erscheint vor der Villa Kunterbunt ein Schutzmann, um Pippi in ein Kinderheim zu bringen, denn Pippi lebt ohne ihre Eltern in der Villa Kunterbunt, was in einem Land wie Schweden, wo alles seine Ordnung hat, so nicht gehen soll. Der Schutzmann versucht Pippi zu überzeugen mitzukommen. Doch Pippi antwortet ihm: Ich hab schon ein Platz in einem Kinderheim und erklärt dem verdutzten Polizisten auf die Villa Kunterbunt weisend: Ich bin ein Kind und das ist mein Heim. Also ist es ein Kinderheim. Und Platz habe ich hier, reichlich Platz.
Liebes Kind, das verstehst du nicht, du musst in ein richtiges Kinderheim, sagt der Schutzmann.
Siehe hierzu auch:
Das Pippilotta-Prinzip. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt
Christine Weiner, Carola Kupfer
Campus Verlag, 2006
Konstruktion
Zuerst wirbeln wir eine Menge Staub auf,
dann
klagen wir, weil wir nichts mehr sehen.
George Berkeley
(1685 -
1753), englischer Philosoph und Theologe
zitiert nach Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 2003; S. 51
Wir leben in einer Welt der Konstruktionen. Dieser Satz ist selber eine Konstruktion, denn er suggeriert, man wüsste, wie "die Wirklichkeit" wirklich ist, hier also die Konstruktion: Wir leben in einer Welt der Konstruktionen. Dies eingestanden, kann sich der Satz allerdings als nützlich und passend erweisen, denn er ermöglicht uns Sinn und Ordnung zu entdecken, d.h. im Sinne des Konstruktivismus, in "die Wirklichkeit", die eine Erfindung von uns ist, zu projizieren. Dies kann dazu beitragen, dass wir uns wohl fühlen, Freude am Leben haben, aktiv sein können, etc.
Der radikale Konstruktivismus wurde durch Paul Watzlawick bekannt gemacht. Konstruktivistisches Gedankengut findet man allerdings schon viel früher, so etwa bei Karl Marx, als dieser 1845 in den "Thesen über Feuerbach" schrieb:
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Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.
http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_005.htm
Marx hat hier die Konstruktion von Wirklichkeit durch die Philosophie und das Element der Veränderung von Wirklichkeit erster Ordnung ("die Welt") als das für ihn wesentliche benannt.
Paul Watzlawick versammelt in seinem Sammelband "Die erfundene Wirklichkeit". Wie wir wissen, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus", 1985, Piper Verlag, München; eigene Aufsätze und Aufsätze von Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster, Rupert Riedl, David I, Rosenhan, Rolf Breuer, Jon Elster, Gabriel Stolzenberg, Francisco Varela. Watzlawick würde statt des Begriffs Konstruktivismus lieber den Begriff Wirklichkeitsforschung benutzen, allerdings ist der Begriff Konstruktivismus schon etabliert.
Wir leben in einer Welt der Konstruktionen, d.h. wir verleihen jeden Tag den Dingen ("der Realität) einen Sinn. Sei es, dass wir an einer rot leuchtenden Ampel stehen und stehen bleiben, weil wir das rote Licht als Aufforderung zum Warten verstehen. Das gleiche rote Licht im Rotlichtviertel der Hamburger Reeperbahn interpretieren wir in der Regel als Aufforderung in eines der zwielichtig erscheinenden Etablissement einzutreten und je nach dem welche Sicht wir auf einer solche projizierte Aufforderung haben, ob wir Frau oder Mann sind, laufen wir schnell weiter oder gehen mit mehr oder weniger Skrupeln hinein. Ein zufällig durch Hamburg laufender unzivilisierter Eingeborener eines Südseevolkes (den es wahrscheinlich so gar nicht mehr gibt), wird sich vielleicht an dem roten Licht erfreuen und meinen, es handle sich hier um eine spezielle Form von Ahnenkult. Zu Hause wird er dann berichten, bei den Hamburgern scheint es sich um ein sehr spirituelles Volk zu handeln.
Für die Vertreter der Schulmedizin ist die Epilepsie eine neurologische Erkrankung ("Epilepsie. Fallsucht. paroxysmale Funktionsstörungen des Gehirns infolge exzessiver Entladungen von Neuronen", Pschyrembel "Klinisches Wörterbuch"). Das ist so weit weder falsch noch wahr, sondern erst einmal nur eine Konstruktion. Möglicherweise hilft diese Konstruktion und die darauf aufbauenden schulmedizinischen Interventionen den Menschen, die epileptische Anfälle haben. Vielleicht auch nicht. Vielleicht nimmt die Intensität der Anfälle sogar noch zu oder die verabreichten Medikamente haben erhebliche unangenehme Nebenwirkungen. Dann ist es womöglich an der Zeit, sich nach anderen Wirklichkeitskonstruktionen umzusehen, so z.B. nach psychosomatisch orientierten, die in der Epilepsie Energiestaus sehen, die infolge anhaltender Unterdrückung schließlich wie bei der Explosion eines Vulkans zum Ausbruch in Form eines epileptischen Anfalls kommen. Die Vertreter eines psychosomatischen Ansatzes werden dem Betroffenen eher empfehlen eine Psychotherapie zu beginnen. Wider anders die homöopathische Wirklichkeitskonstruktion nach Samuel Hahnemann. Nach einer ausführlichen Anamnese wird der Homöopath dem Betroffenen hochverdünnte, nach klassischer physikalischer Auffassung wirkungslose Präparate verabreichen.
Was ist nun die "richtige" Therapie? Die "richtige" Therapie könnte man aus Sicht des Betroffenen als die bezeichnen, die ihm hilft, oder wie es Ernst von Glasersfeld sagt, die passt. Aus Sicht der Krankenkasse ist es vielleicht die preiswerteste der im Leistungskatalog verzeichneten Therapiemethoden. Aus Sicht eines Psychoanalytikers mag es die Therapie sein, die am längsten bezahlt wird. Wer entscheidet aber darüber was passt oder passen soll? Nun, das ist manchmal der Betroffene selbst, sofern er ein Wahrecht hat und es auch nutzt, wobei sich auch später herausstellen kann, dass er sich geirrt hat. Im staatlich-bürokratisch verwalteten "Wohltatensektor" - die DDR lässt grüßen - sind es aber in der Regel sogenannte Experten, die wie im Kaufhaus eine Mutter zu ihrem Sohn meint, die Hose passe doch sehr gut, während der Sohn im Stillen die Mutter verflucht und meint, mit diesen Hochwasserhosen könne er sich doch in seiner Schulklasse nicht blicken lassen.
In der Welt familiengerichtlicher Verfahren spielen Konstruktionen eine große Rolle, nicht nur dass verständlicherweise die verfahrensbeteiligten Eltern konstruieren, dass sich die Balken biegen, sondern auch die beteiligten "Experten", seien es Familienrichter, Gutachter, Jugendamtsmitarbeiter, Verfahrensbeistände oder Rechtsanwälte. Diese konstruieren wild drauf los und behaupten dann meist noch, dass was sie konstruieren, wäre die Wirklichkeit. Die größten Konstrukteure sind naturgemäß die sogenannten Gutachter, denn von diesen erwartet der juristisch denkende Familienrichter ein Höchstmaß an Vortrag Wie die Wirklichkeit wirklich ist, was auf Grund der prinzipiellen Nichtfeststellbarkeit der Wirklichkeit wie sie wirklich ist, naturgemäß nur über erfundene Konstruktionen suggeriert werden kann, es sei denn man beschränkt sich wie z.B. der Diplom-Psychologe Udo Lünebrink auf das überprüfbare aber banale Mitteilen von Wirklichkeiten erster Ordnung (Watzlawick):
"Sie hat blaue Augen und schulterlanges Haar ...", "... schwarze Nylon-Strümpfe und bordeaux-rot-schwarze Lacklederschuhe. Sie hat einen schwarzen Lederrucksack dabei".
Diplompsychologe Udo Lünebrink, Gutachten für Amtsgericht Nettetal, 17.10.2001
Um festzustellen, was für eine Augenfarbe eine sogenannte Probandin hat, braucht ein Richter keinen Diplom-Psychologen für teures Geld zu beauftragen, das kann er auch selbst machen, wenn er nicht blind oder farbenblind ist.
Manche Diplom-Psychologen setzen sich zum Ziel, durch eine sogenannte psychologische Untersuchung die Persönlichkeitsstruktur verfahrensbeteiligter Personen zu erkennen. Zu solchen hellsichtigen Psychologen gehört möglicherweise auch die Mainzer Diplom-Psychologin Inge Mayer-Bouxin. Nun ist das mit der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen leider oder Gott sei Dank aber so, dass diese gar nicht erkennbar ist, sondern nur konstruiert werden kann. Denn das, was uns in den verschiedensten psychologischen, psychiatrischen oder psychotherapeutischen Schulen als Persönlichkeitsstruktur angeboten wird, sind allesamt Konstruktionen, sei es die sogenannte schizoide Persönlichkeits- oder Körperstruktur nach Wilhelm Reich und Alexander Lowen oder die sogenannte paranoide Persönlichkeit nach der amerikanischen DSM-IV.
"Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV" (American Psychiatric Association: Diagnostic an Statistical Manual of Mental Disorders, Fourth Edition; Washington, D.C., 1994), Hogrefe, Verlag für Psychologie, 1996, ISBN 3-8017-0810-1
Wer also behauptet, er könne die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen erkennen, der ist entweder so wie Dr. Josef Goebbels ein großer Demagoge oder wie der Baron von Münchhausen ein großer Märchenerzähler oder auch nur jemand, der von sich meint, er könne Menschen bestimmten, selbst oder von anderen erfundenen Schubladen zuordnen.
Literatur:
Paul Watzlawick; Janet H. Beavin; Don D. Jackson: "Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern; 1969/2000/2003
Paul Watzlawick; John H. Weakland; Richard Fisch: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003
Paul Watzlawick: "Die erfundene Wirklichkeit. Wie wir wissen, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus", Piper Verlag, München, 1985
Paul Watzlawick: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?"; Piper; München, 1995
Paul Watzlawick; Giorgio Nardone: "Kurzzeittherapie und Wirklichkeit"; Piper Verlag, München, 1999
Paul Watzlawick: "Münchhausens Zopf oder Psychotherapie und `Wirklichkeit`", Verlag Hans Huber, 1988; Piper Verlag, 2005
Konstruktion von Recht
An den deutschen Gerichten konstruieren jeden Tag Tausende von Richtern Wirklichkeit und verkaufen ihre Konstruktionen oft auch noch als "Urteil im Namen des Volkes". Grad so, als ob das Volk ihnen einen Auftrag gegeben hätte oder wenigstens ihr Urteil vorab zu Kenntnis genommen hätte.
Zum Glück tragen nicht alle Richter vor, dass ihre Rechtsprechung angeblich im Namen des Volkes erfolgt. So belassen es etwa die drei Richter der 2. Kammer am Verwaltungsgericht Berlin
Xalter - Präsidentin am Verwaltungsgericht
Becker - Richter am Verwaltungsgericht
Hömig - Richter am Verwaltungsgericht
bei einem Beschluss, der ohne den virtuellen Segen des deutschen Volkes auskommt.
Der Beschluss - VG 2 L 181/11 - vom 12.12.2011 hat es allerdings in sich. So behaupten die drei Richter:
"Der vorläufige Rechtsschutzantrag des Antragstellers hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig. Der Antragsteller hat nicht geltend gemacht, durch die Wahl der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vom 16. November 2011 entsprechend § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in eigenen Rechten verletzt worden zu sein. ..."
Siehe hierzu ausführlich:
Dann wird auch noch behauptet, der Antrag wäre, "seine Zulässigkeit unterstellt, auch unbegründet."
"Die Notwendigkeit eines Erlasses einer einstweiligen Anordnung ... ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen ... . Dies ist dem Antragsteller nicht gelungen."
Dabei liegt die Notwendigkeit eines Erlasses einer einstweiligen Anordnung für jeden einsichtigen Menschen auf der Hand, grad so wie die Tatsache, dass es in Deutschland im Winter kalt wird und man von daher im Spätherbst die Heizung aufdrehen oder sich warme Sachen anziehen muss, damit man nicht erfriert. Es erscheint doch recht unwahrscheinlich, dass sich unsere drei Verwaltungsrichter dies erst in der Tageszeitung anlesen müssen, um sachgerecht handeln zu können.
Genau so ist es mit dem Umstand, dass die pauschale Verwehrung einer angemessenen Kandidatur einem sachkundigen Bürger genau dieses Engagement verwehrt, weswegen er nun vor dem Verwaltungsgericht klagt. Soll der Kläger etwa im regulären Verfahren monate- oder gar jahrlang auf eine gerichtliche Klärung warten, während dessen der in dem kritisierten Prozedere "gewählte" Jugendhilfeausschuss bereits tagt und Beschlüsse trifft, ohne dass dem ausgegrenzten sachkundigen Bürger Peter Thiel eine eventuelle Mitwirkung eröffnet wäre.
Als ob eine solche doppelte Zurückweisung allein nicht schon reichen würde, den widerborstigen Antragsteller Peter Thiel in die staatlichen Schranken zu weisen, legen die drei Richter den Streitwert auch noch auf 5.000 € fest. Dabei geht es in dem Streit um die Frage, ob ein engagierter Bürger die Möglichkeit erhält, in angemessener Zeit für eine ehrenamtliche Tätigkeit im Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Bezirkes Pankow zu kandidieren oder nicht. Es geht also um ein staatlich anerkanntes bürgerschaftliches Engagement, für das die Richter Xalter, Becker und Hömig einen Streitwert von 5.000 € ansetzen. Kein Wunder, wenn sich viele Bürgerinnen und Bürger in unserem vormundschaftlich organisierten Staat ins Private zurückziehen, wenn ehrenamtliches Engagement tendenziell eher bestraft als gefördert wird.