Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Prof. Dr. Wilfried Hommers vom 16.06.2003
Familiensache X
am Amtsgericht Obernburg
Geschäftsnummer: 3 F 15/03
Richterin Frau Beck
Kinder:
A, geb. ... 1994
B, geb. ... 1996
C, geb. ... 1999
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 27.01.2003:
" ... zu welchem Elternteil die gemeinsamen Kinder der Parteien jeweils die engeren und tieferen Beziehungen haben und welcher Elternteil jeweils zur Betreuung und Erziehung der Kinder besser geeignet ist."
Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 76-seitige schriftliche Gutachten.
Allgemeines
Das Gutachten erscheint insgesamt unbrauchbar, um das Gericht bei seiner Arbeit unterstützen zu können.
1. Die Idee des Sachverständigen (SV), dass die körperliche Züchtigung des Sohnes A durch seinen Vater "eine vermutlich richtige und wirkungsvolle Reaktionsweise gewesen wäre" (S. 67), läßt die Frage aufkommen, ob der SV nicht unverzüglich durch das Gericht von seiner Aufgabe entbunden werden muss. Der SV sollte §1631 (2) BGB zur Kenntnis nehmen, in dem es heißt: "Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."
Seine privaten Anschauungen möge der SV für sich behalten oder politisch für die Einführung der Prügelstrafe tätig werden.
2. Das Gutachten lässt in seiner Weitschweifigkeit, Verliebtheit ins Detail und ausführlichen Berichterstattung beim Unterzeichnenden die Frage aufkommen, ob das Gericht sich die Mühe machen wird, dieses vollständig durchzuarbeiten. Allein die "Stellungnahme" erstreckt sich über 17 Seiten (S. 58) und bereitet in der Durcharbeitung und Durchdringung selbst dem fachlich versierten Leser wie dem Unterzeichnenden einige Mühe.
In der gut einseitigen Zusammenfassung auf S. 75 bis 76 scheint dem Sachverständigen (SV) die Luft ausgegangen zu sein, was nach den vorherigen 74 Seiten ausführlichster Schilderung nicht verwundern kann. Der SV meint, die Kinder hätten "eine engere emotionale Beziehung" zum Vater und andererseits: "In der Erziehungseignung schnitt der Kv jedoch deutlich schlechter ab als die Km, dass man ihm kaum die Obhut über die drei Kinder anvertrauen könnte."
Und ergänzend meint der SV zur Mutter "... würde es gegenwärtig schwierig machen, A und B ohne zumindest anfängliche Folgeprobleme in ihre Obhut zu geben."
In Bezug auf die gerichtliche Fragestellung heißt das offenbar, dass die gemeinsamen Kinder zum Vater "die engeren und tieferen Beziehungen haben", die Mutter aber der zur "Betreuung und Erziehung der Kinder besser" geeignete Elternteil sei.
Der SV versucht dann dem Gericht in diesem Dilemma einen Ausweg anzubieten. C soll "nur noch unter Anwesenheit eines neutralen Dritten mit dem Kv Umgang haben".
Dies ist eine Empfehlung des SV für einen Begleiten Umgang nach BGB §1684 (3). Wie lange ein solcher Begleiteter Umgang durchgeführt werden sollte, wie oft, wo und von wem begleitet, die Beantwortung überlässt der SV dem Familiengericht, bzw. dem zuständigen Jugendamt als eventuellen Leistungsverpflichteten nach §18 (3) KJHG. Ein wenig mehr darf man von einem Sachverständigen sicher erwarten.
Dann folgt völlig unklar formuliert: "Ein totaler Probeumgang der Km mit den Kindern während der Sommerferien und die Fortsetzung der bisherigen Regelung bis dahin wären die gutachterlichen Präferenzen, um insgesamt eine bessere Datenbasis für eine umfassende gutachtliche Empfehlung zu erlangen."
Die Unklarheit im Ausdruck "unverbindliche und verzögernde Sprachfloskeln", die der SV dem Vater auf S. 10 vorwirft, fällt hier voll auf den SV selbst zurück.
Was ein "totaler Probeumgang" sein soll, muss der SV dem Gericht und den beteiligten Eltern noch erläutern. Letztlich kann niemand wissen, was der SV eigentlich meint. Klar scheint lediglich zu sein, dass C bei der Mutter seinen Lebensschwerpunkt haben soll.
"Kontakt mit dem Kv unmittelbar vor einer derartigen Befragung sollte unterbleiben.", mit diesem Satz lässt der SV den Leser völlig im Dunkeln, es bleibt die Hoffnung, dass es ihm in der mündlichen Anhörung gelingen wird, sich dem Gericht und den Eltern verständlich zu machen.
3. Insgesamt sind die der Arbeit des SV zugrunde liegenden Kriterien und Arbeitsansätze nur schwer oder gar nicht zu erkennen. Dies wäre aber notwendig, will sich der SV nicht dem Vorwurf aussetzen, einzig und allein ihre eigene subjektive Meinung kund zu geben. Denkbar wäre z.B. ein analytischer, tiefenpsychologischer, behavioristischer oder systemischer Ansatz. Darüber erfahren wir im Gutachten leider nichts, so dass eine fundierte Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Basis erschwert wird.
4. Die Gutachtenerstellung erfolgte offensichtlich statusdiagnostisch orientiert. Eine interventionsdiagnostische oder systemisch-lösungsorientierte Arbeitsweise, so wie es nach §1627 BGB erwartet werden muss (vgl. Bergmann; Jopt; Rexilius, 2002), ist nicht zu erkennen. Der SV hat es insbesondere unterlassen, beide Eltern zu einem gemeinsamen Gespräch mit ihm einzuladen, um den Auftrag des Gerichtes mit ihnen zu erörtern. Das mag mit der sonstigen Arbeitsweise des SV erklärbar sein, die aktuelle Fachdiskussion ist hier wesentlich weiter. Gefragt werden muß, ob der SV somit seiner Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen, hierzu Bode (S. 143): "Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und er jenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen."
An anderer Stelle Schade/Friedrich (1998): "Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten."
Zur Frage ob der Gutachter auch interventionsdiagnostisch arbeiten sollte Karle/Klosinski:
"Versteht man Scheidung und Trennung nicht als singuläre Ereignisse, sondern als Prozesse, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es ausreichend ist, sich mit der Feststellung eines Zustands zu begnügen und daraus entsprechende Empfehlungen abzuleiten, oder ob es nicht sinnvoller oder gar erforderlich ist, modifizierend in diesen Prozess einzugreifen. Der Begriff >>Interventionsgutachten<< umschreibt diesen Sachverhalt. Dies ist nur möglich auf ausdrücklichen Wunsch eines Gutachtenauftraggebers, könnte aber in solchen Begutachtungsfällen auch nach den ersten Explorationen von Seiten des Sachverständigen dem Gericht vorgeschlagen werden. Der Gutachter wäre dann in gewissen Sinne ein `Mediator` auf Wunsch des Gerichtes." (Karle; Klosinski 2000)
....
Diagnostische Tests
1. Der Ansatz des SV durch den Einsatz verschiedener psycho-diagnostischer Tests Wissenschaftlichkeit, Aussagensicherheit und Zuverlässigkeit herzustellen, scheint aus Sicht des Unterzeichnenden kein geeigneter Weg für eine sachgerechte Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung zu sein. So soll durch bestimmte Tests eine Quantifizierung elterlicher Erziehungseignung oder "pathologisch zu wertender persönlichkeits-psychologischer Schwierigkeiten" erreicht werden. Diesem Herangehen liegt der sozialpsychologische Forschungsansatz des Behaviorismus zugrunde, der vorgibt, sich nur mit dem objektiv beobachtbaren und messbaren Verhalten zu beschäftigen. Der Behaviorismus greift dabei auf Verfahrensweisen aus den Naturwissenschaften, wie z.B. der Physik, zurück, die aber im Bereich der Psychologie nur eine sehr eingeschränkte Gültigkeit haben (vgl. Schulz 1997, Perls 1951.) So kann man z.B. in der klassischen Mechanik einen gewissen Versuch beliebig oft wiederholen und wird Messergebnisse erhalten können, wie z.B. zur Bestimmung der Erdbeschleunigung, die nahe beieinander liegen. Vergleichbares ist in der Psychologie nicht möglich, da zum einen die Einflussparameter nicht wie im physikalischen Experiment reduzierbar und überschaubar sind und zum anderen weil die Parameter sich innerhalb der Zeit laufend verändern. Obendrein kann der Test auf das Testobjekt zurückwirken. Schließlich ist der Testende selber Schwankungen ausgesetzt. In der Naturwissenschaft wird dem Rechnung getragen, indem Experimente und Tests mehrfach zu wiederholen sind und das anzunehmende (keineswegs total "objektive" Ergebnis) aus den Versuchsreihen mit Hilfe statistischer Verfahren ermittelt wird.
Zum allgemeinen Wert von psychodiagnostischen Tests schreibt Jopt (1992, S. 284/296): "Ausnahmslos alle Gutachter scheinen unerschütterlich davon überzeugt zu sein, dass für eine die Gerichte beeindruckende Dokumentation ihres professionellen Könnens der Einsatz von Testverfahren .. absolut unverzichtbar ist."
Die Fragwürdigkeit quantifizierender Test soll durch folgendes Testbeispiel des SV illustriert werden, bei dem das sogenannte Persönlichkeits-Stil- und Störungsinventar (PSSI) angewendet wurde:
"Der Kindsvater erreichte in fünf Skalen einen Wert, der über dem mittleren Prozentrang von PR=50 lag, von denen einer gesichert überdurchschnittlich ausfiel. Weiterhin beschrieb er sich auf neun Skalen mit Werten, die unter dem mittleren Prozentrang lagen. Von diesen fielen sechs psychometrisch-statistisch gesichert unterdurchschnittlich aus. Die hohe Zahl von gesichert unterschiedlichen Werten ist überaus bemerkenswert, da sie in erheblichen Maße unwahrscheinlich ist. Als ein Kriterium kann die Abweichung von der normalerweise zu erwartenden Gleichverteilung von Skalenwerten, die über und unter PR=50 liegen, dienen. Diese Abweichung fiel beim Kindsvater zwar nicht statistisch signifikant aus (9 zu 5 bei einer Erwartung von jeweils 7). Aber die Wahrscheinlichkeit für die Anzahl signifikant unterdurchschnittlicher Skalenwerte unter der Annahme nicht zusammenhängender Merkmale beträgt als weiterem Kriterium etwas 25 zu einer Milliarde. Bei einer Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen den Skalen würde die Wahrscheinlichkeit höchstens 0.01 Promille betragen (also nur maximal 1 unter 100 Tausende würde sich so beschreiben können). Es gab demnach deutliche Anhaltspunkte dafür, dass beim Kindesvater eine bewusste oder unbewusste Schönfärbungs-, Verleugnungs- oder Dissimulations-Tendenz vorlag. Daher erscheint eine valide Einschätzung des väterlichen Persönlichkeitsanteils an den bestehenden Problemen nicht in jeder Hinsicht möglich." S. 44
2. Eine Literaturliste, bzw. Quellenangaben zu den Tests liefert der Sachverständige bedauerlicherweise nicht, so dass darauf in der Diskussion nicht Bezug genommen werden kann. Insbesondere ist es so auch für die Richterin, die Eltern, bzw. deren Anwälten als psychologische Laien nicht möglich, sich z.B. mit dem von SV angewendeten diagnostischen Instrumentarium auseinander zu setzen.
Im einzelnen verwendet der SV sogar unveröffentlichte Testverfahren wie die von ihm erfundene "Sorge- und Umgangs-Recht-Testbatterie, SURT. (S. 4)
Einzelpunkte
Der Sachverständige (SV) stellt vier "psychologische Fragestellungen" auf (S.3), an Hand derer er offenbar die gerichtliche Fragestellung beantworten will.
1) Prüfung der emotionalen Beziehungen, Neigungen und des Willens von A, B, C.
2) Prüfung der (Hinter)Gründe für die Probleme auf der Erwachsenebene,
3) Prüfung von Bindungstoleranz und Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der Kindseltern,
4) Prüfung der objektiven Bedingungen für Aufenthalt und Umgang der Kindseltern
Die vierte vom SV erhobene Fragestellung ist allerdings keine psychologische, ebenso wenig wie z.B. die Frage nach dem Alter der Eltern eine psychologische wäre.
Mit dem sogenannten Persönlichkeits-Stil- und Störungsinventar (PSSI), so der SV, sollen "etwaige persönlichkeitsbedingte Einschränkungen der Kooperationsfähigkeit" der Eltern untersucht werden (S. 4). Inwieweit dies dem SV gelungen ist, bleibt eine andere Frage. Der SV hätte besser daran getan beide Eltern zu einem gemeinsamen Gespräch einzuladen und die Kooperationsfähigkeit in einem Praxistest zu erproben.
Der SV schreibt dann:
"Die standardisierten ´Eisbrecheraufgaben` dienen dazu, das Kind auf die Testungen und Explorationen einzustimmen. durch ihren unverfänglichen Charakter `Wer gehört alles zu Deiner Familie?` und das Verzaubern der genannten Familienmitglieder in eins der drei Tiere, Drache, Krake und Einhorn, fällt dem Kind das Beantworten dieser Fragen relativ einfach und die evtl. vorhandenen negativen Haltungen gegenüber der Testung werden etwas abgebaut." (S. 5)
Ein Eisbrecher, das weiß jedes Schulkind, bricht das Eis eines zugefrorenen Sees, Flusses oder Meeres mit Gewalt auf. Beim Packeis der Arktis schiebt sich der Eisbrecher sogar auf die Eismassen und bricht sich durch die auf das Eis drückende Masse des Schiffes seine Bahn. Die Verwendung einer solchen Metapher auf die Arbeit eines Sachverständigen mit einem Kind ist jedoch abzulehnen, weil sie unbeabsichtigt oder beabsichtigt die Exploration eines Kindes durch einen Sachverständigen mit einer solchen massiven zerstörerischen Krafteinwirkung wie der eines Eisbrechers (Sachverständiger) auf das Eis (Kind) sprachlich in Verbindung bringt.
Auf S.9/10 schreibt der SV:
"Das Telefonat (mit dem Kindsvater) am 30.5.2003 dauerte ebenfalls unerwartet lang (ca. 60 Minuten, der Kv war zunächst mit einem anderen Telefonat von seiner Wohnung aus beschäftigt und rief nach ca. 30 Minuten zurück, angekündigt war nach 5 Minuten)."
Was dieser literarische Bericht des SV "dauerte unerwartet lang", "angekündigt war nach 5 Minuten" mit dem gerichtlichen Auftrag zu tun hat, bleibt unklar. Der SV möge dies dem Gericht erklären. Offenbar geht es hier mehr um Ich-Botschaften des SV: "dauerte unerwartet lang" unterstreicht die Wichtigkeit des SV, "angekündigt war nach 5 Minuten" drückt die Kränkung und den Ärger des SV aus, dass der Vater nicht wie angekündigt nach 5 Minuten bei ihm zurückgerufen hat, sondern erst nach 30 Minuten. Menschlich gesehen ist es völlig legitim, wenn der SV seine Gefühle zum Ausdruck bringen will, das Familiengericht und die Leser/innen des Gutachtens sind aber dafür nicht die richtigen Ansprechpartner, dies sollte der SV besser im Rahmen von Supervision bearbeiten.
Der SV schreibt dann: "Er (der Vater) behauptete auch, dass die Km sich selbst Verletzungen zugefügt habe, um dann die Polizei zu rufen." (S. 10). Nun ist nicht klar, ob der SV den Begriff der Behauptung in seiner Alltagsbedeutung meint, und damit Zweifel an der Aussage des Vaters signalisiert oder ob er den wissenschaftlichen Begriff meint. Bei dem übergroßen Bemühen des SV in seinem Gutachten Wissenschaftlichkeit zu demonstrieren, müsste man meinen, dass er den Begriff nicht in seiner Alltagsbedeutung meint. In diesem Fall gilt folgendes. Eine Behauptung ist eine "Äußerung eines Urteils über die Geltung oder Wahrheit einer Aussage" (Meyers Grosses Taschenlexikon in 24 Bänden 1981). Der Vater hat daher keine Behauptung getroffen, wie der SV meint, sondern eine Aussage gemacht. Eine Aussage ist eine sprachliche Äußerung (in Form eines Satzes, Aussagesatzes), deren Sachverhalt durch die Einstellung des Sprechers zur Wirklichkeit bestimmt ist; die Aussage kann wahr, falsch oder wahrscheinlich sein." (ebenda)
Nun könnte man meinen, dass es doch egal wäre, ob der SV den Begriff Behauptung oder Aussage verwendet. Sicher wäre das auch bei einem Sachverständigen nachzusehen, dessen berufliche Position eine solche Verwechslung entschuldbar macht. Von einem Universitätsprofessor für Psychologie muss man jedoch mehr erwarten. Zumal der SV versucht, dem gesamten Gutachten ein wissenschaftliches Gepräge zu geben.
Der SV schreibt weiter: "Auffällig war der ständige Gebrauch des Kv von unverbindlichen und verzögernden Sprachfloskeln wie `eigentlich´, `irgendwie`, ´gute Frage` usw." (S. 10/11).
Auch hier stellt sich wieder die Frage, was die Schilderungen des Sv über den Sprachgebrauch des Vater im gemeinsamen Gespräch mit der gerichtlichen Fragestellung zu tun hat. Der SV gibt dazu keine Antwort. Vermutet werden kann daher, dass es dem SV darum geht, die persönliche Kompetenz des Vaters und damit seine väterliche Erziehungskompetenz in Zweifel zu ziehen. Dies an Hand des Kommunikationsverhaltens des Vaters im Gespräch mit dem SV feststellen zu wollen, ist jedoch vom SV sehr gewagt, da hier die persönliche Beziehungsqualität zwischen SV und Vater, die von einem massiven Machtungleichgewicht zugunsten des SV geprägt ist, den Ausschlag dafür gibt, wie sich die Kommunikation gestaltet. Dies ist jedem, der therapeutisch arbeitet bekannt und wird daher im Rahmen von Therapie normalerweise beachtet. Es bleibt die Feststellung, dass es unerheblich ist, wie der Vater und der SV kommunizieren, da das Gericht sich nicht für deren gemeinsames Kommunikationsmuster interessiert, sondern für die Beziehungsqualität zwischen Kind und Vater.
Wozu der SV sich die Mühe macht, vergangene Abläufe des Beziehungskonfliktes der Eltern minutiös in ihren Einzelheiten aufklären zu wollen, "Herr Y im Zimmer der Km im ... -Hotel in ... anlässlich des ... im September 2002)", (S. 11) bleibt offen. Vorliegend hat das Gericht keine Straftat zu klären, wo es möglicherweise auf genaue Uhrzeiten oder Widersprüche in den Aussagen der Beteiligten ankäme. Es ist daher im Hinblick auf die gerichtliche Fragestellung völlig unerheblich, wie im Einzelnen bestimmte Konfliktverläufe gewesen sein mögen. Der SV ist kein Ermittlungsrichter und kein Kriminalbeamter, der solches aufzuklären hätte.
Der SV kommt dann unvermittelt und ohne Erläuterung auf das Kind D zu sprechen, ein Sohn der Mutter aus einer vorherigen Beziehung, mit der die Mutter derzeit offenbar kein Kontakt hat (S.12). Wozu der SV die Beziehung des Sohnes D zu seiner Mutter bespricht, wird nicht deutlich. Das Gericht hat dahingehend auch keinen Auftrag erteilt.
Der SV schreibt dann: "Im Gegensatz zu der letztlich, vielleicht auch nur zufällig wegen explorativer Zermürbung des Kv erfolgenden Übereinstimmung von Km und Kv bezüglich D ergab sich bei den Darstellungen der Kindseltern zu ihrem notariellen Vertrag vom 7.10.2002 eine deutliche Diskrepanz.
Die Verwendung von Begriffen wie "Eisbrecheraufgaben", "explorative Zermürbung des Kv" und der von Aufdeckungsdrang geprägte Arbeitsstil des SV lassen schon hier die Frage aufkommen, ob der SV insgesamt seiner ihm vom Gericht gestellten Aufgabe gewachsen ist.
Der SV lässt dann seine persönliche Haltung durchschimmern, wenn er schreibt:
"Das sich kennen Lernen der Kindseltern sei in ... Ende 1992 durch Einstellung in das Geschäft des Kv erfolgt. Seit Mitte 1993 wären die Kindseltern näher bekannt. ... Unklar bleib trotz Versuch der Klärung, warum erst ein Jahr nach Geburt von X 2 (...1996) die Ehe geschlossen wurde ... ." (S. 13)
Der SV hängt offenbar bestimmten traditionellen Konventionen an, wenn er es für wichtig erachten, zu klären, warum ein Paar "erst" ein Jahr nach der Geburt ihres zweiten Kindes heiraten. Dies mag ihm privat oder politisch zugestanden sein, in einem Gutachten hat dies allerdings nichts zu suchen.
Bis auf Seite 58 geht es im Gutachten dann ähnlich beschwerlich und mysteriös weiter. Eine ausführliche Stellungnahme des Unterzeichnenden dazu würde weitere 10 bis 20 Seiten erfordern. Dies scheint nicht sinnvoll zu sein. Das Gericht wird sicher auch aus den bisherigen Darlegungen die notwendigen Schlüsse ziehen können oder die mündliche Anhörung dazu nutzen, vom Sachverständigen in Erfahrung zu bringen, was dieser eigentlich meint.
Eingegangen werden muss aber noch auf eine äußerst bedenkliche Haltung des SV, die für sich genommen schon auf seine Ungeeignetheit hinweist. Der SV schreibt: "In anderer Hinsicht hat der Kv selbst seine Inkompetenz beschrieben, wenn er über die Rückgabe von C am 25.5.2003 berichtete. Seine spontane Versicherung, er hätte mit A (15 Minuten lang, Androhung von Fernsehentzug) `ausgewertet`, was A mit seinem Treten der Km getan habe, grenzt an Lächerlichkeit. Auf der Stelle den Hintern versohlen vor allen anderen wäre eine vermutlich richtige und wirkungsvolle Reaktionsweise gewesen (dem Kv wäre das Gedicht `Edward` von Herder zu empfehlen, in dem er die Mutter- und Vaterrolle vertauschen müsste, um die langfristige Problematik seines eigenen Verhaltens zu realisieren, außerdem ist auf US-amerikanische Befunde hinzuweisen, die mäßigem und angemessenem körperlichem Strafen positive Effekte auf empirischer Basis zuschreibt. Aber mit der eigentlich verdienten Tracht Prügel hätte der Kv wohl die Sympathie seines Sohnes verloren und u.U. sich selbst in Widersprüche gebracht." (S. 66/67)
Schlussbemerkung
Der Sachverständige unterlässt es aufzuzeigen, wie die Eltern ihre elterliche Kompetenz einzeln und gemeinsam stärken und entwickeln können. Bloße Appelle wie den an den Vater: "Die Fortsetzung der bisherigen Regelung im Umgang hinsichtlich A und B könnte dem Kv die Chance geben, seinen Irrweg aufzugeben und von sich ein fähigeres Bild als Erziehungsperson zu belegen." (S. 76), bewegen in der Regel gar nichts.
Dazu Weber (2002): "Die bisherige Gutachten- und Sachverständigenpraxis greift in der Regel zu kurz, weil sie die Beziehung des Kindes zu Vater und Mutter ins Auge fasst, jedoch nicht die Konfliktdynamik und Störungen des Paar- bzw. Elternsystems."
Um die Gegenwart und Zukunft ihrer gemeinsamen Kinder zu sichern, müssen beide Eltern, gegebenenfalls mit kompetenter fachlicher Unterstützung lernen, ihre gemeinsamen Konflikte zu lösen und sich so in die Lage zu versetzen ihrer gemeinsamen elterlichen Verantwortung gerecht zu werden. Familienberatung oder Familientherapie kann dafür ein geeigneter Weg sein. Ein Begleiteter Umgang würde nur dann Sinn haben, wenn er von entsprechend qualifizierten Fachkräften durchgeführt würde und wenn flankierend gemeinsame Elterngespräche mit einer familienberaterisch oder -therapeutisch qualifizierten Fachkraft stattfänden. Hier auf Freiwilligkeit der Eltern zur Nutzung dieser Unterstützungsmöglichkeiten zu vertrauen wird nicht ausreichen. Notwendig ist daher, eine entsprechende Intervention seitens des Gerichtes. Als Alternative wäre die Einrichtung einer Umgangspflegschaft durch das Gericht denkbar. Gelingt dies nicht, so wird, egal wie eine Regelung seitens des Gerichtes ausfallen mag, auf die Dauer eine Kindeswohlgefährdung die Folge sein. Das Gericht müsste sich dann den Vorwurf gefallen lassen, daran mitgewirkt zu haben.
Sollte das Gericht auf Grund der erheblichen Mängel des vorliegenden Gutachtens die Notwendigkeit der Einholung eines Obergutachtens sehen, so empfehle ich dafür eine Kontaktaufnahme mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für systemische Sicht im Familienrecht, c/o Prof. Dr. Uwe Jopt, Universität Bielefeld, Abteilung Psychologie, Universitätsstr. 25, 33615 Bielefeld
Peter Thiel, 16.07.2003
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