Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Udo Lünebrink vom 18.03.2002
Familiensache X ./. Y (Mutter)
am Amtsgericht Krefeld
Aktenzeichen 65 F 112/01
Richter Schwenzer
Kind A (Sohn), geb. ... .1996
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
...
Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 90-seitige schriftliche Gutachten.
Gerichtliche Fragestellung
Laut Gutachten wird nach der "Erziehungsfähigkeit der Mutter" gefragt.
Einführung
1. Der Gutachter vermag mit dem vorliegende Gutachten die gerichtliche Fragestellung ... . Dies resultiert letztlich auch daraus, dass der Gutachter nicht erkennen lässt, an Hand welcher allgemein anerkannter Kriterien er die Erziehungsfähigkeit beurteilen will. Die Fülle der vom Gutachter verwendeten Test, macht diesen grundsätzlichen Mangel nicht wett, sondern ist nur geeignet, beim sachkundigen Beobachter, den Eindruck von Willkürlichkeit zu wecken. Die ausführlich beschriebenen Untersuchungen von Personen wie Herrn Y, Herrn X und die Kinder B und C stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der gerichtlichen Fragestellung.
Aus Sicht des Unterzeichnenden ist das Gutachten auch nicht geeignet, dem Familiengericht und den Eltern hinsichtlich der Sicherung bestmöglicher Entwicklungsperspektiven für das gemeinsame Kind geeignete Antworten und Lösungen aufzuzeigen. Insbesondere unterlässt es der Gutachter aufzuzeigen, wie vor dem Hintergrund des Primats der Elternverantwortung (Artikel 6 Grundgesetz) eine möglicherweise bestehende Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit der Mutter positiv verändert werden könnte, z.B. durch die Inanspruchnahme professioneller Beratung durch die Mutter.
2. Vorstellung der vom Gutachter zugrunde gelegten Kriterien und der daraus abzuleitenden diagnostischen Methoden (hypothesengeleitete Arbeitsweise, Wissenschaftlichkeit). Zur Beantwortung der gerichtlichen Frage nach der Erziehungsfähigkeit (Förderkompetenzen) der Mutter
Der Gutachter unterlässt es, darzustellen anhand welcher Kriterien und diagnostischen Methoden er die Erziehungsfähigkeit (Förderkompetenz) der Mutter feststellen will.
Die für die Arbeit des Gutachters zugrunde liegenden Kriterien und Arbeitsansätze sind nur schwer oder gar nicht zu erkennen.
Dies ist aber notwendig, will sich der Gutachter nicht dem Vorwurf aussetzen, einzig und allein seine eigene subjektive Meinung kund zu geben. Denkbar wäre z.B. ein analytischer, tiefenpsychologischer, behavioristischer oder systemischer Ansatz. Darüber erfahren wir im Gutachten leider nichts, so dass eine fundierte Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Basis erschwert wird und damit der Arbeit des Gutachters ... anhaftet.
Das Gutachten zeigt keine Verweise auf wissenschaftliche Grundlagen bezüglich der durch den Gutachter vorgenommenen Vorgehensweise, Schritte, Befragungstechniken, verwendeter Tests und deren Gütekriterien, der Begutachtung zugrunde liegender Literatur und Standards, usw. Dazu Leitner (S. 58):
>>Ein familienpsychologisches Gutachten sollte auch im Hinblick auf literarische Gestaltungsprinzipien elementare wissenschaftliche Standards erfüllen. So besteht eine unabdingbare Forderung u. a. darin, daß im Gutachten umfängliche Literatur- bzw. Quellenangaben auch über die den Interpretationen zugrundeliegenden Theorien und Konzepte gemacht werden. Wörtliche- oder sinngemäß aus Quellen (Akten, Literatur) entnommene Passagen sind als solche im Text kenntlich zu machen. Ein Gutachten, das solche Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens mißachtet, kann nicht den Anspruch erheben "eine wissenschaftliche Leistung" (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994, S. 8) zu sein, wie dies in den eingangs zitierten Richtlinien der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen für "ein solches Gutachten" (aaO) ausdrücklich gefordert wird.<<
3. Die Gutachtenerstellung erfolgte offensichtlich statusdiagnostisch orientiert. Eine interventionsdiagnostische oder systemisch-lösungsorientierte Arbeitsweise (Darstellung z.B. in: "Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. Der systemische Ansatz in der familienrechtlichen Praxis", Bergmann; Jopt; Rexilius, Bundesanzeiger Verlag, Köln, 2002.) ist nicht zu erkennen. Das mag mit der sonstigen Arbeitsweise des Gutachters erklärbar sein, die aktuelle Fachdiskussion ist hier wesentlich weiter. Gefragt werden muß, ob der Gutachter somit seiner Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen, hierzu Bode (S. 143): "Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und er jenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen."
An anderer Stelle Schade/Friedrich: "Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten.
4. ...
Der Unterzeichnende weist noch auf folgendes hin.
Qualitätssicherung und Schadensersatz
Ist vom Gericht ein Sachverständiger bestellt worden, haben die von der Bestellung betroffenen Personen ein Recht darauf, dass der Sachverständige seine Arbeit in der gebotenen Qualität durchführt. Dies schließt ein, dass der Sachverständige die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit dem Gericht und den Beteiligten in einem, qualitativ wenigstens ausreichenden, schriftlichen oder mündlichen Vortrag mitteilt, so dass der Richter, darauf aufbauend den Fortgang des Verfahrens betreiben kann.
Der Sachverständige hat das Gutachten unparteiisch und nach besten Wissen und Gewissen zu erstatten (§410 ZPO), d.h. er hat während seiner Arbeit die gebotene Unparteilichkeit zu wahren und sich auf dem aktuellen Stand der fachwissenschaftlichen Debatte zu bewegen.
Weist die Arbeit des Sachverständigen erhebliche Mängel auf, kann von den davon Betroffenen Schadensersatz verlangt werden.
§ 839a BGB
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
Begründung
1. Erstellung des Gutachtens durch die bestellte Einzelperson
Das Deckblatt des Gutachtens ist betitelt mit
"Fachpsychologisches Gutachten
erstellt vom Fachpsychologischen Institut Udo Lünebrink"
Richtig ist indes, dass nur Einzelpersonen, nicht aber Gesellschaften, Institute, Vereine o.ä., als Sachverständige gemäß § 404 ZPO beauftragt werden können (vgl. "Das Sachverständigengutachten im familiengerichtlichen Verfahren", Heumann, "Familie und Recht", FuR, 1/2001, S. 17.: "Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass grundsätzlich nur eine natürliche Person Sachverständiger sein kann, nicht aber eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts. Bestellt das Gericht ein Institut zum >>Sachverständigen<<, ist diese Bestellung fehlerhaft."
Es ist zu vermuten, dass der zuständige Richter nicht ein "Fachpsychologisches Institut Udo Lünebrink", sondern den Diplom-Psychologen Udo Lünebrink mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt hat. Es steht dem Gutachter selbstverständlich frei, dem Gericht mitzuteilen, in welchen Gesellschaften er Mitglied ist oder welches Institut von ihm betrieben wird.
2. Hilfskräfte des Sachverständigen
Der Sachverständige ist nicht berechtigt, den gerichtlichen Auftrag auf eine andere Person zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§407a ZPO)
Analysen und Tätigkeiten, die das Gutachtenergebnis direkt beeinflussen, dürfen nicht an andere Personen delegiert werden.
Dazu Schorsch (2000): "Übersehen wird, dass es durch die Einschaltung von Hilfspersonen zu versteckten Einflüssen auf Gutachten kommen kann, was unzulässig ist. Absolut unproblematisch sind Tätigkeiten, die keinen Einfluss auf ein Gutachten haben ... . Hilfstätigkeiten sind dann nicht zu beanstanden, wenn diese Hilfstätigkeiten vom Sachverständigen überwacht werden. ... Es mag zwar ablauforganisatorisch und ökonomisch durchaus einleuchtend sein, dass gerade der Chefarzt sich auf Abschlussuntersuchungen beschränkt und alles andere an Ärzte im Praktikum, Assistenz- und Oberärzte delegiert. Diese Art der Arbeitsteilung lässt sich nicht mit den Pflichten eines Sachverständigen vereinbaren. Analysen und Tätigkeiten, die das Gutachtenergebnis unmittelbar beeinflussen, weil sie bewertende sind, sind nicht delegierbar. Demzufolge müssen Sachverständige z.B. psychologische Untersuchungen ..., selbst vornehmen, da sie ansonsten ihre eigentliche gutachterliche Aufgabe Dritten übertragen. Schließlich versichern sie, dass sie das Gutachten nach ihrem besten Wissen und Gewissen erstellten und nicht Dritte."
Insofern stellt es eine unzulässige Arbeitsweise dar, wenn wie Herr Lünebrink angibt: "Die Psychologische Untersuchung wurde durchgeführt von Herrn Diplom-Psychologe Udo Lünebrink und Frau Diplom-Psychologin ... ." (S. 2). Das Gutachten muss daher allein schon aus dieser vom Gutachter vorgenommen unzulässigen Aufgabendelegation zurückgewiesen werden.
Zu Kapitel III. Psychologische Untersuchung
Zu 1.2. Wohnsituation (S. 10)
Der Gutachter listet akribisch auf, wie groß das Wohnzimmer von Frau Y ist, wie es tapeziert ist ("Der Raum ist mit weißen Rauhfasertapeten tapeziert ...") und welche Möbel und Gegenstände sich in dem Zimmer befinden. Die Aufzählung zeugt von einer gewissen Pedanterie und möglicherweise auch Zwanghaftigkeit des Gutachters, die die Frage aufkommen lässt, ob er überhaupt die für die Erstellung eines Gutachtens geeignete Fachperson ist.
Zu 1.3. Ausdrucks- und Verhaltensbeobachtung S. 9 und 10
Auch hier verwundert die Akribie, mit der der Gutachter die äußere Erscheinung von Frau Y beschreibt: "Sie trägt Ringe und schulterlange blonde Haare ... ". Solche verwunderlichen Aufzählungen wiederholen sich im Gutachten auch bei der Beschreibung von Herrn Y (S. 22) und Herrn X (S. 31). Erwähnenswert wären möglicherweise Aufzählungen auffälliger, befremdlicher oder sonderbar erscheinender Äußerlichkeiten, wie z.B. wenn eine Probandin völlig schwarz gekleidet erschienen wäre oder wenn ein Mann gelbe Schuhe an hätte. Welchen Wert die hier und auch später vorgenommenen Aufzählungen haben sollen, lässt der Gutachter nicht erkennen. Dies sollte von ihm in einer Stellungnahme oder in der mündlichen Anhörung beim Gericht vorgetragen werden. Möglicherweise ging es dem Gutacher aber auch nur darum, dem Gericht und den Beteiligten zu zeigen, dass er ein aufmerksamer Beobachter ist. Die von seinem Gutachten betroffenen Personen haben jedoch das Recht darauf, von ihm nicht wie Käfer in einer Käfersammlung untersucht zu werden.
Zu 1.4 Exploration
Wozu der Gutachter über das Pferd der Familie Y berichtet (S. 16) und in welchem Zusammenhang dies mit der Fragestellung des Gerichts steht, bleibt völlig unklar und muss von daher als überflüssig zurückgewiesen werden.
Zu 1.5. Testpsychologische Untersuchung mit dem MMPI
Der Gutachter lässt völlig offen, mit welcher Zielstellung er den angegebenen Test verwendet und in welcher Weise diese mit der Beweisfrage des Gerichtes in Zusammenhang stehen soll. Die Beweisfrage des Gerichtes lautete nicht, eventuelle "Persönlichkeitsmerkmale im klinischen Sinne" zu eruieren oder Züge zu erkennen, "die krankhafte oder in einer anderen Weise störende psychische Auffälligkeiten sind" (siehe Brickenkamp "Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests", Göttingen, 1975, S. 500), sondern die Erziehungsfähigkeit der Mutter zu beurteilen.
Von der grundsätzlichen Frage nach Sinn und Unsinn dieser Testung abgesehen (vgl. u.a. Schulz 1997) nachfolgend einige Kritikpunkte zu der durchgeführten Testung selbst:
Zu 1.5.1 Ergebnisse
Die vollständige Erhebung des durchgeführten MMPI ist bedauerlicherweise dem Gutachten nicht beigelegt worden, so dass eine Diskussion der auf Seite 17-18 dargestellten Ergebnisse hier nicht stattfinden kann. Die vollständige Erhebung sollte daher den Parteien noch zugänglich gemacht werden, damit diese die Möglichkeit einer Stellungnahme haben.
Der Leser wird im unklaren gelassen, wodurch der Gutachter zu den ermittelten "T-Werten" gelangt. Auch eine Darstellung solcher allgemein unbekannten Begriffe wie "Psychopathie", "Psychastenie" und "Hypomanie" erfolgt nicht. Den begutachteten Personen wie auch dem Gericht sollte es jedoch möglich sein, dem Gutachter in seinen Begrifflichkeiten folgen zu können.
Dazu Schorsch (2001): "Vom Sachverständigen sollte didaktisch aufbereitet, also auch für einen Nichtfachmann nachvollziehbar, aufgezeigt werden, warum er gerade zu diesem Ergebnis in seinem Gutachten kam. Auf sämtliche Befundtatsachen sollte eingegangen werden. ... Fachbegriffe sollten erklärt werden, da der bloße Wortlaut nur selten weiterhilft. Wer weiß schon, was sich hinter den Begriffen <Agressionsgehemmtheit, Abschrecken, und Fehlschalung> ... verbirgt."
Auf Seite 18 wird eine L, F und K-Skale mit dazugehörigen Werten präsentiert, ohne dass der Leser erfahren kann, worum es sich bei diesen Skalen handelt und was die hier angegebenen Werte möglicherweise aussagen könnten.
Zu 2. Untersuchungsbericht: Der Vater, Herr Y
Der Gutachter versucht auf den Seiten 21 bis 30 eine Untersuchung von Herrn Y . Abgesehen von dem Umstand, dass dieser nicht gleichzeitig mit Herrn X (siehe S. 30) der Vater sein kann, steht es dem Gutachter nicht zu, wenn er die Frage der Erziehungsfähigkeit der Mutter feststellen will, ohne ausreichende Begründung andere Personen in die Untersuchung einzubeziehen (vgl. Heumann 2001, S. 19). Dies ist ihm lediglich nach ausdrücklicher Beauftragung durch das Gericht gestattet.
Die Darstellung auf den Seiten 21-30 müssen daher, da sie vom gerichtlichen Auftrag nicht gedeckt sind, vollständig zurückgewiesen werden. Dies trifft ebenso auf den Untersuchungsbericht zu Herrn X zu (S. 30-37) zu. Eine Kostenabrechnung für die nicht auftragsgemäß erstellten Untersuchungen ist zurückzuweisen.
Zu 4. Untersuchungsbericht. Das Kind A
Durch den Gutachter wird nicht dargelegt, mit welchen Bezug zur gerichtlichen Beweisfrage nach der Erziehungsfähigkeit der Mutter er den "Family-Relations-Test" (FRT) einsetzt. Die vom Gutachter in der Folge präsentieren Testergebnisse können daher auch keine Antworten auf die gerichtliche Fragestellung liefern. Dass A die Mutter nur einmal in der Rubrik "Abhängigkeitsgefühle" benennt, kann im Gegensatz zum Gutachter den sachkundigen Leser nicht verwundern, da A zur Zeit bei Herrn X und eben nicht bei seiner Mutter lebt. Solche simplen und bedauerlichen logischen Fehler dürfen einem Gutachter nicht passieren.
Zum verwendeten "Family-Relation-Test" kritisch Leitner ("Zur Mängelerkennung in familienpsychologischen Gutachten" in "Familie und Recht" (FuR), 2/2000, S. 57-63):
"...
Anmerkungen zum Family-Relations-Test (FRT)
Das zusammen mit dem im Hinblick auf die Gütekriterien völlig unzureichendem Test "Familie in Tieren" (Brem-Gräser, 1995) insgesamt am häufigsten eingesetzte Verfahren, der Family-Relations-Test von Bene und Anthony (1957), ist im Testhandbuch von Brickenkamp (1997) explizit nicht verzeichnet. Seine Spitzenposition in der Rangfolge verdankt das Verfahren insbesondere der Tatsache, daß er in Gutachten der Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie (GWG) ausgesprochen häufig zum Einsatz kommt. Zwölf der insgesamt 16 Anwendungen dieses Verfahrens betreffen solche Gutachten. Insbesondere bei diesem Testverfahrens läßt sich erkennen, daß ausgeprägte organisationsspezifische Besonderheiten beim Einsatz bestimmter Tests offenbar kaum von der Hand zu weisen sind.
Auf Grund seiner Häufigkeit in den vorliegenden familienpsychologischen Gutachten sollen zu diesem Testverfahren noch einige ergänzende Anmerkungen gemacht werden:
Beim FRT handelt es sich um ein Verfahren, das in einer Übersetzung von Fläming und Wörner (1977) in Fassungen für vier- bis fünfjährige sowie für sechs- bis elfjährige Kinder vorliegt (vgl. Beelmann, 1995, S. 38). Beelmann referierte und diskutierte bei der Tagung der Fachgruppe Entwicklungspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. in Leipzig im Jahre 1995 "neuere Untersuchungen mit dem Family-Relations Test". Hierbei wurde deutlich, daß die Validität dieses Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs als gesichert gelten kann. Im Rahmen seines Vortrages und der anschließenden Diskussion bezeichnete Beelmann den Umgang mit diesem Verfahren in der diagnostischen Praxis zudem als "haarsträubend" und verwies in diesem Zusammenhang u. a. darauf, daß aus ökonomischen Gründen bei der praktischen Durchführung häufig instruktionsinadäquate Modifikationen vorgenommen werden."
Zu 4.4.1 A mit B und C
Durch den Gutachter wird nicht dargelegt, mit welchen Bezug zur gerichtlichen Beweisfrage er eine Interaktion zwischen den Kindern herstellt. Die Interaktionsbeobachtung muss daher, unabhängig von ihren ohnehin nicht erkennbaren Nutzen, als unbegründet und überflüssig zurückgewiesen werden.
Zu 5. Untersuchungsbericht: Das Kind C
Der Gutachter versucht auf den Seiten 53 bis 69 eine Untersuchung von C und B . In welchem Zusammenhang dies mit dem gerichtlichen Auftrag, nach der Erziehungsfähigkeit der Mutter stehen soll, wird nicht erläutert.
Die Darstellung auf den Seiten 53-69 müssen daher, da sie vom gerichtlichen Auftrag nicht gedeckt sind, vollständig zurückgewiesen werden.
Zu IV. Befund
Der Gutachter wiederholt, teilweise im Original, Textpassagen, die schon im vorherigen Teil des Gutachtens zu finden sind. Durch die bloße Wiederholung kann zwar die Seitenzahl des Gutachtens erhöht werden, nicht aber dessen Aussagekraft.
Die Behauptung "Die Erziehungsfähigkeit der Mutter ist stark eingeschränkt", kann nicht überzeugen. Der Gutachter bemüht sich, dies durch die Angabe eines Intelligenzquotienten und durch "testpsychologische Untersuchung mit dem MMPI" herzuleiten. Unabhängig von der Sinnhaftigkeit der verwendeten Test im Zusammenhang mit der richterlichen Fragegestellung, erscheint die Interpretation der Testergebnisse willkürlich.
Die Diskussion der "Beziehungen der Eltern untereinander" und der "Beziehung zu Herrn X " (S. 74), bleibt den Nachweis schuldig, in welchem Nachweis dies mit der richterlichen Fragestellung stehen soll.
Die Angaben zu Herrn Y und Herrn X (S. 76-81) sind für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung unerheblich und damit überflüssig. Gleiches ist zur Darstellungen zum "Kind C " und dem "Kind B " auf S. 83-87 zu sagen.
Zu V. Beantwortung der Fragestellung
Der Gutachter schreibt abschließend:
"Die Kindesmutter ist nur stark eingeschränkt erziehungsfähig.
Begründung:
Diese Empfehlung entspricht dem Kindeswohl am meisten."
Der Gutachter zeigt hier, dass er große Probleme hat, sich sprachlich sauber auszudrücken. Seine Behauptung, "Die Kindesmutter ist nur stark eingeschränkt erziehungsfähig.", ist zwar eine Behauptung, aber deswegen noch lange keine Empfehlung. Im übrigen hat das Gericht auch gar keine wie auch immer geartete Empfehlung angefordert, sondern nur die Frage nach der "Erziehungsfähigkeit" der Mutter gestellt. Dies und nichts anderer hätte der Gutachter zu tun gehabt. Der ihm gestellten Aufgabe ist er jedoch nicht nachgekommen.
Fazit: ...
Peter Thiel, 19.04.2003
Literatur:
"Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. Der systemische Ansatz in der familienrechtlichen Praxis"; Bergmann; Jopt; Rexilius; Bundesanzeiger Verlag, Köln, 2002.
"Psychologie im Familienrecht - Überlegungen aus psychologischer Sicht"
Günter Rexilius, Dipl.Psychologe, Privatdozent an der Uni Wuppertal, Psychotherapeut, Familientherapeut, Sachverständiger
in: "Kind-Prax" 1/2000, S. 3-8: "Das psychologische Sachverständigengutachten im Familienrechtsstreit.
Zu den Voraussetzungen seiner gerichtlichen Anordnung, den Erwartungen und Anforderungen, die ein Familienrichter an ein psychologisches Gutachten und den Sachverständigenstellen sollte.
Hanspeter Cuvenhaus, Familienrichter am Amtsgericht Rheine; in: "Kind-Prax", 6/2001, S. 182-188
"Familienpsychologische Gutachten. Rechtliche Vorgaben und sachverständiges Vorgehen", Joseph Salzgeber; Verlag C.H. Beck, 3. Auflage, München 2001, XX, 431 S., geb., 45 EUR
"Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das Familiengericht", Karl Westhoff, Patricia Terlinden-Arzt & Antje Klüber; 2000, 149 Seiten
"Die Rolle des psychologischen Gutachters nach Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechts", Schade; Friedrich: in "Familie, Partnerschaft, Recht", 5/1998
"Sachverständiger und Gericht. Fehlerquellen bei der Zusammenarbeit im Zivilprozess", Günther Zettel, VorsRiOLG in: "Neue Justiz 2/2000,
"Zur Mängelerkennung in familienpsychologischen Gutachten", in: "Familie und Recht" (FuR), 2/2000, S. 57-63; Dr. phil. Werner G. Leitner (Approbierter Psychologischer Psychotherapeut, Markusplatz 14, 96047 Bamberg)
"Das Sachverständigengutachten im familiengerichtlichen Verfahren", Heumann, "Familie und Recht", FuR, 1/2001
"Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren - Entwurf eines Fehlererkennungssystems - "; Wolfgang Klenner; in: FamRZ 1989, Heft 8, S. 804-809
"Elternschaft und Kooperation in der Sorgerechts-Begutachtung"; Josef. A. Rohmann in: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", 45: 323-330 (1996)
"Der psychologische Sachverständige in Familiensachen. Historischer Exkurs, Bestandsaufnahme und Grundlagen der Arbeit"; Rainer Balloff, Eginhard Walter in: "Familie und Recht", 6/1991, S. 334-341
"Sachverständige und ihre Gutachten. Zu Schwachpunkten und Fehlern in Expertisen"; Gerhard Schorsch, Rechtsanwalt in Riedstadt, in: "Kriminalistik. Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis", 3/2000, S. 174-179
"Fehlerhafte Urteilsheuristiken in Sachverständigengutachten"; Petra Halder-Sinn, in: "Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform", 1993, Heft 1, S. 44-49
"Psychodiagnostik: fragwürdige Grundlagen, fragwürdige Praxis"; Peter E.W. Schulz - 1. Auflage - Berlin: Köster, 1997 (Schriftenreihe Psychologie, Bd. 6)
"Projektive Techniken: Unseriöse Test oder wertvolle Methoden?"; Christian Schaipp und Ernst Pflaum. - Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 1995
"Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests", Brickenkamp, Göttingen, 1975
"Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten", Förderation Deutscher Psychologenvereinigungen. - Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 1995
"Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten", Adelheid Kühne & Bernd Zuschlag. - Bonn: Deutscher Psychologen Verlag, 2001
"Kinderpsychologische Tests: Ein Kompendium für Kinderärzte", Udo Rauchfleisch. 2. durchgesehene Auflage - Stuttgart: Enke, 1993
"Die Neuregelung der zivilrechtlichen Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für ein unrichtiges Gutachten", Wolfgang Leesting, in: "Recht & Psychiatrie", Heft 4, 2002, S. 224-228
"Moderator Gericht. Kooperation oder Delegation im gerichtlichen Verfahren", Lutz Bode, Familienrichter, AG Chemnitz, in "Kind-Prax" 5/2001, S. 143".
"Im Namen des Kindes. Plädoyer für die Abschaffung des alleinigen Sorgerechts", Uwe-Jörg-Jopt, Rasch und Röhring 1992
"Familientherapie im Überblick. Basiskonzepte, Formen, Anwendungsmöglichkeiten", Arist von Schlippe; Junfermann-Verlag, 1995, ISBN 3-87387-233-1
"Eltern bleiben Eltern!? - oder: Warum eine gute Idee manchmal scheitern muss", Matthias Weber in: "Kind-Prax", 4/2002, S. 125).
"Kinder in Not, Vernachlässigung im frühen Kindesalter und Perspektiven sozialer Arbeit", Schone, Gintzel u.a.; Münster, Votum-Verlag 1997