Stellungnahme zum Sachverständigengutachten des Diplompsychologen Udo Lünebrink vom 17.10.2001
Familiensache X . /. X
Geschäftsnummer 7 F 195/01
A. X. (Tochter) geb. ...1995
B. X. (Tochter), geb. ...1997
Beweisbeschluss des Amtsgerichts Nettetal - Richter Schmitz vom 09.08.2001
Erstellt von Peter Thiel
...
Berlin, den 12.12.2001
1. Allgemeines
Die Erstellung des Gutachtens hat sich am gemäß der richterlichen Beweisfrage am Kindeswohl zu orientieren. Zum Kindeswohl werden die Sicherung wichtiger Bedürfnisse des Kindes gezählt, wie die "physiologischen Bedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen, etc.; das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit; das Bedürfnis nach Verständnis und sozialer Bindung; das Bedürfnis nach seelischer und körperlicher Wertschätzung; das Bedürfnis nach Anregung, Spiel und Leistung und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung" (zitiert nach Schone, Gintzel u.a.: "Kinder in Not, Vernachlässigung im frühen Kindesalter und Perspektiven sozialer Arbeit", Münster, Votum-Verlag 1997, S.23-24). Andere wichtige Aspekte, die üblicherweise unter dem Begriff der "psychologischen Sorgerechtskriterien" erfasst werden, sind:
a) Kindorientierte Kriterien
1. die Bindungen und Beziehungen des Kindes zu den Eltern
2. die Willenshaltung des Kindes
3. das Kontinuitätsprinzip
b) Elternorientierte Kriterien
4. Erziehungsfähigkeit der Eltern (Förderkompetenzen)
5. die Bindungstoleranz der Eltern (Kooperationsfähigkeit)
6. die äußeren Betreuungsmöglichkeiten der Eltern.
Der Diskussion unter diesen Aspekten des Kindeswohls kommt das vorliegende Gutachten nur ... . Einige Teile des Gutachten wirken sogar befremdlich. Dies soll im folgenden aufgezeigt werden.
1.1. Die Gutachtenerstellung erfolgte offensichtlich statusdiagnostisch orientiert. Eine interventionsdiagnostische Herangehensweise ist nicht zu entdecken. Gefragt werden muß daher, ob der Gutachter seiner Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen (hierzu Bode: "Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und er jenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen." "Moderator Gericht. Kooperation oder Delegation im gerichtlichen Verfahren", Lutz Bode, Familienrichter, AG Chemnitz, in "Kind-Prax" 5/2001, S. 143".
An anderer Stelle Schade/Friedrich: "Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten", Schade/Friedrich "Die Rolle des psychologischen Gutachters nach Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechtes", in: "Familie, Partnerschaft, Recht", 5/1998, S. 237-241
1.2 Eine Interaktionsbeobachtung zwischen Kindern, Mutter und Vater in den jeweiligen persönlichen Lebensbereichen erfolgte nicht. Diese wurde lediglich in den Räumen des Fachpsychologischen Instituts von Herrn Lünebrink durchgeführt, was natürlicherweise bei allen Beteiligten die ohnehin im Verfahren einer Begutachtung bestehende Befangenheit und Angst noch verstärken dürfte.
Eine Exploration des Lebensgefährten der Mutter, Herrn Z und eine Interaktionsbeobachtung zwischen ihm und den Kindern wurde nicht durchgeführt. Dies ist völlig inakzeptabel, weil Herr Z im Falle einer Übersiedlung der Mädchen zu ihrer Mutter die Rolle eines sozialen Vaters (Stiefvaters) inne hätte.
1.3. Trotz der klaren Aufgabenstellung des Gerichtes "(2) Wie sollte im Interesse der beiden Kinder und des nicht betreuenden Elternteils das Umgangsrecht am besten geregelt werden?", gibt der Gutachter hierauf keine ausreichende Antwort. Die Formulierung des Gutachters auf Seite 52 "Es sollten regelmäßige und ausgiebige Besuchskontakte zwischen den Kindern und ihrem Vater durchgeführt werden.", entspricht der klaren Frage des Gerichtes in keiner Weise.
1.4. Eine Diskussion der auf den konkreten Fall bezogenen Vor- und Nachteile der verschiedenen Sorgerechtsmodelle "Gemeinsame elterliche Sorge" versus "Alleinige elterliche Sorge" oder Teilregelung z.B. Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrecht, wird durch den Gutachter nicht vorgenommen. Er muss sich daher fragen lassen, ob er über die nötige Offenheit hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Alternativen verfügt.
1.5. Auf die Erklärung des Mitarbeiters des Jugendamtes Viersen, Herrn ... vom 8.6.01, dass den Kindern ein Wechsel aus dem bisherigen Lebensumfeld nicht zugemutet werden soll (S. 6), geht der Gutachter überhaupt nicht ein.
1.6. Eine Exploration von A hinsichtlich des von der Mutter in den Raum gestellten Vorwurfs eines sexuellen Missbrauchs durch den Vater findet nicht statt.
1.7. Eine Diskussion der Tatsache, dass die Mutter den gemeinsamen Haushalt Anfang April 2001 verließ und die Kinder in der Obhut des Vaters verblieben, findet nicht statt.
1.8. Auf die voraussichtliche Niederkunft der Mutter im Januar 2002 und ihre Implikation bezüglich der vom Gutachter empfohlenen Übernahme der Betreuung von A und B durch die Mutter geht der Gutachter an keiner Stelle ein. Dabei ist zu bedenken, dass im Falle eines Wechsels der Kinder in den neuen Haushalt der Mutter von ihr voraussichtlich vier Kinder zu betreuen wären, darunter ein Baby und der Sohn (mit ... ) von Herrn Z. Nicht besprochen ist auch die Beziehung zwischen A, B und C, die bei einem ständigen Zusammenleben von anderer Qualität sein würde, als das bisherige kurzzeitige Zusammensein im Rahmen des Umgangs.
Von Herrn Z ist nicht bekannt, ob er möglicherweise Erziehungsurlaub (Elternzeit) nehmen will, um Frau X bei der Betreuung der Kinder zu entlasten. Die Wohnsituation von Frau X ist zur Zeit für 6 Personen völlig unzureichend. Nach den Angaben von Frau X wollte sie zum 8.10.01 eine 4-Raum-Wohnung beziehen. Ob sie dies inzwischen getan hat, hat der Gutachter in seinem am 17.10.01 fertiggestellten Gutachten nicht mitgeteilt.
Vom Unterzeichnenden bestehen erhebliche Bedenken, ob ein Wechsel der Mädchen während der Zeit der Niederkunft der Mutter und der darauffolgenden 6 Monaten überhaupt mit dem Kindeswohl vereinbar ist, zumal der Vater, auch vom Gutachter nicht ernsthaft bezweifelt, gute Möglichkeiten zur weiteren Betreuung von A und B hat.
2. Darstellung einzelner Kritikpunkte
Zum Deckblatt
Das Deckblatt ist betitelt mit
"Fachpsychologisches Gutachten erstellt vom Fachpsychologischen Institut Udo Lünebrink"
Richtig ist indes, dass nur Einzelpersonen, nicht aber Gesellschaften, Institute, Vereine o.ä., als Sachverständige gemäß § 404 ZPO beauftragt werden können (vgl. "Das Sachverständigengutachten im familiengerichtlichen Verfahren", Heumann, "Familie und Recht", FuR, 1/2001, S. 17.: "Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass grundsätzlich nur eine natürliche Person Sachverständiger sein kann, nicht aber eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts. Bestellt das Gericht ein Institut zum >>Sachverständigen<<, ist diese Bestellung fehlerhaft."
Es ist zu vermuten, dass der zuständige Richter nicht ein "Fachpsychologisches Institut Udo Lünebrink", sondern den Diplom-Psychologen Udo Lünebrink mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt hat. Es steht dem Gutachter selbstverständlich frei, dem Gericht mitzuteilen, in welchen Gesellschaften er Mitglied ist oder welches Institut von ihm betrieben wird.
Zu Kapitel II. Aktenanalyse
Der Gutachter referiert auf 4 Seiten (Seite 4-7) die dem Gericht bereits bekannte Aktenlage. Es ist aber nicht Aufgabe des Sachverständigen dem Gericht die diesem natürlicherweise bekannte Aktenlage wiederzugeben, sondern die zur Beantwortung der Beweisfrage nötigen Ermittlungen anzustellen. Ganz abgesehen davon, dass die betroffenen Eltern ein Recht darauf haben, die ihnen aus der Erstellung des Gutachtens entstehenden Kosten möglichst gering zu halten. Dazu Klenner "Ein bloßes, seitenfüllendes Abschreiben der Gerichtsakten ist keine wissenschaftspsychologische Leistung und genügt deswegen nicht." Klenner "Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren", FamRZ 1989, Heft 8, S. 805, ähnlich auch Uwe-Jörg Jopt: ""Im Namen des Kindes", Rasch und Röhring, 1992, S. 254ff
Zu Kapitel III. Psychologische Untersuchung
Zu 1.2. Wohnsituation (S. 9)
Der Gutachter listet akribisch auf, wie groß das Wohnzimmer von Frau X ist, wie es tapeziert ist und welche Möbel und Gegenstände sich in dem Zimmer befinden. Unklar bleibt der Sinn dieser Aufzählung, die in analoger Weise auf S. 17 auch für die Wohnung des Vaters vorgenommen wird. Es bleibt auch völlig offen, warum es wichtig ist zu wissen, dass C`s Kinderzimmer mit einer weißen Raufasertapete tapeziert ist und mit einem grauen Teppichboden ausgelegt ist.
Zu 1.3. Ausdrucks- und Verhaltensbeobachtung S. 9 und 10
Auch hier verwundert die Akribie, mit der der Gutachter die äußere Erscheinung von Frau X beschreibt: "Sie hat blaue Augen und schulterlanges Haar ...", "... schwarze Nylon-Strümpfe und bordeaux-rot-schwarze Lacklederschuhe. Sie hat einen schwarzen Lederrucksack dabei". Solche Aufzählungen wiederholen sich im Gutachten mehrfach. Erwähnenswert wären sicher Aufzählungen auffälliger, befremdlicher oder sonderbar erscheinender Äußerlichkeiten, wie z.B. wenn eine Probandin völlig schwarz gekleidet erschienen wäre oder wenn ein Mann gelbe Schuhe an hätte. Welchen Wert die hier und auch später vorgenommenen Aufzählungen haben sollen, lässt der Gutachter nicht erkennen. Dies sollte von ihm in einer Stellungnahme oder in der mündlichen Anhörung beim Gericht vorgetragen werden. Möglicherweise ging es dem Gutacher aber auch nur darum, zu zeigen, dass er ein aufmerksamer Beobachter ist.
Zu 1.4 Exploration
Zum Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an A durch den Kindesvater (S. 14)
"Frau X`s Bruder, der 38 Jahre alte ... Y, habe der Kindesmutter 1999 erzählt, dass A ihn am Glied berührt habe."
Es verwundert schon, dass die 1999 vier Jahre alte A ihren Onkel am Glied berührt haben soll, und der Gutachter keine Rückfrage hält, bei welcher Gelegenheit und in welcher Art und Weise es zu einer Berührung des Gliedes des Onkels durch A gekommen sein soll.
Durch die Mutter wird weiterhin vorgetragen, dass Herr Z ihr im Sommer 2001 erzählt habe, "daß A ihn im Bett, in das sie gekommen sei, um mit ihrer Mutter zu kuscheln, ans Glied gefasst und daran gerieben habe." Wenn dies so geschehen sein sollte, wäre eine Abklärung sinnvoll gewesen, wie es zu einem solchen Kontakt zwischen A und Herrn Z gekommen ist und ob es sich hierbei nur um eine zufällige oder aus kindlicher Neugierde vollzogene Berührung durch A handelt oder welche sonstigen Ursachen, die möglicherweise auch in der Person von Herrn Z liegen könnten, dafür in Frage kämen. Eine solche Abklärung ist durch den Gutachter nicht erfolgt, dies verwundert um so mehr, als seine abschließende Empfehlung lautet, dass beide Mädchen in den gemeinsamen Haushalt von Frau X und Herrn Z überwechseln sollten.
Zu 1.5. Testpsychologische Untersuchung mit dem MMPI
Der Gutachter lässt völlig offen, mit welcher Zielstellung er den angegebenen Test verwendet und in welcher Weise diese mit der Beweisfrage des Gerichtes in Zusammenhang stehen soll. Die Beweisfrage des Gerichtes lautete nicht, eventuelle "Persönlichkeitsmerkmale im klinischen Sinne" zu eruieren oder Züge zu erkennen, "die krankhafte oder in einer anderen Weise störende psychische Auffälligkeiten sind" (siehe Brickenkamp "Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests", Göttingen, 1975, S. 500).
Im vorliegenden Verfahren geht es auch nicht um ein Verfahren nach § 1666 BGB Gefährdung des Kindeswohls, wo eine solche Testung möglicherweise Sinn machen könnte. Von daher kann den Ergebnissen der Testung keine für die Beweisfrage zutreffende Bedeutung zukommen.
Die vom Gutachter angegebene Durchführungszeit von 30 Minuten weicht erheblich von der bei Brickenkamp angegebenen Zeit von 60 - 90 Minuten ab.
Von der grundsätzlichen Frage nach Sinn und Unsinn dieser Testung abgesehen nachfolgend und auch unter 2.5 noch einige Kritikpunkte zu der durchgeführten Testung selbst:
Zu 1.5.1 Ergebnisse
Die vollständige Erhebung des durchgeführten MMPI ist bedauerlicherweise dem Gutachten nicht beigelegt worden, so dass eine Diskussion der auf Seite 15-16 dargestellten Ergebnisse hier nicht stattfinden kann. Die vollständige Erhebung sollte daher den Parteien noch zugänglich gemacht werden, damit diese die Möglichkeit einer Stellungnahme haben.
Der Leser wird im unklaren gelassen, wodurch der Gutachter zu den ermittelten "T-Werten" gelangt. Auch eine Darstellung solcher allgemein unbekannten Begriffe wie "Psychopathie", "Psychastenie" und "Hypomanie" erfolgt nicht. Den begutachteten Personen wie auch dem Gericht sollte es jedoch möglich sein, dem Gutachter folgen zu können.
Dazu Schorsch: "Vom Sachverständigen sollte didaktisch aufbereitet, also auch für einen Nichtfachmann nachvollziehbar, aufgezeigt werden, warum er gerade zu diesem Ergebnis in seinem Gutachten kam. Auf sämtliche Befundtatsachen sollte eingegangen werden. ... Fachbegriffe sollten erklärt werden, da der bloße Wortlaut nur selten weiterhilft. Wer weiß schon, was sich hinter den Begriffen <Agressionsgehemmtheit, Abschrecken, und Fehlschalung> ... verbirgt."
Schorsch "Sachverständige und ihre Gutachten. Zu Schwachpunkten und Fehlern in Expertisen." In: "Kriminalistik", 3/2001, S. 174-179
Auf Seite 15 wird eine L, F und K-Skale mit dazugehörigen Werten präsentiert, ohne dass der Leser erfahren kann, worum es sich bei diesen Skalen handelt und was die hier angegebenen Werte möglicherweise aussagen könnten.
Zu 2.2. Wohnsituation (von Herrn X), S. 17
Auch hier wieder eine nicht nachvollziehbare akribische Beschreibung und Aufzählung von Gegenständen im Wohnzimmer des Vaters. Warum sich der Gutachter nicht auch noch das Schlafzimmer und das Bad angesehen und beschrieben hat, bleibt offen.
Zu 2.3.
Welchem Zweck die Beschreibung der Augenfarbe und der Farbe der Strümpfe und der Sandalen von Herrn X dienen soll, bleibt vom Gutachter unbesprochen.
Zu 2.5. Testpsychologische Untersuchung mit dem MMPI
Auch hier wie unter 1.5. schon dargestellt wieder eine völlig unvermittelte Darstellung von Testergebnissen. Auffällig dabei, dass der Gutachter aus den ermittelten Ergebnissen unter zehn Spiegelstrichen ohne nähere Erläuterung Interpretationen ableitet, bei der Mutter jedoch nur unter zwei Spiegelstrichen.
Zu 3.1. Ausdrucks- und Verhaltensbeobachtung (Kind A)
Auch hier wieder akribische Beschreibungen der "untersuchten" Person: "A hat blaue Augen ... Sie trägt ... bunte Socken und blaue Schuhe"
Dann: "Im Verlaufe der Untersuchung zeigt sich, dass A das Steckspiel lösen, alle Abbildungen, die ihr gezeigt werden, richtig benennen und mindestens bis 13 fehlerfrei zählen kann."
Wozu der Gutachter diese Untersuchung anstellt bleibt offen. Die Beauftragung des Gerichtes lautet doch nicht, festzustellen, ob A über eine altersgemäße geistige Entwicklung verfügt und wie weit sie zählen kann.
Zu 3.2. Exploration
Eine gesonderte Aufführung "Zum Kindesvater" fehlt. Dies verwundert, da sogar die Großeltern mit einer eigenen Überschrift erfasst wurden.
Zum Verdacht des sexuellen Missbrauchs wird, wie schon Eingangs erwähnt, weder eine genauere Befragung des Kindes bezüglich des Vaters, noch eine Befragung bezüglich des Onkels und des Lebensgefährten der Mutter Herrn Z durchgeführt.
Zu 3.3. Testpsychologische Untersuchung mit dem FRT
Zum verwendeten "Family-Relation-Test" kritisch Leitner ("Zur Mängelerkennung in familienpsychologischen Gutachten" in "Familie und Recht" (FuR), 2/2000, S. 57-63):
"...
Anmerkungen zum Family-Relations-Test (FRT)
Das zusammen mit dem im Hinblick auf die Gütekriterien völlig unzureichendem Test "Familie in Tieren" (Brem-Gräser, 1995) insgesamt am häufigsten eingesetzte Verfahren, der Family-Relations-Test von Bene und Anthony (1957), ist im Testhandbuch von Brickenkamp (1997) explizit nicht verzeichnet. Seine Spitzenposition in der Rangfolge verdankt das Verfahren insbesondere der Tatsache, daß er in Gutachten der Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie (GWG) ausgesprochen häufig zum Einsatz kommt. Zwölf der insgesamt 16 Anwendungen dieses Verfahrens betreffen solche Gutachten. Insbesondere bei diesem Testverfahrens läßt sich erkennen, daß ausgeprägte organisationsspezifische Besonderheiten beim Einsatz bestimmter Tests offenbar kaum von der Hand zu weisen sind.
Auf Grund seiner Häufigkeit in den vorliegenden familienpsychologischen Gutachten sollen zu diesem Testverfahren noch einige ergänzende Anmerkungen gemacht werden:
Beim FRT handelt es sich um ein Verfahren, das in einer Übersetzung von Fläming und Wörner (1977) in Fassungen für vier- bis fünfjährige sowie für sechs- bis elfjährige Kinder vorliegt (vgl. Beelmann, 1995, S. 38). Beelmann referierte und diskutierte bei der Tagung der Fachgruppe Entwicklungspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. in Leipzig im Jahre 1995 "neuere Untersuchungen mit dem Family-Relations Test". Hierbei wurde deutlich, daß die Validität dieses Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs als gesichert gelten kann. Im Rahmen seines Vortrages und der anschließenden Diskussion bezeichnete Beelmann den Umgang mit diesem Verfahren in der diagnostischen Praxis zudem als "haarsträubend" und verwies in diesem Zusammenhang u. a. darauf, daß aus ökonomischen Gründen bei der praktischen Durchführung häufig instruktionsinadäquate Modifikationen vorgenommen werden."
Abbildung 3 soll die vom Kind von den anderen Personen wahrgenommene Gefühle darstellen, wobei der Vater bei ca. 6 im positiven Bereich liegt, die Mutter jedoch bei 2 im negativen Bereich. Dies wird nicht weiter besprochen.
Auch die in Tabelle 1 dargestellten Ergebnisse werden nicht besprochen. Dabei könnte die siebenmalige Zuordnung von Abhängigkeitsgefühlen von A gegenüber der Mutter die Frage aufwerfen, inwieweit sich A gegenüber der Mutter auch altersgemäße Autonomiebestrebungen erlauben darf.
Zu 3.3.2 Inhaltliche Bedeutung
Die vom Gutachter angeführten 20 Nennungen der Mutter widersprechen sich mit der Abbildung 1 auf Seite 29, nach der der Vater 20 Nennungen erhalten hat.
Der Gutachter gibt nachfolgend keine näheren Informationen zum Testverlauf, so dass die Behauptung "Sie tendiert jedoch dazu, die negativen Emotionen Herrn Niemand zuzuordnen" unbewiesen bleibt.
Die Behauptung des Gutachters: "Auch zu ihrer Schwester hat A eine hauptsächlich negative Beziehung", was heißt, sowohl zum Vater als auch zur Schwester hat A eine negative Beziehung bleibt unbegründet und widerspricht dem von A mehrmals gezeigten Interaktionsverhalten bezüglich ihres Vaters.
Zu 3.4.1 Kind A und Kind B mit dem Vater
"Herr X trägt zu diesem Untersuchungstermin eine Brille, ein graues Hemd, eine grünliche Stoffhose mit einem schwarzen Gürtel, blaue Strümpfe und schwarze Lederschuhe. ... A trägt eine Brille, einen hellgrünen Pullover mit Aufdruck, eine grünliche Stoffhose, helle Strümpfe und dunkle Schuhe. Sie trägt ihre Haare heute offen. B trägt ..."
Vergleiche dazu meine Anmerkung unter "Zu II. 1.3".
Zu 3.4.2 Kind A und Kind B mit der Mutter
"... Die Kindesmutter trägt einen roten Pullover, einen langen, blauen Rock, eine dunkel Nylonstrumpfhose und ockerfarbene Lacklederschuhe. ..."
Vergleiche dazu meine Anmerkung unter "Zu II. 1.3".
Auf Seite 36 fehlt die Information darüber, dass nach dem Abschied der Mutter von den Kindern der Vater die Kinder abgeholt haben muss und wie dieses Treffen, das von 12.35 bis 12.50 Uhr gedauert haben muss (siehe Zeitplan S. 32), verlaufen ist.
Zu 4.1. Ausdrucks- und Verhaltensbeobachtung
"B hat blaue Augen und schulterlange, blonde Haare, ... eine weiße Hose mit rosanen Blümchen, bunte Socken und dunkellilane Lackschuhe."
Vergleiche dazu meine Anmerkung unter "Zu II. 1.3".
Zu 4.2. Exploration (von Kind B)
"... A und B würden ihre Mutter oft bei Z besuchen und dort im Kinderzimmer schlafen. Z sei auch nett. Herr X sei auch nett, aber er schimpfe oft mit seinen Töchtern."
B hat hier sicher nicht von "Herrn X" gesprochen, sondern von ihrem Vater oder ihrem Papa. Dass der Gutachter hier B`s Vater (Papa) als Herrn X bezeichnet, die Mutter aber als "Mutter" und Herrn Z als "...", lässt die Vermutung einer möglichen Befangenheit des Gutachters gegenüber dem Vater aufkommen.
Zu 1.5 Beziehungen der Eltern untereinander
"Dieser Konflikt konnte nicht gelöst werden, u.a. weil Frau X dabei keine eindeutige Position bezog. ... diese Schwierigkeit bei ihr, zu einer Haltung zu stehen, wird auch in der testpsychologischen Untersuchung mit dem MMPI deutlich, wo die Kindesmutter sich nur positiv darzustellen versucht."
Hier werden, in wohl unzulässiger Weise, zwei Sachverhalte vermischt. Zum einen der Sachverhalt, dass sich Frau X im Konflikt zwischen ihren Eltern und Herrn X nicht eindeutig positioniert hat. Die ist in der Regel normal, da anzunehmen ist, dass sie sowohl ihren Eltern, als auch ihrem Mann zur Loyalität verpflichtet war. Jeder kennt das aus seinem Alltagserleben, wo man mitunter in Konflikte anderer involviert ist, bei denen diese von einem selbst Loyalität erwarten und dies aber nicht geleistet werden kann, ohne die jeweils andere Seite vor den Kopf zu stoßen.
Dieses Loyalitätsverhalten kann aber nicht gleichgesetzt werden mit der vom Gutachter beweislos vorgetragenen Behauptung, "die Kindesmutter hätte sich nur positiv darzustellen versucht."
Anschließend trägt der Gutachter beweislos vor "Herr X offenbare im MMPI eine auffällige Persönlichkeit. ...", schließt dann vierzehn angeblich festgestellte "Befunde" an und endet mit dem Satz "Diese Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten der Kindeseltern wirkt sich auch noch auf das heutige Verfahren aus". Von der "Persönlichkeit" der Mutter haben wir aber außer der Behauptung, sie hätte Schwierigkeiten zu einer Haltung zu stehen gar nichts erfahren und nun hören wir plötzlich von der "Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten der Kindeseltern". Wenn es denn so wäre, wäre dies wiederum normal, denn es zeichnet Menschen im allgemeinen aus, unterschiedlich zu sein.
Spätestens hier hätte der Gutachter aufzeigen müssen, welche Möglichkeiten zur Konfliktlösung beide Eltern, auch im Interesse ihrer Töchter nutzen sollten, z.B. Beratung in einer Familienberatungsstelle. Dies ist bedauerlicherweise an keiner Stelle des Gutachtens erfolgt. Statt dessen unterstellt der Gutachter, die Eltern könnten sich nicht im Sinne der Kinder einigen. Auch wenn es zuträfe, dass sich beide Eltern auch nach Inanspruchnahme von Beratung nicht einigen könnten, sagt das noch nichts aus, über ihre elterliche Kompetenz, da beide mit Sicherheit davon ausgehen, das jeweils Beste für ihre Kinder zu wollen. In diesem Fall - und das ist mit der Anrufung des Gerichtes geschehen, entscheidet das Gericht, in der Hoffnung, die dem Kindeswohl zuträglichste Lösung gefunden zu haben.
Zu 2.4
"Herr X`s Erziehungsfähigkeit schränkt jedoch ein, daß er wegen des unverarbeiteten Partnerschaftskonflikts die Kinder für sich gegen die Kindesmutter benutzt. Er möchte ... sie dadurch, dass er die Kinder zu sich nimmt, bzw. bei sich behält, dazu bewegen zu ihm zurückzukommen". Auch hier stellt der Gutachter eine Behauptung, auf ohne diese zu beweisen.
Dann unterstellt er dem Vater unbewiesen "ein auffälliges Persönlichkeitsprofil" und wiederholt noch einmal Behauptungen, die schon auf Seite 42 aufgeführt sind.
Zu 3.2
"Insofern sollte davon ausgegangen werden, dass bis zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung kein sexueller Missbrauch an A stattgefunden hat." Der Gutachter suggeriert mit der verwendeten sprachlichen Formulierung, dass zwar bis zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung noch kein Missbrauch stattgefunden habe, dies aber für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden könne.
Zu 3.4 Beziehung (von Kind A) zum Vater
"Er spielt in ihrem Leben eine weniger wichtige Rolle als die Kindesmutter." Hier sitzt der Gutachter eventuell ideologischen Vorbehalten auf, die möglicherweise auch auf seine Haltung bei der vorliegenden Begutachtung durchschlagen. Die wichtige Rolle des Vaters wird seit den letzten Jahren glücklicherweise immer stärker erkannt. Inzwischen liegen eine Vielzahl von Veröffentlichungen vor. Einer der bekanntesten Väterforscher ist Prof. Fthenakis vom Staatsinstitut für Frühpädagogik München, aktuell mit dem Projekt "Die Rolle des Vaters in der Familie", im Internet unter www.fthenakis.de abrufbar oder als Zwischenbericht auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums.
"A hat aber dennoch eine sehr tiefe, intensive Bindung an ihren Vater. Sie akzeptiert ihn in der momentanen Situation." Der letzte Satz suggeriert, dass A ihren Vater möglicherweise nicht mehr akzeptieren könne, gerade so, als ob sich ein sechsjähriges Kind dazu entschließen könne, eine der zwei wichtigsten Bezugspersonen in seinem Leben nicht zu akzeptieren. Der Satz wirkt auch sehr herablassend und da es keine Äußerung von A ist, sondern vom Gutachter, fragt man sich, ob darin eventuell die Herablassung des Gutachters gegenüber dem Vater zum Ausdruck kommt.
Zu 3.6. Kindeswille
Der Gutachter setzt die Frage des Gerichtes, nach der zukünftigen Betreuung der Kinder durch Mutter oder Vater, gleich mit der Frage des Sorgerechtes.
Er erläutert an dieser Stelle nicht, welcher geäußerter oder tatsächlicher Kindeswille denn vorliegt. Der Leser muss notgedrungen auf anderen Seiten nachlesen, in der Hoffnung, dort etwas zu finden. Diese Hoffnung erfüllt sich nicht, denn der Gutachter hat an keiner Stelle A zu der Frage befragt, bei welchem Elternteil sie möglicherweise ihren Lebensmittelpunkt haben will. Bei B werden auf Seite 38 und 39 immerhin zwei entgegengesetzte Äußerungen vorgetragen.
Zu V. Beantwortung der Fragestellung
Ob die Eltern für die Wiederholung der bereits auf Seite 1 abgedruckten Beweisfrage des Gerichtes bei der Abrechnung des Gutachtens auch die Kosten übernehmen müssen, wäre bei Interesse von den Eltern nachzufragen.
Der Satz "Die Beantwortung der Frage geschieht gemäß dem gerichtlichen Auftrag." , ist eine Tautologie und ähnlich "hilfreich" wie die Bemerkung "die Beantwortung der gerichtlichen Frage, geschieht durch die Beantwortung der gerichtlichen Frage." Würde nämlich die Beantwortung der Frage nicht gemäß dem gerichtlichen Auftrag erfolgen, so müsste das Gutachten insgesamt verworfen werden, da das Gericht nicht an Antworten zu Fragen interessiert ist, die es nicht gestellt hat.
S. 52. "Die psychologischen Untersuchungen machen deutlich, dass insbesondere A ihren Kindeswillen, bei ihrer Mutter leben zu wollen, sowohl klar verbal als auch in den testpsychologischen Untersuchung eindeutig macht."
Auch durch die Wiederholung der nicht belegten Behauptung des Gutachters (vgl. Zu 3.6. Kindeswille) lässt sich nicht mehr an Tatsachen schaffen, als tatsächlich vorhanden sind. Es gibt im Gutachten an keiner Stelle eine Aussage von A, zukünftig ihren Lebensmittelpunkt bei ihrer Mutter haben zu wollen. Statt dessen gibt es Mutmaßungen, Deutungen und und Interpretationen des Gutachters zu dieser Frage, die aber nicht überzeugen vermögen.
Die stereotyp vorgetragene Feststellung "Für beide Kindeseltern ist es heute noch nicht möglich, über die Belange, die Bedürfnisse und das Wohl ihrer Kinder zu kommunizieren" und die Schlussfolgerung des Gutachters, deswegen einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen, ist nicht hilfreich. Aufzuzeigen wäre stattdessen von ihm gewesen, wie die Eltern wieder in die Lage versetzt werden können, die erforderliche Kommunikation zu verbessern und ihre elterliche Kompetenz wieder in vollem Umfang wahrzunehmen (vgl. hierzu: "Alles o.k. mit dem Kindeswohl? Ein Plädoyer für eine Reform der Reform des Kindschaftsrechts", Günther Rexilius in: "Kind-Prax", 4/2001, S. 112-117; Günter Rexilius ist Diplom-Psychologe, Privatdozent an der Universität Wuppertal, praktisch tätig als Psychotherapeut, Familientherapeut und Sachverständiger)
"Die Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen bezüglich der Frage eines sexuellen Missbrauchs an A machen deutlich, dass zur Zeit keinerlei Anzeichen eines sexuellen Missbrauchs zwischen dem Kind und dem Kindesvater ermittelt werden konnte."
Dies ist die dritte Suggestion im vorliegenden Gutachten. Sie ist geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass zwar "zur Zeit" nichts ermittelt werden konnte, dies für die Zukunft aber nicht auszuschließen wäre und man so die vorsorgende Entscheidung treffen sollte, die Kinder aus dem Haushalt des Vaters zu nehmen. Wenn ich den Satz formulieren würde, "Dass zur Zeit keinerlei Anzeichen für einen Spendenskandal bei der SPD ermittelt werden konnte.", weiß jeder, dass ich der SPD doch unterstelle, dass dies in Zukunft bei ihr passieren könne.
Peter Thiel, Berlin den 12.12.2001