Expertise zum 19-seitigen Gutachten des Diplom-Psychologen Thomas Busse vom
16.06.2014
Amtsgericht Wernigerode - Aktenzeichen: 11 F 296/13
Richter/in: Harnau - Richterin am Amtsgericht
Familiensache: A (Mutter) und B (Vater)
Kind: X
geboren am ... .2007
Verfahrensbeistand des Kindes: Sabine Fitzner (Rechtsanwältin)
Mitwirkendes Jugendamt: Landkreis Harz
Erarbeitung der Expertise durch Peter Thiel
Beweisfrage laut Beschluss vom 30.01.2014:
Was entspricht dem Wohl des Kindes X am besten - ein (weiterer)
Aufenthalt im Haushalt des Vaters oder ein Wechsel in den Haushalt der Mutter?
Zum Gutachter wird bestellt:
Herr Dipl. Psych. Thomas Busse, Schreiberstr. 37, 06110 Halle
I. Vorbemerkungen
Praxisanschrift
Herr Busse wurde vom Gericht unter der Adresse Schreiberstr. 37, 06110 Halle als
Gutachter ernannt. Herr Busse gibt in seinem Gutachten dagegen die Adresse
Streiberstr. 37 an. Sehr geläufig scheint ihm die Adresse also nicht zu sein,
sonst hätte er sie richtig geschrieben.
Bei der von Herrn Busse angegebenen Adresse in Halle handelt es sich im Übrigen
wohl lediglich um eine Adresse einen Büroservices, grad so wie viele anderen
Adressen, die Herr Busse deutschlandweit unterhält und mit der Herr Busse
suggeriert, er wäre ein gerichtsnah tätiger Gutachter. Es ist davon auszugehen,
dass keines der Gespräche des Herrn Busse mit den Eltern unter dieser Adresse
geführt wurde.
Angeblich will Herr Busse das Gutachten am 16.06.2014 in Halle unterschrieben
haben. Es wird diesseits aber bezweifelt, dass Herr Busse sich am 16.06.2014 in
Halle aufgehalten hat. Bekanntermaßen befindet sich die Praxis des Herrn Busse
in Karlsruhe, also 524 Kilometer von Halle entfernt.
Es erscheint im Übrigen unwahrscheinlich, dass Herr Busse am 16.06.2014 in Halle
weilte, nur um dort eine Unterschrift unter die wenigen Seiten Papier seines
"Gutachtens" gesetzt zu haben. Es bleibt zudem zu hoffen, dass Herr Busse die
Fahrzeit von Karlsruhe nach Halle nicht in Rechnung bringt, da es den
Verfahrensbeteiligten nicht zuzumuten ist, unnötige Fahrtzeiten eines weit vom
Gerichtsstandort ansässigen Gutachters zu bezahlen.
Umfang des Gutachtens
Das Gutachten des Herrn Busse umfasst insgesamt knapp 19 Seiten. Davon sind die
Seiten 1 bis 3 Deckblatt und "Inhaltsverzeichnis", auf den Seiten 18 bis 19
Literatur-verzeichnis und Unterschrift. Mithin umfasst das Gutachten real knapp
15 Seiten.
Nun ist es letztlich für die Qualität der Arbeit eines Gutachters nicht die
Frage, ob ein Gutachten 15 Seiten oder 150 Seiten umfasst. In dem hier
vorliegenden Fall scheint es jedoch so, dass der als Gutachter eingesetzte Herr
Busse, die an eine Begutachtung zu stellenden Qualitätsanforderung - nämlich
eine nachvollziehbare Argumentation und überzeugende Beantwortung der
gerichtlichen Beweisfrage - nicht erfüllt.
Unterschrift
Üblicherweise setzt man in einem Gutachten seine Unterschrift vor das
Literaturverzeichnis, Herr Busse setzt seine Unterschrift unter das
Literaturverzeichnis, grad als ob er suggerieren wollte, die angeführte
Literatur hätte er verfasst.
II. Allgemeines
Herr Busse behauptet:
"Aus psychologischer Sicht entspricht es dem Wohl des Kindes X unter den
gegebenen Umständen am besten, wenn der Lebensmittelpunkt des Mädchens nunmehr
im väterlichen Haushalt verbleibt." (Gutachten S. 18)
Abgesehen von den redundanten Formulierungen "unter den gegebenen Umständen" und
"nunmehr" bleibt Herr Busse die Antwort schuldig, warum es dem Wohl des Kindes
am besten entspräche, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes im väterlichen
Haushalt verbleiben würde. Auf den vorhergehenden Seiten finden sich dazu
nämlich keine Ausführungen, die in einen logischen Zusammenhang mit der
Behauptung des Herrn Busse zu bringen wären.
Hier könnte die vorliegende Expertise zum Gutachten des Herrn Busse schon
schließen, denn da Herr Busse keine Argumente für seine Behauptung vorträgt,
ist das 19-seitige Schriftstück des Herrn Busse vom Gericht wohl nicht zu
verwerten.
Gleichwohl soll guter Wille aufgebracht werden, und so getan werden, als hätte
Herr Busse möglicherweise relevante Informationen gesammelt und vorgetragen, die
dazu beitragen könnten, die Beweisfrage des Gerichtes zu beantworten. Das
Gericht fragte:
Was entspricht dem Wohl des Kindes X am besten - ein (weiterer) Aufenthalt im Haushalt des Vaters oder ein Wechsel in den Haushalt der Mutter?
Hierzu lässt sich festhalten, dass das Kind gegenüber Herrn Busse erklärt haben
soll:
"Sie könne sich hinsichtlich
ihres zukünftigen Lebensmittelpunktes eigentlich auch nicht entscheiden.
Andererseits, so X dann, sei sie mit der Situation, so wie sie sich derzeit
darstelle, zufrieden."
Es gibt also nach dieser Darstellung keine Präferenz des Kindes für einen
Lebensschwerpunkt beim Vater oder bei der Mutter. Dass das Kind mit seiner
Situation zufrieden sei, heißt im Umkehrschluss ja nicht, dass das Kind mit
einer anderen Situation, Lebensschwerpunkt bei der Mutter unzufrieden wäre.
Herr Busse versucht seine dürftigen Ergebnisse optisch aufzubessern, durch die
Darstellung des von ihm durchgeführten Sterne-Wellen-Test. Allein finden sich
hier weder relevante Informationen im Hinblick auf die Beweisfrage des
Gerichtes, noch Schlussfolgerungen des Herrn Busse. Dies kann nicht verwundern,
denn "überproportional große fixierend geschwärzte Flächensterne" und eine
"disharmonische Wellenlinie" mögen zwar eine nette Dekoration für ein
Wartezimmer in einer psychologischen Praxis in Karlsruhe sein, für das Gericht
sind sie dagegen mit Sicherheit von keinem Wert und dienen in der Tat wohl nur
dazu, mit Bühnenzauber von der Leerheit des Vortrages abzulenken.
Aus Sicht des Unterzeichnenden ist das "Gutachten" des Herrn Busse als
unbrauchbar zurückzuweisen.
Peter Thiel, 20.08.2014
...
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