Stellungnahme zum Beschluss des Amtsgericht Wiesbaden vom 08.10.2003

 

 

Familiensache Herr X und Frau Y

am Amtsgericht Wiesbaden

Geschäftsnummer:

Richter

Kind: Z, geb. ...1991

Sachverständige: Dr. Sybille Kurz-Kümmerle

 

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

 

 

 

"Man sieht nur mit dem Herzen gut"

Antoine de Saint-Exupery

 

 

 

Der Beschluss und seine Begründung vermögen nicht zu überzeugen.

Der Unterzeichnende hat in seiner 25-seitigen Stellungnahme vom 21.07.2003 erhebliche fachliche Bedenken gegenüber dem durch die Sachverständige (SV) Dr. Sybille Kurz-Kümmerle vom 14.06.2003 erstellten Gutachten dargelegt, mit denen sich die SV in der darauffolgenden Stellungnahme vom 30.09.2003 im wesentlichen nicht auseinander gesetzt hat. Auch im Beschluss des Amtsgerichtes vom 08.10.2003 wird keine inhaltliche Auseinandersetzung und Diskussion mit den vorgetragenen Bedenken vorgenommen. Statt dessen ist das Gericht der fatalistischen Sicht der SV gefolgt. Der verfahrensführende Richter Herr Meier hat in seinem Beschluss die Argumentation der SV, "... dass eine Annäherung zwischen Vater und Sohn ohne echte Gefährdung für das Kindeswohl nur zu bewerkstelligen ist, indem man dem Kind die Chance einräumt, mehr Selbstsicherheit zu entwickeln, sich zu einem selbstständigen Menschen heranzuentwickeln, um von dieser Position aus die Beziehung zum Vater zu klären." unkritisch übernommen.

Die Argumentation des Gerichtes verkennt, dass es durch Fachangebote wie z.B. Begleiteten Umgang oder auch Familientherapie, durchgeführt von qualifizierten und erfahrenen Fachkräften, gute Chancen gibt, den Vater-Sohn Kontakt positiv zu entwickeln und beide Eltern wieder an die Übernahme ihrer vollen elterlichen Verantwortung heranzuführen (vgl. dazu auch meinen aktuell erschienenden Aufsatz, Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453, in der Anlage beiliegend).

Die SV verkennt die Möglichkeiten des fachlich Begleiteten Umgangs, wenn sie meint, hier ginge es darum, "dass sich das Kind resignativ beugt". Möglicherweise ist dies der Unkenntnis der SV über die Arbeit konkreter Stellen, die Umgangsbegleitung anbieten zuzuschreiben. Als Sachverständige müsste sie sich jedoch in einem solchen Fall einer Wertung zu den Möglichkeiten des Begleiteten Umgangs enthalten oder sich vorher bei entsprechenden Stellen, die Begleiteten Umgang anbieten, sachkundig machen. Eine gute Gelegenheit dazu wäre ihre Teilnahme an der 5. Bundesfachtagung Begleiteter Umgang vom 27.-28.11.2003 in Köln www.begleiteter-umgang.de

auf der die SV auch Gelegenheit hätte, den Unterzeichnenden zu treffen.

 

Genau das Gegenteil dessen, was die SV zu den Möglichkeiten von Begleiteten Umgang meint, ist der Fall. Der Begleitete Umgang hat immer auch die Stärkung des Kindes als wesentliches Ziel im Auge. Vergleiche hierzu die ausführliche Fassung meines oben genannten Aufsatzes (in "VAK Report 1/2003", und der Praxisaufsatz von Manfred Spindler: "Begleiteter Umgang bei hochkonflikthafter Trennung und Scheidung", In: "Kind-Prax", 2/2002, S. 53-57, beides dieser Stellungnahme beigefügt).

Ein Ausschluss des Umgangs wie vom Gericht angeordnet klärt und verbessert in der Regel nichts (vgl. Karle/Klosinski 2000). In der Untersuchung von Karle und Klosinski bei 30 ausgewählten Familien mit 44 Kindern, bei denen ein Gericht einen Ausschluss des Umganges beschlossen hat, kommen die Autoren zu der Feststellung: "Extrapoliert man diese Daten, so kann man davon ausgehen, dass die Empfehlung, den Umgang auszuschließen, in 90 % der Kinder bzw. der Familie dazu führt, dass kein Umgang mehr zustande kommt. Dies bezieht sich auf einen knapp 5-jährigen Katamnesezeitraum. Dabei haben sich in den vorliegenden Daten auch keine Hinweise dafür gefunden, dass es mit der Pubertät bzw. danach, wieder zu einer Kontaktaufnahme kommt, wie häufig angenommen wird. ... Zusammenfassend sind die Ergebnisse sehr ernüchternd und stimmen nachdenklich. Im wesentlichen wird durch eine - wenn auch zeitlich befristete - Empfehlung, den Umgang des nicht sorgeberechtigten Elternteil auszuschließen, in der Regel der Status quo verfestigt." (S. 346)

 

Ein Ausschluss des Umgangs ist kein geeignetes Instrumentarium zur Entwicklung gesunder Elter-Kind Beziehungen. Statt dessen birgt der Ausschluss die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung. Durch die ungeklärten Eltern-Kind-Beziehungen, im speziellen der Vater-Sohn-Beziehung, ist der Sohn mit einer schweren Hypothek belastet, die durch die Tabuisierung und Verdrängung des Konfliktes nicht gelöst wird. Er verliert seinen Vater und wird zum "einzigen Sohn" seiner Mutter.

Die SV schlägt vor, "... das Kind in der Bewältigung dieser schwierigen Situation sowohl psychotherapeutisch als auch durch entsprechende Regelungen zu stützen" sein derzeitiges familiäres System zu stärken ..." (Gutachten S. 42). Das Gericht stellt in seinem Beschluss vom 30.09.2003 jedoch noch nicht einmal hier klar, wie die Therapieempfehlung der SV umgesetzt werden soll. Derart unverbindlich wird, wenn es nicht gelingt umzusteuern, das gleiche eintreten, was nach Erstellung des ersten Gutachtens durch die SV passiert ist. Ratschläge der SV werden wohlfeile Worte bleiben und notwendige Hilfen für das Kind werden unterlassen.

Das der Richter nicht einmal diese von der SV vorgeschlagene Minimalintervention in seinem Beschluss aufgreift muss verwundern. Nach der Darlegung der SV muss eine Traumatisierung des Kindes vermutet werden, denn ein Kind was eine solche Traumatisierung nicht erfahren hat, lehnt nicht so vehement den Kontakt zum Vater ab, wie im vorliegenden Fall. Wenn der Sohn aber traumatisiert ist, so muss bei Kenntnis der Traumatisierung die Versagung einer Therapie für das Kind, bzw. für die Trennungsfamilie als unterlassene Hilfeleistung eingeschätzt (§323c StGB).

Ist jedoch keine Traumatisierung beim Kind vorhanden, so gibt es keine ausreichenden Gründe, bei einem Begleiteten Umgang eine Kindeswohlgefährdung zu unterstellen. Denn kein gesundes, nicht traumatisiertes Kind wird bei einem Kontakt mit einem Elternteil im Rahmen eines Begleiteten Umgangs einer Kindeswohlgefährdung ausgesetzt sein. Ausnahmen wären dann gegeben, wenn der umgangswahrnehmende Elternteil während des Begleiteten Umgangs selbst kindeswohlgefährdend aktiv ist, so z.B. wenn er dass Kind massiv manipuliert, bedroht, schlägt oder sexuell missbraucht. All dies wäre dann denkbar, wenn beim umgangssuchenden Elternteil massive persönliche Störungen vorliegen würden. Dies ist aber im vorliegenden Fall im Beschluss des Gerichtes nicht vorgetragen worden. Wäre dies erfolgt, so hätte der Vater eine Orientierung gehabt, was er tun kann, um die vorgeworfenen Störungen zu heilen, so. z.B. im Rahmen einer individuell von ihm wahrzunehmenden Psychotherapie. Da das Gericht eine solche Störung des Vaters nicht unterstellt hat, scheint es keine stichhaltigen beim Vater liegenden Gründe für einen Umgangsauschluss zu geben.

Im übrigen ist bei einem qualifiziert durchgeführten Begleiteten Umgang nicht zu befürchten, dass es beim Kontakt von Kind und Vater zu Übergriffen durch den Vater kommt, da die Umgangsbegleiter bei einer Gefährdungssituation jederzeit den Umgang abbrechen können und müssen.

 

Der Vortrag des Gerichtes, die "SV war soweit in der Lage, bei der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens sich mit den vorgetragenen Kritikpunkten auseinander zu setzen" (Beschluss S. 3), im speziellen wohl mit der Kritik des Unterzeichnenden in seiner 25-seitigen Stellungnahme, kann nicht geteilt werden. Plakative Erklärungen der SV wie: "Für mich steht im Vordergrund das Kindeswohl, dies vermisse ich bei Herrn Thiel.", sind reine Polemik und ersetzen keine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit meiner Stellungnahme.

Ihre argumentative Überlegenheit scheint Frau Kurz-Kümmerle darin zu sehen, dass sie Psychologin ist und Herr Thiel - wie sie glaubt - Mathematiker sei. Welche Qualifizierungen der Unterzeichnende tatsächlich hat, kann sie den unten gemachten Angaben entnehmen oder auf www.kind-im-zentrum.de einsehen oder auch im persönlichen Disput erfahren. Ich bin auch gerne bereit mich im Beschwerdeverfahren dem zuständigen Oberlandesgericht mit meiner Sachkunde zur Verfügung zu stehen.

 

Die SV operiert mit subjektiven Einstellungen und prognostischen Vermutungen wie: "Meines Erachtens darf das Kind nicht zu einem Umgang gezwungen werden. Die heraus resultierenden Schädigungen könnten gravierender sein. Entsprechende Langzeituntersuchungen haben gezeigt, dass Kinder, die zu solchen Umgang gezwungen werden, eher Schaden davon tragen, wie wenn dies nicht der Fall wäre." (Protokoll S.2)

Die SV beruft sich in ihrer Behauptung auf "Langzeitstudien" die sie noch nicht einmal mit Quellenangaben benennt. Das ist unseriös.

Eventuell bezieht sich die SVhier die sogenannte Wallerstein-Studie ("Langzeitwirkungen der elterlichen Ehescheidung auf Kinder. Eine Längsschnittuntersuchung über 25 Jahre", Judy Wallerstein, Julie Lewis, In: "FamRZ", 2/2001, S. 65-72.)

Die SV verkennt, dass es in der Studie um Kinder aus hochstrittigen Trennungsfamilien ging, die ohne eine fachliche Begleitung, wie z.B. Begleiteten Umgang, durch ein Gericht zum Umgang mit einem Elternteil gezwungen wurden. Dies muss naturgemäß mit einer starken Abwehrreaktion älterer Kinder und Jugendlicher enden.

 

Die Argumentation der SV ist aber auch aus einem anderen Grunde fehlerhaft. Es ist unzulässig aus dem Scheitern in einem anderen konkreten Fall abzuleiten, dass auch in dem hier vorliegenden Fall ein Scheitern mit einer Kindeswohlgefährdung vorprogrammiert wäre. Wenn das so wäre, dürfte es in Deutschland überhaupt keine gerichtlichen Umgangsregelungen geben, weil es immer wieder Fälle gab und gibt, wo der Umgang zu einer Kindeswohlgefährdung geführt hat.

Die SV meint dann, eine Therapie für das Kind sollte zu Ziel haben, "eine Unterstützung des Kindes, damit dieser zu einer eigenen, freien Entscheidung kommen kann." (Protokoll S. 2). Die SV verkennt, dass das Kind nur dann zu einer freien Entscheidung kommen kann, wenn es sich nicht mehr im Loyalitätskonflikt mit den Eltern befindet. Dies wird nur dann der Fall sein können, wenn die Mutter dem Sohn die "innere Erlaubnis" gibt, Kontakt mit seinem Vater zu haben. Dies ist zur Zeit nicht zu sehen und auch eine auf das Kind orientierte Therapie wird das nicht leisten. Spätestens dann, wenn ein Therapeut ernsthaft das Vater-Sohn-Thema in der Therapie thematisieren würde, würde die Mutter die Therapie beenden, das sie sich selber nicht in der Lage sieht eine differenzierte Sicht auf den elterlichen Konflikt zu entwickeln, statt einem simplen Täter-Opfer-Schema anzuhängen, dass der eigenen Schuldentlastung dient.

Die Unterstellung der SV Umgang könnte nur in der Form durchgeführt werden, dass damit "Kontrollverlust" beim Kind eintreten würde, ist nicht zutreffend. Der Begleite Umgang hat ja gerade die Aufgabe den Beteiligten, insbesondere dem Kind, einen sicheren und verlässlichen Rahmen zu geben, im dem die Begegnung zwischen dem Kind und seinem getrennt lebenden Elternteil stattfinden kann. Hinzu kommt im Begleiten Umgang die Elternarbeit, die mittelfristig ermöglicht, dass die Eltern ihrer gemeinsamen Verantwortung gegenüber ihrem Kind wieder nachkommen können.

 

Die SV meint dann "Die Durchführung dieser Test und die Exploration sind Stand der Wissenschaft."

Eine Exploration (Untersuchung u. Befragung, Nachforschung; Duden - Fremdwörterbuch), ist per se erst einmal nichts wissenschaftliches. Die Benutzung eines Fremdwortes ist keine Wissenschaft. Auch die Verwendung von Test sind per se kein Gütesiegel für Wissenschaftlichkeit. Zur Verwendung von psychodiagnostischen Tests schreibt Professor Jopt (1992, S. 284/296): "Ausnahmslos alle Gutachter scheinen unerschütterlich davon überzeugt zu sein, dass für eine die Gerichte beeindruckende Dokumentation ihres professionellen Könnens der Einsatz von Testverfahren .. absolut unverzichtbar ist."

Dem Beschwerdegericht könnte es Aufgabe sein, Diplom-Psychologin Kurz-Kümmerle und Professor Jopt zur Klärung der Frage der Wissenschaftlichkeit um eine entsprechende Fachdiskussion zu bitten.

 

 

 

Fazit

Der Konflikt der Eltern und die derzeitige Gefährdung des gemeinsamen Sohnes aus diesem ungelösten Konflikt muss ernst genommen werden. Ein Umgangsauschluss, wie von der Sachverständigen empfohlen, zementiert den Konflikt, statt ihn zu lösen. Die eingetretene Vater-Sohn Entfremdung wird konserviert und birgt die Gefahr der Irreversibilität mit Langzeitfolgen für das betroffene Kind. Einer Kindeswohlgefährdung, so wie von der SV gesehen, kann nicht durch eine in Kauf genommene andere Kindeswohlgefährdung behoben werden. Statt dessen müssen durch eine fachliche Begleitung die erforderlichen Schritte zur Wiederanbahnung der Kontakte zwischen Vater und Sohn, sowie die Wiederherstellung der elterlichen Kompetenz und Kooperationsbereitschaft beider Eltern in Angriff genommen werden. Das Kammergericht Berlin hat in einem ähnlich gelagerten Fall eine Anordnung begleiteten Umgangs des Vaters mit seinem 13 Jahre alten Sohn trotz dessen nachhaltiger Ablehnung beschlossen. Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 21.07.2000 - 13 UF 9842/99, veröffentlicht in: "Das Jugendamt", 5/2003, S. 263; "Kammergerichts Report", 12/2001, "FamRZ", 2001, Heft 6, S. 368-369

 

Selbstverständlich kann der Begleitete Umgang in dem hier vorliegenden hochstrittigen Fall nicht ehrenamtlich arbeitenden Kräften überlassen werden. Die erforderlichen qualifizierte Fachkräfte wird es jedoch auch in Wiesbaden geben.

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 30.10.2003

Literatur:

 

Jopt, Uwe-Jörg: "Im Namen des Kindes. Plädoyer für die Abschaffung des alleinigen Sorgerechts"; Rasch und Röhring 1992

Karle; Klosinski: "Ausschluss des Umgangs - und was dann?",

In "Zentralblatt für Jugendrecht", 9/2000, S. 343-347

Spindler, Manfred: "Begleiteter Umgang bei hochkonflikthafter Trennung und Scheidung", In: "Kind-Prax", 2/2002, S. 53-57.

Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453

Wallerstein, Judy; Lewis, Julie: "Langzeitwirkungen der elterlichen Ehescheidung auf Kinder. Eine Längsschnittuntersuchung über 25 Jahre", In: "FamRZ", 2/2001, S. 65-72

 


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