Stellungnahme zum Schreiben der Sozialarbeiterin Frau Forst vom Amt für Soziale Arbeit Wiesbaden vom 27.04.04 an das Oberlandesgericht Frankfurt/Main, Herrn Richter ...

 

 

Familiensache Herr X (Vater) und Frau X (Mutter)

 

am Amtsgericht Wiesbaden

Geschäftsnummer: 535 F 69/02

Richter Herr Meier

 

 

OLG Frankfurt/Main, Aktenzeichen 3 UF 312/03

Richter Jürgen Ostermüller

 

 

Kind: Z, geb. ....1991

 

 

27.04.2011: Mittlerweile ist der Sohn 18 Jahre alt. Der Kontakt zum Vater ist immer noch unterbrochen.

 

 

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

Es erscheint zweifelhaft, ob die Bemühungen der Sozialarbeiterin Frau Forst in die richtige Richtung gegangen sind. Dass der Sohn Z den Kontakt zu seinem Vater derzeit ablehnt, war ja schon bekannt. Die Sachverständige und das Gericht haben eine solche Befragung schon in ausreichendem Maße vorgenommen ist. Von daher, das hätte von der Sozialarbeiterin gesehen werden können, konnte von einer erneuten Befragung des Jungen keine neuen Impulse erwartet werden. Es ist im Gegenteil zu erwarten, dass sich durch eine Wiederholung der Befragung die ablehnende Haltung des Jungen nur verfestigt.

 

Wenn der Sohn dann auch noch von der Mutter und deren jetzigen Ehemann zum Gesprächstermin beim Jugendamt bis vor die Tür der Sozialarbeiterin begleitet wird und diese auch als erste mit der Sozialarbeiterin sprechen dürfen, so ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, wo der Junge derzeit steht und stehen muss. Von einer echten Wahl kann da nicht gesprochen werden.

 

Warum die Sozialarbeiterin nicht Vater und Sohn zu einem gemeinsamen Gespräch gebeten hat und statt dessen auf die Befragung des Sohnes mit dem voraussehbarer Ergebnis der weiteren Kontaktablehnung durch Z Wert gelegt hat, bleibt vorerst ungeklärt.

Nebenbei bemerkt, scheint Herr X, der Vater von Z , von der Sozialarbeiterin nicht zu einem Gespräch eingeladen worden zu sein, so dass die Sozialarbeiter ihren Eindruck auf den familiären Konflikt lediglich aus der Sicht der Mutter geschildert bekam.

 

Z, so die Sozialarbeiterin, wolle mit seinem Vater "erst mal nichts" zu tun haben, vielleicht wenn er größer wäre "und nicht mehr Angst vor ihm habe"

Es stellt sich hier die Frage, ob Z tatsächlich vor seinen Vater Angst hat und wenn ja, ob diese so groß ist, dass er geradezu panische Angst bekäme, wenn er seinen Vater sehen würde oder mit ihm persönlichen Kontakt hätte. Wenn dem so wäre, so wäre der Sohn zweifellos traumatisiert und die Mutter wäre aus ihrer Fürsorgepflicht heraus verpflichtet, dem Sohn eine angemessene psychotherapeutische Hilfe zu kommen zu lassen. Unterließe sie dies, so könnte dies als Gefährdung des Kindeswohls nach §1666 BGB angesehen werden oder möglicherweise sogar als Straftat nach §171 StGB Verletzung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht.

Ist die vom Jungen angeführte Angst dagegen nicht so groß, dass man eine Traumatisierung vermuten könnte, so spräche aus dieser Perspektive nichts gegen eine durch erfahrene professionelle Fachkräfte unterstützte Begleitete Umgangsanbahnung.

 

Was jedoch viel näher für die Verweigerungshaltung des Sohnes spricht, als durch individuelle Verhalten des Vaters gegenüber seinem Sohn ausgelöste Angst, ist ein massiver Loyalitätsdruck, dem der Sohn zwischen Mutter und Vater stehend unterliegt und in dem er sich auf der Seite der Mutter positioniert, die ja zur Zeit real seine Hauptbezugsperson ist (noch dazu mit einem neuen Ehemann zusammenlebend), und deren Liebesentzug er nicht riskieren kann oder will (vgl. Mackscheidt, Elisabeth: "Loyalitätsproblematik bei Trennung und Scheidung - Überlegungen zum Kindeswohl aus familien-therapeutischer Sicht", In: "FamRZ", 1993, Heft 3, S. 254-257)

 

Dass ein solcher massiver Loyalitätsdruck vorliegen dürfte und Hauptgrund der Verweigerung des Sohnes ist, wird letztlich auch daran deutlich, dass die Mutter gar kein Interesse an einer fachlich unterstützten Kontaktanbahnung hat. Statt dessen wiederholt sie ständig, dass der Sohn vom Vater faktisch traumatisiert wäre und deshalb den Kontakt verweigere, um aber gleichzeitig die Notwendigkeit psychotherapeutischer Hilfe für ihren Sohn zu verneinen, was letztlich auch verständlich ist, da der Sohn eben nicht traumatisiert ist.

 

Wenn aber keine Traumatisierung für die Kontaktverweigerung durch den Sohn ursächlich ist, was dann? Es dürfte sich im wesentlichen um einen schweren Loyalitätskonflikt des Sohnes handeln, der jedoch nicht dadurch zu beheben ist, dass man ihn wie hier geschehen noch ein weiteres Mal befragt. Dass für Kontaktverweigerung sehr häufig schwere Loyalitätskonflikte ursächlich sind, ist in der Fachliteratur mittlerweile wohl unbestritten. Trotzdem scheinen eine Reihe von Berufspraktikern immer noch dem Mythos einer "natürlichen" Eltern-Kind Entfremdung ausschließlich durch negatives Verhalten des entfremdeten Elternteils anzuhängen.

 

 

 

Was kann getan werden?

Um in diesem tragischen und zur Zeit festgefahrenen Familienkonflikt eine zufriedenstellende Lösung zu erreichen, bedarf es einer fachlichen Unterstützung der gesamten Trennungsfamilie durch mit dieser Thematik hochqualifizierten Fachkräfte. Alles andere muss, so wie der Konflikt sich hier darstellt, notgedrungen scheitern. Es mag sein, dass es im Raum Wiesbaden solche Fachkräfte nicht gibt, dann wäre darüber nachzudenken, ob man auswärtige Fachkräfte hinzuzieht. Anfragen kann man in dieser Angelegenheit bei der Bundesarbeitsgemeinschaft für systemische Sicht im Familienrecht, c/o Prof. Dr. Uwe Jopt, Universität Bielefeld, Abteilung Psychologie, Universitätsstr. 25, 33615 Bielefeld

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 17.05.2004

 

 


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