Stellungnahme zum Schreiben von Rechtsanwalt B. vom 04.03.2004 an das Oberlandesgericht Frankfurt/Main

 

 

Familiensache Herr X (Vater) und Frau Y (Mutter)

am Amtsgericht Wiesbaden

Geschäftsnummer: 535 F 69/02

Richter Herr Meier

 

 

OLG Frankfurt/Main, Aktenzeichen 3 UF 312/03

Richter Jürgen Ostermüller

 

Kind: Z (Sohn), geb. ... .1991

 

 

 

27.04.2011: Mittlerweile ist der Sohn 18 Jahre alt. Der Kontakt zum Vater ist immer noch unterbrochen.

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

 

 

 

Das Schreiben von Rechtsanwalt B. erbringt nach Ansicht des dieses Verfahren seit längeren als Privatsachverständiger begleitenden Unterzeichnenden weder neue Erkenntnisse noch neue Argumentationslinien. Wiederholt werden stattdessen schon bekannte Vorträge, die dadurch nicht an Überzeugungskraft gewinnen.

 

Der Unterzeichnende hat bereits in ausführlicher Form zu dem Konflikt der Eltern und deren in diesen Konflikt involvierte gemeinsame Kind Stellung genommen und Lösungsvorschläge aufgezeigt, die allen Beteiligten helfen können aus der unabänderlichen Vergangenheit in die gestaltbare Gegenwart zu kommen und in verantwortungsvoller Neugestaltung der Elternverantwortung nachzukommen, statt wie offenbar die Mutter meint, mit Ausgrenzung des Vaters Probleme zu lösen.

 

Die Mutter hat ihrem jetzt 13jährigen Sohn offensichtlich aufgetragen, gegenüber Rechtsanwalt B noch einmal tatsächlich oder vermeintlich passierte negativen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Vater zu erzählen. Es fragt sich, inwieweit die Mutter damit nicht ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem Sohn verletzt hat. Nach dem früher vorgebrachten Vortrag der Mutter ist der Sohn traumatisiert. Nun fordert sie ihn aber auf, über die realen oder vermeintlichen traumatisierenden Ereignisse gegenüber einem ihm unbekannten Mann, Rechtsanwalt B der keine therapeutische oder pädagogische Ausbildung haben dürfte, zu sprechen. Wenn der Sohn tatsächlich, wie von der Mutter behauptet, traumatisiert wäre, so setzt sie ihn damit der Gefahr einer Retraumatisierung aus. Dies ist um so unverständlicher, als dem Gericht bereits ein umfangreiches Sachverständigengutachten der Diplom-Psychologin Kurz-Kümmerle vorliegt. Es fragt sich, was die Mutter mit ihrer Aufforderung an den Sohn, einem ihm unbekannten Rechtsanwalt zu berichten, außer einer abermaligen Belastung des Sohnes bringen soll? Vermutet werden muss hier, dass die Mutter ihren Sohn für den elterlichen Konflikt instrumentalisiert und damit, wenn dies tatsächlich so sein sollte, das Kindeswohl gefährdet.

 

Wenn die Mutter tatsächlich einen gerichtlichen Interessenvertreter für ihren Sohn sucht, so kann sie, so wie auch der Vater, beim Gericht anregen, einen Verfahrenspfleger für das Kind zu bestellen. Diesen kann sie allerdings nicht wie einen von ihr selbst ausgesuchten Anwalt beauftragen, sondern muss denjenigen akzeptieren, den das Gericht bestellen würde.

 

Bei sachkundiger Betrachtung von außen fühlt man sich bei dem vorliegenden Geschehen an die Darlegungen von Prof. Dr. Burkhard Schade und Michael Harschneck in ihren Aufsatz "Die BGH-Entscheidungen im Rückblick auf die Wormser Missbrauchsprozesse. Konsequenzen für die Glaubhaftigkeitsbegutachtung aus der Sicht des psychologischen Gutachters und des Strafverteidigers", (In: Praxis der Rechtspsychologie, November 2000, S. 28-47) erinnert, in dem die Autoren schildern, wie ein anfänglicher Missbrauchsverdacht gegen die Angeklagten infolge von Suggestionen der Kinder durch beteiligte Fachkräfte bei den Kindern zu der "Gewissheit" führte, sie wären tatsächlich missbraucht worden.

 

Rechtsanwalt B trägt vor, Z hätte sich ihm gegenüber so geäußert:

 

"Im Sommer 1999 wollte mein Vater mit mir nach Polen. Nach einem Telefonat, was er wahrscheinlich mit seiner Familie führte, fuhren wir auf die Autobahn. Nach einiger zeit hielten wir auf einem Rastplatz. dort liefen wir zwischen Lastwagen herum und zur Leitplanke an der Autobahn. Mein Vater sagte: `Wie schnell das Leben durch rum sein kann und dass vielleicht heute der letzte Tag in unserem Leben ist.` Danach lief er zu einer Telefonzelle und telefonierte sehr lange Zeit mit meiner Mutter. Einige Zeit später fuhren wir dann zur Mutter nach Hause zurück. Sie erwartete uns mit ihrem Freund, der mir dann half, als mein Vater mich wieder mitnehmen wollte. Ich wollte auf keinen Fall wieder mit ihm mitfahren, da ich Angst hatte, weil er so wütend war und mit dem Auto gerast ist. Danach bin ich für einen längeren Zeitraum nicht mehr zu meinem Vater, weil ich große Angst hatte, dass er wieder mit mir wegfährt."

 

Ein damals achtjähriger Junge merkt sich den damals vom Vater angeblich geäußerten Satz : "Wie schnell das Leben durch rum sein kann und dass vielleicht heute der letzte Tag in unserem Leben ist.`"

 

Viereinhalb Jahre später erinnert sich der jetzt 13jährige Sohn an diesen Satz angeblich so genau, dass Rechtsanwalt B ihn in wörtlicher Rede zitiert haben will. Für das Gericht sollte das zum einen Grund zum Misstrauen sein (vgl. Stoffels, H.; Ernst, C.: "Erinnerung und Pseudoerinnerung. Über die Sehnsucht, Traumaopfer zu sein.", In: "Nervenarzt", 2002, Heft 5, S. 445-451).

Zum anderen ist es letztlich aber relativ belanglos, was denn vor viereinhalb Jahren wirklich passiert ist, denn die Gegenwart ist die Gegenwart und es muss überlegt werden, was real getan werden kann, um Beziehung neu zu gestalten und den bei Tatenlosigkeit abzusehenden stehenden Beziehungstod zwischen Vater und Sohn und der zu vermutenden problematischen Symbiose zwischen Mutter und Sohn mit denkbar problematischen Folgen für den Sohn abzuwenden.

 

Gegenwartsgestaltung ist auch der Ansatz jeglicher Therapie, denn die Vergangenheit kann nicht mehr verändert werden. Therapie kann daher nur dabei helfen, Gegenwart neu zu gestalten. In der systemischen Therapie geht man auch nicht davon aus, dass das was der Klient von der Vergangenheit erzählt, die Wirklichkeit darstellt, sondern das was die Wirklichkeit des Klienten ist. Daher hat die systemische Therapie auch kein Problem damit, dass sich in der systemischen Familientherapie verschiedene Klienten mit verschiedenen Sichtweisen was denn die Wirklichkeit sei treffen. Systemische Therapie fragt nicht, wer Recht hat oder was denn die Wirklichkeit sei, sondern wo Entwicklung stattfinden kann.

 

Rechtsanwalt B schreibt: "Z möchte aufgrund der Erlebnisse auf keinen Fall mehr alleine zu seinem Vater" (S. 3).

Nun sei dahin gestellt, welche Erlebnisse Rechtsanwalt B meint.

Richtig ist indes und das hat der Unterzeichnende schon mehrmals dargelegt, dass beim derzeitigen Konflikt der Eltern und des involvierten Sohnes bei der Wiederanbahnung des Kontaktes zwischen Vater und Sohn eine kompetente fachkundige möglichst familientherapeutisch qualifizierte Begleitung der Eltern und des Sohnes von Nöten ist. Wird diese Begleitung in die Hände von Laien oder nicht ausreichend qualifizierten Fachpersonal gelegt, ist der Misserfolg vorprogrammiert.

Konkrete Vorschläge was im Fall der beiden Eltern und ihres Sohnes getan werden kann, hat der Unterzeichnende schon in vorherigen Stellungnahmen gemacht, sie sollen daher hier nicht wiederholt werden.

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 15.03.2004

 

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