Stellungnahme zum Gutachten der Diplom-Psychologin Dr. Sibylle Kurz-Kümmerle vom 03.04.2004

 

 

Familiensache X

am Amtsgericht Mainz

Geschäftsnummer: 32 F 290/03

Richterin Frau Nikolaus

 

Kind: A (Sohn), geb. ....2000

 

 

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

...

 

 

Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 28.11.2003, abgeändert am 30.12.2003:

 

"Es soll ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt werden zur Frage der Regelung der elterlichen Sorge für A."

 

 

 

 

 

Einführung

Die familiengerichtliche Beauftragung an die Sachverständige (SV) Frau Kurz-Kümmerle überlässt es offenbar der Sachverständigen selbst festzulegen, was eigentlich ihr Auftrag sei. Es ist zu vermuten, dass eine solche Beauftragung durch das Familiengericht unzulässig ist und schon von daher fraglich ist, inwieweit das Gutachten innerhalb des laufenden Verfahrens überhaupt Anwendung finden kann.

Die SV postuliert in ihrer "Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung" eine "massive Kindeswohlgefährdung" und eine massive und grundlegende Einschränkung der Erziehungskompetenz der Eltern (S. 48). Ohne eine "langfristige grundlegende Psychotherapie" so die SV, "wird es nicht zu einer Verbesserung der Bewältigungsfertigkeiten der Kindeseltern in problematischen Situationen kommen können."

Die SV stellt dann fest: "Damit ergeben sich für A bei keinem der beiden Elternteile ausreichende Entwicklungschancen."

Die SV schreibt weiter: "Daher wird empfohlen zur Sicherung des Kindeswohls, das Kind in einer heilpädagogischen Einrichtung mit einem therapeutischen Angebot oder begleitender ambulanter Therapie unterzubringen. ... Wenn die Eltern dieser Maßnahme nicht zustimmen, ist ein Sorgerechtsentzug aus psychologischer Sicht im Interesse des Kindes zu bedenken" (S. 49)

 

Nun ist die Beweisfrage des Gerichtes bedauerlicherweise so unverbindlich getroffen worden, dass sich nicht überprüfen lässt, ob die SV überhaupt zu einem Thema Stellung nehmen kann, das vom Gericht gar nicht angefragt worden ist. Weder hat das Gericht gefragt, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, noch welche Maßnahmen möglicherweise getroffen werden sollten. Wenn es denn aber eine solche Frage an die SV gestellt hätte, wäre erst noch vom Gericht zu prüfen, ob der Grundssatz der Verhältnismäßigkeit nach §1666a BGB eingehalten würde.

 

 

§ 1666a BGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen)

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. ...

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, daß sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

 

 

Dieser Paragraph ist der Sachverständigen möglicherweise nicht bekannt, andernfalls hätte sie sicher abgeklärt, welche Möglichkeiten der öffentlichen Hilfe, wie z.B. Familientherapie, geeignet wären, die Trennung des Kindes von der Familie, die ja oft auch eine Traumatisierung darstellt, zu vermeiden.

Auch die Möglichkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Aufgabenbereich Gestaltung der Umgangskontakte hätte die SV diskutieren können. Möglicherweise fehlten ihr auch hier die entsprechenden rechtlichen Kenntnisse.

 

§ 1909 BGB (Ergänzungspflegschaft)

(1) Wer unter elterlicher Sorge oder unter Vormundschaft steht, erhält für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern oder der Vormund verhindert sind, einen Pfleger.

(2) ... (3)

 

 

Da beides seitens der SV nicht thematisiert worden ist, erscheint ihre Empfehlung als die angeblich einzig mögliche (S. 50) nicht überzeugend. Die Idee der SV, bei einer Fremdunterbringung des Kindes würden die Eltern womöglich eine therapeutische Aufarbeitung beginnen scheint eher dem Wunschdenken der SV geschuldet als der Realität von Eltern, deren Kinder fremduntergebracht sind. Wunschdenken sagt immer mehr über den aus, der es hat, als über den, den es betreffen soll.

Die SV geht im übrigen wohl fehl in der Annahme in einer Individualtherapie würde die gegenseitige Kommunikationsfähigkeit der Eltern wesentlich verbessert. Gegenseitige Kommunikation kann nur im Miteinander geübt und verbessert werden, dafür bietet sich eine Familientherapie gerade zu an. Im übrigen können innerhalb von Familientherapie auch Sitzungen einzeln mit den Eltern vereinbart werden.

Dass die SV einem individualpsychologischen Ansatz verhaftet zu sein scheint, zeigt, dass sie sich offenbar nicht bemüht hat, ein gemeinsames Elterngespräch durchzuführen. Das hindert die SV jedoch nicht zu behaupten: "Die Kindeseltern sind nicht zur Kooperation in der Lage ..." (S. 43).

Wie will die SV die Kooperationsfähigkeit der Eltern realistisch einschätzen, wenn sie eine direkte Begegnung der Eltern gar nicht erlebt hat? Dies erinnert den Unterzeichnenden ein wenig an Karl May, der Bücher über die Indianer schrieb, ohne selbst in Amerika gewesen zu sein. Nun, wir wissen heute, dass Karl May eine gute, um nicht zu sagen blühende Phantasie hatte, die die fehlende Vor-Ort In-Augenscheinnahme ersetzte und immerhin Bücher hervorbrachte, die ein Millionenpublikum erreichten. Ob gleiches später auch einmal von der Sachverständigen zu berichten sein wird, scheint dem Unterzeichnenden ungewiss.

Es mag sein, dass die SV in der Führung gemeinsamer Elterngespräche ungeübt ist, in diesem Fall sollte sie dies dem Gericht mitteilen und nicht eine selbst nicht überprüfte Kommunikationsunfähigkeit der Eltern unterstellen.

Im übrigen müsste in einem Verfahren nach §1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) dem Kind ein Verfahrenspfleger bestellt werden, dieser hätte auch die Aufgabe, sich mit dem Gutachten auseinander zusetzen und im Interesse des Kindes auf eventuelle Mängel des Gutachtens hinzuweisen.

 

§ 50 FGG (Pflegerbestellung)

(1) Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.

(2) Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn

1. das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht,

2. Gegenstand des Verfahrens Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls sind, mit denen die Trennung des Kindes von seiner Familie oder die Entziehung der gesamten Personensorge verbunden ist (§§ 1666, 1666a des bürgerlichen Gesetzbuchs), oder

3. ...

Sieht das Gericht in diesen Fällen von der Bestellung eines Pflegers für das Verfahren ab, so ist dies in der Entscheidung zu begründen, die die Person des Kindes betrifft.

(3) Die Bestellung soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Kindes von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten werden.

(4) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird,

1. mit der Rechtskraft der das Verfahren abschließenden Entscheidung oder

2. mit dem sonstigen Abschluß des Verfahrens.

(5) ...

 

 

 

 

Allgemeines

Die SV beschriftet ihr Gutachten durchgängig mit der Abkürzung "GWG", wodurch der Eindruck entstehen kann, die GWG, eine Gesellschaft mit Sitz in München (die Rechtsform ist dem Unterzeichnenden nicht bekannt) hätte etwas mit der Beauftragung durch das Familiengericht Mainz zu tun. Diesen Eindruck erweckt auch die Mitteilung der SV, die Akten wären "bei der GWG am 07.01.2004" eingegangen (S. 3). Dabei ist doch klar, dass als Sachverständige immer konkrete Einzelpersonen zu bestellen sind, nicht jedoch Gesellschaften welcher Rechtsform auch immer, wie die SV möglicherweise suggerieren will.

Die SV teilt mit: "Das elterliche Erziehungsverhalten wird gemäß einem Kriterienkatalog (Arbeitsmaterial der GWG-Hessen) bewertet." (S. 38). Nun fragt man sich, wer das denn sei, die "GWG-Hessen", ist dies ein eingetragener Verein, eine lose Verbindung interessierter Menschen oder eine GmbH? Und welche Position nimmt in dieser nicht näher beschriebenen "GWG-Hessen" die SV ein?

Wieso findet sich im Literaturverzeichnis des Gutachtens keine Angabe zu diesem von der SV benannten "Kriterienkatalog"? Er ist offenbar auch nicht dem Gutachten als Anlage beigefügt, so dass sich die Beteiligten über dessen Qualität nicht sachkundig machen können. Wie verhält es sich überhaupt mit sogenannten "Kriterienkatalogen"? Kann jeder SV seinen eigenen Kriterienkatalog erfinden und anwenden oder bedarf es dazu einer Legitimation einer Vereinigung wie der GWG von der öffentlich nicht näher bekannt ist, nach welchen internen Regeln sie funktionieren und ob die erforderliche Legitimation vorhanden ist, eigene Kriterienkataloge zu entwickeln und diese für die Tätigkeit von Sachverständigen zu benützen? Möglicherweise kann die SV dies dem Gericht noch erläutern?

 

 

 

Sprache

Die SV verwendet im Gutachten durchgängig die antiquierten, vormundschaftlichen und Distanz herstellenden Begriffe "Kindesvater", "Kindesmutter" und "Kindeseltern", Begrifflichkeiten, die nicht geeignet sind, die Eltern als das zu sehen und zu fördern, was sie sind, nämlich Vater und Mutter (vgl. Kaufmann 1999). Es fragt sich, ob die SV, falls sie selbst Mutter wäre, sich von anderen Menschen mit Kindesmutter bezeichnen lassen würde.

 

 

 

Einzelpunkte

Auf der Seite 6 schreibt die SV: "Explorative Gespräche um den Willen des Kindes zu erkunden."

Um was für einen Willen des Kindes es sich hier handeln soll, teilt die SV nicht mit. Geht es um den Willen um 19 Uhr ins Bett zu gehen, um den Willen die Zahlen bis 5 zu lernen, um den Willen frühmorgens in den Kindergarten zu gehen oder um den Willen die Zähne zu putzen?

Ist es überhaupt sinnvoll, bei einem 3 Jahre und vier Monate alten Kind "den Kindeswillen" erkunden zu wollen (vgl. Flammer 2003)?

Wahrscheinlich war es dass Anliegen der Sachverständigen, herauszufinden welchen Willen der Junge bezüglich seines Aufenthaltsortes hätte. Dieser Wille, so er überhaupt vorhanden, scheint nicht vorhanden zu sein, so die SV: "A ist vom Entwicklungsalter her noch gar nicht in der Lage zu einer autonomen, konstanten Willensbildung bezüglich seines Aufenthaltes."

Wieso die SV zu Beginn ihrer Tätigkeit meint den Willen des Kindes feststellen zu wollen, um später festzustellen, dass sie einen solchen Willen gar nicht erkunden kann, bleibt unklar.

Die SV teilt mit, dass sie die Exploration des Kindes mithilfe des KEF (Kinder-Explorations-Fragebogen, basierend u.a. auf den Leitfragen von Westhoff, 2000 durchgeführt hätte (S. 6). Allerdings findet man im Gutachten selbst keinen expliziten Hinweis darauf, wann denn nun dieser Fragebogen verwendet worden wäre und was eventuelle Ergebnisse seien.

Die SV schreibt weiter: "Frau X ist nicht in der Lage, zu einer eigenständigen Existenzsicherung durch berufliche Tätigkeit." (S. 39) Wieso die SV meint, sich zu dem Thema Existenssicherung äußern zu müssen bleibt im vagen. Vielleicht gibt es einen gewissen Neid seitens der Sachverständigen, dass sie tagaus tagein arbeiten muss, derweil die Mutter Frau X ihren Lebensunterhalt vom Sozialamt sichergestellt bekommt.

Möglicherweise ist der Sachverständigen nicht bekannt, was allerdings sehr verwundern muss, da sie schon viele Jahre als Sachverständige in familiengerichtlichen Verfahren tätig zu sein scheint, dass die Gerichte im allgemeinen davon ausgehen, dass keine Pflicht zur Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils besteht, bis zu einem Alter des Kindes von ca. 8 Jahren (vgl. Jantke 2002, S. 38). Nun kann man ja geteilter Meinung sein, ob die Oberlandesgerichte hier nicht einer antiquierten Auffassung von Mutterschaft huldigen. In Deutschland gehen Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen Mütter keiner Erwerbsarbeit nach und betreuen statt dessen persönlich ihre Kinder. Die SV kann doch nicht meinen, dass diese alle irren müssen. Solches würde wohl derzeit noch nicht einmal von der ostdeutschen Regionalpartei PDS geäußert, die sich ja sehr für flächendeckend Krippen- und Kindergartenangebote stark macht und allen Müttern die das wollen eine Erwerbsarbeit ermöglichen will.

Auch wenn einem modernen Menschen der Gegensatz der SV zur obergerichtlichen Rechtssprechung hinsichtlich der Pflicht zur Erwerbsarbeit nicht fremd erscheint, kann die SV nicht so tun, also ob es diese offizielle Wertung nicht gäbe und stattdessen die eigenen Lebensmaßstäbe zum Maß aller Dinge machen. Oder sollte gar im "Kriterienkatalog der GWG-Hessen" die Erwerbsarbeit von Müttern mit dreijährigen Kindern ein Maß für deren Erziehungsfähigkeit sein?

Wie auch immer, mit ihrer Wertung lässt die SV durchschimmern, dass die Mutter des gut dreijährigen Sohnes doch nun endlich mal einer Erwerbsarbeit nachgehen solle und wenn sie das nicht täte, so stünde dies in einem Zusammenhang mit dem familiengerichtlichen Verfahren. Solches Verhalten der SV lässt vermuten, dass es ihr an der notwendigen Neutralität gegenüber der Mutter mangelt und lässt so beim Unterzeichnenden den Verdacht der Befangenheit gegenüber der SV entstehen.

 

Die SV behauptet dann: "Familienmitglieder beschaffen Frau X Daten über den Kindesvater. Frau X selbst übernimmt hier über Nachbarn Versuche, über das Leben des Kindesvaters informiert zu sein" (S. 39)

Nun bleibt unklar, woher die SV dies wissen will. Aus der Erzählung des Vaters (S. 21.-22)? Dies könnte möglicherweise den Tatsachen entsprechen - muss aber nicht. Die SV macht sich jedoch, so weit aus dem Gutachten ersichtlich, nicht die Mühe den Vortrag des Vaters zu verifizieren, so z.B. in dem sie die genannten Nachbarn persönlich befragt. Da sie dies nicht tun, ist es unzulässig von ihr, den Vortrag des Vaters als Tatsachenbehauptung "Familienmitglieder beschaffen Frau X Daten über den Kindesvater. Frau X selbst übernimmt hier über Nachbarn Versuche, über das Leben des Kindesvaters informiert zu sein" hinzustellen. Da die SV dies dennoch tut, erhärtet sich beim Unterzeichnenden der Verdacht der Befangenheit gegenüber der Mutter.

 

Auch wenn der Unterzeichnenden die hier vorliegende Stellungnahme im Auftrag für Frau A angefertigt hat, hier eine kurze Bemerkung zur Beschreibung des Vaters durch die SV.

Die SV schreibt: "Es muss daher daraus geschlossen werden, dass er nach wie vor nicht über Möglichkeiten verfügt, mit kritischen Lebensereignissen zurecht zu kommen." (S. 41). Die SV bezieht sich dabei auf den Unfalltod der ersten Ehefrau des Vaters, den Verlust der zweiten Frau, der Mutter Frau X und damit verbunden dem relativen Verlust seines Sohnes A . Weiterhin die Kündigung durch seinen früheren Arbeitgeber. Dies alles bezeichnet die SV als "kritischen Lebensereignisse" für die der Vater nicht über Möglichkeiten verfügen würde, damit zu recht zu kommen. Nun fragt man sich, wie die SV reagiert hätte, wenn ihr wie sie verniedlichend schreibt, ähnliche "kritische Lebensereignisse" widerfahren wären und ob sie diese "Ereignisse", man sollte doch besser von persönlichen Katastrophen sprechen, besser als dies der Vater möglicherweise vermocht hat, bewältigt hätte.

Im Gegensatz zur Auffassung der Sachverständigen ist aus Sicht des Unterzeichnenden der Vater relativ gut durch die persönlichen Katastrophen gekommen. Der SV reicht dies aber offenbar nicht aus. Sie insistiert darauf, dass der Vater (s. 41) wie auch die Mutter (S. 39) eine Psychotherapie machen müssten, um ihre Lebenskrisen zu bewältigen. Da sie dies aber offenbar entgegen den Ratschlägen der SV nicht tun, muss ihnen die SV schlechte Noten attestieren.

 

Die SV schreibt weiter: "Den Kindeseltern gelingt es in keinster Weise, die kindlichen Bedürfnisse getrennt von den eigenen wahrzunehmen und auf diese Rücksicht zu nehmen." (S. 41)

Die SV vermischt damit in wohl inakzeptabler Weise die derzeitige Beeinträchtigung der Eltern das Kind aus dem Elternkonflikt möglichst weitgehend herauszuhalten, mit der Befähigung der Eltern überhaupt für ihr Kind da zu sein. Dass letzteres so wäre, ist anhand der Befunde der SV nicht zu erkennen. Die Behauptung der SV muss daher zurückgewiesen werden.

Wozu die SV die Frage debattiert, ob A von einem Hund gebissen worden wäre oder nicht (S. 42) und die dazugehörige Verhaltensweise des Vaters bezüglich dieses von der SV selbst "nicht objektivierbaren" Vorfalls diskutiert, bleibt hinsichtlich des familiengerichtlichen Verfahrens weitgehend unklar. Seitens der SV ist auch nicht zu erkennen, was die Debatte über diesen Vorfall bringen könnte.

Die SV behauptet dann: "Die Kindeseltern sind nicht zur Kooperation in der Lage", um sich noch im selben Satz gleich selbst zu widersprechen: "auch wenn es immer wieder Phasen besseren kooperativen Verhaltens gibt" (S. 43). Ja was denn nun? Gibt es nun Phasen besseren kooperativen Verhaltens und wenn ja, kooperieren die Eltern da oder was machen sie in diesen Phasen?

 

Die SV spricht dann ein pessimistisches Verdikt aus: "Es kann überhaupt kein Vertrauen zwischen den Eltern entstehen. Es ist auch perspektivisch nicht zu erwarten, dass sich durch Beratung hier eine grundlegende Verbesserung einstellt. Vincent wird auch auf längere Sicht in diesem Konflikt der Eltern zerrieben werden." (S. 43)

Für wie wenig kompetent hält die SV eigentlich die in den Familienberatungsstellen arbeitenden Mitarbeiter/innen, dass sie es ausschließt, dass durch Familienberatung, Familientherapie oder ähnliche Interventionen eine Verbesserung der Situation eintreten kann? Wenn die SV Familienberater und Familientherapeuten für derart hilflos hält, hat sie entweder nur Erfahrungen mit inkompetenten Fachkräften gemacht oder sie hängt einem grundlegenden Nihilismus an, was beim Unterzeichnenden die Frage aufwirft, ob die SV in dem von ihr ausgeübten Tätigkeitsbereich an der richtigen Stelle ist?

Zum Thema Bindungen postuliert die SV dann: "Bindung bedeutet dabei in Anlehnung an die oben genannten Autoren eine gefühlsbestimmte Beziehung zwischen einem Kind und einer oder mehrere Bindungspersonen, mit denen das Kind Kontakt hat und die vorrangig vom Kind in Interaktionen mit diesen Personen gestaltet wird." (s. 44)

Die SV möge doch erklären, wie sie auf ihre Behauptung kommt, dass Bindungsbeziehungen zwischen Kind und Bindungspersonen "vorrangig vom Kind in Interaktionen mit diesen Personen gestaltet wird.". Real dürfte es so sein, dass zwischen Kind und Bindungspersonen ein wechselseitiger Kommunikationsprozess stattfindet, der vom Kind eher intuitiv gefühlsbestimmt gestaltet wird, während beim Erwachsenen rationales Denken dazu tritt. Eine Unterscheidung, was wichtiger wäre, das Kind oder der Erwachsene erscheint unter einem systemischen Gesichtspunkt sinnlos, da die eine Seite genau so wichtig ist wie die andere Seite.

Die SV postuliert dann: "A hat keinerlei Kontinuität erlebt seit der Trennung der Eltern." (S. 46) . Die SV scheint zu verkennen, dass A in seinem gut dreijährigen Leben einiges an Diskontinuität hinnehmen musste, was sicher nicht als kindeswohlförderlich bezeichnet werden kann, nun aber gleich so wie die SV davon zu sprechen, dass Vincent überhaupt keine Kontinuität erlebt hätte, dürfte an der Realität vorbei gehen.

 

 

Was kann getan werden?

 

Der Unterzeichnende empfiehlt, dass sich beide Eltern vor dem Familiengericht verpflichten eine Familientherapie zu beginnen. Für die Dauer der Familientherapie kann durch das Gericht eine Umgangspflegschaft eingerichtet werden. Möglicherweise kann dem Pfleger auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen werden. Beide Maßnahmen sichern, dass A im Haushalt der Mutter verbleiben kann und Umgangskontakte mit seinem Vater stattfinden können.

 

 

Schluss

Sollte das Gericht auf Grund der vorgetragenen Kritik an dem vorliegenden Gutachtens die Notwendigkeit der Einholung eines Obergutachtens sehen, so empfehle ich dafür Diplom-Psychologen Günter Rexilius aus Mönchengladbach. Kontaktherstellung ist über die Bundesarbeitsgemeinschaft für systemische Sicht im Familienrecht oder über den Unterzeichnenden möglich.

Bundesarbeitsgemeinschaft für systemische Sicht im Familienrecht, c/o Prof. Dr. Uwe Jopt, Universität Bielefeld, Abteilung Psychologie, Universitätsstr. 25, 33615 Bielefeld

 

 

 

Peter Thiel, 11.05.2004

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