Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Prof. Dr. Robert J. Feinbier vom 11.10.2004

 

 

Familiensache X (Vater) und Y (Mutter)

A (Tochter, geb. ... .2001

 

am Amtsgericht Regensburg

Aktenzeichen: 203 F 1247/04

Richter Schneider

 

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel 

(geringfügig überarbeitet am 22.03.2010)

 

... 

 

 

Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 32-seitige schriftliche Gutachten, nebst neunseitigen Exkurs zum Thema "Alleinerziehende Väter" und vier Seiten diverse Erläuterungen des Gutachters (GA), sowie ein einstündiges Telefonat des Unterzeichnenden mit dem Vater.

 

 

Gerichtliche Fragestellung vom 20.08.2004 (laut Darstellung des Gutachters im Gutachten S. 3):

 

 

"Mit Beschluss vom 20.08.04 bin ich beauftragt gutachterlich Stellung zu nehmen zur Frage ES, Aufenthaltsbestimmungsrecht, tatsächlicher Aufenthalt des Kindes A * 16.10.01"

 

 

 

 

 

I. Vorbemerkung

Sollte es tatsächlich so sein, dass das Familiengericht lediglich, wie vom Gutachter formuliert, den Auftrag gegeben hat,

 

"gutachterlich Stellung zu nehmen zur Frage ES, Aufenthaltsbestimmungsrecht, tatsächlicher Aufenthalt des Kindes Emma",

 

 

so wäre eine solche Beschreibung derart allgemein formuliert, dass sich die Frage stellt, ob das Gericht hier dem Gutachter nicht einen genauer formulierten Beweisbeschluss hätte zur Verfügung stellen müssen, so dass klar wäre, dass der Gutachter nicht als Hilfsrichter fungiert, sondern als Gehilfe des Gerichtes, der die für das Gericht gewünschten unterstützenden Tätigkeiten, für die es sich selbst nicht als kompetent genug ansieht, zu leisten hat. Eventuelle Entscheidungen zum Sorgerecht und Aufenthaltsbestimmungsrecht sind originäre Aufgabe des Richters und können daher, so wie es der vom Gutachter zitierte Beweisbeschluss vermuten lässt, nicht an den Gutachter delegiert werden. Im übrigen zeigt sich im Gutachten eine offenbar mangelhafte Kenntnis des Gutachter vom Kindschaftsrecht, insbesondere vom handlungsleitenden

 

 

§ 1697a BGB Kindeswohlprinzip.

Soweit nicht anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel (Anm.: §1626 bis 1698b) geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

 

 

 

andernfalls hätte der Gutachter die rechtlichen Bestimmungen, die eine Umsiedlung des Kindes über 280 Kilometer rechtfertigen würden, dargelegt und seine Empfehlung nicht darauf gestützt, dass bei einer Umsiedlung "keine gravierenden Folgen" zu erwarten wären, sondern statt dessen dargelegt, dass eine Umsiedlung

 

 

"unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht."

 

 

 

Der Gutachter empfiehlt dem Gericht, das Kind A aus dem väterlichen Haushalt, das gleichzeitig der Wohnort des Kindes seit dessen Geburt ist, herauszunehmen und in den 280 Kilometer entfernten Haushalt der Mutter, die dann, nach Angabe des Gutachters, mit dem Kind im Haus ihrer Eltern leben will, umzusiedeln.

Ein solch schwerwiegender Eingriff in das Leben des Kindes, wie vom Gutachter vorgeschlagen, müsste nach §1697a BGB durch eine Argumentation untermauert werden, die aufzeigt, dass dies dem Wohl des Kindes auch am besten entsprechen würde. Dies kann hier nach aufmerksamen Durcharbeiten des Gutachtens nicht festgestellt werden. Im Gegenteil. Die bloße Behauptung des Gutachters 

 

"Ein eventueller Wechsel der Lebenssituation für dieses Kind lässt jetzt keine gravierenden Folgen erwarten." (S. 33)

 

 

wird der Forderung nach der für das Kindeswohl besten Entsprechung sicher nicht gerecht. Vielmehr ist zu erwarten, dass A durch eine Herausnahme aus ihrem gewohnten Lebensumfeld, dazu gehört auch der von ihr seit 10/2004 besuchte Kindergarten und der seit einem Jahr erfolgenden und gewohnten Betreuung durch ihren Vater, offenen Auges einer Destabilisierung ausgesetzt würde.

 

Der Gutachter meint, seine Empfehlung auf folgende von ihm vorgetragene Meinungen stützen zu können:

 

1. Der Vater wäre "im Alltag aber inzwischen völlig auf sich alleine gestellt und befindet sich erstmals in einer sozial isolierter Lebenssituation, ohne dass sich seine materielle Existenzsicherung verbessert hätte." (S. 31)

2. Der Vater hätte keine familiären Ressourcen direkt verfügbar. Er hätte keine Partnerschaft, wie er es einmal angegeben hätte. Eine Aufnahme des Vaters von seinen Eltern ist nicht erwogen. (S. 31)

3. Der Vater wäre sich nicht "bewusst, welche Aufgaben langfristig auf ihn als allein erziehenden Kv zukommen, zumal bei der Erziehung eines Mädchens." (S. 32)

4. "Die Erziehungseinstellungen und -ziele des Kv" würden nicht ausreichend erkennbar machen, "dass er wirklich angemessen auf die sich jetzt stellende Aufgabe vorbereitet ist". (S. 32)

5. "Die Persönlichkeit des Kv ist erkenntlich psychisch instabil und die Erziehung und Versorgung des Kindes stellt eine weitere Belastung dar, die der Kv nicht selbst zu erkennen vermag, die aber zu weiteren Belastungen führen wird. ..." (S. 32), so die vom Gutachter vorgetragene Meinung.

 

 

Die vom Gutachter vorgetragenen Begründungen vermögen hier nicht zu überzeugen. Der Gutachter lässt es auch an einer Betrachtung der bei der Mutter gegebenen Voraussetzungen fehlen, die dafür oder dagegen sprechen würden, dass die Mutter den Vater, nachdem dieser seit einem Jahr die Betreuung des Kindes im wesentlichen allein und offenbar auch erfolgreich wahrgenommen hat, so wie es auch der Gutachter einräumt ("Hinweise auf eine nicht normgerechte Entwicklung des Kindes haben sich nicht ergeben" (S. 5)), nun in der Betreuung des Kindes ablösen sollte.

Nebenbei sei angemerkt, dass der Gutachter nach Angabe des Vaters gegenüber dem Unterzeichnenden offenbar keine Interaktionsbeobachtung zwischen Kind und Eltern vorgenommen hat, ja schlimmer noch, das Kind persönlich nie gesehen, auch keinen Hausbesuch bei den Eltern vorgenommen hat, wie will der Gutachter sich da eine realistische Meinung von dem Kind und seinen Beziehungen zu seinen Eltern gebildet haben können, die als halbwegs verlässliche Grundlage für das Gericht dienen könnte?

Hier komme ich zu einem weiteren wichtigen Kritikpunkt. Der Gutachter meint, sich zu den weiteren Perspektiven des Kindes und der Eltern äußern zu können, ohne dass er (nach Angabe des Vaters gegenüber dem Unterzeichnenden) überhaupt eine Interaktionsbeobachtung zwischen Kind und den Elternteilen vorgenommen hat. Dies erscheint schon nicht mehr nur ein entschuldbarer Fehler zu sein, sondern eine grobe Fahrlässigkeit.

 

 

Qualitätssicherung und Schadensersatz

Ist vom Gericht ein Gutachter / Sachverständiger bestellt worden, haben die von der Bestellung betroffenen Personen ein Recht darauf, dass dieser seine Arbeit in der gebotenen Qualität durchführt. Dies schließt ein, dass der Gutachter die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit dem Gericht und den Beteiligten in einem qualitativ wenigstens ausreichenden, schriftlichen oder mündlichen Vortrag mitteilt, so dass der Richter, darauf aufbauend den Fortgang des Verfahrens betreiben kann.

Der Gutachter hat das Gutachten unparteiisch und nach besten Wissen und Gewissen zu erstatten (§410 ZPO), d.h. er hat während seiner Arbeit die gebotene Unparteilichkeit zu wahren und sich auf dem aktuellen Stand der fachwissenschaftlichen Debatte zu bewegen. Weist die Arbeit des Gutachter erhebliche Mängel auf, kann von den davon Betroffenen Schadensersatz verlangt werden.

 

§ 839a BGB

(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.

(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.

 

 

 

Dass hier ein Schadensersatzanspruch eintreten könnte, wird vom Unterzeichnenden vermutet. Letztlich obliegt es jedoch den von der Arbeit des Gutachters Betroffenen hier gegebenenfalls eine rechtliche Klärung möglicher Ansprüche vornehmen zu lassen.

 

 

 

 

II. Allgemeines

Die Mitarbeit der Beteiligten an der Begutachtung ist freiwillig (vgl. BVerG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 20.5.2003 - 1 BvR 2222/01, veröffentlicht in: "Familie und Recht", 9/2003). Um die Beteiligten darüber nicht im Unklaren zu lassen, sollte der Gutachter sie über die Freiwilligkeit ihrer Teilnahme und Mitarbeit, insbesondere auch der Freiwilligkeit ihrer Teilnahme an psychodiagnostischen Tests, informieren. Dies ist bedauerlicherweise durch den Gutachter offenbar nicht vorgenommen worden.

Tonbandaufzeichnungen von den Gesprächen des Gutachter mit den erwachsenen Beteiligten, insbesondere mit der Mutter und dem Vater wurden nach Aussage des Vaters gegenüber dem Unterzeichnenden nicht gemacht. Das ist bedauerlich, da so ein möglicher Vorwurf einer nachträglichen falschen oder verzerrten Wiedergabe von Gesprächsinhalten durch den Gutachter nicht mehr entkräftet werden kann.

Über den Tag, die Tageszeit und Zeitdauer der jeweiligen Begegnungen des Gutachters mit den Beteiligten erfahren wir im Gutachten leider nichts.

Einer Diskussion unter allgemeinen Aspekten des Kindeswohls kommt der Gutachter wohl nur ungenügend nach. Eine Orientierung für die Erstellung von Gutachten gibt der Kindeswohlbegriff. Zum Kindeswohl werden die Sicherung wichtiger Bedürfnisse des Kindes gezählt, wie die

 

"physiologischen Bedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen, etc.; das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit; das Bedürfnis nach Verständnis und sozialer Bindung; das Bedürfnis nach seelischer und körperlicher Wertschätzung; das Bedürfnis nach Anregung, Spiel und Leistung und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung" (Schone, Gintzel u.a.).

 

 

 

Andere wichtige Aspekte, die üblicherweise unter dem Begriff der "psychologischen Sorgerechtskriterien" erfasst werden, sind:

a) Kindorientierte Kriterien

1. die Bindungen und Beziehungen des Kindes zu den Eltern

2. die Willenshaltung des Kindes

3. das Kontinuitätsprinzip

 

b) Elternorientierte Kriterien

4. Erziehungsfähigkeit der Eltern (Förderkompetenzen)

5. die Bindungstoleranz der Eltern (Kooperationsfähigkeit)

6. die äußeren Betreuungsmöglichkeiten der Eltern.

 

 

 

 

 

Gemeinsame Gespräche

Die Arbeitsweise des Gutachters ist offenbar statusdiagnostisch orientiert.

 

 

vgl. hierzu:

Jopt, Uwe; Zütphen, Julia: "Psychologische Begutachtung aus familiengerichtlicher Sicht: A. Entscheidungsorientierter Ansatz"; In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 9/2004, S. 310-321

Jopt, Uwe; Zütphen, Julia: "Psychologische Begutachtung aus familiengerichtlicher Sicht: B. Lösungsorientierter Ansatz"; In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 10/2004, S. 362-376

 

 

 

Eine interventionsdiagnostische oder systemisch-lösungsorientierte Arbeitsweise, so wie es nach §1627 BGB und §52 FGG erwartet werden kann (vgl. Bergmann; Jopt; Rexilius, 2002), ist leider nicht zu erkennen. Der Gutachter hat es insbesondere unterlassen, beide Eltern zu einem gemeinsamen Gespräch mit ihm einzuladen, um den Auftrag des Gerichtes mit ihnen gemeinsam zu erörtern und nach Möglichkeiten der Konfliktlösung zu suchen. Dadurch ist es dem Gutachter auch nicht möglich, die für eine eventuelle gerichtliche Entscheidung wichtigen Fragen wie die Befähigung der Eltern zur gegenseitigen Kommunikation, die Kooperationsbereitschaft und die Bindungstoleranz der Eltern realistisch zu beurteilen?

Man kann fragen, ob der Gutachter damit seiner Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen. Hierzu Bode (2001, S. 143):

 

"Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und derjenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen."

 

 

An anderer Stelle Schade/Friedrich (1998):

 

"Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten."

 

 

Zur Frage ob GA auch interventionsdiagnostisch arbeiten sollten Karle/Klosinski:

 

"Versteht man Scheidung und Trennung nicht als singuläre Ereignisse, sondern als Prozesse, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es ausreichend ist, sich mit der Feststellung eines Zustands zu begnügen und daraus entsprechende Empfehlungen abzuleiten, oder ob es nicht sinnvoller oder gar erforderlich ist, modifizierend in diesen Prozess einzugreifen. Der Begriff `Interventionsgutachten` umschreibt diesen Sachverhalt. Dies ist nur möglich auf ausdrücklichen Wunsch eines Gutachtenauftraggebers, könnte aber in solchen Begutachtungsfällen auch nach den ersten Explorationen von Seiten des Sachverständigen dem Gericht vorgeschlagen werden. Der Gutachter wäre dann in gewissen Sinne ein `Mediator` auf Wunsch des Gerichtes." (Karle; Klosinski 2000)

 

 

 

Das Gutachten zeigt keine Verweise auf wissenschaftliche Grundlagen bezüglich der durch den Gutachter vorgenommenen Vorgehensweisen, Schritte, Befragungstechniken, verwendeter Tests und deren Gütekriterien, der Begutachtung zugrunde liegender Literatur und Standards, usw. Dazu Leitner (S. 58):

 

"Ein familienpsychologisches Gutachten sollte auch im Hinblick auf literarische Gestaltungsprinzipien elementare wissenschaftliche Standards erfüllen. So besteht eine unabdingbare Forderung u. a. darin, daß im Gutachten umfängliche Literatur- bzw. Quellenangaben auch über die den Interpretationen zugrundeliegenden Theorien und Konzepte gemacht werden. Wörtliche- oder sinngemäß aus Quellen (Akten, Literatur) entnommene Passagen sind als solche im Text kenntlich zu machen. Ein Gutachten, das solche Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens mißachtet, kann nicht den Anspruch erheben `eine wissenschaftliche Leistung` (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994, S. 8) zu sein, wie dies in den eingangs zitierten Richtlinien der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen für `ein solches Gutachten` (aaO) ausdrücklich gefordert wird."

 

 

 

 

Sprache

Der Gutachter verwendet im Gutachten durchgängig die antiquierten, vormundschaftlichen und Distanz herstellenden Begriffe "Kindesvater", "Kindesmutter" und "Kindeseltern", Begrifflichkeiten, die nicht geeignet sind, die Eltern als das zu sehen und zu fördern, was sie sind, nämlich Vater und Mutter (vgl. Kaufmann 1999). Es fragt sich, ob der Gutachter, falls er selber Vater wäre, sich von anderen Menschen mit Kindesvater bezeichnen lassen würde.

Dass der Gutachter dann die ohnehin problematischen Bezeichnungen Kindesvater und Kindeseltern noch als Kv, Km und KE abkürzt, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Dass Herr Feinbier sich selbst sprachlich auf das Kürzel SV reduziert, sei ihm dagegen unbenommen, schließlich kann er sich selbst nennen wie er will. Denkbar wäre auch das Kürzel RJF, RF oder SVRF. Letzteres klingt besonders elegant und steht einem Professor sicher nicht schlecht zu Gesicht.

 

 

 

 

Literaturangaben

Zu einer soliden Arbeitsweise eines Gutachters oder Sachverständigen gehört eine Literaturangabe der verwendeten Literatur und diagnostischen Tests. Diese fehlt im vorliegenden Gutachten. Statt dessen gibt der GA einen Quellennachweis für die Testverfahren AFS, CASCAP-D und DISyps-KJ, obwohl er diese Tests in seinem Gutachten gar nicht als verwendet anführt. Peinlich wird es dann schon, wenn er mit dem AFS ein Testverfahren anführt, das "für Kinder und Jugendliche im Alter von 9-17 Jahre" vorgesehen ist, das Kind A aber gerade erst drei Jahre alt ist. Es macht so den Anschein, als ob der Gutachter auch mit Textbausteinen arbeitet, die er relativ unaufmerksam, egal ob passend oder unpassend, in sein Gutachten einbaut.

 

 

 

 

 

III. Einzelpunkte

 

Der Gutachter schreibt:

 

"Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein bei Vorlage des Gutachtens gerade 3 Jahre alt gewordenes Mädchen, das bis zur Trennung der KE in 7/03 von der Km betreut wurde." (S.5)

 

 

Diese Behauptung des Gutachter erstaunt. Es erscheint schlechterdings unmöglich, dass der Vater, der bis Juli 2003 mit der Mutter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat, sich nicht an der Betreuung der Tochter beteiligt haben soll. Woher der Gutachter meint, dies dennoch in Erfahrung gebracht zu haben, teilt er leider nicht mit. Der entsprechende Nachweis sollte daher vom Gutachter, so es ihm überhaupt möglich ist, noch nachgetragen werden.

Der Gutachter schreibt weiter:

 

"Hinweise auf eine nicht normgerechte Entwicklung des Kindes haben sich nicht ergeben. ...

Auf eine Exploration des Kindes hat der SV verzichtet, um dem Kind weitere Belastungen zu ersparen. Dass Bindungen des Kindes zu beiden Ke bestehen wird von den Ke nicht bestritten.

Dem SV sind keine Zweifel geblieben, dass jeder Elternteil angemessen mit dem Kind umgehen kann, so wie es in einer üblicherweisen einstündigen Verhaltensbeobachtung deutlich werden kann. Auf eine eigene Verhaltensbeobachtung" des Kindes im Umgang mit einem Elternteil wurde deshalb verzichtet." (S. 5 und 6)

 

 

Ohne das Kind im Kontakt zu seinen Eltern zu erleben, ohne die Haushalte der Eltern in persönlichen Augenschein zu nehmen, empfiehlt der Gutachter den Wechsel des Kindes aus dem väterlichen Haushalt, in dem das Kind seit seiner Geburt lebt, in den Haushalt der inzwischen 280 Kilometer im Haus der eigenen Eltern entfernt lebenden Mutter. Es stellt sich hier die Frage, auf welchen fachlichen Fundament der Gutachter steht, um in dieser Art Empfehlungen abzugeben.

Wozu der Gutachter seine auf den Seiten 10-11, 13, 15-17, 22, 24-28 dargestellten verschiedene Tests mit den Eltern durchführt hat, wird von ihm nicht erläutert und bleibt somit unklar. Der Gutachter misst dem Einsatz psychodiagnostischen Tests offenbar einen Stellenwert bei, der wissenschaftlich nicht zu halten ist. Dazu Rexilius (Bergmann; Jopt; Rexilius, 2002, S. 153):

 

"Diese Tests sind zumeist projektive und halbprojektive Verfahren, deren methodische Grundlagen fragwürdig sind und einer Interpretationswillkür unterliegen, die sie für die Praxis unbrauchbar macht; selbst in den Fällen, die Regeln für die Deutung der Testergebnisse vorgeben, zeigt sich in der Praxis, dass die Anwender ihre eigenen Deutungen und subjektiven Interpretationen vorziehen, Die quantifizierenden Verfahren haben andere, aber nicht weniger gravierende Schwächen: Ihre Validität, also die Gültigkeit ihrer Messergebnisse, hält keiner theoretischen und methodischen Kritik stand, viele Einflussfaktoren bleiben unberücksichtigt und sind nicht zu kontrollieren, in den Ergebnissen steckt mithin alles Mögliche, ... "

 

 

Zu Gütekriterien psychodiagnostischer Tests Leitner (2000):

 

"Nicht nur in Fällen, bei denen unkonventionelle Verfahren zur Anwendung kamen, die in einschlägigen Testhandbüchern nicht verzeichnet sind, sollte es aber Aufgabe der Sachverständigen sein, über die Erfüllung der Gütekriterien im Gutachten Rechenschaft abzulegen und damit die Aussagegültigkeit der testdiagnostischen Basis auch für das Gericht nachvollziehbar zu erörtern. Dies wäre gleichsam ein ganz wesentlicher Beitrag zur Transparenz der Aussagegültigkeit von Entscheidshilfen für das Gericht und zur Qualitätssicherung bzw. Qualitätsverbesserung, die es nachdrücklich anzustreben gilt."

 

 

Der Gutachter kommt bei der Burteilung der Situation, ob ein dreijähriges Mädchen, das seit einem Jahr vom Vater betreut wird, bei diesem bleiben soll oder in den Haushalt der Mutter wechseln soll zu dem Schluss, dass das Mädchen in den Haushalt der Mutter übersiedeln soll. Der Gutachter schreibt:

 

"Ein eventueller Wechsel der Lebenssituation für dieses Kind lässt keine gravierenden Folgen erwarten." S. 33

 

 

Man stelle sich einmal vor, ein Vater dessen dreijähriger Sohn seit einem Jahr bei der Mutter lebt, würde beim Gericht beantragen, dass der Sohn nun zu ihm käme, wahrscheinlich würde der Vater von 90 Prozent der deutschen Gutachter für verrückt erklärt werden. Im umgekehrten Fall scheint es jedoch kein Problem zu sein, solche Empfehlungen abzugeben. Eine solche Ungleichbehandlung von alleinerziehenden Vätern und alleinerziehenden Müttern kann mit dem Vorhandensein von Geschlechterstereotypen und unreflektiert gebliebenen Idealbildern erklärt werden. Dies machte es jedoch nicht entschuldbar.

 

vgl hierzu:

Schweitzer, Jochen: "Unglücklich machende Familienideale. Ihre Dekonstruktion in der Psychotherapie", In: "Psychotherapeut", 2004, Heft 1, S. 15-20

Maiwald, Kai-Olaf; Scheid, Claudia; Seyfarth-Konau, Elisabeth: "Latente Geschlechterdifferenzierungen im juristischen Handeln. Analyse einer Fallerzählung aus der familiengerichtlichen Praxis"; In: "Zeitschrift für Rechtspsychologie", Juli 2003, S. 43-70

 

 

 

Dass solche Stereotype bei Laien oft vorzufinden sind, ist verzeihlich. Einem in familiengerichtlichen verfahren tätigen Gutachter dürfte jedoch so etwas nicht passieren, da ihm sonst zu Recht Befangenheit vorgeworfen werden kann.

 

Der Gutachter schreibt weiter:

 

"Der Kindesvater erscheint wenig bewusst, welche Aufgaben langfristig auf ihn als allein erziehenden Kindesvater zukommen, zumal bei der Erziehung eines Mädchens."

 

 

Mal abgesehen vom misslungenen Sprachstil "allein erziehenden Kindesvater", fragt man sich, wie es Hunderttausende von "alleinerziehenden Kindesmüttern" schaffen einen Sohn in ihrem Haushalt großzuziehen? Wer nimmt denn da eigentlich die Sexualaufklärung vor und wer passt auf, dass die Mütter mit ihren Söhnen keine sexuellen Heimlichkeiten haben?

Der Gutachter bereichert die Debatte zur Kontinuität nun um eine offenbar von ihm gemachte Erfindung. Er schreibt:

 

"Die Frage der Kontinuität ist angesichts der noch langen anstehenden Erziehungszeit dieses Kindes insbesondere vorausschauend zu prüfen." (S. 5)

 

Die Kontinuität soll also, so der Gutachter, vorausschauend geprüft werden, dies ist so ähnlich, als ob der Bundesfinanzminister vortragen würde:

 

"Die Frage des aktuellen Finanzhaushaltes ist angesichts der noch langen anstehenden Zeit der Bundesrepublik Deutschland insbesondere vorausschauend zu prüfen."

 

 

Fakt ist indessen, dass das Kind das letzte Drittel seines bisherigen Lebens beim Vater lebte und von diesem in dieser Zeit ganz überwiegend betreut wurde. Der Kontinuitätsaspekt spricht nun ganz deutlich für den Verbleib des Kindes im Haushalt des Vaters. Den Gutachter beeindruckt dies jedoch offenbar nicht, er empfiehlt abschließend, nicht ohne vorher auf neun Seiten über "Alleinerziehender Väter" und deren Probleme referiert zu haben (man stelle sich einmal vor, ein Sachverständiger würde in ähnlicher Weise über "Alleinerziehender Mütter" und deren Probleme referieren, dies würde möglicherweise zu einer Ermahnung des Gutachter durch den verfahrensleitenden Richter führen):

 

"Unter der begründeten Annahme guter Bindungen des Kindes zu beiden Elternteilen, angesichts des Umstandes, dass ein eigener Kindeswille nicht angemessen erfassbar ist, kommt der Persönlichkeit der Ke und der jeweiligen Erziehungseignung der Ke, sowie dem Aspekt der vorausschauenden Kontinuität unter Berücksichtigung verfügbarer Ressourcen bei diesem Alter des Kindes besondere Bedeutung zu." (S. 33)

 

 

Man darf Prof. Feinbier für die Kreation des Begriffes "vorausschauende Kontinuität" sehr herzlich danken. Sprachwissenschaftler werden sicher ihre helle Freude daran haben, über diese originelle Sprachschöpfung ihre Dissertation zu verfassen.

Der Gutachter entwirft dann ein trostloses Bild vom Vater:

 

"..., Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe mit Leben in einem kleinen Dorf auf dem Land, ohne selbst mobil zu sein, bestimmen die derzeitige Lebenssituation" (S. 11)

 

 

Der Gutachter nimmt offenbar gar nicht zur Kenntnis, dass Tausende alleinerziehender Mütter von Sozialhilfe leben, ohne dass ihnen deswegen der Vorwurf gemacht würde, sie würden nicht gut für ihr Kind sorgen. Nebenbei übersieht der Gutachter, dass nicht Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe das Leben des Vaters bestimmen, sondern die seit einem Jahr tagtäglich bestrittene tatsächliche Sorge und Betreuung seiner Tochter.

 

 

 

 

Psychodiagnostische Tests

Der Gutachter schreibt:

 

"Das Ergebnis ist verlässlich (SK 10: 5). Herr X erlebt sich selbst als extrem empfindlich, leicht erregbar, unbeherrscht in seinen emotionalen Reaktionen (SK 5: 9), worauf auch der gerade noch im Normbereich liegende Wert der Skale N: 6, verweist. Entsprechendes berichtet er selbst auch im ROTTER und wird auch beim Sachverständigen deutlich." (S. 13)

 

 

 

Der Gutachter führt hier einen vom ihm sogenannten "Rotter" an, wobei es unklar bleibt, was denn "Rotter" eigentlich sei, eine Waschpulvermarke, eine Hundefutter für Rottweiler oder ein psychodiagnostischer Test über deren Herkunft und Sinn der Gutachter die Leser des Gutachtens im unklaren lassen will? In einschlägigen Testkatalogen, so z.B. www.testzentrale.de ist ein sogenannter "Rotter" nicht zu finden.

 

Die Konstruktion und Normierung von Tests ist ein willkürlicher Vorgang. Der Entwickler eines Tests legt selber fest, was er für untersuchenswert hält und was nicht, was normal sei und was nicht. Das ist so ähnlich, als ob ich eine blau gefärbte Brille konstruiere, hindurchschaue und behaupte, die Welt ist blau gefärbt. Schau ich dann durch eine ungefärbte Brille, dann erscheint alles ungefärbt und ich behaupte, dass was ich sehe wäre nicht die Wirklichkeit. Die Normierung von Test orientiert sich an selbstdefinierten Normen des Testentwicklers. So galt z.B. Homosexualität bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts offiziell als Perversion. Ein homosexuell orientierter Vater (im geringeren Maße eine homosexuell orientierte Mutter) war demzufolge potentiell kindeswohlgefährdend, da als "pervers" definiert. Ein Vater oder eine Mutter, die in den 50er Jahren ihr Kind aus Erziehungsgründen schlugen, galten dagegen als erziehungstüchtig und heute jedoch unter Umständen schon als kriminell.

Der Versuch, Testverfahren mit umfassender Gültigkeit, wie z.B. in der klassischen Mechanik in eng eingrenzten Bereichen, auch für den Bereich familiärer Dynamik konstruieren zu wollen, gleicht dem Versuch des Alchimisten, aus Blei Gold zu machen. Psychologische Test, können bestenfalls Tendenzen aufzeigen und hypothesenunterstützend herangezogen werden. Test sind daher immer mit der gebotenen Zurückhaltung oder im Zweifelsfall gar nicht anzuwenden.

 

Der Gutachter leistet sich dann die folgende Peinlichkeit:

 

"Nach Einschätzung des Sachverständigen ist die Persönlichkeitsentwicklung des Kindesvaters noch nicht abgeschlossen" (S. 12)

 

 

Der Gutachter postuliert hier, dass Menschen, in diesem Fall betrifft es einen 29-jährigen Vater, über eine "abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung" verfügen sollten. Bei Prof. Dr. Feinbier ist die Persönlichkeitsentwicklung möglicherweise schon abgeschlossen, was hier sehr bedauert würde. Es ist sicher jedem Menschen zu wünschen, dass er die Entwicklung seine Persönlichkeit nicht beendet, sondern fortführt, egal ob er 29 Jahre oder 59 Jahre ist.

 

 

 

 

IV. Schluss

Es wird hiermit angeregt, der Empfehlung des Herrn Prof. Feinbier nicht zu folgen. ... 

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 16.11.2004

...

 

 

 

 

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