Stellungnahme zum 66-seitigen Gutachten des Diplom-Psychologen Dr. Michael Wiedemann vom 01.06.2008
Familiensache: X (Mutter), Y (Vater)
Kind: A (Sohn) geboren: ... .2006
Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg - Richterin Dr. Vesting
Aktenzeichen: 141 F 3086/08
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
Beweisfrage laut Beschluss vom 18.04.2008:
"Es soll Beweis erhoben werden über die Frage, welche Umgangsregelung dem Wohl A`s am meisten dient."
I. Behauptungen des Gutachters
Der Diplom-Psychologe Michael Wiedemann wird am 18.04.2008 am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Sechs Wochen später, am 01.06.2008, legt er dem Gericht ein 66-seitiges zweizeilig geschriebenes Gutachten vor. Doch schnell ist nicht automatisch auch gut.
Vielleicht lag es an der Geschwindigkeit mit der Herr Wiedemann sein Gutachten erstellte oder auch nur an einer gewissen Unbekümmertheit, die ihn zu der folgenden Behauptung hinriss:
"Der Kindesvater weist zu wenig an emotionaler Beziehung zu A auf und befindet sich in einem inneren Konflikt. Insofern kann dieser Konflikt nicht über irgendeine Umgangsgestaltung beendet werden, da es dem Kindesvater nicht in erster Linie um den Umgang selbst zu A geht.." (Gutachten, S. 64)
Der als Gutachter beauftragte Diplom-Psychologe Michael Wiedemann behauptet hier:
1. Der Kindesvater weist zu wenig an emotionaler Beziehung zu A auf.
2. Der Kindesvater befindet sich in einem inneren Konflikt.
3. Dem Kindesvater geht es nicht in erster Linie um den Umgang selbst zu A.
4. Insofern der Kindesvater zu wenig an emotionaler Beziehung zu A aufweist und sich in einem inneren Konflikt befindet, kann dieser Konflikt nicht über irgendeine Umgangsgestaltung beendet werden.
Behauptungen werden aber nicht allein schon dadurch wahr, dass man sie aufstellt.
Behauptungen werden dadurch als wahr anerkannt, in dem man sie beweist. So z.B. die Behauptung:
Wenn ich diesen Stein loslasse, fällt er auf den Boden.
Der Beweis für diese Behauptung ist hier recht einfach, man lässt den Stein los und jeder der sehen kann, sieht, dass der Stein zu Boden fällt. Die Behauptung ist somit bewiesen, da alle das gleiche sehen.
Doch wie beweist man 1. dass ein Vater zu wenig an emotionaler Beziehung zu seinem Kind aufweist?
Sicherlich nicht dadurch, dass man - so wie anscheinend der Gutachter - seinen eigenen subjektiven Wertmaßstab zur Messlatte für andere Menschen erhebt.
Wie beweist man 2., dass sich ein Vater in einem inneren Konflikt befindet?
Hat der Diplom-Psychologe Michael Wiedemann spezielle Geräte, mit denen er innere Konflikte in Menschen orten und aufspüren kann? Vielleicht könnte er mit einem solchen Gerät - so vorhanden - ähnlich wie mit einer Wünschelrute auch Erzadern aufspüren oder Wasserquellen finden?
Wie beweist man 3. dass es einem Vater nicht in erster Linie um den Umgang zu seinem Kind geht?
Die vierte Behauptung des Herrn Wiedemann beruht schließlich auf den beiden von ihm offenbar als wahr unterstellten Behauptungen 1 und 2. Die vierte Behauptung wäre also bewiesen, wenn die 1. und 2. Behauptung bewiesen wäre. Herr Wiedemann wird diesen Beweis dem Gericht hoffentlich noch vorlegen. Wenn nicht, dann bliebe auch diese Behauptung unbewiesen.
II. Das Interesse des Herrn Wiedemann für den ersten Geschlechtsverkehr
Der Diplom-Psychologe Dr. Michael Wiedemann interessiert sich in auffälliger Weise für das Sexualleben des Vaters, ohne sein diesbezügliches Interesse zu begründen.
Herr Wiedemann schreibt:
„Das Element der sexuellen Entwicklung wurde vom Sachverständigen damit eingeleitet, dass ein Beginn nötig sei. Dies sei die indiskreteste Frage, nämlich das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs. Der Kindesvater gab als Antwort, dass dies den Sachverständigen nichts angehe.“ (Gutachten S. 22)
Umgekehrt hält sich der Gutachter mit einer ähnlichen Frage an die Adresse der Mutter - soweit zu sehen - zurück. Ob das einem stärkeren Interesse für Fragen des männlichen Sexuallebens oder einem mangelnden Interesse für Fragen des weiblichen Sexuallebens geschuldet ist oder der Gutachter inzwischen bemerkt hat, dass es grenzwertige Fragen gibt, die eine weitere familiengerichtliche Beauftragung ernsthaft gefährden können, mag Herr Wiedemann dem Gericht erläutern.
Vergleiche hierzu:
Sonntag, E., et. al. (Hg.): "Übergriffe und Machtmißbrauch in psychosozialen Arbeitsfelder", Tübingen, dgvt Verlag, 1995
III. Umgangsregelung
Statt sich an die Frage des Gerichtes
Es soll Beweis erhoben werden über die Frage, welche Umgangsregelung dem Wohl A `s am meisten dient.
zu halten, beginnt der Gutachter auf Seite 64 unvermittelt über das Thema „Wechselmodell“ zu referieren. Dabei hat das Gericht den Gutachter nicht gebeten, zu diesem Thema einen wie auch immer gearteten Vortrag zu halten oder - wie geschehen - die Meinung anderer zum Thema Wechselmodell zu referieren.
Auf Seite 65 schlägt der Gutachter plötzlich eine Umgangsregelung vor, bei der das Kind wöchentlich an einem Nachmittag und 14-tätig an einem Tag ohne Übernachtung beim Vater wäre. Dies bezeichnet der Gutachter als „intensiven Umgang“. Da möchte man gar nicht erst wissen, was dann ein „nichtintensiver Umgang“ ist.
Der Gutachter lässt allerdings die Frage unbeantwortet, warum ihm im konkreten Fall eine Fortführung der früher praktizierten paritätischen Betreuung des Kindes durch seine beiden Eltern nicht als die dem Wohl des Kindes am meisten dienende Regelung erscheint.
Im übrigen legt der Gutachter nicht dar, warum bei einer möglichen Entscheidung des Gerichtes gegen eine paritätische Betreuung des Kindes durch die Eltern und die Festlegung der Betreuung des Kindes im Residenzmodell, das Kind nicht auch überwiegend vom Vater betreut werden könnte und dementsprechend für die Mutter ein Umgang zu regeln wäre.
Die unbewiesenen Behauptungen des Gutachters
1. Der Kindesvater weist zu wenig an emotionaler Beziehung zu A auf.
2. Der Kindesvater befindet sich in einem inneren Konflikt.
3. Dem Kindesvater geht es nicht in erster Linie um den Umgang selbst zu A.
sind mit Sicherheit keine seriöse Grundlage dafür, die gerichtlich interessierende Frage unbeantwortet zu lassen, ob die Betreuung des Sohnes durch den Vater bei gleichzeitiger Regelung des Umgangs mit der Mutter, nicht die Regelung ist, die dem Wohl des Kindes am meisten dient.
Peter Thiel, 22.07.2008
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