Expertise zum 27-seitigen Gutachten des Diplom-Psychologen Matthias Petzold vom 31.10.2008

 

Familiensache betreffend das Kind A - geboren am ... .1995

Vater: X 

Mutter: Y

 

 

Amtsgericht Bergisch Gladbach - Richterin Giez

Geschäftsnummer: 26 F 210/07

 

Verfahrenpflegerin: Rechtsanwältin Schüller-Schmitz

 

 

 

Erarbeitung der Expertise durch Peter Thiel

...

 

geringfügig überarbeitet am 29.10.2012

 

 

 

Beweisfrage des Amtsgerichts Bergisch Gladbach laut Beschluss vom 03.06.2008:

 

Es soll durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Petzold geklärt werden, ob die Antragsgegner erziehungsfähig sind, was die Erziehung ihrer Tochter A angeht.

 

 

 

I. Vorbemerkung

 

Beweisfrage:

 

"Mit Beschluss des Amtsgerichts Bergisch-Gladbach vom 3.6.2008 wurde ich in der Familiensache X beauftragt, ein Gutachten zu erstellen zu der Frage, `ob die Antragsgegner erziehungsfähig sind, was die Erziehung ihrer Tochter A angeht. 

Zusammenfassend kann diese Frage wie folgt beantwortet werden:

1. Beide Eltern sind nach wie vor in ihrer Erziehungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Die Vermutung ... durch den Vater konnte nicht bestätigt werden. Es liegen aber zahlreiche Erkenntnisse vor, die die Vernachlässigung und Verwahrlosung des Kindes bestätigen.

2. ..."

 

Herr Petzold, der nach eigenen Angaben Doktor und Professor sein soll, trägt vor, die Erziehungsfähigkeit der Eltern wäre "nach wie vor" erheblich eingeschränkt. Die richterliche Beweisfrage zielt jedoch darauf ab, zu klären, ob die Eltern (im Bürokratendeutsch vom Richter als "Antragsgegner" bezeichnet) erziehungsfähig sind. Die richterliche Frage zielt also auf die Gegenwart und nicht auf die Vergangenheit. 

 

 

Aktenzeichen

Das Aktenzeichen des Verfahrens am Amtsgericht Bergisch Gladbach wird vom Gutachter falsch zitiert, statt 27 F 210/07 muss es richtig 26 F 210/07 heißen.

 

 

Bergisch Gladbach

Die Stadt Bergisch Gladbach wird von Herrn Petzold als Bergisch-Gladbach bezeichnet, möglicherweise in Unkenntnis des Gutachters über die kleinen Details des Lebens, die sich hoffentlich nicht auch in seiner Tätigkeit als Gutachter niederschlägt. Dass kleine Unaufmerksamkeiten mitunter verheerende Auswirkungen haben können ist bekannt. So etwa in der kolportierten Geschichte vom russischen Zaren, von dem bezüglich einer möglichen Begnadigung eines Gefangenen eine Botschaft mit dem Wortlaut

„Hängen nicht laufen lassen.“

 

an das Gericht versendet worden sein soll. Je nachdem wo man das Komma setzt, wird aus der Botschaft ein Freispruch oder ein Todesurteil:

1. „Hängen nicht, laufen lassen“

2. „Hängen, nicht laufen lassen“

 

Wollen wir hoffen, dass scheinbar kleine Fehler des Diplom-Psychologen Matthias Petzold an anderer Stelle nicht ähnliche Auswirkung haben.

 

 

 

Beteiligte Hilfskräfte

Der als Gutachter beauftragte Diplom-Psychologe Matthias Petzold hat - nach Angaben von Frau Y gegenüber dem Unterzeichnenden - eine Frau Claudia Berndt an der Erstellung des Gutachtens beteiligt. Allerdings gibt Herr Petzold darüber im vorliegenden Gutachten keine Informationen, so dass man fragen kann, welche Gründe Herr Petzold hat, dem Gericht die Beteiligung der Frau Berndt zu verschweigen.

Versteckt gibt Herr Petzold allerdings Hinweise darauf, dass der das Gutachten nicht allein erstellt hat. So schreibt er bspw.

 

„Als Wille des Kindes wurde uns durchgehend und mehrfach von A vorgetragen, dass sie eigentlich lieber bei den Eltern leben möchte.“ (Gutachten S. 26)

 

"Wir haben zwar Hinweise auf Probleme gefunden, ...“ (Gutachten S. 15)

 

"Es liegen uns als Ergebnis von Kontaktgesprächen zahlreiche Hinweise vor, ... „ (Gutachten S. 15)

 

 

 

Man könnte nun meinen, Herr Petzold hätte eine multiple Persönlichkeitsstörung, dass er von sich im Plural vorträgt oder er hat Gründe die Beteiligung der Frau Berndt vor dem Gericht oder den Verfahrensbeteiligten geheim zu halten.

In welchem Umfang Herr Petzold die ihm übertragene Aufgabe zur Begutachtung auf eine vom Gericht nicht autorisierte Person übertragen hat, wäre vom Gericht sicher noch zu klären, um so festzustellen, ob das vorliegende Gutachten überhaupt Herrn Petzold zugeordnet und somit vor Gericht verwendet werden kann.

Im übrigen sind Hilfskräfte des Gutachter generell namhaft zu machen und der Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben.

 

 

 

Vergütungsfähigkeit von Hilfskräften

Der Gutachter ist nach § 407a Zivilprozessordnung berechtigt zur Erledigung seines Auftrages Hilfskräfte hinzuzuziehen. Der Gutachter hat diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Man darf davon ausgehen, dass die Namhaftmachung nicht erst nach vollzogener Tätigkeit zu erledigen ist, denn dann können das Gericht, bzw. die Verfahrensbeteiligten dagegen keinen Einspruch mehr erheben. Wird die Namhaftmachung erst mit Fertigstellung des Gutachtens dem Gericht bekannt gegeben, kann dies die Nichtverwertbarkeit des Gutachtens und damit auch die Versagung von Vergütungsansprüchen für die fehlerhafte Erledigung des gerichtlichen Auftrages nach sich ziehen.

 

§407 a Weitere Pflichten des Sachverständigen

(1) Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger erledigt werden kann. Ist das nicht der Fall, so hat der Sachverständige das Gericht unverzüglich zu verständigen.

(2) Der Sachverständige ist nicht befugt, den gerichtlichen Auftrag auf eine andere Person zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.

 

 

Die Tätigkeiten der Hilfskraft und die Höhe der von dieser gegenüber dem Gutachter in Rechnung gestellten Kosten müssen vom Gutachter in seinem Vergütungsantrag an das Gericht in einem gesonderten Posten abgerechnet werden, damit die Justizkasse und die Verfahrensbeteiligten ersehen können, ob hier kein Abrechnungsbetrug vorliegt.

Eine Hilfskraft dürfte im übrigen nur mit dem Stundensatz zu vergüten sein, der der von dieser zwingend zu leistenden Tätigkeit entspricht. Eine Sozialpädagogin - wie die von Herrn Petzold offenbar eingesetzte Frau Claudia Berndt - dürfte sicher nicht mit dem gleichen Kostensatz in Abrechnung gebracht werden wie sie der Gutachter für gewöhnlich (85 € je Stunde) erhält.

 

 

 

 

II. Konfliktverlauf

Mit Schreiben vom 08.01.2008 stellte Frau Knitter vom Jugendamt der Stadt Overath beim Amtsgericht Bergisch Gladbach den Antrag, den Eltern von A, Y und X das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen.

In der Folge fand A mit Zustimmung ihrer Eltern Aufnahme im Haushalt ihrer Patentante Frau Z in ... („Pflegefamilie“).

In der Sitzung des Amtsgerichtes Bergisch Gladbach vom 03.06.2008 trug Frau Knitter vor, dass das Gericht ein Gutachten zur Klärung der Erziehungsfähigkeit der Eltern einholen sollte. Hintergrund des von ihr initiierten Verfahrens sei gewesen, dass, so Frau Knitter:

 

„auf einmal der Verdacht des sexuellen Missbrauchs von A auftrat und das von der Schule auch Verhaltensauffälligkeiten wie unregelmäßiger Schulbesuch und ungepflegt sein thematisiert wurden. ... Das Strafverfahren sei zwischenzeitlich eingestellt worden.“

 

Allerdings findet sich im sechs Monate vorher gestellten Antrag von Frau Knitter vom 08.01.2009 kein Vortrag über einen angeblichen sexuellen Missbrauch.

Frau Knitter regte in der Sitzung an, ein aktuelles Gutachten einzuholen, „um die Erziehungsfähigkeit der Kindeseltern zu beurteilen, um dann zu entscheiden, ob A in die Familie zurückkehren kann“. (S. 2)

Nun ist es allerdings so, dass die Beurteilung der Erziehungsfähigkeit der Eltern keine Aufgabe des Staates ist, der nach Artikel 6 Grundgesetz das Primat der Elternverantwortung zu beachten hat. Aufgabe des Staates ist es lediglich, eine vermutete oder glaubhaft gemachte Kindeswohlgefährdung aufzuklären und bei Feststellung einer Kindeswohlgefährdung geeignete Maßnahmen zu deren Abwendung zu ergreifen.

 

§ 1626 BGB (Elterliche Sorge, Grundsätze)

(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfaßt die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).

 

§ 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls)

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

(2)... (3)... (4)...

 

§ 1666a BGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen)

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. ...

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, daß sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

 

 

 

Frau Knitter irritiert in ihrer Darlegung vom 03.06.2008 mit der von Ihr geäußerten Meinung, nach Einholung eines Gutachtens könne entschieden werden, „ob A in die Familie zurückkehren kann“. Das volle Entscheidungsrecht über den Aufenthalt von A lag jedoch bis zum 22.01.2009 bei den Eltern. Die Eltern und nicht das Jugendamt oder eines sonstige Institution hatten also bis zum 22.01.2009 über den Aufenthalt ihrer Tochter zu entscheiden. Frau Knitter wähnte sich hier möglicherweise in dem falschen Glauben, dass den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht bereits entzogen worden wäre. Tatsächlich haben die Eltern in der Gerichtssitzung vom 03.06.2008 lediglich der Übertragung der Gesundheitsfürsorge und des Rechtes der schulischen Angelegenheiten für ihre Tochter A auf Frau Z zugestimmt. (Protokoll vom 03.06.2008, S. 4)

Möglich wäre aber auch, dass sich Frau Knitter über die tatsächlichen rechtlichen Verhältnisse im klaren war, die Eltern also nach wie vor das Aufenthaltsbestimmungsrecht inne hatten und mit ihrem Vortrag eine Suggestion erzeugen wollte, die Verhältnisse wären bereits so, wie von ihr gewünscht. Letzteres wäre sicher sehr unprofessionell und völlig inakzeptabel.

Um keine unnötigen Komplikationen auszulösen und Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt zu signalisieren, haben die Eltern von ihrem Recht auf Bestimmung des Aufenthaltes ihrer Tochter in der Zeit ab 08.01.2008 bis zum 18.01.2009 so Gebrauch gemacht, dass A sich mit ihrer Zustimmung im Haushalt ihrer Patentante aufhielt. Am 18.01.2009 kehrte A aus dem Haushalt der Patentante in den Haushalt ihrer bestimmungsberechtigten Eltern zurück, was völlig legitim war. Vier Tage später mit Datum vom 22.01.2009 beantragte Frau Knitter vom Jugendamt der Stadt Overath beim Amtsgericht Bergisch Gladbach zum zweiten Mal, den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen. Diesmal entsprach das Gericht noch am selben Tage dem Antrag von Frau Knitter, entzog am 22.01.2009 den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und ordnete diesbezüglich Amtspflegschaft durch das Jugendamt der Stadt Overath an.

Die Eltern streben an, ihrem gesetzlichen Pflichtrecht auf Betreuung und Erziehung ihrer Tochter A wieder persönlich nachzukommen.

 

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Artikel 6 Satz 2 Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

 

§ 1626 BGB (Elterliche Sorge, Grundsätze)

(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfaßt die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).

 

 

Sollte das Gericht seinen im Wege der einstweiligen Anordnung erlassenen Beschluss vom 22.01.2009 aufheben, wollen die Eltern ihre Tochter A in ihren Haushalt aufnehmen und so dem ihnen zugewiesenen Pflichtrecht wieder persönlich nachkommen.

Das Pflichtrecht der Eltern auf persönliche Betreuung ihres Kindes darf vom Familiengericht nur gemäß § 1666a eingeschränkt werden:

 

§ 1666a BGB (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen)

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. ...

 

 

Eine aktuell bestehende Gefährdung des Kindes A durch die Eltern ist aktuell jedoch nicht dargelegt worden. Der als Gutachter beauftragte Diplom-Psychologe Matthias Petzold macht zwar geltend, die Eltern wären „in ihrer Erziehungsfähigkeit erheblich eingeschränkt“ (Gutachten S. 24), trägt aber nicht vor, dass die von ihm gesehene Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Eltern eine Kindeswohlgefährdung nach sich ziehen würde, wenn A wieder in den Haushalt ihrer Eltern zurückkäme, bzw. ob eine möglicherweise doch noch nachträglich geltend gemachte Kindeswohlgefährdung nicht durch die Installation einer geeigneten Hilfe nach KJHG, so etwa nach §30 Erziehungsbeistand oder §31 KJHG Sozialpädagogische Familienhilfe abgewendet werden könnte.

Im übrigen gibt es kein Recht des Kindes auf die bestmöglichen Eltern, was eine gerichtliche Anordnung rechtfertigen würde, die Betreuung des Kindes durch möglicherweise besser befähigte Personen, hier der Patentante durchführen zu lassen, nur weil es dem Kind dort möglicherweise besser als bei seinen Eltern gehen würde.

 

Vergleiche hierzu:

OLG Frankfurt/M. - BGB § 1632 IV, § 1666, § 1666a; GG Art. 6 II S. 1

(FamG, Beschluss v. 4.9.2002 - 2 UF 228/02)

Das Recht, der leiblichen Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind zu entziehen, kommt dem Staat nicht schon unter der Voraussetzung zu, dass das Kind bei Pflegeeltern besser aufgehoben ist als bei seiner Mutter. Einen Anspruch des Kindes auf die bestmöglichen Eltern gibt es nicht. Vielmehr ist Voraussetzung für einen derart weitgehenden Eingriff in das Elternrecht aus Art. 6 II S. 1 GG, dass andernfalls das geistige, seelische oder körperliche Wohl des Kindes unter anderem durch unverschuldetes Versagen der leiblichen Mutter gefährdet wäre und mildere Maßnahmen diese Gefährdung nicht abwenden können.

(Leitsatz der Redaktion)

FamRZ 2003 - Seite 1317

Anm. d. Red.: Die Entscheidung ist veröffentlicht in JAmt 2003, 39.

 

 

Auch Unregelmäßigkeiten beim Schulbesuch rechtfertigen für sich noch keinen Sorgerechtsentzug. Gegebenenfalls wäre zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuches von A an die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Sicherstellung des Schulbesuches“ zu denken.

 

Vergleiche hierzu:

Entscheidung des OLG Köln (Beschluss vom 15.08.2002), die die Einsetzung einer Ergänzungspflegerin mit dem Wirkungskreis „Sicherstellung der Beschulung und Ausbildung“ durch das AG Kerpen bestätigte. Vorausgegangen war eine 10-monatige Schulabsenz, begleitet von monatelangen Auseinandersetzungen der Schule und des Schulamtes mit den Eltern der Schülerin und ihrem Anwalt. Nachdem in den vergangenen Jahren ausführlich auf die familiengerichtlichen Möglichkeiten bezüglich der „Schulschwänzer“ hingewiesen wurde, ist damit der Ergänzungspfleger mit dem Aufgabenbereich „Sicherstellung der Beschulung und Ausbildung“ ins Blickfeld der Fachleute getreten. Die Linie wird ganz aktuell vom OLG Koblenz in seinem Beschluss vom 11.5.2005 – 13 WF282/05 – bestätigt, wonach ein einstweiliger Teilsorgerechtsentzug geboten ist, um einen regelmäßigen Schulbesuch sicherzustellen, und dem Ergänzungspfleger das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht auf medizinisch/therapeutische Versorgung, das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten sowie zur Einleitung von Jugendhilfemaßnahmen zu übertragen ist.

Wolfgang Raack: Vormundschaften und Ergänzungspflegschaften mit ihrem rechtlichen und tatsächlichen Bezug auf die Verfahrenspflegschaft - Chancen und Grenzen. (Der Vortrag wurde mit dem Titel „Der verfahrensübergreifende Verfahrenspfleger“ veröffentlicht in der Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (2006), S. 72-75.)

http://verfahrenspflegschaft-bag.de/bag/cms/upload/fachtagung/raackvormundschaftenergaenzungspflegschaften.pdf

 

 

 

 

III. Kindeswille

Bei einer Entscheidung des Gerichtes ist auch der Wille des Kindes, hier der 13-jährigen A in ausreichender Weise zu beachten. A möchte nach Vortrag des Gutachters lieber bei ihren Eltern leben.

 

„Als Wille des Kindes wurde uns durchgehend und mehrfach von A vorgetragen, dass sie eigentlich lieber bei den Eltern leben möchte.“ (Gutachten S. 26)

 

Der Wille eines 13-jährigen Kindes ist nun keine vernachlässigbare Größe mehr, sondern bedarf der angemessenen Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung des Gerichts.

 

Vergleiche hierzu:

Lehmkuhl, Ulrike & Lehmkuhl, Gerd: "Wie ernst nehmen wir den Kindeswillen?"; In: "Kind-Prax", 2, (1999). 159-161.

 

 

Der Gutachter trägt dann noch vor:

 

„A hat die schon lange bestehende Beziehung zu ihrer Patentante als Grundlage ihres aktuellen Lebensmittelpunktes akzeptiert.“ (Gutachten S. 2)

 

Dieser Vortrag des Gutachters steht jedoch im Widerspruch zu dem von ihm selbst zitierten Wunsch von A „lieber bei ihren Eltern leben“ zu wollen. Zwischenzeitlich kehrte A dann auch zu ihren Eltern zurück.

 

„Seit Sonntag den 18.01.2009 befindet sich A nicht mehr in der Familie Z. Sie ist zu den Eltern zurückgekehrt.“ (Jugendamtschreiben Frau Knitter, 22.01.2009)

 

 

Den Willen des Kindes in das familiengerichtliche Verfahren einzubringen ist Aufgabe der Verfahrenspflegerin Frau Rechtsanwältin Schüller-Schmitz. Allerdings liegt dem Unterzeichnenden keine diesbezügliche Stellungnahme der Verfahrenspflegerin vor, bei der die Verfahrenspflegerin A dezidiert nach ihren Wünschen hinsichtlich der Frage des Aufenthaltes bei ihren Eltern oder bei ihrer Patentante stellt. Möglicherweise hat sich die Verfahrenpflegerin seit der Vorlage des Gutachtens keinen persönlichen Eindruck über den Willen des Kindes in dieser Frage verschafft. Sollte dies so zu zutreffen, so wäre die Verfahrenspflegerin sicher gehalten, dies zügig nachzuholen und dem Gericht vorzutragen.

 

 

 

 

IV. Ausblick

Eine möglicherweise bestehende Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Eltern rechtfertigt für sich allein keine Fremdunterbringung des Kindes. Eine Gefährdung des Kindeswohl im Haushalt der Eltern ist bei Inanspruchnahme geeigneter Hilfen sicher nicht gegeben. Die Rückkehr von A in den Haushalt der Eltern, bei gegebenenfalls flankierend zu leistender Hilfe für die Familie, sollte daher gemeinsames Anliegen der Eltern, des Familiengerichtes und der anderen beteiligten Professionen sein.

 

 

 

Peter Thiel, 22.04.2009

...

 

 

 

 

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