Stellungnahme zum Beweisbeschluss des OLG Bamberg vom 06.10.2003 und Verfügung vom 23.10.2003

 

 

 

Familiensache:

X (Mutter) und Y (Vater)

Kind Z, geb. ... .1995

 

Oberlandesgericht Bamberg - 2 UF 266/02

... AG Bayreuth - 2 F 979/01

 

Gutachterin: Diplom-Psychologin Helene Ruppert

 

 

 

 

 

Zum Verfahrensgegenstand:

Die Mutter Frau X beantragt, dass dem Vater des gemeinsamen Sohnes Z, Herrn Y das Sorgerecht nach §1671 BGB entzogen werden soll, so dass sie zukünftig die elterliche Sorge allein ausüben kann.

Der Vater beantragt, dass der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil der elterliche Sorge entzogen werden soll. Im übrigen soll die gemeinsame Sorge beibehalten werden. Einen Antrag auf Entzug des Sorgerechts der Mutter nach §1671 BGB hat der Vater nicht gestellt.

 

 

 

 

Beschluss des 2. Zivilsenats - Familiensenats- des Oberlandesgerichts Bamberg vom 6. Oktober 2003

 

"1. Es ist ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten dazu einzuholen, welche Sorgerechtsregelung dem Wohl des Kindes Z, geb. ... 1995, am besten entspricht. Dabei ist insbesondere auf folgende Punkte einzugehen:

a) Sind die Parteien in der Lage, wichtige, das Kind betreffende Entscheidungen einvernehmlich zu treffen?

 

b) Beruht der bei der Anhörung des Kindes Z am 25.9.2003 dem Senat gegenüber geäußerte Wunsch, künftig lieber beim Antragsgegner leben zu wollen, auf dem unbeeinflussten Kindeswillen und ist Z aufgrund seiner Entwicklung in der Lage, die Folgen eines Wechsels zum Vater zu überblicken?

 

c) Welcher Elternteil wäre bei Fortbestehen des gemeinsamen Sorgerechtes besser geeignet, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszuüben?

 

 

d) in welchem Umfang sollte der Umgang des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit Z stattfinden?"

 

 

 

 

 

Stellungnahme

 

Zu 1 a)

Auf Antrag eines Elternteils soll dem anderen Elternteil die elterliche Sorge entzogen werden, wenn:

 

 

§ 1671 BGB (Übertragung der Alleinsorge nach bisheriger gemeinsamer elterlicher Sorge bei Getrenntleben der Eltern)

(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, daß ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt.

(2) Dem Antrag ist stattzugeben, soweit

1. Der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, daß das Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder

2. zu erwarten ist, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

 

 

 

Diese Gesetzesformulierung muss sich vor dem Hintergrund folgender Bestimmungen messen lassen.

 

 

UN-Kinderkonvention „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“

Artikel 18 (Verantwortung für das Kindeswohl)

(1) Die Vertragsstaaten bemühen sich nach besten Kräften, die Anerkennung des Grundsatzes sicherzustellen, dass beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind. Für die Erziehung und Entwicklung des Kindes sind in erster Linie die Eltern oder gegebenenfalls der Vormund verantwortlich. Dabei ist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen.

(2) ... (3)

 

 

 

 

Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

Artikel 8: "(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung (...) ihres Familienlebens"

Artikel 6 Satz 2: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

 

 

Die genannten Konventionen und das Grundgesetz lassen erkennen, dass die gemeinsame elterliche Verantwortung für das Kind oberstes Gebot ist. Aus Artikel 6 Grundgesetz geht auch hervor, dass das Sorgerecht ein Pflichtrecht ist. Von einer grundgesetzlich vorgesehen Pflicht kann man aber gar nicht entbunden werden. Es ist allenfalls denkbar, dass jemand, der dieser Pflicht tatsächlich nicht nachkommen kann, Unterstützung erhält um sich wieder in die Lage zu versetzen, seiner Pflicht nachzukommen oder wenn dies ausnahmsweise nicht möglich ist, wäre es denkbar, dass er für die Dauer des Bestehens des Hinderungsgrundes von dieser Pflicht entbunden wird.

Von daher müssen sehr schwerwiegende Gründe erkannt werden, die es rechtfertigen würden, die gemeinsame elterliche Sorge durch den Entzug des Sorgerechtes für einen der beiden Eltern zu beenden.

 

 

 

Das OLG fragt in seinem Beweisbeschluss:

 

"Sind die Parteien in der Lage, wichtige, das Kind betreffende Entscheidungen einvernehmlich zu treffen?"

 

 

Auch wenn diese Frage für sich genommen neutral formuliert ist, so muss vermutet werden, dass das Gericht an dessen Beantwortung auch seine Entscheidung über einen eventuellen Sorgerechtsentzug festmachen möchte. Es ist aber zu fragen, ob dies so vom Gesetzgeber beabsichtigt war und ist, denn für den Fall, dass keine einvernehmliche Entscheidung der Eltern in einer bestimmten Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zustande kommt, finden wir im BGB folgende Regelung:

 

 

§ 1627 BGB (Ausübung der elterlichen Sorge)

Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.

 

§ 1628 BGB (Meinungsverschiedenheiten)

Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.

 

 

Das heißt, durch die Gesetzesformulierung ist ausdrücklich der Fall vorgesehen, dass die Eltern sich nicht einigen können und dass ihnen dann die Möglichkeit offen steht, das Gericht in dieser strittigen Frage anzurufen, worauf das Familiengericht dann einem Elternteil das Recht der Entscheidung übertragen kann (jedoch nicht muss).

Auch daran muss sich eine eventuelle Empfehlung eines Sachverständigen, einem Elternteil möglicherweise das Sorgerecht zu entziehen, messen lassen.

 

 

Zu 1 b)

Es ist zu fragen, ob es überhaupt einen "unbeeinflussten Kindeswillen" gibt. Erziehung eines Kindes ist ja nichts anderes als eine bewusste oder unbewusste zielorientierte Beeinflussung eines Kindes. Umgekehrt erziehen auch Kinder ihre Eltern, wenn sie sie zielorientiert beeinflussen. Es ist weitgehender Konsens in unserer Gesellschaft, dass Erziehung sinnvoll ist, von der antipädagogischer Seite wird dies in Frage gestellt, wobei auch hier unterstellt werden kann, dass es den Vertretern der Antipädagogik letztlich nicht darum geht, auf die Beeinflussung von Kindern zu verzichten. Man kann nicht nicht kommunizieren heißt ein bekannter Ausspruch von Watzlawick. Und weiterführend kann man sagen, man kann nicht nicht beeinflussen.

Die Frage "ist Z aufgrund seiner Entwicklung in der Lage, die Folgen eines Wechsels zum Vater zu überblicken?" erscheint problematisch. Wer kann schon eine wichtige Entscheidung in ihren Folgen überblicken. Nehmen wir einen Arbeitslosen, der sich selbstständig machen will. Wie soll er überblicken, ob seine Geschäftsidee Erfolg haben wird oder er bald Konkurs anmelden muss? Überblicken kann ich etwas, wenn ich alle wichtigen Parameter kenne. Dies ist in Laborsituationen einigermaßen möglich. In der Praxis gibt es das eher nicht so. So kann der Fallschirmspringer bei klarer Sicht überblicken über welchen Gelände (Berge, Seen, Wälder etc.) er abspringt, er kann jedoch nicht überblicken, wo er landen wird. Sollte er deswegen nicht springen?

Wenn Z nach seinen Neigungen und Wünschen bezüglich seiner Eltern und einer möglichen Regelung des Aufenthaltes des Sohnes bei seinen Eltern befragt wird, bleibt zu wünschen, dass dies mit dem achtjährigen Sohn in der erforderlichen kindgemäßen Weise passiert und er nicht in eine Entscheiderrolle hineingedrängt wird. Auch wenn dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, so sind dem Unterzeichnenden mehrere Sachverständige bekannt geworden, von denen dies bedauerlicherweise nicht beachtet wurde.

 

 

Zu 1 c)

Wenn die gemeinsame Sorge beibehalten wird und dies ist beiden Eltern auch im Interesse ihres Kindes zu wünschen, so muss das nicht zwingend heißen, einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen. Man kann auch ohne diesen Eingriff in das Elternrecht den Aufenthalt des Kindes bei seinen Eltern regeln. Ein Entzug des ABR birgt immer die Gefahr einer Machtverschiebung zu Gunsten eines Elternteils mit der Gefahr eines Machtmissbrauchs dieses Elternteils. Auch die Möglichkeit, dass ein alleinbestimmungsberechtigter Elterteil jederzeit mit dem gemeinsamen Kind einen Wohnortwechsel, mitunter auch an weit entfernte Orte vornehmen kann, ist gegeben. In der familiengerichtlichen Praxis dürften solche Fälle und ihre daraus resultierenden familiengerichtlichen Nachbeben zu genüge bekannt sein. Man sollte diesen Konflikten daher nicht unnötig Vorschub leisten.

 

 

Zu 1 d)

Die Frage "in welchem Umfang sollte der Umgang des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit Z stattfinden?" erstaunt. Setzt doch diese Frage voraus, was erst durch das Gericht zu entscheiden ist, nämlich dass einem Elternteil das Sorgerecht entzogen wird. In so fern kann man wohl sagen, dass es sich hier um so etwas wie eine selbsterfüllende Prophezeiung handeln könnte. Diese offenbar unzulässige Frage sollte daher aus dem Beweisbeschluss gestrichen werden.

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 19.12.2003

 

 

 

 

Literatur:

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H., Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern, Stuttgart, Toronto 1969/1990

 

 

 


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