Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Hans-Albert Treplin vom 04.11.2004

 

 

Familiensache: X 

Kinder:

A, geb. ... .1998 (Tochter)

B, geb. 1999 (Sohn)

 

Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg

Geschäftsnummer: ... /04

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

...

 

 

 

 

Gerichtliche Fragestellung vom 10.06.2004 laut Gutachten S. 3

 

"über die Frage, ob die Eltern zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge in der Lage sind, sowie wenn die gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt, welcher Elternteil unter Berücksichtigung der gefühlsmäßigen Bindungen der Kinder, der eigenen Erziehungsfähigkeit und der jeweils angestrebten Perspektiven für das eigene Leben und das Leben der Kinder zur alleinigen Ausübung der elterlichen Sorge besser geeignet ist, sowie über die Frage, welche Umgangsregelung im Interesse der Kinder angezeigt erscheint."

 

 

 

 

 

I. Einführung

Das Deckblatt des vorliegenden Gutachten lässt einige Verwirrung hinsichtlich der Frage entstehen, wen das Gericht mit der Bestellung als Gutachter beauftragt hat. Ist der Diplom-Psychologe Hans-Albert Treplin persönlich beauftragt worden oder das "Institut für Gericht und Familie Berlin/Brandenburg e.V."? Letzteres wäre nicht zulässig, da vom Gericht immer eine konkrete Person als Gutachter zu ernennen ist, nicht aber ein Institut oder eine sonstige Organisation. Wenn Herr Treplin persönlich ernannt wurde, stellt sich jedoch die Frage, wozu er den Namen "Institut für Gericht und Familie Berlin/Brandenburg e.V." auf das Titelblatt seines Gutachtens setzt. Möglicherweise will er damit andeuten, dass er in dem angeführten Verein Mitglied ist. Dies sollte er aber zur Vermeidung von Missverständnissen dann nicht im Kopfbogen tun, sondern in einer Randbemerkung innerhalb des Gutachtens. Dort könnt er auch anführen, dass er möglicherweise zur Zeit Berliner Landesbeauftragter und Vorsitzender des Landesfachverbandes der Sektion Rechtpsychologie im BDP ist. Ob das allerdings für die Bewertung des Gutachten relevant ist, sei dahin gestellt, denn schließlich ergibt sich die Qualität eines Produktes nicht daraus, was für Bezeichnungen auf dem Titelblatt stehen, sondern aus dem Inhalt selber. Das Gericht muss ohnehin nicht mehr im Nachhinein über Mitgliedschaften und mögliche Funktionen des Gutachters informiert werden, dazu konnte und sollte sich das Gericht ja bereits vor der Ernennung des Gutachters informieren.

 

 

Während der Gutachter in einem hier vorliegenden Gutachten vom 30.04.2003 noch durchgängig in dem folgenden Stil schrieb:

"Die Akte ging am 14.10.2002 beim Sachverständigen (Sv) ein. Die Kindeseltern wurden am 16.10.2002 angeschrieben. Ein erster Termin mit dem Kindesvater (Kv) kam am 23.10.2002, mit der Kindesmutter (Km) am 29.10.2002 zustande. ..." (S. 1)

 

die Eltern als "Kindeseltern", "Kindesvater" und "Kindesmutter", bezeicnet, schreibt der selbe Gutachter eineinhalb Jahre später in dem hier besprochenen Gutachten vom 04.11.2004 immerhin in der folgenden Weise:

"Es besteht gemeinsames Sorgerecht der getrennt lebenden Eltern. Die Kindesmutter (im folgenden: Mutter) beantragte am 09.03.2004 das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder.

Im Vordergrund des elterlichen Konflikts steht der Vorwurf gegen den Kindesvater (im folgenden: Vater), sich im Rahmen von Abholsituationen ... " (S. 3)

 

Im weiter folgenden Text verzichtet der Gutachter dann durchgängig auf die Begrifflichkeiten Kindesvater und Kindesmutter und verwendet, wie man das von einem qualifizierten Gutachter erwarten darf, nur noch die Begriffe Mutter und Vater. Doch ganz will der Gutachter aber offenbar nicht beigeben und so vollbringt er in sprachlicher Loyalität an längst vergangene Zeiten das Wunder die Begriffe Mutter und Vater aus den verunglückten 50-er Jahre Wortkombinationen Kindesmutter und Kindesvater herzuleiten. Gerade so als ob ein Hindenburganhänger schreiben würde: 

 

Auch in diesem Jahr gab Reichspräsident Horst Köhler (im folgenden Bundespräsident Horst Köhler genannt) einen Empfang für die mit dem Eisernen Kreuz (im folgenden Bundesverdienstkreuz genannt) ausgezeichneten Bürgerinnen und Bürgern.

 

 

 

 

 

 

II. Allgemeines

Die von der verfahrensführenden Richterin verwendete Formulierung

"über die Frage, ob die Eltern zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge in der Lage sind, ..." (S. 3)

 

könnte den Eindruck erwecken, dass es darum ginge, dass die Eltern alle die elterliche Sorge betreffenden Angelegenheiten gemeinsam regeln müssten. Dies ist für die gemeinsame elterliche Sorge bekanntlich nicht verlangt. Vermutlich ist von der Richterin aber auch gemeint, eine Klärung herbeizuführen, über die Frage, ob die Eltern zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge in der Lage sind, ... .

 

Die zweite, hier vom Unterzeichnenden eingeführte Formulierung, nimmt als Ausgangspunkt die gesetzliche Formulierung aus §1687 BGB, in der die gemeinsame elterliche Sorge sinnvoller Weise auf Fragen von erheblicher Bedeutung beschränkt ist.

 

Der Gutachter teilt mit, dass das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ihn mit Beschluss vom 10.06.2004 beauftragt hat, ein familienpsychologisches Gutachten zu erstellen:

"über die Frage, ob die Eltern zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge in der Lage sind, ..." (S. 3)

 

Auch wenn es in der Praxis weit verbreitete schlechte Sitte ist, einen konkret tätigen Familienrichter mit dem Amtsgericht an dem er arbeitet sprachlich gleichzusetzen, so sei zur Pflege der deutschen Sprache und zur Förderung von Klarheit im familiengerichtlichen Verfahren dem Gutachter empfohlen, den tatsächlich beauftragenden Richter im Gutachten auch mit seinen Namen zu benennen.

Da der Familienrichter am Amtsgericht Einzelrichter ist, ist es logisch, dass der Gutachter immer nur von diesem konkreten Richter eines konkreten Gerichtes ernannt werden kann und nicht von einem Gericht. Selbst beim Oberlandesgericht ist es nicht das Oberlandesgericht, welches Aufträge und Ernennungen erteilt oder Beschlüsse trifft, sondern ein sogenannter Spruchkörper, so z.B. der 13. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Hochgräber und der Richterinnen am Kammergericht Scheer und Freymuth-Brumby.

 

 

 

 

 

Tautologie

Gutachter können im Rahmen des ihnen vom Gericht zugewiesenen Auftrages (Beweisfrage) relativ selbstständig arbeiten und, sofern nicht vorher vom Gericht eingeschränkt, die Art und Weise der Erfüllung ihres Auftrages in eigener Verantwortung selbst gestalten. Dass sie sich dabei immer am gerichtlichen Auftrag zu orientieren haben ist logisch in der Sache begründet. Von daher ist es eine Trivialität und darüber hinaus eine Tautologie, wenn der Gutachter schreibt:

"Gemäß den eingangs genannten Richtlinien für die Erstellung psychologischer Sachverständigengutachten orientiert sich die Planung und Durchführung der Begutachtung an der Fragestellung des Auftraggebers" (S.4)

 

Woran sollte sich die Arbeit des Gutachters denn sonst orientieren, wenn nicht an der Fragestellung, bzw. dem Auftrag des Gerichtes? Doch nicht etwa an einem Auftrag vom lieben Gott, der Deutschen Bank oder einer inneren Eingebung? Es mutet da schon etwas seltsam an, wenn Herr Treplin Landesbeauftragter und Vorsitzender des Landesfachverbandes der Sektion Rechtspsychologie im BDP (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.) ist (Stand Januar 2003) und ihm in diesem Zusammenhang sicher auch qualitätssichernde Aufgaben zukommen.

 

 

 

 

 

Hypothesen

 

Der Gutachter schreibt weiter:

 

"Aus den gerichtlichen, juristischen Fragestellungen und dem Ergebnis der Aktenanalyse werden dazu psychologisch beantwortbare Hypothesen abgeleitet. Dies geschieht im Rahmen einer Formulierung psychologischer Fragen, bei deren Beantwortung den verschiedenen relevanten Hypothesen nachgegangen wird." (S. 4)

 

Nun sucht man aber im folgenden Text vergebens nach "dazu psychologisch beantwortbare(n) Hypothesen" oder "verschiedenen relevanten Hypothesen". Warum der Gutachter eine Darlegung von Hypothesen wortgewaltig ankündigt, diese Ankündigung dann aber anscheinend gar nicht umsetzt, bleibt offen. Gut gebrüllt, Löwe, könnte man mit Shakespeare (Ein Sommernachtstraum) meinen.

 

 

 

Löwe.

Oh! (Der Löwe brüllt, Thisbe läuft davon.)

 

Demetrius.

Gut gebrüllt, Löwe!

 

Theseus.

Gut gelaufen, Thisbe!

 

Hippolyta.

Gut geschienen, Mond! - In der Tat, der Mond scheint mit vielem Anstande.

(Der Löwe zerreißt den Mantel der Thisbe.)

 

Theseus.

Gut gezaust, Löwe!

 

Demetrius.

Und da kam Pyramus.

Pyramus kommt.

 

Lysander.

Und da verschwand der Löwe. (Löwe ab.)

 

William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum

Übersetzt von August Wilhelm von Schlegel

Fünfter Aufzug, Erste Szene

http://gutenberg.spiegel.de/shakespr/sommer/sommer51.htm

 

 

 

Im Theater mag Theaterdonner erlaubt sein, den zu stellenden Ansprüchen an die professionell zu führende Tätigkeit eines Gutachters kann dies sicher nicht genügen.

Vielleicht hätte sich der Gutachter vor der Verwendung des Begriffes der Hypothese auch erst einmal damit vertraut machen müssen, was denn eine Hypothese auszeichnet:

" Hypothese - Eine widerspruchsfreie Aussage, deren Geltung nur vermutet ist und die in den Wissenschaften als Annahme eingeführt wird, um mit ihrer Hilfe schon bekannte wahre Sachverhalte zu erklären. Hypothetisch allgemeine Geltung beanspruchende Aussagen gelten als empirisch begründet, wenn sie durch passende Verallgemeinerungen (Generalisierungen) endlich vieler singulärer Tatsachen gewonnen sind. Die mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Methoden beurteilte Bestätigung empirischer Hypothesen schließt die in der Regel experimentelle Überprüfung der Folgerungen aus diesen Hypothesen mit ein. Werden Hypothesen zur Erklärung von Tatsachen nur versuchsweise eingeführt, so spricht man von Arbeitshypothesen, den in der Regel ersten Schritten auf dem Wege zu einer wissenschaftlich begründeten empirischen Theorie."

"Meyers Grosses Taschenlexikon", 1981

 

... 

 

 

 

 

Beantwortung der gerichtlichen Fragen

Unter dem Titel "Beantwortung der gerichtlichen Fragen" versucht der Gutachter zu verschiedenen von ihm aufgeworfenen Fragen eine Position zu finden. Er wendet sich so der von ihm aufgeworfenen Frage 

"Wie ist die Erziehungsfähigkeit der Eltern einzuschätzen?" (S. 4) 

 

zu. Bedauerlicherweise findet man zu dem vom Gutachter verwendeten Begriff "Erziehungsfähigkeit" keine inhaltlich-theoretischen Ausführungen und auch keine Literaturhinweise, auf die sich der Gutachter möglicherweise stützt. Dabei gibt es eine umfangreiche Fachliteratur zu diesem Thema, so z.B. aktuell erschienen:

Eggert, Annelinde: "Was Kinder brauchen. Erziehung und Erziehungsstile zwischen Freiheit und Struktur"; In: "forum erwachsenenbildung", 3/2004; S. 11-18

Tschöpe-Scheffler, Sigrid: Entwicklungsfördernde und entwicklungshemmende Faktoren in der Erziehung"; In: "forum erwachsenenbildung", 3/2004; S. 19-27

 

 

Beide Aufsätze sind zur freundlichen Beachtung des verfahrensführenden Richters dieser Stellungnahme beigefügt.

Angesichts der fehlenden Vorstellung und Diskussion, was der Gutachter denn unter Erziehungsfähigkeit versteht, kann man zu der Vermutung kommen, der Gutachter würde lediglich seine eigene subjektive Auffassung des Begriffes in das Verfahren einführen. Somit entstünde aber eine gewisse Beliebigkeit, die es fraglich erscheinen lässt, ob die Ausführungen des Gutachters zu der Frage der Erziehungsfähigkeit der Eltern, dem Gericht helfen können, eine am Kindeswohl orientierte Regelung des elterlichen Streites zu finden.

 

Der Gutachter schreibt weiter:

"Nach gutachterlicher Einschätzung sind die Eltern zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge unter der Bedingung geeignet, dass der Aufenthalt der Kinder und der Umgang klar geregelt sind. ..." (S. 39)

 

Nun hat das Gericht aber nicht danach gefragt, ob die Eltern dazu "geeignet" sind, sondern ob sie dazu "in der Lage sind". Die vom Gutachter abweichend von der gerichtlich gestellten Frage verwendete Formulierung "geeignet" fokussiert auf einen isoliert auf die einzelne Person angeblich feststellbaren Fixzustand des Geeignet sein. Die vom Gericht verwendete Formulierung stellt dagegen richtigerweise auf einen prozesshaften Verlauf ab, in dem dem Miteinander der Eltern eine wichtige Bedeutung zu kommt, wie auch dem sonstigen Kontext der Trennungsfamilie, wie z.B. verschiedenen Unterstützungssystemen (Verwandtschaft, Familienberatungsstelle), Ressourcen, materielle Fragen, etc..

Auch wenn der Gutachter dem Gericht die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge empfiehlt, so schlägt er andererseits vor, dem Vater das paritätisch beiden Eltern zustehende Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teilbereich der gemeinsamen elterlichen Sorge zu entziehen und somit die Mutter als allein aufenthaltsbestimmungsberechtigten Elternteil zu benennen. Dies verwundert, denn nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wäre es angezeigt, vorher zu prüfen, ob hier prinzipiell eine unüberwindbare Uneinigkeit der Eltern besteht und wenn ja, ob dann nicht nach §1628 BGB eine konkrete einzelfallbezogene Entscheidung des Gerichtes anstünde, nicht jedoch ein grundlegender und vollständiger Entzug eines grundgesetzlich verbrieften Rechtes wie dem Aufenthaltsbestimmungsrecht für die eigenen Kinder.

 

§ 1628 BGB (Meinungsverschiedenheiten)

Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.

 

 

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wäre zu prüfen gewesen, ob nicht minder schwere Eingriffe in grundlegende Elternrechte geboten wären, so wie es durch § 1628 möglich wäre. Der Gutachter hätte vor seiner schließlich abgegebenen Empfehlung, dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht komplett zu entziehen, auch prüfen müssen, ob eine Einigung der Eltern in der strittigen Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes der Kinder möglich oder nicht möglich ist. Eine solche Prüfung hat er jedoch nach seiner eigenen Darstellung im Gutachten nicht vorgenommen. Offenbar wurde diese Frage weder im Einzelgespräch des Gutachters mit den Eltern, noch in einem vom Gutachter wohl gar nicht erst ins Auge gefassten gemeinsamen Gespräch mit den Eltern diskutiert, bzw. um eine Lösung gerungen. Es mutet dann schon seltsam an, wenn der Gutachter ohne Prüfung dieser Frage dem Gericht empfiehlt, dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrechtes zu entziehen und somit die Mutter zum alleinbestimmungsberechtigten Elternteil bezüglich des Aufenthaltes der Kinder zu küren.

 

 

Der Gutachter gibt dem Gericht abschließend die Empfehlung:

"Auf Grund der eingeschränkten Erziehungsfähigkeit des Vaters sollte das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter übertragen werden." (S. 39)

 

Dass der Gutachter den Euphemismus "übertragen" verwendet, statt im Klartext davon zu reden, dass er empfiehlt, dem Vater das ihm gemeinsam mit der Mutter zustehende Aufenthaltsbestimmungsrecht für seine Kinder, zu entziehen, kann als Versuch verstanden werden, die Tragweite der vorgetragenen Empfehlung zu verschleiern, bzw. dem Vater schmackhaft zu machen. Nach dem Motto, es wird doch nur etwas übertragen und nicht etwa weggenommen.

Mangelhaft an dieser Empfehlung ist sicherlich, dass wie schon weiter oben angesprochen, im Gutachten nicht deutlich wird, auf welche wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs Erziehungsfähigkeit sich der Gutachter stützt. So kann auch nicht beurteilt werden, ob davon abweichend tatsächlich eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit des Vaters vorliegt, wie vom Gutachter behauptet, oder ob es sich nicht vielmehr um verschiedene Erziehungsstile der beiden Elternteile handelt, die jede für sich ihre Stärken und Schwächen haben mögen.

Unklar bleibt hier, ob es sich bei der faktisch gegebenen Empfehlung des Gutachters, dass die Kinder zukünftig ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter haben sollten, um eine relativ willkürlich und subjektiv vorgenommene Empfehlung des Gutachter handelt oder um eine Empfehlung, die, orientiert an einer allgemein anerkannten Definition von Erziehungsfähigkeit, so auch von einer breiten Mehrheit anderer Fachkräfte getroffen worden wäre.

 

 

 

 

III. Einzelpunkte

Der Gutachter führte nach eigenen Angaben am 19.08 und 9.9.2004 Explorationen mit den Kindern durch (S. 5). Leider fehlt die Angabe, wo er diese Explorationen durchgeführt hat und wer die Kinder zum Termin gebracht hat, bzw. in wessen Wohnung die Explorationen stattfanden. Dies ist ja nicht nebensächlich, da Kinder in dem Alter von A und B natürlich auch in nicht unerheblichen Maße situativen Einflüssen unterliegen. Bei einer Exploration im Haushalt der Mutter sind daher andere Antworten und Reaktionen der Kinder zu erwarten, als bei einer eventuellen Exploration im Haushalt des Vaters.

 

Erziehungsfähigkeit

Wenn man wüsste, was der Gutachter unter Erziehungsfähigkeit versteht, könnte man die Frage stellen, woran der Gutachter meint feststellen zu können, dass eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Vaters bestünde? Dazu müssen wir in den weiteren Text des Gutachtens schauen. Auf den Seiten 6-21 gibt der Gutachter mit beiden Eltern durchgeführte Explorationen wieder, woraus der Gutachter seine Behauptung einer eingeschränkten Erziehungsfähigkeit des Vaters aber nicht herzuleiten scheint. Zumindest finden sich in diesem Textabschnitt keine entsprechenden expliziten Hinweise des Gutachters.

Auf den Seiten 21-26 gibt der Gutachter seine Wahrnehmungen aus verschiedenen Interaktions- und Verhaltensbeobachtungen zwischen den Eltern und ihren Kindern wieder. Auch hier gibt der Gutachter keine expliziten Hinweise, warum der Vater nach seiner Auffassung "eingeschränkt Erziehungsfähig" wäre.

Eine gemeinsame Begegnung der Eltern hat der Gutachter leider nicht hergestellt, so kann auch nur schwer deutlich werden, wie es um die Bindungstoleranz der Eltern und ihre Bereitschaft und Fähigkeit wesentliche die Kinder betreffenden Angelegenheiten miteinander zu bereden, tatsächlich bestellt ist. Und so bleibt ein wesentlicher Teil den man dem Begriff der Erziehungsfähigkeit zurechnen kann unbeleuchtet.

Bezüglich der Bindungstoleranz der Eltern ist noch anzufügen, dass beide Eltern zur Familienberatung bei Dr. ... gewesen sind (S. 31). Die Mutter habe sich jedoch, so der Gutachter, zurückgezogen, was hier die Frage aufwirft, warum dies von Seiten der Mutter geschehen ist, und wie es um die Bereitschaft der Mutter bestellt war und ist, die Kinder betreffende Konflikte und Probleme beider Eltern mit fachkundiger Unterstützung anzugehen und ob die beklagen Vorfälle im Kindergarten nicht auch auf einer Verweigerung von Kommunikation seitens der Mutter zurückgeführt werden können? Der Vater hat immerhin nach dem Beratungsabbruch durch die Mutter im Jahr 2001 bis zum Jahr 2004 ca. 20 Beratungskontakte allein mit Herrn Dr. ... von der Familienberatung ... in Anspruch genommen.

 

Auf den Seiten 26-30 gibt der Gutachter seine Wahrnehmungen aus der Exploration der Kinder wieder. Angaben darüber, wo und wann die Explorationen stattgefunden haben, fehlen hier leider. Auch hier wieder weitestgehend nur Wiedergabe von Befragungen bzw. Testungen, die der Gutachter vorgenommen hat und kein Eingehen auf die spätere These des Gutachter von einer eingeschränkten Erziehungsfähigkeit des Vaters.

Der Gutachter führt dann die Durchführung einer "Drei-Wünsche-Frage" mit A und B an. A gibt dazu die Antwort "Rapunzelkutsche, Prinzessinnenkutsche, Rapunzelschloss" (S. 27). B gibt darauf keine Antwort. Der Gutachter schreibt dazu:

"Auf die `Drei Wünsche Frage` wusste B keine Antwort". (S. 29)

 

Woher will der Gutachter wissen, dass B keine Antwort wusste oder, was ein wichtiger Unterschied ist, keine gegeben hat oder geben wollte?

Um was für eine "Drei-Wünsche-Frage" es sich in beiden Fällen handeln soll, lässt der Gutachter seine Leser einschließlich dem Gericht im unklaren. Vielleicht sollen nun alle Beteiligten erst in dicken Fachwälzern lesen, was denn eine "Drei-Wünsche-Frage" wäre? Ein wenig mehr Kundenorientierung darf man und muss man aber sicher von einem Gutachter erwarten können, als es hier geschehen ist.

 

Der Gutachter gibt dann Eindrücke und Einschätzungen der Kindertagesstättenleiterin Frau ... wieder, die diese während eines am 14.09.2004 geführten 20-minütigem Telefonates mit dem Gutachter geäußert haben soll. Frau ... , so der Gutachter, berichtete, sie

"habe Herrn X als sehr herzlichen, angenehmen Vater erlebt, der sich aktiv unterstützend gezeigt habe, ... Es sei über zwei Jahre ein Vertrauensverhältnis zu ihm gewachsen". (S. 30).

 

Erst "etwa vier Wochen vor den Übergriffen" des Vaters auf seine Kinder, habe der Vater begonnen, "die Kinder anzubrüllen und diese lautstark anzuweisen".

Es ist also offenbar unstrittig, dass der Vater in den Augen der Leiterin der Kita offenbar über lange Zeit als kompetenter Vater in Erscheinung getreten ist. Das verträgt sich nun nicht mit der Behauptung des Gutachter, der Vater wäre in seiner Erziehungsfähigkeit eingeschränkt. Wenn denn eine Einschränkung bestanden hat, dann offenbar nach Darstellung der Kitaleiterin erst unmittelbar vor der Zeit, in der es zu den von Frau ... beschriebenen Ereignissen, einschließlich der Eskalation am ....2004 kam. Wenn dies so war, stellt sich die Frage, ob der Vater seine in dieser Zeit möglicherweise eingeschränkte Erziehungsfähigkeit inzwischen wieder hergestellt hat? Dies lässt sich nicht unbegründet vermuten. Denn warum sollte der Vater in früheren Zeiten erziehungsfähig gewesen sein und dies nach der Bewältigung einer Krisensituation nicht auch wieder aktuell? Es sei denn man unterstellt, der Vater hätte die Krise noch nicht bewältigt.

 

 

Bindungen

Unter der Überschrift "Beantwortung der psychologischen Fragen" führt der Gutachter aus:

Die Mutter

 "hat beide Kinder lange gestillt und war zuhause. Der Vater war berufstätig. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Mutter die primäre Bindungsperson für beide Kinder ist. Der Vater hat dann zunehmend Betreuungs- und Versorgungsaufgaben übernommen. Insbesondere nach der Trennung Anfang 2001 war er umfangreich mit der Betreuung befasst. Von Bindungsbeziehungen zu ihm ist auszugehen." (S. 32)

 

Bei dieser Argumentation stellt sich die Frage, geht der Gutachter davon aus, dass die Mutter "die primäre Bindungsperson ist" oder dass sie es war. Letzteres kann gut möglich sein, wenn die Mutter in der Vergangenheit einen sehr engen Kontakt mit den Kindern gepflegt hat, so hat sie nach eigenen Angaben ihre Tochter A zwei Jahre gestillt, dies sogar noch parallel zum Stillen des ein Jahr später geborenen Sohnes B (S. 16). Ob dies möglicherweise eher ein Hinweis auf eine unangemessene Bindung zwischen Mutter und Tochter ist, kann hier nicht beantwortet werden, liegt aber auch nicht außerhalb des Möglichen. So geht man im allgemeinen davon aus, dass nach den ersten zwölf Monaten Babys nicht mehr gestillt werden sollten (vgl. "Das Baby. Informationen für Eltern über das erste Lebensjahr", Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung", 2002, S. 31). Dort heißt es auch:

"Babys, die im 2. Lebenshalbjahr noch überwiegend mit Milch ernährt werden, können in ihrer körperlichen Entwicklung zurückbleiben. Eisenmangel und Mangel an Spurenelementen führen oft zu einer Anämie. Die Kinder sind auch anfälliger für Infektionen. Nach dem 1. Lebensjahr lassen sie sich meist schwer auf eine altersgemäße Kost umstellen." (S. 30)

 

 

Der Vortrag des Gutachters:

"Die Exploration der Kinder deutete hingegen auf eine Eintrübung der emotionalen Beziehung zum Vater. So ordnete ihm A beispielsweise im FRT nur eine Fragekarte positiven Inhalts zu aus dem Bereich Abhängigkeit/Versorgung, jedoch drei negative Items." (S. 32/33)

 

lässt sich vor dem Hintergrund der von der Mutter geschilderten überlangen Stillzeit ihrer Tochter systemisch auch anders interpretieren, als dies der Gutachter tut. Man kann es auch als eine Schaffung von Abhängigkeit des Kindes von und durch die Mutter (Überbehütung) interpretieren, die sich schließlich in einer ungesunden Fixierung und Abhängigkeit der Kinder auf die Mutter manifestiert. Die von der Mutter berichteten zwei Pseudokruppanfälle des Sohnes im Alter von 2 Jahren und nach dem Sommerurlaub 2004, sowie die von ihr berichteten leichten Hautprobleme des Sohnes (S. 16), könnten psychosomatisch auch als Symptome einer zu engen Mutter-Kind-Beziehung gedeutet werden. Diese These ist genau so denkbar, wie die These des Gutachters:

"Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Mutter die primäre Bindungsperson für beide Kinder ist."

 

In dem der Gutachter aber nur eine von ihm benannte These diskutiert, schafft er Raum für eine Entwertung der Bedeutung des Vaters für seine Kinder.

 

 

 

 

Bindungstoleranz

Der Gutachter trägt in Form einer Interpunktion vor:

"In der Exploration des Vaters fiel auf, dass sich dieser als Opfer willkürlicher Handlungsweisen der Mutter darstellte, statt die derzeitige Situation als Konsequenz eigenen Verhaltens zu sehen." (S. 36)

 

Der Gutachter macht mit seiner Äußerung das selbe, was er dem Vater vorwirft. Er setzt in Form einer Interpunktion willkürlich einen Anfang. Am Anfang, so der Gutachter ist :

"die derzeitige Situation als Konsequenz eigenen Verhaltens (des Vaters) zu sehen."

 

 

Watzlawick schreibt zum Phänomen der Interpunktion:

 

"Dem unvoreingenommenen Beobachter erscheint eine Folge von Kommunikationen als ein ununterbrochener Austausch von Mitteilungen. Jeder Teilnehmer an dieser Interaktion muß ihr jedoch unvermeidlich eine Struktur zugrundelegen, die Bateson und Jackson in Analogie zu Whorf die `Interpunktion von Ereignisfolgen` genannt haben. ... Diskrepanzen auf dem Gebiet der Interpunktion sind die Wurzeln vieler Beziehungskonflikte."

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H., Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien", Verlag Hans Huber, Bern, Stuttgart, Toronto 1969/1990, S. 57/58)

 

Da eine Interpunktion eine Strukturdefinition eines Teilnehmers ist, kann die Interpunktion aber auch anders, als so wie vom Gutachter gesetzt, vorgenommen werden, nämlich so, dass der Vater als Opfer des Verhaltens der Mutter erscheint.

Während man es Eltern als psychologischen und kommunikationstheoretischen Laien nachsehen kann, dass Sie sich selbst in hocheskalierten Konflikten regelmäßig in der Rolle als Opfer und den jeweils anderen als den dazugehörigen Täter oder die Täterin erleben, so kann dies einem diplomierten Psychologen wie dem Gutachter sicher nicht gestattet werden, will man nicht riskieren, dass daraus Arbeitsergebnisse resultieren, die den hohen Anforderungen eines familienrechtlichen Verfahrens nicht genügen.

 

Der Gutachter wirft nicht die Frage auf, in wie weit es einer ausreichenden Bindungstoleranz der Mutter entspricht, dass diese trotz bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge und damit bestehenden gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts im Frühjahr beide Kinder ohne Zustimmung des Vaters in die Wohnung ihres neuen Freundes in ... verbracht hat und erst nach dieser eigenmächtigen Verbringung am ....2004 einen Antrag auf alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht gestellt hat, um den von ihr eingeleiteten ungesetzlichen Zustand zu legalisieren. Seit dieser Zeit wird offenbar der Kontakt des Vaters zu seinen beiden Kindern durch die Mutter zeitlich erheblich eingeschränkt.

 

 

 

 

IV. Empfehlung

 

Für die Eltern und ihre Kinder beiden Kinder kommt es darauf an, eine verlässliche Rahmung seitens des Familiengerichtes zu erlangen, durch die Elternschaft gesichert und nicht selektiert wird. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes des Vaters, so wie vom Gutachter mit der Begründung einer angeblich "eingeschränkten Erziehungsfähigkeit", vermag eine solche Rahmung nicht zu schaffen. Vielmehr würde ein solche Beschluss die Mutter in die Lage versetzen, jederzeit und ohne Zustimmung des Vaters den Wohnort mit den Kindern zu wechseln. Dies schließt auch Wohnortwechsel innerhalb Deutschlands und sogar außerhalb Deutschlands ein. Der Vater stünde angesichts dieses möglichen Szenarios ständig unter dem Vorbehalt möglicher Ultimaten durch die Mutter.

Ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes braucht aber auch aus praktischen Gründen nicht vollzogen werden. Dazu bedarf es nur einer gerichtlich protokollierten Einigung der Eltern über die Form der zukünftigen Betreuung ihrer Kinder durch die beiden Eltern. Vom Unterzeichnenden wird dazu in Absprache mit dem Vater empfohlen, dass beide Eltern ihre Anträge auf Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für den jeweils anderen Elternteil zurückziehen. Statt dessen vereinbaren die Eltern eine Betreuungsregelung, bei der der Vater auch im Alltag der Kinder präsent ist. Dies könnte z.B. eine Regelung sein, bei der der Vater seine Kinder im 14-tägigen Rhythmus von Donnerstag Nachmittag bis Montag früh in seinem Haushalt betreut. Denkbar ist aber auch eine weitere zeitliche Ausweitung der Betreuungszeiten durch den Vater. Dies kann für die Mutter eine wertvolle Entlastung darstellen, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der bei ihr in Kürze anstehenden Entbindung ... , die sie mit ihrem neuen Partner erwartet.

Sinnvoll dürfte die Teilnahme der Eltern an einem Kommunikationstraining sein, wofür der Unterzeichnende, der dieses auch in anderen familiengerichtlich anhängigen Fällen durchführt, den Eltern und gegebenenfalls auch anderen Bezugspersonen des Kindes gerne zur Verfügung steht.

 

...

 

 

 

Peter Thiel, 20.01.2005 

(leicht überarbeitetet am 18.09.2007)

 

 

 

 

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