Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Hans-Albert Treplin vom 30.04.2003
Familiensache betreffend mdj. X
am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg.
Geschäftsnummer: 165 F 6757/02
Richterin Frau Dr. Paetow
Kind: X, geb. ...
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 18.10.2002:
"1. ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für das Kind dem Kindeswohl am besten entspricht. Und
2. zudem die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter die beste Lösung für das Kind darstellt. (§1671 BGB).
3. Außerdem soll das Gutachten dazu Stellung nehmen, welche Umgangsregelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht (1684 BGB)"
Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 38-seitige schriftliche Gutachten und ein zweistündiges persönliches Gespräch mit Herrn S.
Einführung
Der Sachverständige (SV) vermag mit dem vorliegende Gutachten die gerichtliche Fragestellung ... .
Insbesondere unterlässt es der SV darzulegen an Hand welcher nachvollziehbarer Kriterien er die erste Frage des Familiengerichtes beantworten will. Da er die erste Frage nicht schlüssig zu beantworten weiß, kann er auch die zweite Frage nicht beantworten.
Die beauftragende Familienrichterin muss sich zudem fragen lassen, ob sie möglicherweise gegenüber dem Vater befangen ist, da beide Elternteile Anträge auf alleiniges Sorgerecht gestellt haben und somit nach einer eventuellen Bejahung der ersten richterlichen Frage zu prüfen wäre, welcher Elternteil die alleinige Sorge ausüben sollte. Die Richterin hat aber nur nach einer möglichen alleinigen Sorgeausübung durch die Mutter gefragt, was im Sinne einer unzulässigen gerichtlichen Vorentscheidung verstanden werden kann und geeignet ist, den SV suggestiv auf ein möglicherweise von der Richterin gewünschtes Ergebnis hin zu beeinflussen.
Dies hätte dem SV auffallen müssen. Nach § 407a (3) ZPO hätte der SV daher eine Klärung durch das Gericht herbeiführen müssen. Dies hat er unterlassen, was Zweifel an seiner Fachkompetenz erweckt.
Der Unterzeichnende weist allgemein auf folgendes hin.
Qualitätssicherung und Schadensersatz
Ist vom Gericht ein Sachverständiger bestellt worden, haben die von der Bestellung betroffenen Personen ein Recht darauf, dass der Sachverständige seine Arbeit in der gebotenen Qualität durchführt. Dies schließt ein, dass der Sachverständige die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit dem Gericht und den Beteiligten in einem, qualitativ wenigstens ausreichenden, schriftlichen oder mündlichen Vortrag mitteilt, so dass der Richter, darauf aufbauend den Fortgang des Verfahrens betreiben kann.
Der Sachverständige hat das Gutachten unparteiisch und nach besten Wissen und Gewissen zu erstatten (§410 ZPO), d.h. er hat während seiner Arbeit die gebotene Unparteilichkeit zu wahren und sich auf dem aktuellen Stand der fachwissenschaftlichen Debatte zu bewegen.
Weist die Arbeit des Sachverständigen erhebliche Mängel auf, kann von den davon Betroffenen Schadensersatz verlangt werden.
§ 839a BGB
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
Falsche uneidliche Aussage
§153 StGB Falsche uneidliche Aussage.
Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Begründung
I. Allgemeines
1. Der Sachverständige verwendet im Gutachten durchgängig die antiquierten, vormundschaftlichen und Distanz herstellenden Begriffe "Kindesvater", "Kindesmutter" und "Kindeseltern", eine Begrifflichkeit, die nicht geeignet ist, die Eltern als das zu sehen und zu fördern, was sie sind, nämlich Vater und Mutter (vgl. Kaufmann 1999)
2. Vorstellung der vom SV zugrunde gelegten Kriterien und der daraus abzuleitenden diagnostischen Methoden (hypothesengeleitete Arbeitsweise, Wissenschaftlichkeit)
Insgesamt sind die der Arbeit des SV zugrunde liegenden Kriterien und Arbeitsansätze nur schwer oder gar nicht zu erkennen. Dies wäre aber notwendig, will sich der SV nicht dem Vorwurf aussetzen, einzig und allein seine eigene subjektive Meinung kund zu geben. Denkbar wäre z.B. ein analytischer, tiefenpsychologischer, behavioristischer oder systemischer Ansatz. Darüber erfahren wir im Gutachten leider nichts, so dass eine fundierte Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Basis erschwert wird.
3. Die Gutachtenerstellung erfolgte offensichtlich statusdiagnostisch orientiert. Eine interventionsdiagnostische oder systemisch-lösungsorientierte Arbeitsweise (vgl. Bergmann; Jopt; Rexilius, 2002) ist nicht zu erkennen. Der SV hat es insbesondere unterlassen, beide Eltern zu einem gemeinsamen Gespräch mit ihm einzuladen, um den Auftrag des Gerichtes mit ihnen zu erörtern. Das mag mit der sonstigen Arbeitsweise des SV erklärbar sein, die aktuelle Fachdiskussion ist hier wesentlich weiter. Gefragt werden muss, ob der SV somit seiner Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen, hierzu Bode (S. 143): "Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und er jenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen."
An anderer Stelle Schade/Friedrich (1998): "Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten."
4. Literaturangaben, z.B. zu Ernst Ell (S. 25) fehlen.
II. Einzelpunkte
Die Mitteilung dass der SV das Gutachten "gemäß den Richtlinien des Berufsverbandes Deutscher Psychologen e.V. in der Fassung von 1994 erstellt" hat (S. 1), ist kein Gütekriterium sachverständiger Tätigkeit, weil diese "Richtlinien" denkbar wenig zur inhaltlichen Arbeit eines SV mitteilen. Der inhaltliche Teil der "Richtlinien" umfasst auch nur vier Seiten. Die Autoren der Richtlinien schreiben daher auch zutreffend: "Gewarnt werden muss auch vor einer Überforderung der Richtlinien."
In der Aktenanalyse teilt der SV mit, dass es Hinweise gibt, "dass die Trennung von der Km (Kindesmutter) ausging." (S. 3). Diese Bemerkung des SV ist völlig unerheblich, da es in der Regel völlig egal ist, wer den ersten förmlichen räumlichen Trennungsschritt vollzogen hat. Der Paarbeziehung, das ist eine Binsenweisheit aus der Trennungs- und Scheidungsberatung, haben beide Partner auf je eigene Weise schon viel früher die Grundlage entzogen. Ein schuldig und unschuldig ermitteln zu wollen ist völlig müßig. Dies hat das deutsche Familienrecht spätestens seit der Eherechtsreform von 1977 erkannt, als das sogenannte "Schuldprinzip" abgeschafft wurde.
Wie der SV auf Seite 5 zu seiner Behauptung kommt, "Gemäß den eingangs genannten Richtlinien für die Erstellung psychologischer Sachverständigengutachten sollen aus der gerichtlichen, juristischen Fragestellung und dem Ergebnis der Aktenanalyse zunächst psychologisch beantwortbare Fragen abgeleitet werden.", bleibt schleierhaft. In den dem Unterzeichnenden genannten "Richtlinien" findet sich ein solcher Vorschlag nicht. Der SV möge gegenüber dem Gericht das Gegenteil beweisen. Gelingt ihm das nicht, so wäre dies ein Grund, den SV wegen falscher Aussage gegenüber dem Gericht unverzüglich zu entlassen. Nach § 153 StGB könnte in einem solchen Fall sogar eine strafrechtliche Handlung vorliegend als denkbar erscheinen.
Der SV teilt mit, dass er auf ein Gespräch mit der Beraterin Frau ... verzichtet hat, da die Km (Kindesmutter) Zweifel an deren Neutralität äußerte (S. 5). Die Handlungsweise des SV, auf Grund der Äußerung einer der Verfahrensbeteiligten, hier der Mutter, auf eine möglicherweise Erkenntnis bringende Befragung zu verzichten, kann vom Unterzeichnenden nur als Parteilichkeit des SV gegenüber der Mutter verstanden werden, was als Verstoß der Pflicht des SV zur Unparteilichkeit gemäß § 410 zu werten wäre.
Familienanamnese
Eine Familienanamnese sollte immer am gerichtlichen Auftrag orientiert sein. In dem hier vorliegenden Fall ist es unerheblich, ob die Mutter der Mutter Hausfrau gewesen ist und ihr Vater Beamter im gehobenen Dienst oder ob der Vater in Japan geboren wurde. Die breite schriftliche Wiedergabe der von den Beteiligten vorgetragenen, jeweils subjektiv und daher nie die objektive Realität oder "die Wahrheit" widerspiegelnden, eigenen Familiengeschichte durch den Sachverständigen ist daher nur wenig hilfreich. Dies hätte gegebenenfalls im Rahmen einer Familientherapie seinen Platz.
Der Sachverständige hätte statt dessen versuchen sollen, Vater und Mutter im direkten Kontakt miteinander zu erleben. Im direkten Kontakt mit beiden Beteiligten hätte der Sachverständige tatsächlich vorhandene und nicht nur behauptete wesentliche Konfliktpunkte und Beziehungsmuster ermitteln können. Gleichzeitig hätte er die Chance gehabt, mit den Beteiligten zu versuchen, einen anderen und konstruktiveren Umgang miteinander als bisher zu ermöglichen.
In der Exploration der Mutter teilt diese mit, "sie habe manchmal `unheimliche Angst`, das der Kv (Kindesvater) mit X weg sein könnte oder dass z.B. ein Unfall geschehen sei und sie nicht informiert werde. In der Zeit, wenn X sich bei ihm aufhalte, würde sie gern anrufen, um zu fragen, wie es ihr gehe. Das traue sie sich jedoch nicht." (S. 11/12)
Diese Bemerkung der Mutter zeigt, dass es ihr schwer fällt, den Vater als kompetenten Elternteil wahrzunehmen. Sie vermag offenbar nicht, ihr Kind loszulassen und dem Vater das ihm gebührende Vertrauen zu geben. Statt dessen würde sie am liebsten Kontrolle ausüben, was sie in Form der Besorgnis um die Tochter verkleidet: "würde sie gerne anrufen, um zu fragen, wie es ihr gehe. Das traue sie sich jedoch nicht."
Dieses Einstellung der Mutter ist unter dem Aspekt der Bindungstoleranz ein Hinweis auf ihre in diesem Punkt eingeschränkte elterliche Kompetenz (Erziehungsfähigkeit) und spätestens hier hätte der SV überlegen müssen, dass ein Sorgerechtsentzug für den Vater unter dem Aspekt des Kindeswohls genau das falsche wäre. Schon hier hätte der SV die erste Frage des Familiengerichtes verneinen müssen und die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge, bzw. ersatzweise die Übertragung der Gemeinsamen Sorge auf einen Ergänzungspfleger empfehlen müssen.
Die von der Mutter auf Seite 12 vorgetragenen Befindlichkeiten der Tochter liegen im Bereich dessen, was Scheidungskinder in aller Regel erleben. Dies lässt allenfalls die Teilnahme an einer Scheidungskindergruppe oder Spieltherapie sinnvoll erscheinen, nicht jedoch einen Sorgerechtsentzug für den Vater. Ein solcher Sorgerechtsentzug würde im übrigen auch nicht die Konflikte der Eltern klären, sondern im Gegenteil eine Konfliktverschärfung wahrscheinlich machen.
Wozu der SV auf Seite 16 den Vater zu seinem Alkoholkonsum befragt, bleibt unklar. Vielleicht auf Grund der indirekt vorgetragenen Anschuldigungen der Mutter auf Seite 8. In diesem Fall hätte der SV aber hypothesengeleitet erläutern müssen, wieso er den Vorhaltungen der Mutter gegenüber dem Vater gesondert nachgehe und in welchem Verhältnis dies zur richterlichen Fragestellung steht.
Zur einzeln durchgeführten Exploration des Kindes durch den SV liefert dieser keinen Hinweis, warum dies ausgerechnet im Kinderarten stattfand (S. 23). Dies ist schon deswegen zu kritisieren, weil die Eltern ein Recht darauf haben, dass das familiengerichtliche Verfahren nicht ohne zwingenden Grund in öffentliche Räume wie dem Kindergarten getragen werden, zu denen die Eltern in einem direkten Bezug stehen.
...
Wieso der SV die Bemerkung von X "Wenn ich bei Papa im Bett schlafe, kriege ich Rollerblades" (S. 24), zu einer anschließenden Befragung des Vaters nutzt, "der Kv führte hierzu aus, er wisse nicht, was X meine.", bleibt unklar. Klar erscheint jedoch, dass die Verknüpfung dieser beiden Bemerkungen geeignet sein kann, einen nicht geäußerten Missbrauchvorwurf gegen den Vater gerichtsöffentlich Raum zu geben, ihn somit erst in die Welt zu setzen und damit erst die Überlegung zu ermöglichen, der Vater würde womöglich seine Tochter sexuell missbrauchen.
Testdiagnostik
Die unbegründete Durchführung diverser psychologischer Tests (S. 25) lassen den Eindruck entstehen, dass der SV in seiner Arbeit relativ planlos und willkürlich vorgegangen ist.
Zum allgemeinen Wert von psychodiagnostischen Tests schreibt Jopt ("Im Namen des Kindes", S. 284/296): "Ausnahmslos alle Gutachter scheinen unerschütterlich davon überzeugt zu sein, dass für eine die Gerichte beeindruckende Dokumentation ihres professionellen Könnens der Einsatz von Testverfahren .. absolut unverzichtbar ist."
Mit der im sogenannten "Erste-Düss-Fabel-Test" verwendeten Szene (S. 25) versetzt der SV das Kind in eine schwierige Situation. Es soll sich, das zu Mutter und Vater eine gleichwertig gute Beziehung hat, für einen der beiden Elternteile und damit gegen den anderen entscheiden. Dies stellt einen unzulässigen Übergriff des SV auf das Kind dar. Im übrigen unterschlägt der SV letztlich in seiner Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung das auf diese Weise hier zustande gekommene Ergebnis, dass X sich hier für den Vater entschieden hat.
Schloss-Test nach Ernst Ell
das projektiven Verfahren soll der Beziehungsdiagnostik dienen. Dem Kind wird ein "Schloss" mit diversen Zimmern aufgezeichnet, in dem es wohnt. Es wird aufgefordert, dieses Haus mit Personen seiner Wahl zu bevölkern. Die Anzahl positiver und negativer Zuordnungen soll nach Ell Hinweise auf die Beziehung des Kindes zu den betreffenden Personen geben.
Die Vorgabe dieses Verfahrens dürfte für ein Kind, das inmitten eines massiven elterlichen und familiären Konfliktfeldes steht, eine erhebliche Überforderung und Zumutung darstellen, da es in "seinem" Haus miteinander verfeindete Parteien (Eltern) und auch noch andere Beteiligte (z.B. Großeltern unterbringen soll. Damit das Kind, das sich bei Befolgung der gestellten Aufgabe ergebende Dilemma der Unterbringung verfeindeter Parteien (Eltern) in einem gemeinsamen Haus lösen kann, muss es eine der Konfliktparteien so weit wie möglich aus dem Haus aussperren. Dadurch werden beim Kind Schuldgefühle induziert. Die Anwendung dieses Verfahrens bei hochkonflikthaften familiengerichtlichen Auseinandersetzung ist daher abzulehnen.
Testpsychologische Untersuchung mit dem FRT
Zum verwendeten "Family-Relation-Test" kritisch Leitner ("Zur Mängelerkennung in familienpsychologischen Gutachten" in "Familie und Recht" (FuR), 2/2000, S. 57-63):
"...
Anmerkungen zum Family-Relations-Test (FRT)
Das zusammen mit dem im Hinblick auf die Gütekriterien völlig unzureichendem Test "Familie in Tieren" (Brem-Gräser, 1995) insgesamt am häufigsten eingesetzte Verfahren, der Family-Relations-Test von Bene und Anthony (1957), ist im Testhandbuch von Brickenkamp (1997) explizit nicht verzeichnet. Seine Spitzenposition in der Rangfolge verdankt das Verfahren insbesondere der Tatsache, daß er in Gutachten der Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie (GWG) ausgesprochen häufig zum Einsatz kommt. Zwölf der insgesamt 16 Anwendungen dieses Verfahrens betreffen solche Gutachten. Insbesondere bei diesem Testverfahrens läßt sich erkennen, daß ausgeprägte organisationsspezifische Besonderheiten beim Einsatz bestimmter Tests offenbar kaum von der Hand zu weisen sind.
Auf Grund seiner Häufigkeit in den vorliegenden familienpsychologischen Gutachten sollen zu diesem Testverfahren noch einige ergänzende Anmerkungen gemacht werden:
Beim FRT handelt es sich um ein Verfahren, das in einer Übersetzung von Fläming und Wörner (1977) in Fassungen für vier- bis fünfjährige sowie für sechs- bis elfjährige Kinder vorliegt (vgl. Beelmann, 1995, S. 38). Beelmann referierte und diskutierte bei der Tagung der Fachgruppe Entwicklungspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. in Leipzig im Jahre 1995 "neuere Untersuchungen mit dem Family-Relations Test". Hierbei wurde deutlich, daß die Validität dieses Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs als gesichert gelten kann. Im Rahmen seines Vortrages und der anschließenden Diskussion bezeichnete Beelmann den Umgang mit diesem Verfahren in der diagnostischen Praxis zudem als "haarsträubend" und verwies in diesem Zusammenhang u. a. darauf, daß aus ökonomischen Gründen bei der praktischen Durchführung häufig instruktionsinadäquate Modifikationen vorgenommen werden."
Gütekriterien von psychodiagnostischen Tests
Leitner: "Nicht nur in Fällen, bei denen unkonventionelle Verfahren zur Anwendung kamen, die in einschlägigen Testhandbüchern nicht verzeichnet sind, sollte es aber Aufgabe der Sachverständigen sein, über die Erfüllung der Gütekriterien im Gutachten Rechenschaft abzulegen und damit die Aussagegültigkeit der testdiagnostischen Basis auch für das Gericht nachvollziehbar zu erörtern. Dies wäre gleichsam ein ganz wesentlicher Beitrag zur Transparenz der Aussagegültigkeit von Entscheidshilfen für das Gericht und zur Qualitätssicherung bzw. Qualitätsverbesserung, die es nachdrücklich anzustreben gilt."
(siehe Brickenkamp "Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests", Göttingen, 1975, S. 500).
Dass sich X wie auf Seite 26 widergegeben, gegenüber dem Sachverständigen verschließt, kann nach dem bisherigen Vorgehen des SV nicht verwundern.
Der SV schreibt auf S. 29: "Beide Eltern sind bisher keine neuen Partnerschaften eingegangen. Dies wird dadurch erschwert, dass sie den dazu notwendigen Abstand von einander nicht finden können." Was eine solche fehlplatzierte Einschätzung des SV in dem Gutachten zu suchen hat, bleibt offen, schließlich geht es dem Gericht nicht um die Frage nach Heiratsabsichten der Eltern.
Auf Seite 30 behauptet der SV "Begriffe wie ´Familie` oder `Zuhause` bringt das Kind eher mit ihr als mit dem Kv in Verbindung:"
Was das mit der gerichtlichen Frage nach dem Für und Wider einer eventuellen Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu tun haben soll, lässt der SV unbeantwortet.
Sprachlich wird der SV dann sehr erfinderisch, wenn er schreibt: "Von einem Optimierungsstandpunkt aus betrachtet, sind beide Eltern gefühlsmäßig zu stark auf das Kind fixiert." Was er damit meint, bleibt jedoch selbst dem fachkundigen Leser unklar.
Auf Seite 32 schreibt der SV, dass die Vermutung nahe liegt, "dass X sich ... in einem erheblichen Loyalitätskonflikt befindet, der ihr ein Sprechen über die eigenen Erfahrungen mit den Eltern stark erschwert." Dass es möglicherweise der SV selbst ist, der durch seine Entweder-Oder Haltung der Elternselektion das Kind in diese schlimme Lage bringt, kommt ihm nicht in den Sinn.
Über die vom SV angeblich unternommenen Vermittlungsversuche (S. 34) wird der Leser leider nicht aufgeklärt. So stellt sich die Frage, ob der SV überhaupt und wenn ja welche Vermittlungsversuche er unternommen hat. So weit zu sehen, hat er an keiner einzigen Stelle ein gemeinsames Gespräch mit den Eltern unternommen.
III. Schlussbemerkung
Die Behauptung des SV, dass die "Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für das Kind dem Kindeswohl am meisten dient", kann nach den vorgenannten Kritikpunkten in keiner Weise überzeugen. Insbesondere unterlässt der SV es darzustellen, in wie weit durch einen Sorgerechtsentzug (für den Vater) der elterliche Konflikt entschärft würde. Dies gilt um so mehr, da die Gemeinsame Sorge nach § 1687 BGB nur Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung betrifft. Nicht jedoch die Anlässe, an denen sich der Streit der Eltern für gewöhnlich entzündet.
Umgangsregelung
Auch die Beschränkung des Umgangs zwischen Kind und Vater, wie vom SV vorschlagen (S. 36) kann von diesem nicht überzeugend begründet werden. Sinnvoll erscheint dagegen mindestens eine Beibehaltung der bisherigen Zeitverteilung bei der Betreuung des Kindes durch seine beiden Eltern.
Was die Umgangszeiten anbelangt, ist folgendes zu bemerken: Unter Anwendung der Verstandeslogik ergibt sich für ein 4-jähriges Kind folgendes, solange es noch nicht zur Schule geht: Durch die Elterntrennung hat das Kind sein intaktes Zuhause verloren und muss zuerst einmal lernen, dass die Mutter da und der Vater dort wohnen. Anders gesehen, das Kind hat 50% Anspruch auf die Mutter und 50% Anspruch auf den Vater. Natürlich entfallen auf den Elternteil, bei dem das Kind wohnt, etwas mehr als 50%, so dass auf den besuchten Elternteil weniger als 50% entfallen. Aber, und hier ist nachzudenken, dieses weniger als 50% soll nicht weiter heruntergehen als nach den Umständen unvermeidlich ist. Einfacher formuliert: Das Kind soll mit dem Elternteil, bei dem es nicht wohnt, so oft und so lange wie möglich zusammensein. Nur so kann das Kind lernen, zweierlei Zuhause zu haben, eines bei der Mutter und eines beim Vater, mit dem eigentlichen zum Kindeswohl gehörenden Ziel, von seinen Eltern ein klares Bild mit ins Leben, einmal für die eigene Identität und zum anderen vielleicht auch als Vorbild, dem nachzueifern sich lohnt. Wichtig ist das Übernachten, dass das Kind erlebt, wie die Eltern es abends beim Einschlafen und morgens beim Wecken begleiten und vielleicht auch ein wenig am Bettchen sitzen, um eine Geschichte zu erzählen. Denn, das machen keine Onkel, Tanten, Freunde, Bekannte oder Nachbarn. Das machen nur Eltern , woran das Kind die besondere Rolle der Eltern erkennt. Mutter und Vater sind andere als die vielen Menschen, denen Kinder heutzutage auf der Straße begegnen.
Wieso das Kind seinen Geburtstag immer nur bei der Mutter verleben soll, begründet der SV nicht. Vorgeschlagen wird daher ein ebenfalls jährlicher Wechsel zwischen Mutter und Vater.
Dass beide Eltern, also auch der Vater zur Einschulungsfeier von der Schule eingeladen werden, muss der Schule (wie auch dem Kindergarten) eine Selbstverständlichkeit sein. Dies ergibt sich schon aus der Gemeinsamen Elterlichen Sorge, bei der beide Eltern Ansprechpartner der Betreuungseinrichtungen sind.
Der Sachverständige unterlässt es, aufzuzeigen, wie die Eltern ihre elterliche Kompetenz einzeln und gemeinsam stärken und entwickeln können. Weber schreibt dazu: "Die bisherige Gutachten- und Sachverständigenpraxis greift in der Regel zu kurz, weil sie die Beziehung des Kindes zu Vater und Mutter ins Auge fasst, jedoch nicht die Konfliktdynamik und Störungen des Paar- bzw. Elternsystems."
Um die Gegenwart und Zukunft ihres gemeinsamen Kindes zu sichern, müssen beide Eltern, gegebenenfalls mit kompetenter fachlicher Unterstützung lernen, ihre gemeinsamen Konflikte zu lösen und sich so in die Lage zu versetzen ihrer gemeinsamen elterlichen Verantwortung gerecht zu werden.
Die pathetischen Worte des SV: "Den Eltern sollte seitens des Gerichts mit allen dazu einsetzbaren Mitteln verdeutlicht werden, dass das Gericht nicht der richtige Ort für eine Beziehungsklärung ist.", hat der SV selber widersprochen, in dem er dem Gericht empfohlen hat, dem Vater das Sorgerecht zu entziehen. Ein Sorgerechtsentzug löst aber überhaupt nichts, im Gegenteil. Von daher scheint auch die Empfehlung des SV: "Gutachterlicherseits wird den Eltern empfohlen eine Beziehungsklärung im Rahmen einer Familientherapie vorzunehmen.", von einem gewissen Zynismus geprägt zu sein. Vom Vater zu verlangen, dass er nach einem Sorgerechtsentzug noch mit der Mutter an einer Familientherapie teilnimmt und von der Mutter zu erwarten, dass sie als alleinige Sorgerechtsinhaberin überhaupt noch eine Motivation für eine Teilnahme hat, zeugt wohl nur von der Unwissenheit des SV hinsichtlich der hier vorliegenden Familiendynamik.
Der abschließende Vorschlag des SV, "dem Jugendamt sollte aufgegeben werden, innerhalb eines halben Jahres drei unangemeldete, möglichst späte Hausbesuche beim Kv durchzuführen, wenn er Kathrin betreut", zeugt zum einen von davon, dass der SV wie auch die Mutter unbewiesener Maße einen Alkoholmissbrauch durch den Vater in den Raum stellt, dies erfüllt möglicherweise den Tatbestand der Verleumdung.
Zum anderen hat das Jugendamt zwar eine Mitwirkungspflicht im familiengerichtlichen Verfahren (§50 KJHG). Die Form seiner Mitwirkung geschieht aber im fachlichen Ermessen des Jugendamtes. Das Gericht ist gegenüber dem Jugendamt oder einem seiner Mitarbeiter nicht anordnungsbefugt. Dem Jugendamt kann vom Gericht daher auch nicht "aufgegeben werden, innerhalb eines halben Jahres drei unangemeldete Hausbesuche beim Kindesvater durchzuführen, wenn er das Kind betreut". Notwendig wäre dazu die Bestellung des Jugendamtes als Ergänzungspfleger oder Vormund. Im übrigen wäre auch der betreffende Elternteil nicht verpflichtet, einen Jugendamtsmitarbeiter in seine Wohnung einzulassen.
Dass das Jugendamt seine Mitwirkung unabhängig vom Gericht bestimmen kann hat seinen guten Grund. Nach Kinder- und Jugendhilfegesetz ist das Jugendamt in erster Linie eine den Leistungsberechtigten (Eltern) Hilfe anbietende Behörde und keine Kontrollbehörde.
Fazit:
Das vorliegende Gutachten ist aus den dargestellten Gründen als ...
Die dargestellten Konfliktsituation rechtfertigt es nicht, einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen. Vielmehr sollte statt dessen angeordnet werden, dass die Eltern ihre elterlichen Konflikte im Rahmen einer Familientherapie lösen. In diesem Sinne auch das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 26.07.2000 - 17 UF 99/00, veröffentlicht in: "Das Jugendamt", 2001, Heft 1.
Peter Thiel, 09.06.2003
Literatur:
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