Stellungnahme zum 15-seitigen „Psychologischen Sachverständigengutachten“ des Diplom-Psychologen Günter M. Drechsel vom 21.01.2008

 

Familiensache: X (Mutter) und Y (Vater)

Kind: A geboren: ... .1998 (Sohn)

 

 

Amtsgericht Halle (Saale)  -  Richterin Frau Reichardt

Geschäftsnummer: ... /04

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

...

 

 

 

 

Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 13.07.2007:

 

 

„In der Familiensache ...

soll ein kinderpsychologisches Gutachten für das Kind A, geb. am ... .1998, eingeholt werden, welches darüber Auskunft geben soll, ob und welche zutreffende Umgangsregelung des Antragstellers mit dem Kind zum Wohl des Kindes am besten entspricht.

Mit der Erstellung des Gutachtens wird Herr Diplom-Psychologe Günter Drechsel, Sandstr. 5, 87439 Kempten beauftragt.“

 

 

 

 

 

Beantwortung der Beweisfrage durch den Gutachter

 

Der Gutachter schreibt:

 

„Aus psychologischer Sicht ist die Konfliktlage noch derart angespannt, dass der Umgang des Kindes mit dem Vater nicht ohne die Hinzuziehung professioneller Hilfe durchgeführt werden kann, wenn das Wohl des Kindes nicht gefährdet werden soll.

...

Aus psychologischer Sicht ist der Hauptproblembereich die mangelnde Verarbeitung des Beziehungsendes durch den Kindesvater und dessen mangelnder Abstand zu der Sache. Daraus ergibt sich, dass die Elternteile nicht aufeinandertreffen dürfen, ansonsten eskaliert die Lage, der Kindesvater benutzt die Kontakte, um Einfluß auf die Kindesmutter auszuüben.“ (Gutachten S. 14)

 

 

Nachdem der Gutachter solcherart über die Brisanz der elterlichen Beziehungssituation urteilt, erklärt er - für den Unterzeichner völlig unverständlich:

 

„Unter der Berücksichtigung der oben zusammengestellten Faktoren sieht aus psychologischer Sicht die Regelung des Umgangs in der mittleren Zukunft folgendermassen aus:

Im Idealfall besucht der Kindesvater eine Erziehungsberatungsstelle und absolviert dort Einzelgespräche mit dem Ziel der Konfliktentaktualisierung. Er sollte seine Sichtweise erweitern und sich auf die Vaterebene begeben können. Parallel dazu werden unter fachlicher Anleitung in einer psychologischen Beratungsstelle ... die Umgangskontakte im Abstand eines Monats für ca. 2 Stunden pro Sitzung durchgeführt.. Die Kontakte sollten so gestaltet werden, dass die Eltern für die weitere Zukunft nicht zusammen treffen. ...

Es muss zumindest anfangs darauf geachtet werden, inwieweit der Vater das Kind durch seine Erzählungen überfordert.

Bei positiven Verlauf nach 6 Begegnungen, könnte der Vater ohne Begleitung Kontakt mit dem Kind haben und es zu angegebenen Zeiten wieder zur Übergabe in eine Beratungsstelle bringen. ...“

 

 

Das Gericht hat den Gutachter jedoch nicht gefragt, wie eine Umgangsregelung „im Idealfall“ aussehen könnte, sondern welche Umgangsregelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Der Gutachter ist also nicht beauftragt worden, Spekulationen über einen hypothetischen „Idealfall“ anzustellen, sondern auf die konkrete Situation Bezug zu nehmen, die sich nach eigenem Vortrag des Gutachters so darstellt:

 

„Aus psychologischer Sicht ist die Konfliktlage noch derart angespannt, dass der Umgang des Kindes mit dem Vater nicht ohne die Hinzuziehung professioneller Hilfe durchgeführt werden kann, wenn das Wohl des Kindes nicht gefährdet werden soll.“

 

Von daher steht die Idee des Gutachters, „nach 6 Begegnungen des Vaters mit dem Kind, könnte der Vater ohne Begleitung Kontakt mit dem Kind haben“ in augenscheinlichen Gegensatz zu seiner eigenen Feststellung.

 

Im übrigen hat der Gutachter in seinem 15-seitigen Gutachten noch nicht einmal dargelegt, ob aktuell überhaupt eine Beratungsstelle oder sonst geeignete Person bereit steht, die für den Anfang geplante Umgangsbegleitung und die Gespräche mit dem Kind und dem Vater abzusichern. Der Gutachter spricht dann auch nur vage von einer eventuellen Möglichkeit:

 

„ev. in Kempten im Kolpinghaus“ (S. 15)

 

Diese Aussage ist freilich sehr dürftig für einen Gutachter, der nach der höchsten Honorargruppe M3 des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG) für eine Arbeitsstunde 85 € abrechnen kann. Soll hier etwa die zuständige Richterin am Amtsgericht Halle (Saale) die konkrete Umgangsbegleitung im Hunderte Kilometer entfernten Kempten eruieren, nur weil es dem Gutachter möglicherweise sehr schwer fällt, eine konkrete Antwort auf eine konkrete Frage des Gerichtes zu geben?

 

Es stellt sich hier auch die Frage, was zu tun wäre, wenn der vom Gutachter apostrophierte „Idealfall“ nicht eintritt, was bei dem bisherigen Konfliktverlauf viel eher zu vermuten ist, als die Wundervariante, die der Gutachter dem Gericht in Aussicht stellt. Diese Frage lässt der Gutachter völlig unbeantwortet.

Wenn der Gutachter einerseits erklärt:

 

„Aus psychologischer Sicht ist die Konfliktlage noch derart angespannt, dass der Umgang des Kindes mit dem Vater nicht ohne die Hinzuziehung professioneller Hilfe durchgeführt werden kann, wenn das Wohl des Kindes nicht gefährdet werden soll.“

 

und andererseits dem Gericht lediglich eine sehr unwahrscheinliche Positivvariante offeriert, aber in keiner Weise vorträgt, wie denn vorzugehen wäre, wenn sich die Dinge nicht so positiv entwickeln, wie vom Gutachter erhofft, dann ist dies sicherlich keine vom Gericht erwartete solide gutachterliche Erörterung einer komplexen und schwierigen Situation der Trennungsfamilie.

Wer - so wie der Unterzeichner - mit der Arbeit im Begleiteten Umgang oder der Umgangspflegschaft auf Grund eigener langjähriger fachlicher Erfahrungen vertraut ist, weiß um die Schwierigkeit der Verselbstständigung von Umgangskontakten bei hochkonflikthaften Trennungsfamilien, von der der Gutachter womöglich keine Kenntnis, geschweige denn praktische Erfahrung hat.

 

Vergleiche hierzu:

Johnston, Janet R.: "Modelle fachübergreifender Zusammenarbeit mit dem Familiengericht in hochkonflikthaften Scheidungsfamilien", In: "Das Jugendamt" 9/2002, S. 378-386

Spindler, Manfred: "Begleiteter Umgang bei hochkonflikthafter Trennung und Scheidung", In: "Kind-Prax", 2/2002, S. 53-57

Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspfleg-schaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453

 

 

 

Wenn der Gutachter dann noch erklärt:

 

„Es muss zumindest anfangs darauf geachtet werden, inwieweit der Vater das Kind durch seine Erzählungen überfordert.“ (S. 15)

 

lässt das die Frage aufkommen, ob der Gutachter meint, es wäre nur für die Anfangszeit wichtig, darauf zu achten, „inwieweit der Vater das Kind durch seine Erzählungen überfordert.“ Überforderungen sollten aber generell zu vermieden werden, da sie leicht zu einer Kindeswohlgefährdung führen können. In einem solchen Fall hätte das Gericht die erforderlichen Maßnahmen zu treffen:

 

§ 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls)

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

(2)... (3)... (4)...

 

 

 

Nach Ansicht des Unterzeichnenden bietet der Gutachter keine befriedigende Antwort auf die Fragestellung des Gerichtes. Insofern könnte davon gesprochen werden, dass der Gutachter seinem ihm gestellten Auftrag nicht erfüllt hat. Dies würde dann die frage nach sich ziehen, ob der Gutachter für seine Tätigkeit überhaupt eine Vergütung beanspruchen kann.

 

Vergleiche hierzu:

Gaidzik, Peter W.: "Gravierende Haftungsverschärfung für den gerichtlichen Sachverständigen durch §839a BGB?"; In: "Der medizinische Sachverständige", 2004, Nr. 4, S. 129-132

Wagner, Gerhard: "Die zivilrechtliche Haftung des gerichtlichen Sachverständigen"; In: "Familie, Partnerschaft; Recht"; Heft 10/2003, S. 521-525

Leesting, Wolfgang: "Die Neuregelung der zivilrechtlichen Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für ein unrichtiges Gutachten"; In: "Recht & Psychiatrie", Heft 4, 2002, S. 224-228

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 15.02.2008

...

 

 

 

 

Literatur:

Alberstötter, Ulrich: "Hocheskalierte Elternkonflikte - professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle"; In: "Kind-Prax", 03/2004, S. 90-99

Alberstötter, Ulrich: "Kooperation als Haltung und Strategie bei hochkonflikthaften Eltern-Konflikten", In: "Kind-Prax", 3/2005, S. 83-93

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Figdor, Helmuth: "Scheidungskinder - Wege der Hilfe", Psychosozial Verlag 1997

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Spindler, Manfred: "Begleiteter Umgang bei hochkonflikthafter Trennung und Scheidung", In: "Kind-Prax", 2/2002, S. 53-57

Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453

Ulrich, Jürgen: "Der gerichtliche Sachverständige“, Carl Heymann Verlag, 12. neu bearbeitete Auflage, 2007

Vergho, Claudius: Der schwierige Umgang mit dem Umgang: Die Kontaktbegleitung", In: Buchholz-Graf; Vergho: "Beratung für Scheidungsfamilie", Juventa, 2000)

Wagner, Gerhard: "Die zivilrechtliche Haftung des gerichtlichen Sachverständigen"; In: "Familie, Partnerschaft; Recht"; Heft 10/2003, S. 521-525

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Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard: "Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels", Verlag Hans Huber, Bern; 1974/1992/1997/2001/2003

Zettel, Günther: "Sachverständiger und Gericht. Fehlerquellen bei der Zusammenarbeit im Zivilprozess", In: "Neue Justiz", 2/2000, S. 67-72

 

 

 

 


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