Stellungnahme zum Gutachten von Dr. Fritz Handerer vom 15.01.2003
geringfügige Überarbeitung am 12.06.2010
Familiensache X (Vater) / Y (Mutter)
Kind A, geb. ... .1989
am Amtsgericht Bad Langensalza
Geschäftsnummer: 3 F 82/02
Richterin Reiser-Uhlenbruch
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 50-seitige schriftliche Gutachten, erstellt durch Dr. med. Kieselbach mit Einverständniserklärung von Dr. med. Handerer.
Gerichtliche Fragestellung
"Es soll ein fachärztliches Gutachten zu der Frage eingeholt werden, ob ein ständiger Aufenthalt des Kindes bei dem Vater oder bei der Mutter dem Wohl des Kindes am ehesten förderlich ist."
Beschluss vom 2.9.2002
Einführung
Der vom Gericht als Gutachter beauftragte Dr. Handerer hat den ihm vom Familiengericht Bad Langensalza erteilten Auftrag eigenmächtig auf seinen Mitarbeiter Dr. med. Kieselbach delegiert. Dies ist nicht statthaft (§407a II, 2 ZPO und BVerwG NJW 1984, 2645 ff.) und führt dazu, dass das gesamte Gutachten für das Familiengericht nicht verwendbar ist.
Darüber hinaus ist es dem Autor des Gutachtens nicht gelungen, die Frage des Gerichtes überzeugend zu beantworten. Das Gutachten weist gravierende Mängel auf, die es unbrauchbar machen und damit eine Zurückweisung nach sich ziehen müssen. So werden z.B. in weiten Teilen des Gutachtens testdiagnostische Verfahren und deren Ergebnisse offeriert, die in keinem Zusammenhang mit der gerichtlichen Fragestellung stehen.
Aus Sicht des Unterzeichnenden ist das Gutachten auch nicht geeignet, dem Familiengericht und den Eltern hinsichtlich der Sicherung bestmöglicher Entwicklungsperspektiven für das gemeinsame Kind A geeignete Antworten aufzuzeigen.
Eine lösungsorientierte Arbeit des Gutachters, so wie es nach §1627 BGB auch von den Eltern zu erwarten wäre, ist an Hand des Gutachtens nicht zu erkennen.
...
Den vom Gutachten betroffenen Personen wird es überlassen sein, über die Frage nachzudenken, ob dem Gutachter für überflüssige und nicht sachgerechte Untersuchungen die finanzielle Entschädigung vorenthalten bleiben muss oder, falls schon gezahlt, zurückgefordert werden muss.
Begründung
I. Allgemeines
1. Erstellung des Gutachtens durch die bestellte Einzelperson
Das Familiengericht Bad Langensalza, vertreten durch Richterin Reiser Uhlenbruch, hat Dr. Handerer mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt. Dieser ist dem Auftrag nicht nachgekommen und hat statt dessen unzulässigerweise den Auftrag an Dr. med. Kieselbach weitergeleitet. Dies ist nicht statthaft.
Der Sachverständige ist nicht berechtigt, den gerichtlichen Auftrag auf eine andere Person zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§407a ZPO)
Analysen und Tätigkeiten, die das Gutachtenergebnis direkt beeinflussen, dürfen nicht an andere Personen delegiert werden. Dazu Schorsch (2000):
"Übersehen wird, dass es durch die Einschaltung von Hilfspersonen zu versteckten Einflüssen auf Gutachten kommen kann, was unzulässig ist. Absolut unproblematisch sind Tätigkeiten, die keinen Einfluss auf ein Gutachten haben ... . Hilfstätigkeiten sind dann nicht zu beanstanden, wenn diese Hilfstätigkeiten vom Sachverständigen überwacht werden. ... Es mag zwar ablauforganisatorisch und ökonomisch durchaus einleuchtend sein, dass gerade der Chefarzt sich auf Abschlussuntersuchungen beschränkt und alles andere an Ärzte im Praktikum, Assistenz- und Oberärzte delegiert. Diese Art der Arbeitsteilung lässt sich nicht mit den Pflichten eines Sachverständigen vereinbaren. Analysen und Tätigkeiten, die das Gutachtenergebnis unmittelbar beeinflussen, weil sie bewertende sind, sind nicht delegierbar. Demzufolge müssen Sachverständige z.B. psychologische Untersuchungen ..., selbst vornehmen, da sie ansonsten ihre eigentliche gutachterliche Aufgabe Dritten übertragen. Schließlich versichern sie, dass sie das Gutachten nach ihrem besten Wissen und Gewissen erstellten und nicht Dritte."
Allein diese unzulässige Vorgehensweise verlangt die komplette Zurückweisung des Gutachtens.
Neben diesem gravierenden Fehler, ..., liegen weitere, zum Teil erhebliche Fehler vor, die durch Herrn Dr. Handerer als beauftragten Gutachter zu verantworten sind und nachfolgend beschrieben werden.
2. Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer handeln gegen den Auftrag des Gerichtes vom 2.9.2002:
"Es soll ein fachärztliches Gutachten zu der Frage eingeholt werden, ob ein ständiger Aufenthalt des Kindes bei dem Vater oder bei der Mutter dem Wohl des Kindes am ehesten förderlich ist."
Statt dessen formulieren sie den Auftrag um in:
"das Gutachten soll insbesondere Stellung nehmen zu der Frage, ob eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater oder auf die Mutter dem Kindeswohl am ehesten förderlich ist ..." (S. 1).
Diese Verfälschung des gerichtlichen Auftrags durch den als Gutachter beauftragten Dr. Handerer muss, wie auch schon im oben beschriebenen Fall, zur Zurückweisung des Gutachtens führen (vgl. hierzu auch Klenner 1989).
3. Vorstellung der vom Gutachter zugrunde gelegten Kriterien und der daraus abzuleitenden diagnostischen Methoden (hypothesengeleitete Arbeitsweise, Wissenschaftlichkeit)
Insgesamt sind die für die Arbeit von Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer zugrunde liegenden Kriterien und Arbeitsansätze nur schwer oder gar nicht zu erkennen. Dies wäre aber notwendig, will sich der Gutachter nicht dem Vorwurf aussetzen, einzig und allein seine eigene subjektive Meinung kund zu geben. Denkbar wäre z.B. ein analytischer, tiefenpsychologischer, behavioristischer oder systemischer Ansatz. Darüber erfahren wir im Gutachten leider nichts, so dass eine fundierte Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Basis erschwert wird.
Das Gutachten zeigt keine Verweise auf wissenschaftliche Grundlagen bezüglich der durch den Gutachter vorgenommenen Vorgehensweise, Schritte, Befragungstechniken, verwendeter Tests und deren Gütekriterien, der Begutachtung zugrunde liegender Literatur und Standards, usw. Dazu Leitner (S. 58):
"Ein familienpsychologisches Gutachten sollte auch im Hinblick auf literarische Gestaltungsprinzipien elementare wissenschaftliche Standards erfüllen. So besteht eine unabdingbare Forderung u. a. darin, daß im Gutachten umfängliche Literatur- bzw. Quellenangaben auch über die den Interpretationen zugrundeliegenden Theorien und Konzepte gemacht werden. ... . Ein Gutachten, das solche Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens mißachtet, kann nicht den Anspruch erheben `eine wissenschaftliche Leistung` (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994, S. 8) zu sein, wie dies in den eingangs zitierten Richtlinien der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen für `ein solches Gutachten` (aaO) ausdrücklich gefordert wird."
Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer unterlässt es, darzustellen, anhand welcher Kriterien und diagnostischen Methoden er die Frage des Gerichtes "ob ein ständiger Aufenthalt des Kindes bei dem Vater oder bei der Mutter dem Wohl des Kindes am ehesten förderlich ist" beantworten will. Da er diese Kriterien nicht benennt, bleibt seine Untersuchungsweise letztlich willkürlich. Letztlich zeigt er auch nur in unzureichenden Maße welche Vor- und Nachteile für den einen oder anderen Aufenthaltsort von A sprechen.
4. Die Gutachtenerstellung erfolgte offensichtlich statusdiagnostisch orientiert. Eine interventionsdiagnostische oder systemisch-lösungsorientierte Arbeitsweise (Darstellung z.B. in: "Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. Der systemische Ansatz in der familienrechtlichen Praxis", Bergmann; Jopt; Rexilius, Bundesanzeiger Verlag, Köln, 2002) ist nicht zu erkennen. Das mag mit der sonstigen Arbeitsweise des Gutachters erklärbar sein, die aktuelle Fachdiskussion ist hier wesentlich weiter. Gefragt werden muß, ob der Gutachter somit seiner Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen, hierzu Bode (S. 143):
"Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und er jenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen."
An anderer Stelle Schade/Friedrich:
"Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten."
5. Wozu der "Gutachter" ab Seite 17 beginnend verschiedene Test mit den Beteiligten durchführt, wird von ihm nicht erläutert und bleibt somit völlig unklar. Aus der gerichtlichen Fragestellung ist eine solche Herangehensweise sicher nicht abzuleiten. Im übrigen haben die Beteiligten, abgeleitet aus den allgemeinen Persönlichkeitsrechten, das Recht während der gutachterlichen Arbeit des Gutachters unangemessene Untersuchungen zu verweigern.
Kritisch zur Verwendung von Entwicklungs-, Intelligenz- und Leistungstest siehe auch Westhoff, Terlinden-Arzt & Klüber in "Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das Familiengericht", 2000, Kapitel 4. Ebenso auch Schulz (1997) und Schaipp und Pflaum (1995).
Zum allgemeinen Wert von psychodiagnostischen Tests schreibt Jopt ("Im Namen des Kindes", S. 284/296):
"Ausnahmslos alle Gutachter scheinen unerschütterlich davon überzeugt zu sein, dass für eine die Gerichte beeindruckende Dokumentation ihres professionellen Könnens der Einsatz von Testverfahren .. absolut unverzichtbar ist."
Durch den massiven Einsatz von Testungen versucht der "Gutachter" offenbar im Kind Antworten zu finden, die er nur in der Gesamtschau des Familiensystems finden kann. Rexilius, Gutachter und Familientherapeut, äußert sich zu solch "kindzentrierter" gutachterlicher Tätigkeit kritisch:
"Der konzentrierte Blick auf die Kinder ist methodisch gesehen ein Versuch, in den Kindern selbst Antworten auf Fragen zu finden, die an ihre Verhaltensweisen und ihre Entwicklungseinzelheiten zu stellen sind, gewissermaßen die Suche nach einem ´Krankheitsherd` in ihrem Inneren. Sie entspricht dem medizinischen Krankheitsverständnis, das den einzelnen mit seiner Symptomatik auf sich selbst beschränkt. ...
Neben diesen mehr allgemeinen Überlegungen gibt es einen familientheoretischen Grund, den Blick von den Kindern abzuwenden. Die systemisch-strukturelle Familientherapie hat nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch über die therapeutische Arbeit mit Familien herausgearbeitet, in welchem Maße der familiäre - und fachliche - Blick auf Kinder von den eigentlichen Problemen, Konflikten und Verstehensmöglichkeiten ablenkt: Der familiäre Symptomträger, der Identifizierte Patient (IP) zeigt zwar die Auffälligkeiten und Krankheitssymptome, die ihn leiden lassen und vielleicht in die Therapie führen, aber in jedem Falle ... spielt die familiäre Dynamik, spielen die familiären Beziehungen eine mehr oder weniger entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptomatik. " ("Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht", 2002 S. 143)
II. Einzelpunkte
Seite 3: "Frau Y wurde am ... in Z als leibliches Kind ihrer Eltern geboren."
Auch wenn die verunglückte Formulierung für das Gutachten insgesamt nicht von Bedeutung ist, soll hier darauf hingewiesen werden, dass ein Kind immer als Kind seiner leiblichen Eltern geboren wird, eine Ausnahme soll Jesus Christus sein, der angeblich keinen leiblichen Vater hatte, sondern aus einer unbefleckten Empfängnis heraus entstanden sein soll.
Seite 3 bis 14. Die Exploration der Eltern greift weit in die Vergangenheit zurück und gibt dabei subjektive Schilderungen der Mutter und des Vaters über die Vergangenheit wieder. Dies bringt aber bezüglich der gerichtlichen Fragestellung nicht weiter. Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer vermögen auch im weiteren nicht darzulegen, welchen Wert solche Informationen wie "Frau Y wurde am ... 1960 in Z als leibliches Kind ihrer Eltern geboren" für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung haben sollen.
Seite 14 Exploration von Philipp
"A wirkte in unseren Gesprächen anfangs unsicher ...".
Unklar ist, wer hier mit "in unseren Gesprächen" gemeint ist, Dr. Kieselbach, Dr. Handerer oder noch eine andere bisher nicht genannte Person. Da der Gutachter die persönliche Haftung für das von ihm erstellte Gutachten zu tragen hat, muss dies noch aufgeklärt werden.
S. 15 "Letztlich wollte und konnte sich A auch in diesem Rahmen nicht festlegen, wem seiner Eltern er das Sorgerecht zugeteilt sehen möchte."
Die Frage ist zum einen unzulässig, da der gerichtliche Auftrag überhaupt nicht das Sorgerecht tangiert, sondern wie schon mehrfach gesagt, danach fragt, "ob ein ständiger Aufenthalt des Kindes bei dem Vater oder bei der Mutter dem Wohl des Kindes am ehesten förderlich ist."
Fragen an das Kind, wie z.B. welchem Elternteil es das Sorgerecht zugeteilt sehen will, sind darüber hinaus unzulässig und stellen auch einen Übergriff des Gutachters auf das Kind dar, da das Kind mit einer solchen Entscheidung immer gegen einen Elternteil positionieren muss. Bei labilen Kindern kann durch einen solchen Übergriff eine Traumatisierung entstehen, für die der Gutachter zur Rechenschaft gezogen werden kann. Sollte ein Sorgerechtsentzug aus Gründen des Kindeswohls notwendig sein, ist es immer Aufgabe des Gerichtes nach Aufklärung des Sachverhaltes darüber zu befinden. Dies entlastet auch das Kind vom Schuldvorwurf einem seiner beiden Eltern oder beiden illoyal geworden zu sein.
Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer schreiben auf Seite 15 weiter
"Zurück bleib der Eindruck, dass A insgesamt unsicher und passiv ist ... will es scheinbar jedem Recht machen und niemanden weh tun ... und weniger auf seine ureigensten Interessen und Wünsche hört."
Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer zeigen damit, dass sie offensichtlich wenig von Kindern aus Trennungsfamilien verstehen und dass die Bestellung von Dr. Handerer als Gutachter ein bedauerlicher Fehler war. Ein Kind will sich nie zwischen den beiden Elternteilen entscheiden müssen, wenn es zu beiden eine tragfähige Beziehungen hat, was bei Trennungskindern regelmäßig der Fall ist. Insofern hat A gerade das getan, was ihm der Gutachter abspricht, nämlich "auf seine ureigensten Interessen und Wünsche" gehört.
Zu S. 17 Testpsychologische Untersuchungsergebnisse
Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer stellen auf den Seiten 17 bis 21 Testergebnisse vor, die mittels FPI-R, FSKN, BDI gewonnen wurden. In welchem Zusammenhang dies mit der gerichtlichen Fragestellung stehen soll, wird nicht erörtert. Die Testergebnisse sind somit wertlos.
Zu S. 22 Neuropsychologischer Befund von A
Das Familiengericht hat keinen Auftrag zu einer neuropsychologischen Untersuchung von A erteilt. Insofern stellt eine solche Untersuchung einen unzulässigen Eingriff in die persönlichkeitsrechte von A dar.
Die Frage des Gutachters, "zu wem er denn lieber möchte, zu seinem Vater oder seiner Mutter" bringen den Jungen in einen massiven Loyalitätskonflikt und stellt damit einen unzulässigen Übergriff des "Gutachters" auf den Jungen dar. Im Übrigen lässt auch die Frage des Gerichtes keinen solchen Befragungsauftrag erkennen. Dies kann auch nicht anders sein, da ein Kind, deren Eltern sich seit langen in einem massiven Konflikt befinden, überhaupt nicht frei entscheiden kann, bei wem es eventuell seinen Aufenthalt nehmen möchte.
Das Kind antwortet, typisch für Kinder im Loyalitätskonflikt mit gleichwertiger Präferenz zu beiden Elternteilen "Eigentlich wollte ich lieber zu meinem Vater, aber auch zu meiner Mutter".
Die abschließende Behauptung des Gutachters, "Insgesamt zeigt sich hier ein Junge, der ein wenig traurig zu sein scheint hinsichtlich der gesamten Situation und der Tatsache, dass er sich für einen Elternteil letztlich entscheiden soll", zeigt, dass der "Gutachter" den gerichtlichen Auftrag überhaupt nicht verstanden hat. Das Gericht hat den "Gutachter" an keiner Stelle beauftragt, dem Kind eine solche Entscheidung abzunötigen. Wenn überhaupt eine Entscheidung zu treffen ist, dann durch das dafür zuständige Gericht, womit in jedem Fall die aus Gründen des Kindeswohls erforderliche Entlastung des Kindes gesichert wird.
Die auf Seite 24 vorgestellte Intelligenzdiagnostik (HAWIK-III, YSR) von A ist völlig überflüssig, da in keiner Weise durch den gerichtlichen Auftrag zu rechtfertigen. Der "Gutachter" vermag auch von sich aus keine Anhaltspunkte zu liefern, wofür eine solche Testung sinnvoll sein sollte. Gleiches trifft auf die Fremdeinschätzung (CBCL/4-18) durch die Eltern, sowie eine Lehrerin zu.
Auch die diagnostische Abprüfung auf eine hyperaktive Symptomatik mittels DCL-HKS (S. 29-30), der Konzentrations- und Belastungsfähigkeit mittels MFF und "d2" (S. 30), der Aufmerksamkeitsprüfung mittels TAP (S. 31-34) bei A steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem gerichtlichen Auftrag.
Gleiches gilt für die nachfolgenden Tests Selective Reminding, Mottier-Test, Angstfragebogen für Schüler, Persönlichkeitsfragebogen für Kinder, Depressions-Inventar für Kinder und Jugendliche, Aussagen-Liste zum Selbstwertgefühl für Kinder und Jugendliche (S. 34-37).
Die nachfolgenden Test Erziehungsstil-Inventar, Familiensystemtest, Familie in Tieren (S. 37-40) lassen zum ersten Mal die Hoffnungen aufkommen, dass sich der "Gutachter" nun endlich bemüht, dem Auftrag des Gerichtes nachzukommen. Allerdings bleibt es lediglich bei einem Versuch. Anstatt nun hypothesengeleitet Ideen zu entwickeln, wie der Auftrag, bzw. die Frage des Gerichtes beantwortet werden kann, führt der Gutachter noch einen Satz- Ergänzungs- Test und einen 3-Wünsche Test durch, der zu solchen nichtssagenden Antworten führt, wie z.B. dass sich A eine Playstation, eine Vollcross-Maschine und Windows XP wünscht.
Die "Zusammenfassung des testpsychologischen Befundes" (S. 41-43) und "Zusammenfassung der Begutachtung" (S. 43-49) bleibt dementsprechend nichtssagend.
In der "Beantwortung der gutachterlicherseits auferlegten Fragestellung" kommt der "Gutachter" wieder unbegründet, weil vom Gericht nicht nachgefragt, auf das Sorgerecht zu sprechen (S. 49). Demzufolge geht auch die gutachterliche Empfehlung "die elterliche Sorge bei der Mutter zu belassen" ins Leere.
Auf die dagegen naheliegende Empfehlung an das Gericht, Wege zu finden, um die erhebliche Konfliktsituation der Eltern zu reduzieren, so z.B. durch Familienberatung oder Einsetzung eines Elternschiedsrichters (Co-Arbitrator), (vgl. Johnston 2002) kommt der "Gutachter" nicht und zeigt damit, wie wenig er offenbar von der Dynamik hochkonflikthafter Familien versteht.
Die Idee des Gutachters, dass A aus einem "Leidensdruck" eine kinder- und jugendpsychiatrische Therapie wahrnehmen könnte - vielleicht gleich noch auf der Station des Herrn Dr. Handerer - lenkt dem Blick davon ab, dass das Kind in erster Linie Symptomträger des ungelösten Konfliktes der Eltern ist und daher im wesentlichen auch nur die Lösung des Elternkonfliktes zu einer Verminderung der Probleme von A führen kann. Praktikable Vorschläge wie das gelingen könnte, gibt der "Gutachter" Dr. Kieselbach alias Dr. Handerer bedauerlicherweise nicht.
...
Peter Thiel, 03.05.2003
Literatur:
Bergmann; Jopt; Rexilius: "Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. Der systemische Ansatz in der familienrechtlichen Praxis"; Bundesanzeiger Verlag, Köln, 2002.
Günter Rexilius: "Psychologie im Familienrecht - Überlegungen aus psychologischer Sicht", In: "Kind-Prax" 1/2000, S. 3-8
"Das psychologische Sachverständigengutachten im Familienrechtsstreit. Zu den Voraussetzungen seiner gerichtlichen Anordnung, den Erwartungen und Anforderungen, die ein Familienrichter an ein psychologisches Gutachten und den Sachverständigenstellen sollte. Hanspeter Cuvenhaus,
in: "Kind-Prax", 6/2001, S. 182-188"Familienpsychologische Gutachten. Rechtliche Vorgaben und sachverständiges Vorgehen", Joseph Salzgeber; Verlag C.H. Beck, 3. Auflage, München 2001, XX, 431 S., geb., 45 EUR
"Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das Familiengericht", Karl Westhoff, Patricia Terlinden-Arzt & Antje Klüber; 2000, 149 Seiten
"Kindeswohl und Kindeswille". Psychologische und rechtliche Aspekte. Harry Dettenborn; Ernst Reinhardt Verlag, München Basel, 2001
"Familienrechtspsychologie"
. Harry Dettenborn / Eginhard Walter; Ernst Reinhardt Verlag, München Basel, 2002"Die Rolle des psychologischen Gutachters nach Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechts", Schade; Friedrich: in "Familie, Partnerschaft, Recht", 5/1998
"Sachverständiger und Gericht. Fehlerquellen bei der Zusammenarbeit im Zivilprozess", Günther Zettel, in: "Neue Justiz 2/2000,
"Zur Mängelerkennung in familienpsychologischen Gutachten", in: "Familie und Recht" (FuR), 2/2000, S. 57-63, Dr. phil. Werner G. Leitner (Approbierter Psychologischer Psychotherapeut, Markusplatz 14, 96047 Bamberg)
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"Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren - Entwurf eines Fehlererkennungssystems - ", Wolfgang Klenner; in: FamRZ 1989, Heft 8, S. 804-809
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"Psychodiagnostik: fragwürdige Grundlagen, fragwürdige Praxis", Peter E.W. Schulz - 1. Auflage - Berlin: Köster, 1997 (Schriftenreihe Psychologie, Bd. 6)
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Fabian, Thomas / Nowara, Sabine / Rode, Irmgard / Werth, Gabriele (Hrsg.):
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"Modelle fachübergreifender Zusammenarbeit mit dem Familiengericht in hochkonflikthaften Scheidungsfamilien", Janet R. Johnston in: "Das Jugendamt" 9/2002, S. 378-386
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"Im Namen des Kindes. Plädoyer für die Abschaffung des alleinigen Sorgerechts", Uwe-Jörg-Jopt, Rasch und Röhring 1992
"Familientherapie im Überblick. Basiskonzepte, Formen, Anwendungsmöglichkeiten", Arist von Schlippe; Junfermann-Verlag, 1995, ISBN 3-87387-233-1
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