Stellungnahme zum Gutachten der Diplom-Psychologin Dr. phil. Dorit Schulze 21.02.2004

 

 

(Redaktionelle Überarbeitung der ursprünglichen Fassung am 26.07.2005)

 

 

Familiensache X (Mutter) und Y (Vater)

am Amtsgericht Pirna

Aktenzeichen: 2 F 568/02 

Richter: Herr Fertikowski

 

Kind: A (Tochter), geb. .. .. .2000

 

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

 

...

 

 

Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 02.04.2003:

"I. Es soll ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt werden zu folgenden Fragen:

1.) Entspricht die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für das gemeinsame Kind der Parteien, A , geboren am ... .2000 dem Kindeswohl?

2.) Entspricht die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin oder den Antragsgegner dem Wohl des Kindes?

3.) Entspricht - bei Bejahung der Beweisfrage zu 1.) und bei Verneinung der Beweisfrage zu 2.) - die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das gemeinsame Kind der Parteien entweder auf die Antragstellerin oder auf den Antragsgegner dem Wohl des Kindes? Ist ggf. die Übertragung weiterer Teilbereiche der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin oder den Antragsgegner zur Wahrung des Kindeswohls notwendig?

 

 

II.

Im Rahmen der Beantwortung der Beweisfrage zu Ziffer I. dieses Beschlusses hat das Gutachten insbesondere dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. inwieweit der Kindeswille für den weiteren Verbleib A`s bedeutsam ist, inwieweit der Gesichtspunkt der Kontinuität hierbei zum Tragen kommt und welche Möglichkeiten und Fähigkeiten die Parteien im Vergleich zueinander haben, die Entwicklung des Kindes zu fördern, auch unter dem Aspekt der Bindungstoleranz.

Darüber hinaus soll in dem Falle, dass die Gutachterin sich für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und für die Übertragung eines Teilbereichs oder von mehreren Teilbereichen der elterlichen Sorge entweder auf die Antragstellerin oder den Antragsgegner ausspricht, eine Gutachterin Einschätzung dazu abgeben werden, ob und ggf. inwieweit eine zu gestaltende Umgangsregelung die Einschränkung im Sorgebereich für den betreffenden Elternteil ausgeglichen werden kann."

 

 

 

 

 

Vorbemerkung

Der hier Unterzeichnende hat bereits am 03.11.2003 eine kritische Stellungnahme zu einem Gutachten der Sachverständigen Dorit Schulze für das Amtsgericht Dresden abgegeben. In der Folge schloss sich der zuständige Richter der Empfehlung der Sachverständigen, welche die Praktizierung eines wöchigen Wechselmodells zwischen den über eine Entfernung von mehreren Hundert Kilometern getrennt lebenden Eltern vorschlug, nicht an. Der damalige Vorschlag der Sachverständigen verwunderte den Unterzeichnenden sehr, da die Verwirklichung eines solchen Vorschlags der Praktizierung eines Wechselmodells über mehrere Hunderte Kilometer doch sicher einmalig in der Geschichte familiengerichtlicher Entscheidung gewesen sein dürfte.

 

Das hier vorliegende Gutachten vom Frau Dorit Schulze erweckt beim Unterzeichnenden den Eindruck einer bestehenden Befangenheit der Sachverständigen. ...

 

Der Sprachstil der Sachverständigen scheint über weite Strecken inakzeptabel bis miserabel zu sein. Mitunter scheint es, dass die Sachverständige mit ihren Anliegen und Darstellungen gar nicht oder kaum zu verstehen ist. ... 

 

Die Sachverständige stellt viele Behauptungen auf, deren Nachweis sie aber häufig schuldig bleibt.

Der Unterzeichnende ist der Ansicht, dass das Gutachten als insgesamt kaum brauchbar für eine Verwertung im familiengerichtliche Verfahren angesehen werden muss.

 

Immerhin schlägt die Sachverständige eine Art Wechselmodell (mit einem eigenartigen Rhythmus) für die Betreuung des Kindes durch seinen Eltern vor.

Der Unterzeichnende schlägt statt dessen vor, ein wöchiges Wechselmodell einzurichten. Wechsel des Kindes jeweils am Montag über den Kindergarten. Hier ist für beide Eltern und auch für das Kind Klarheit vorhanden.

Die gemeinsame elterliche Sorge sollte belassen werden, da nicht zu erkennen ist, dass eine Aufhebung "und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes" am besten entsprechen würde (§1671 BGB).

Mit der gerichtlichen Festsetzung des wöchigen Wechselmodells wäre auch eine Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes überflüssig, da die Eltern dann über eine klare Richtlinie verfügen.

 

 

 

 

Allgemeines

 

Im Gutachten finden wir solche sprachlich wundersam formulierten und den Leser erbauenden Sätze wie:

 

"Im vorliegenden Gutachten sollten dem Gericht psychologische Untersuchungen zur Verfügung gestellt werden, die sich konkreten Fragen zu widmen hatten." (S. 108)

 

 

Die bloße Verwendung des Wortes "wissenschaftlich" ist kein Kriterium dafür, dass tatsächlich wissenschaftlich gearbeitet wird. Die Sachverständige schreibt:

"Die im Gutachten getroffenen Angaben gründen sich auf folgende wissenschaftliche Untersuchungsmethoden:

a) Aktenstudium: Az ...

b) Exploration mit der Kindesmutter

c) Exploration mit mit dem Kindesvater

d) Exploration mit ...

e) Analyse der Beziehungsdynamik

f) Diagnostik der Erziehungskompetenz der Erwachsenen

g) Analyse von Aspekten des Kindeswohls"

 

 

Wieso das Studium einer Gerichtsakte eine wissenschaftliche Untersuchungsmethode sein soll, bleibt schleierhaft. Wenn dem so wäre, müssten alle Richter gleichzeitig auch Wissenschaftler sein, denn es gehört zum täglichen Job von Richtern Akten zu studieren.

 

 

Die SV schreibt dann:

"Nach Auffassung von Salzgeber und Stadler (1990) sollte ein Teil der Aktenanalyse auch die Darstellung einer psychologischen Interpretation des Akteninhaltes sein" (S. 10)

Nach dieser Einführung durch die SV könnte man meinen, dass sie nun den Inhalt der Gerichtsakte psychologisch interpretiert. Doch dies ist nicht der Fall. Wozu sie dann Salzgeber und Stadler in dieser Frage zitiert bleibt unklar.

 

Die SV schreibt weiter:

"Neben den vom Gericht gestellten Beweisfragen wurde die psychologische Begutachtung auch von folgenden Fragen geleitet und geführt:

1. Welche intrapersonalen Bedingungen

- eigene Lebensgeschichte

- intellektuelle Leistungsvorbedingungen

- emotional-affektive Besonderheiten

stehen mit der Erziehungsfähigkeit und - geeignetheit von Frau X und Herrn Y "in Zusammenhang?

 

2. Welche interpersonalen Bedingungen (z.B. Partnerschaften, Kommunikation, zwischenmenschliche Beziehung, Abhängigkeit von Elternteilen sind zu beachten?"

 

 

Hierzu ist festzustellen, dass es der Sachverständigen wohl nicht zusteht ihre Begutachtung, "neben den vom Gericht gestellten Beweisfragen" von anderen, von der Sachverständigen selbst aufgestellten Fragen leiten und führen zu lassen. Leitend und führend sind ausschließlich die Fragen des Gerichtes. Wenn dem nicht so wäre, müsste man fragen, wer hier eigentlich die Leitung des Verfahrens innehat, der Richter oder die Sachverständige? Richtig ist, dass die Sachverständige zur Beantwortung der Fragen des Gerichtes eigene Überlegungen anstellen kann und natürlich auch muss, dies können jedoch niemals neben oder gar vor die Fragen des Gerichtes gestellt werden, sondern immer nur zu deren Beantwortung dienen.

Wieso die Sachverständige offenbar jedoch nur die "Erziehungsfähigkeit und -geeignetheit" als von ihr offenbar zu explorierende Kriterien heranzieht, bleibt unklar. Bindungen, Fragen der Kontinuität, Bindungstoleranz, Fragen der Entwicklung einer guten Geschlechtsidentität, sozialökologische Bedingungen und andere mögliche Parameter bleiben von ihr offenbar unberücksichtigt.

Zu fragen ist dann noch, was die SV unter "Erziehungsfähigkeit" und "Erziehungsgeeignetheit" versteht und was der Unterschied zwischen beiden sein soll.

Im übrigen hat das Gericht nicht danach gefragt, es darf auch von vornherein unterstellt werden, dass beide Eltern "erziehungsfähig" sind, wenn dem nicht so wäre, hätte das Gericht ein Verfahren nach §1666 BGB eröffnen können, welches für den Fall fehlender "Erziehungsfähigkeit" zu einem Entzug der elterlichen Sorge führen kann.

 

 

 

 

Sprache

Die Sachverständige verwendet im Gutachten durchgängig die antiquierten, vormundschaftlichen und Distanz herstellenden Begriffe "Kindesvater" und "Kindesmutter", Begrifflichkeiten, die nicht geeignet sind, die Eltern als das zu sehen und zu fördern, was sie sind, nämlich Vater und Mutter (vgl. Kaufmann 1999). Es fragt sich, ob die SV, falls sie selbst Mutter ist, sich von anderen Menschen mit Kindesmutter bezeichnen lassen würde.

 

 

 

 

 

Einzelpunkte

Für die Erstellung des Gutachtens benötigte die Sachverständige (SV) über 10 Monate. Wenn man bedenkt, dass das Kind am ...2000 geboren wurde, jetzt also gut vier Jahre alt ist, ist die Zeit von 10 Monaten gut ein Fünftel der bisherigen Lebenszeit des Kindes. Wenn man bedenkt, wie schnell sich Kinder in diesem Alter entwickeln, erscheint eine solche lange Zeit der Gutachtenerstellung inakzeptabel.

Der erste persönliche Kontakt zwischen der Sachverständigen scheint am 16.06.2003 erfolgt zu sein (S. 7), also über zwei Monate nach Beauftragung durch das Familiengericht.

Auf Seite 7 des Gutachtens erfahren wir, dass offenbar am 09.07.2003 eine "Mutter-Kind-Beobachtung" stattgefunden hat. Man sucht aber im Gutachten vergebens nach einer expliziten Darstellung einer solchen von der Sachverständigen begleiteten Begegnung.

Immerhin erfahren wir etwa über die Begleitung des Kontaktes zwischen Vater und Tochter durch die Sachverständige. Die SV nennt es "Begleitung des Umgangskontaktes von Herrn Y mit A am 02.09.2003". Warum die SV darauf Wert legt, diesen Kontakt zwischen Vater und Tochter als "Begleitung des Umgangskontaktes" zu benennen und nicht einfach als "Interaktionsbeobachtung" bleibt hier unklar. Es kann aber auch vermutet werden, das durch die ausdrückliche Benennung dieses Kontaktes zwischen Vater und Tochter als "Begleitung des Umgangskontaktes" klargestellt werden soll, dass der Vater ja "nur ein Umgangsrecht" hat, das Kind dagegen bei der Mutter lebt (vgl. Vergho 2000). 

Die SV schreibt dann einschränkend:

"Innerhalb dieser kurzen Besuchssequenz ..." (S. 39) war zu beobachten. Die SV tituliert also den Kontakt zwischen Vater und Tochter als "Besuchssequenz". Sie unterrichtet dagegen nicht in welchem, auch zeitlichen Rahmen die Tochter bei ihrem Vater war und wie lange die SV sich in dieser Zeit dort aufgehalten hat. Statt dessen schreibt sie wenig informativ "in der gesamte Zeit" und "während der gesamten Begutachtung".

Dafür erfahren wir dann von der SV solche für die Beantwortung der gerichtlichen Beweisfragen wohl unerheblichen Dinge wie:

"Frau X berichtete, unter sehr hohen emotionalen Druck stehend und den Tränen sehr nahe, dass es sehr viel Wichtiges zu erzählen gebe." (S. 11)

Da möchte man als Leser fast selber in Tränen ausbrechen und überlegt, wie es der Sachverständigen wohl gelungen sein mag, den Blutdruck der Mutter zu messen, um den "hohen emotionalen Druck" zu bestimmen.

Es folgen dann auf 20 Seiten (S. 11-31) in aller Ausführlichkeit Schilderungen der Mutter gegenüber der Sachverständigen. Wobei nicht klar wird, ob die Wiedergabe dieser breiten Schilderungen wesentliches dazu beitragen, den gerichtlichen Auftrag an die Sachverständige zu erfüllen.

 

Von der Mutter berichtet die SV, diese hätte schon zwei Versuche für den Besuch einer Familienberatungsstelle unternommen (S. 28). "Auch bei dem zweiten Versuch in der Familienberatungsstelle habe Frau X für sich feststellen müssen, dass es nichts bringe, obwohl sie diesem nicht ablehnend gegenüber stehe." (S. 28)

Dies Feststellung der Mutter muss verwundern. Es erweckt den Anschein, als wenn die Berater in der Familienberatungsstelle nicht kompetent genug wären, die zwischen den Eltern bestehenden Konflikte erfolgreich zur Sprache und zu einer Lösung zu bringen. Daher meint die Mutter offenbar durch einen Antrag auf Entzug des väterlichen Sorgerechtes nach §1671 BGB die für sie im Raum stehenden Probleme zu lösen.

Der Sachverständigen muss es allerdings wohl angelastet werden, sich offenbar gar nicht darum bemüht zu haben, um welche Fragen von "erheblicher Bedeutung", außer dem Aufenthaltsbestimmungsrecht die Eltern sich zur Zeit nicht einigen können und wieso da gegebenenfalls die gemeinsame Beratung in einer Familienberatungsstelle nicht zu einer Einigung beitragen kann.

Statt dessen behauptet die SV: "Bezüglich der gemeinsamen Entscheidungsfähigkeit der Elternteile ist derzeit abschließend zu beurteilen, dass gemeinsame Entscheidungen derzeit nicht möglich sind." (S. 111)

 

 

Auf den Seiten 31-68 gibt die SV dann aus ihrer Wahrnehmung Schilderungen des Vaters und eine Beobachtung eines Kontaktes zwischen Vater und Tochter wieder:

"In diesem Erstgespräch erklärte die Gutachterin dem Kindesvater, in welcher Vorgehensweise eine Begutachtung aus gutachterlicher Sicht durchgeführt wird." (S. 31)

Es bleibt hier unklar, welche Person die SV mit "aus gutachterlicher Sicht" bezeichnet haben könnte. Vielleicht meint sie sich selbst, doch dann hätte sie sich klarer ausdrücken können, z.B. so:

Im Erstgespräch erklärte die Gutachterin Herrn Y, in welcher Vorgehensweise sie eine Begutachtung durchführt.

 

Von sprachlichen Aspekten abgesehen verwundert es, dass die SV offenbar der Mutter nicht eine ähnliche Unterweisung wie dem Vater gegeben hat. Möglicherweise hat die SV den Vater für intelligenzgemindert gehalten und die Mutter für hochbegabt, dass sie beide Eltern unterschiedlich behandelt.

 

 

Die SV schreibt dann:

"In diesem ersten Telefonat wurden dem Kindesvater die formalen Rahmenbedingungen der Gutachtenerstattung mitgeteilt." (S. 31)

Nun fragt man sich, wieso spricht die SV plötzlich von einem Telefonat? Man darf nun vermuten, dass der Kontakt am 16.06. und 29.07.03 lediglich telefonisch stattfand. Dies hätte die SV aber schon zu Beginn des Abschnittes mitteilen können, anstatt den Leser in den Glauben zu versetzen, sie hätte sich von Angesicht zu Angesicht mit dem Vater unterhalten. Auch in der Gesprächsübersicht auf Seite 7 fehlen Angaben darüber ob die Kontakte persönlich oder telefonisch stattfanden, ganz abgesehen davon, dass sie dort auch nicht beschrieben hat, wo die Kontakte stattfanden.

 

Auf Seite 39 äußert sich die SV zum Thema "Begleitung des Umgangskontaktes von Herrn Y mit A am 02.09.03."

Laut Angaben auf Seite 7 war die SV von 15.45 bis 17.45 beim Vater, offenbar in dessen Wohnung. In dieser Zeit will die SV sowohl den Kontakt zwischen Vater und Tochter beobachtet haben und außerdem noch ein Gespräch mit der Oma väterlicherseits geführt haben. Dieses stellt die SV später auf den Seiten 68-82 dar. Warum die SV ihren Schilderungen des Kontaktes zwischen Tochter und Vater nur knapp zwei Seiten widmet, den Gesprächen mit der Oma am 02.09.03 und 06.02.04 dagegen 14 Seiten bleibt unklar.

Vier Monate später, am 06.01.04 führte die SV dann ein weiteres Gespräch mit dem Vater. Wo das Gespräch stattfand lässt sich weder aus der Übersicht auf Seite 7, noch aus den Angaben auf Seite 40 entnehmen. Gleiches gilt für den nächsten Gesprächstermin am 02.02.04 (S. 62)

Anschließend gibt die SV ein Gespräch mit der Oma von A väterlicherseits vom 02.09.03 und am 06.02.04 wieder. Wozu die SV diesem Gespräch 14 Seiten widmet und in welchem Zusammenhang dies mit der gerichtlichen Fragestellung stehen könnte, bleibt unklar. Das Gericht hat ja nicht danach gefragt, ob die Oma das Sorgerecht bekommen soll oder ähnliches.

Nur allein der Wunsch der Oma, nach einem Gespräch mit der Sachverständigen dürfte wohl nicht ausreichen, diesem im Gutachten so viel Raum einzuräumen.

 

 

 

 

 

"Psychologische Befunde"

Unter dem Titel "Psychologische Befunde" beginnt die Sachverständige, sich über die anscheinend von ihr gemachten Eindrücke über das Kind A zu äußern (S. 83). Dabei wird aber auf Grund der fehlenden vorherigen Schilderung von Interaktionsbeobachtungen des Kontaktes zwischen Mutter und Tochter nicht klar, ob es sich hier um die eigenen Eindrücke der Sachverständigen oder um die Berichte der Mutter handelt. Ob die kurze Zeit der Beobachtung von A im Haushalt des Vaters durch die Sachverständige dazu beitragen konnte, einen ernsthaften "psychologischen Befund" zu A abzugeben, erscheint fraglich.

 

Die SV schreibt dann: "A vermochte ihre Vorstellungen zum künftigen Umgang mit dem leiblichen Kindesvater/Kindesmutter weder verbal noch nonverbal hinreichend verbalisieren." (S. 84)

Es wäre wohl sehr interessant, von der Sachverständigen zu erfahren, was ein "leiblicher Kindesvater" sein soll. Es reicht offenbar nicht aus, einen Vater als Kindesvater zu titulieren, sondern dieser erfährt dann durch die SV noch eine besondere sprachliche Weihe als "leiblicher Kindesvater".

 

Die SV beginnt dann eine theoretische Debatte zum sogenannten PAS (S. 85). Wozu sie die Debatte beginnt bleibt unklar. Aus dem familiengerichtlichen Auftrag leitet sie diese jedenfalls nicht her. Die Sachverständige nimmt möglicherweise auf die vom Vater geschilderten Umgangsprobleme Bezug. Dazu muss sie aber nicht auf die PAS-Debatte zurückgreifen, sondern könnte sich schon auf den Aufsatz "Rituale der Umgangsvereitelung" von Prof. Wolfgang Klenner, In: "FamRZ", 1995, Heft 24, S. 1529-1535 beziehen (dieser Stellungnahme beigelegt).

 

 

Die SV schreibt weiter:

"zu prüfen war jedoch, ob sich bei A Hauptmerkmale für die Diagnose der Reaktiven Bindungsstörung im Begutachtungsprozess feststellen ließen." (S. 86)

 

Wie die SV auf die Idee kommt, eine "Reaktive Bindungsstörung" diagnostizieren zu wollen, bleibt von ihr leider unbegründet. Dem gerichtlichen Auftrag lässt sich eine solche Diagnoseerstellung nicht entnehmen. Es fragt sich auch, was denn eine "Reaktiven Bindungsstörung" sei und auf welche Autoren oder allgemein anerkannten psychologischen Begriffsdefinitionen sich die SV hier bezieht. Im "Lexikon der Psychologie", Hrsg. Arnold, Eysenck, Meili, Freiburg 1991, ist zwar eine "reaktive Hemmung" verzeichnet, aber keine "Reaktiven Bindungsstörung".

 

Die SV schreibt dann: "Nach den Schilderungen der Eltern und Frau E. Weihrauch ließen sich Merkmale einer reaktiven Bindungsstörung erkennen."

Und erklärt dann: "Eine Reaktive Bindungsstörung lag zum Zeitpunkt der Begutachtung somit vor."

Die Sachverständige muss offenbar hellsichtige Fähigkeiten haben. Ohne selber die Beobachtung bezüglich des Verhaltens des Kindes gemacht zu haben, nur nach den subjektiven Angaben der Eltern und der Oma über bestimmte in der Vergangenheit des Kindes liegende Verhaltensweisen des Kindes meint sie eine "Reaktive Bindungsstörung" mit Bestimmtheit ("lag somit vor") feststellen zu können. Solche Art von Diagnostik ist wohl unseriös und wirft die Frage auf, ob die SV für die ihr aufgetragene Tätigkeit überhaupt geeignet ist.

 

 

Beginnend ab Seite 108 versucht die Sachverständige die Beweisfragen des Gerichtes zu beantworten. Zur allgemeinen Erbauung beginnt sie mit dem nichtssagenden Satz:

"Im vorliegenden Gutachten sollten dem Gericht psychologische Untersuchungen zur Verfügung gestellt werden, die sich konkreten Fragen zu widmen hatten." (S. 108)

Wer hätte das gedacht. Es bedarf offenbar einer promovierten Sachverständigen, um nichtsagenden Sätzen eine wissenschaftliche Weihe zu geben.

 

Die SV behauptet bezüglich des Wechselmodells, dieses könne nur dann empfohlen werden, "wenn beide Eltern sich akzeptieren und respektieren" (S. 94, Amtsgericht Pirna). Die SV widerspricht sich damit selber. In dem Verfahren am Amtsgericht Dresden, in dem der Unterzeichnende als Privatsachverständiger tätig war, schrieb sie in ihrem Gutachten:

"ein kontinuierlicher und gleichverteilter Umgang zwischen Kind A und beiden Elternteilen ist durchgehen zu gewährleisten, sonst erweisen sich beide Elternteile als nicht erziehungsgeeignet!" (S. 94, Amtsgericht Dresden)

 

Zufällig, man möchte fast an ein Wunder glauben, stimmen die Seitenzahlen in beiden Gutachten überein.

Man muss dazu sagen, dass die SV dort vorschlug ein wöchiges Wechselmodell über mehrere Hundert Kilometer zu praktizieren. Die Kommunikation zwischen den Eltern war in diesem Fall auch alles andere als erfreulich. Dass die Sachverständige in den einem Fall so und in dem anderen Fall ganz gegensätzlich vorträgt, mag damit zusammenhängen, dass sich im Dresdener Fall das Kind beim Vater befand und die SV zugunsten der Mutter mehr Kontaktzeit erreichen wollte und im hier vorliegenden Fall sich das Kind bei der Mutter aufhält und der Vater mehr Kontakt haben möchte. Dies deutet doch in einem starken Maße auf eine Befangenheit der Sachverständigen hin.

Dass die Sachverständige in dem Dresdener Verfahren die Beibehaltung der Gemeinsamen Sorge vorschlug, mit der Begründung: "... da beide Elternteile positive und förderlich auf die seelische, geistige und körperliche Entwicklung von ... einwirken können!" (S. 94, Amtsgericht Dresden)

Im Verfahren am Amtsgericht Pirna scheint die Sachverständige solche Gedanken fallengelassen zu haben.

Sie schreibt:

 

"Es ist insofern zu erwarten, dass bei gemeinsamer Entscheidungsfindung das Kind - gegenwärtig - zusätzlich belastet wird, und dies dem Kindeswohl dann eher zusätzlich zu den bestehenden Konflikten schadet." (S. 111)

 

 

Man möchte meinen, Pirna befände sich auf einem anderen Stern und nicht in unmittelbarer Nähe von Dresden.

 

 

Eine klare Beantwortung der Beweisfragen des Gerichtes sucht man umsonst (S. 111-118). Mit einiger Mühe kann vermutet werden, dass die SV dem Gericht vorschlägt, dass die Mutter das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht innehaben soll.

 

Die SV behauptet, ohne eine entsprechende Beweisführung: "eine Aufhebung der derzeitigen Lebenskontinuität schadet dem Kindeswohl" (S. 112)

 

 

 

 

 

Betreuungsregelung (Umgang)

Schließlich kommt die SV zu dem wirklich interessierenden Thema, in welcher zeitlichen Form die Eltern zukünftig die Betreuung ihrer Tochter handhaben sollten.

Sie schlägt vor, dass "A von Freitag bis Dienstagmorgen bei dem Kindesvater ist und ein weiterer fester Tag in der Woche (zum Beispiel Donnerstag) Umgang beim Vater gewährt werden sollte" (S. 116/117)

In der anderen Woche soll das Kind offenbar "von Montag zum Dienstag beim Kindesvater sein und am Donnerstag erneut am Nachmittag mit dem Kindesvater und den Großeltern miteinander - Erlebnisse haben." (S. 117)

Im Klartext schlägt die SV vor, dass das Kind innerhalb von 14 Tagen 5 Tage mit Übernachtungen beim Vater ist, dazu zwei Tage ohne Übernachtung. Das ist mehr oder weniger ein Wechselmodell. Es ist zu begrüßen, dass die SV trotz ihrer zuvor geäußerten prinzipiellen Bedenken nun doch noch den Weg findet, wie beide Eltern den ihnen im Leben des Kindes gebührenden Platz wahrnehmen können.

Es sollen insgesamt vier Wechsel des Kindes zwischen den Eltern stattfinden. Eine solche komplizierte Regelung dürfte nicht nur für das Kind, sondern auch für die Eltern eine Überlastung darstellen. In der Praxis wird sie mutmaßlich nicht funktionieren.

Der Unterzeichnende schlägt daher vor, ein wöchiges Wechselmodell einzurichten. Wechsel des Kindes jeweils am Montag über den Kindergarten. Hier ist für beide Eltern und auch für das Kind Klarheit vorhanden.

 

 

 

 

 

Peter Thiel, 24.03.2004

...

 

 

 

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