Expertise zum 8-seitigen Schriftstück der Diplom-Psychologin Dr. Birgit Kapp vom 28.08.2009

 

Familiensache: X (Mutter) und Y (Vater)

 

Kinder:

A geboren am

B geboren am

C geboren am

 

 

Amtsgericht Stuttgart - Geschäftsnummer: 25 F 32/09

Richter: Herr Langeheine

Verfahrenspfleger/in: nicht bestellt

 

 

Erarbeitung der Expertise durch Peter Thiel

...

 

 

 

 

Beweisbeschluss von Richter Langeheine ­ Amtsgericht Stuttgart -

vom 27.05.2009:

 

In der Familiensache 

X ./ . Y

wegen Aufenthaltsbestimmungsrecht

hat das Amtsgericht - Familiengericht - Stuttgart durch den Richter Langeheine beschlossen:

1. Zur Frage der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die gemeinsamen Kinder der Parteien ...

ist ein mündliches kinderpsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen.

2. Als Sachverständige wird bestellt:

Dr. Birgit Kapp, ...

3. Termin zur Erstattung des Gutachtens und zur mündlichen Verhandlung wird bestimmt auf: 

Freitag, 14. August 2008, ...

4. ...

 

 

 

 

 

Beweisbeschluss

Da dem Beweisbeschluss vom 27.05.2009 die Beweisfrage fehlte, wurde dieser glücklicherweise mit Schreiben des Gerichtes vom 27.07.2009 - also zwei Monate nach Ernennung der Gutachterin - noch ergänzt:

 

Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht auf welchen Elternteil entspricht der Kindeswohl der Kinder am Besten.

Soweit Einigungsmöglichkeiten bestehen, wird gebeten, diese zu unterstützen.

 

 

 

Dr. Birgit Kapp muss die leicht missglückte richterliche Formulierung aufgefallen sein. Doch statt diese zu übernehmen oder den Richter um Überarbeitung zu bitten, kreierte sie eine eigene, offenbar nach dem Motto: Schlimmer geht`s immer.

In einem achtseitigen an Richter Langeheine adressierten Schriftstück vom 28.08.2009 schreibt die Gutachterin in einem eigenartig verdrehten Satzbau:

 

"Fragestellungen:

- Die Aufenthaltsbestimmung auf welchen Elternteil zu übertragen entspricht dem Kindeswohl am besten.

- Bitte um Unterstützung von Einigungsmöglichkeiten, soweit diese bestehen."

 

 

 

Mit Datum vom 28.08.2009 legt die als Gutachterin „bestellte“ Diplom-Psychologin Dr. Birgit Kapp dem Familiengericht ein 8-seitiges Schriftstück vor, bei dem es sich offenbar nicht um ein schriftliches Gutachten handelt, denn das Gericht hatte mündlichen Vortrag erbeten, sondern um eine Art Arbeitspapier, das der Gutachterin wohl als Stichwortgeber für das von ihr mündlich zu erstattendes Gutachten dienen soll.

Der Sinnzusammenhang dieses Schriftstücks dürfte allerdings für den ungeübten Leser kaum zu erfassen sein. Selbst der Unterzeichnende, der über langjährige Erfahrungen in der fachlichen Auseinandersetzung mit Gutachten verfügt, benötigt einigen gedanklichen Aufwand, sich in die Gedankenwelt der Gutachtern hinein zu denken und so einen gewissen Sinn in dem Schriftstück zu erkennen.

Die Schwierigkeit fängt schon mit dem Eingangssatz der Dr. Birgit Kapp an, wenn diese in einem eigenartig verdrehten Satzbau schreibt:

 

"Fragestellungen:

- Die Aufenthaltsbestimmung auf welchen Elternteil zu übertragen entspricht dem Kindeswohl am besten.“

 

 

Wenn man Subjekt, Objekt und Prädikat an ihre grammatikalisch richtige Stelle bringt und einige weitere Korrekturen vornimmt, könnte der Satz so lauten:

 

 

Welche gerichtliche Bestimmung des Aufenthaltes der Kinder entspricht dem Wohl der Kinder am besten?

 

Dieser Satz hätte auch Sinn, denn zwischen den Eltern ist strittig, in welchem zeitlichen Umfang die drei Kinder von den beiden Eltern betreut werden sollen, bzw. ob beide Eltern auch zukünftig in gemeinsamer elterliche Verantwortung den Aufenthalt ihrer Kinder bestimmen können oder das Gericht einem oder beiden Elternteilen das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf der Grundlage von §1671 (2) BGB entzieht, was dazu führen würde, dass ein Elternteil dann allein bestimmungsberechtigt wäre oder bei Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für beide Eltern das Gericht Ergänzungspflegschaft nach §1909 BGB anordnen würde, so wie offenbar von der Gutachterin intendiert, wenn diese vorschlägt Amtsvormundschaft durch das Jugendamt anzuordnen (vgl. S. 8).

Juristisch könnte man den Beweisbeschluss des Gerichtes daher - in Anlehnung an §1671 (2) BGB - auch so formulieren:

 

Welche Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes entspricht dem Wohl der Kinder am besten?

 

 

Diese Frage ist allerdings eine juristische und von daher nicht von einem Gutachter zu beantworten, sondern vom Gericht selbst.

 

 

 

Betreuungsmodell

Im folgenden soll von der Fiktion ausgegangen werden, das Gericht hätte die als Gutachterin ernannte Diplom-Psychologin Dr. Birgit Kapp gebeten, die folgende Frage zu beantworten:

 

Welche gerichtliche Bestimmung des Aufenthaltes der Kinder entspricht dem Wohl der Kinder am besten?

 

Wie schon gesagt, ginge es bei dieser Frage nicht um eine juristische Regelung des Sorge- oder Aufenthaltsbestimmungsrechts, sondern um eine Regelung des tatsächlichen Aufenthaltes der Kinder bei ihren getrennt lebenden Eltern. Das Gericht könnte hier verschiedene Regelungen treffen, so etwa die Betreuung aller drei Kinder im Wechselmodell (Paritätmodell) oder klassisch konservativ im sogenannten Residenzmodell (Alleinversorgermodell), das üblicherweise weiblich konotiert wird.

Denkbar wäre dagegen auch eine gesplittete Betreuung der drei Geschwister durch die beiden Eltern, bei der eine Ausgrenzung eines Elternteils und die überfordernde Exklusivität des anderen Elternteils vermieden wird.

So könnte im vorliegenden Fall die knapp fünfjährige A überwiegend vom Vater betreut werden, die beiden anderen jüngeren Kinder dagegen von der Mutter. Alle drei Geschwister könnten dann an den Wochenenden, im Urlaub und an Feiertagen gemeinsam bei dem einen oder dem anderen Elternteil sein, so dass auch der Bedeutung der Geschwisterbeziehung Rechnung getragen würde. Diese gesplittete Regelung hätte den Vorteil, dass eine Überlastung eines Elternteils vermieden wird, die bei einer dauerhaften Betreuung aller drei Kinder durch nur einen Elternteil zwangsläufig entsteht.

Die Gutachterin hat jedoch die Möglichkeit der gesplitteten Betreuung der Kinder durch beide Eltern offenbar nicht gesehen oder nicht sehen wollen, denn in ihrem achtseitigen Schriftstück deutet sie lediglich die Möglichkeit an, dass alle drei Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in traditioneller Rollenzuweisung bei der Mutter haben und der Vater auf die Position eines Umgangselternteils reduziert werden soll. Weder thematisiert die Gutachterin die Frage einer Überlastung der Mutter durch das von ihr favorisierte Alleinversorgermodell.

Die Gutachterin klärt auch nicht die Qualität und Risiken der Beziehung der Mutter zu ihrem „neuen Partner“ ab, den die Gutachterin offenbar nur ein einziges Mal kurz gesehen hat (vgl. S. 2).

 

 

 

 

Fazit

Wie aufgezeigt, bietet die Möglichkeit einer gesplitteten Betreuung der Kinder durch beide Eltern gute Chancen eine Überlastung eines ansonsten „alleinbetreuenden“ Elternteil zu verhindern. Gleichzeitig haben in diesem Modell beide Eltern Zeiten, wo sich alle drei Kinder beim jeweils anderen Elternteil befinden, so dass sich der dann jeweils nicht betreuende Elternteil ungestört auch um die eigenen private Dinge und der für Eltern in dieser Entwicklungsphase der Kinder so wichtigen Regeneration der eigenen Kräfte kümmern kann.

Bei einem Alleinversorgermodell, wie es der Gutachterin anscheinend vorschwebt, stünde die Mutter dagegen unter einer Dauerbelastung, die lediglich aller 14 Tage für kurze Zeit unterbrochen würde. Selbst diese vermutete Entlastung findet real oft nicht statt, da die Kinder bekanntermaßen bei der Rückkehr aus dem väterlichen in den mütterlichen Haushalt häufig erhebliche Anpassungsprobleme haben, die wiederum die physische und psychische Stabilität der Mutter gefährden. Eine hieraus folgende Instabilität und Disbalance der Mutter wird wiederum auf die Kinder negativ rückgekoppelt, was letztlich zu einem Teufelskreislauf führt, in dem Instabilität neue Instabilität produziert, aufrecht erhält oder es sogar zu sich selbst verstärkenden negativen Resonanzen kommen kann.

 

 

 

 

Peter Thiel, 16.09.2009

 

 

 

Literatur:

Alberstötter, Ulrich: "Hocheskalierte Elternkonflikte - professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle"; In: "Kind-Prax", 03/2004, S. 90-99

Alberstötter, Ulrich: "Kooperation als Haltung und Strategie bei hochkonflikthaften Eltern-Konflikten", In: "Kind-Prax", 3/2005, S. 83-93

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