Stellungnahme zum Gutachten der Diplom-Psychologin Angelika Schwerin vom 01.03.2006

 

 

Familiensache: X (Mutter) und Y (Vater)

 

Kinder:

A (Tochter) geboren: ....1997

B (Tochter) geboren: ... 1999

 

 

Amtsgericht Norderstedt

Geschäftsnummer: 51 F 25/04

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

 

 

Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das oben genannte 63-seitige schriftliche Gutachten vom 01.03.2006.

 

 

 

Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 15.06.2005:

 

„Zur Frage von Art und Umfang des persönlichen Umgangs des Vaters mit den beiden Töchtern

...

...

soll ein schriftliches kinderpsychologisches Sachverständigengutachten unter Einbeziehung beider Elternteile eingeholt werden.“

 

 

 

 

I. Vorbemerkung

 

I.1. Wiedergabe der gerichtlichen Beweisfrage

Das Amtsgericht Norderstedt stellt mit Beschluss vom 15.06.2005 folgende Beweisfrage:

 

„Zur Frage von Art und Umfang des persönlichen Umgangs des Vaters mit den beiden Töchtern

...

soll ein schriftliches kinderpsychologisches Sachverständigengutachten unter Einbeziehung beider Elternteile eingeholt werden.“

 

 

 

Der zur Gutachterin ernannten Diplom-Psychologin Angelika Schwerin scheint diese Formulierung jedoch wohl nicht gut genug gewesen zu sein. Statt sich an die Vorgabe des Gerichtes zu halten, entwirft sie eine eigene Formulierung:

 

 

„In der Umgangsregelungssache ...

wird lt. Beschluss des Amtsgerichts vom 15.6.05 ein psychologisches Gutachten zu der Frage erstellt:

 

In welcher Art und in welchem Umfang ein persönlicher Umgang des Vaters mit seinen beiden Töchtern erfolgen soll.“ (S. 2)

 

 

Ob die Gutachterin mit dieser Umformulierung ihre herausragende Kreativität oder eine vermeintlich bestehende Unabhängigkeit vom Gericht demonstrieren will, bleibt dem Leser unklar.

 

 

 

I. 2. Zeitdauer für die Erstellung des Gutachtens

Die als Gutachterin beauftragte Diplom-Psychologin Angelika Schwerin benötigte von Auftragserteilung am 15.06.2005 bis zur Fertigstellung ihres Gutachtens am 01.03.2006 fast neun Monate. Dies entspricht der Zeit die gewöhnlich von der Zeugung bis zur Geburt eines Kindes vergeht. Mit Sicherheit wird dies nicht den Anforderungen gerecht, die man im Dienstleistungszeitalter an einen Gutachter stellen kann.

Die Problematik überlanger Verfahrensdauer ist mittlerweile hinreichend oft diskutiert worden, so dass es schon befremden muss, dass dies noch nicht überall angekommen zu sein scheint.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hält in einer Umgangssache eine Frist von maximal 3 Monaten für die Erstellung eines Gutachtens für angemessen. Binnen eines Monats nach Eingang des Gutachtens sollten die Eltern und das Kind vom Gericht persönlich angehört werden und innerhalb eines Monats nach Anhörung sollte entgültig über die Regelung des Umgangsrechts entschieden werden.

 

Beschluss des OLG Karlsruhe vom 24.07.2003 - 16 WF 50/03, veröffentlicht in "Zentralblatt für Jugendrecht, 7/8/2004, S. 299-300

 

 

Das Berliner Kammergericht stellt mit Beschluss vom 22.10.2004 - 18 WF 156/04, veröffentlicht in FamRZ 2005, Heft 9, S. 729-731, "MDR", 8/2005; S. 455; fest, dass das Gebot der Rechtsstaatlichkeit bei kindschaftsrechtlichen Verfahren dazu führt, bei überlanger Verfahrensdauer die Beschwerde zu eröffnen. Dies sei dann gegeben, wenn allein die Erstattung eines psychologischen Sachverständigengutachtens, hier durch die beauftragte Gutachterin Frau L., mehr als 11 Monate in Anspruch nimmt

 

 

 

Berücksichtigung des kindlichen Zeitempfindens in gerichtlichen Verfahren; Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG

1. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert im Interesse der Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden.

2. In kindschaftsrechtlichen Verfahren ist wegen der Gefahr einer faktischen Präjudizierung eine besondere Sensibilität für die Verfahrensdauer erforderlich.

3. In umgangsrechtlichen Verfahren führt jede Verfahrensverzögerung faktisch zu einem Umgangsausschluss; daneben werden auch Tatsachen geschaffen, die Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens nehmen können.

4. Zu den Anforderungen an die Zulässigkeit und die Begründetheit einer Untätigkeitsbeschwerde.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.12.00 - 1 BvR 661/00), veröffentlicht in: "FamRZ", 2001, 753

 

 

 

Vergleiche hierzu auch:

Heilmann, Stefan: "Die Dauer kindschaftsrechtlicher Verfahren", In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 7/8/1998, S. 317-324

 

 

 

 

II. Allgemeines

Auf die vom Gericht - wohl etwas undeutlich - formulierte Beweisfrage antwortet die als Gutachterin eingesetzte Diplom-Psychologin Angelika Schwerin in ihrer abschließenden Stellungnahme:

 

"Nach Auswertung der referierten Sachverhalte kann kein persönlicher Umgang zwischen den Kindern und dem Kindesvater empfohlen werden." (S. 58)

 

 

Nun ist es allerdings nicht Aufgabe einer Gutachterin einen Umgang zu empfehlen oder nicht zu empfehlen, denn zu der Frage, wie und wann der Umgang zu regeln ist, hat sich der Gesetzgeber, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund dem nationalen Recht übergeordneter internationaler Regelungen zuletzt anlässlich der Kindschaftsrechtsreform von 1998 eindeutig positioniert, in dem er feststellt, dass der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen in der Regel dem Wohl des Kindes dient.

 

 

UN-Kinderkonvention „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“

Artikel 9 (Trennung von den Eltern; persönlicher Umgang)

(3) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, dass von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht.

 

 

Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

Artikel 8 (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung (...) ihres Familienlebens"

 

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Artikel 6 Satz 2 Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

 

§ 1626 BGB (Elterliche Sorge, Grundsätze)

...

(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.

 

 

 

 

Möglicherweise kennt die Gutachterin aber auch nicht die eng definierten gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen vom Gericht ein Ausschluss des Umgangs angeordnet werden darf.

 

 

§ 1684 BGB Umgang des Kindes mit den Eltern

(1) ...

(2) ...

(3) ...

(4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann insbesondere anordnen, daß der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist. Dritter kann auch ein Träger der Jugendhilfe oder ein Verein sein; dieser bestimmt dann jeweils, welche Einzelperson die Aufgabe wahrnimmt.

 

 

 

Soll der Umgang also auf längere Zeit oder auf Dauer eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, so ist dies nur zulässig, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Den dafür erforderlichen Nachweis hat das Gericht, bzw. vorher die vom Gericht als Gutachter eingesetzte Hilfskraft zu führen. Andernfalls kann es schnell zur Aufhebung eines Umgangsausschlusses durch das zuständige Beschwerdegericht kommen.

 

vergleiche hierzu:

Urteil der 3. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 9.6.2004 - 1 BvR 487/04Veröffentlicht in: "Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht", FamRZ", Heft 15, S. 1166-1168

 

 

 

Dass vorliegend ein begleiteter Umgang zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde, ist von der Gutachterin allerdings, soweit zu sehen, nicht dargetan worden. Man darf daher sicher davon ausgehen, dass die Gutachterin mit ihrer Empfehlung weit über das Ziel hinausschießt.

 

 

 

 

 

 

Peter Thiel, ... .2006

 

 

 

Literatur:

Alberstötter, Ulrich: "Hocheskalierte Elternkonflikte - professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle"; In: "Kind-Prax", 03/2004, S. 90-99

Alberstötter, Ulrich: "Kooperation als Haltung und Strategie bei hochkonflikthaften Eltern-Konflikten", In: "Kind-Prax", 3/2005, S. 83-93

Adshead, Gwen: "Persönlichkeitsstörungen und gestörtes Elternverhalten aus der Sicht der Bindungstheorie", In: "Persönlichkeitsstörungen. Theorie und Therapie", 6/2001, S. 81-89

Ainsworth M., Blehar M., Waters E., Wall S (1978). Patterns of Attachment: A Psychological Study of the Strange Situation. Hillsdale NJ: Erlbaum

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