Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Prof. Wolfgang Trennheuser vom 04.11.2002
(leicht überarbeitet am 10.08.2009)
Familiensache X
Kinder
A. X
B. X
Verfahrenspfleger/in: nicht bestellt
Amtsgericht Vechta
12 F 702/02 SO und 12 F 731/02 UG
Richter
Vorbemerkung
Das vorliegende Gutachten vermag aus Sicht des Unterzeichnenden, insbesondere hinsichtlich des vom Gutachter unternommen Versuches einer Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung, nicht zu überzeugen. Das Gutachten ist aus Sicht des Unterzeichnenden leider auch nicht geeignet, den Eltern und dem Familiengericht hinsichtlich der Sicherung bestmöglicher Entwicklungsperspektiven für ihre beiden Söhne A und B, aber auch für die Tochter C, auch wenn dies nicht Teil der gerichtlichen Fragestellung war, geeignete Antworten aufzuzeigen. Eine Erörterung verschiedener Möglichkeiten der Konfliktlösung oder einer professionellen Begleitung der Eltern und ihrer Kinder, z.B. in Form einer Umgangspflegschaft, hat der Gutachter bedauerlicherweise unterlassen.
Bedauerlichweise hat der verfahrensführende Richter für A keinen Verfahrenspfleger nach §50 FGG bestellt. Dies kann als ein erheblicher Verfahrensfehler angesehen werden, da der Richter in seiner Fragestellung davon ausgegangen ist, dass der Junge möglicherweise in den Haushalt seines nichtsorgeberechtigten Vater kommen könnte. Dies hieße gleichzeitig eine Herausnahme aus dem Haushalt der alleinsorgeberechtigten Mutter. Diese, vom Richter selbst angefragte Alternative, wäre dann angezeigt, wenn das Interesse des Kindes in erheblichen Gegensatz zu dem seiner gesetzlichen Vertreter, in diesem Fall der Mutter, stehen würde. Damit wäre die Voraussetzung für die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach §50 Absatz 2 FGG evident und im Falle einer Nichtbestellung müsste dies vom Gericht begründet werden.
1. Der wesentliche Mangel des vorliegenden Gutachten liegt in seiner Alternativlosigkeit. Möglichkeiten der Konfliktlösung und damit des Erhalts und der Entwicklung der jeweiligen Eltern-Kind-Beziehungen werden durch den Gutachter nicht erörtert, geschweige denn - so weit zu sehen - innerhalb seiner Tätigkeit angeregt, bzw. vermittelt.
2. In dem vorliegenden Gutachten wird nicht deutlich, wer die sachverständige Tätigkeit durchgeführt hat. Durch die Namensangabe von Frau Almuth Trennheuser auf dem Deckblatt des Gutachtens, kann der Eindruck entstehen, dass der Gutachter nicht als allein beauftragter Sachverständiger tätig war, sondern er sich in unzulässiger und nicht unerheblicher Weise von Frau Trennheuser hat vertreten lassen.
3. Der Gutachter hat es unterlassen, die im Konflikt nicht unwesentlichen Personen Herrn X und Frau Y in seine Untersuchung einzubeziehen. Unter systemischen Gesichtspunkten ist das sicher nicht akzeptabel.
4. Frau yZ unterbreitet dem Gutachter eine eingeschränkte Perspektive, in der sie sich und die Kinder als Opfer wahrnimmt und den Vater als Täter:
"In den Tagen darauf wäre ihr aber immer mehr zu Bewusstsein gekommen, dass der Junge dort vor die Hunde gehe. A sei das Opfer der Intrigen ihres Mannes, der immer schon die Kinder manipuliere und überall Keile dazwischen triebe." (S.10)
"... wenn die Kinder von den Wochenendbesuchen beim Vater aufgestachelt nach Hause kamen". (S. 16)
"... Die Störungen gingen regelmäßig vom Vater aus, eigentlich dürfte man das den Kindern nicht zumuten." (S. 17)
Mit einer solchen, vom Gutachter unwidersprochenen Schwarz-Weiß-Malerei vergibt sich die Mutter die Chance, im Interesse ihrer Söhne auch ihren eigenen Anteil am Zustandekommen und der Aufrechterhaltung des Konfliktes wahrzunehmen. Der Gutachter greift die vereinfachende Täter-Opfer-Perspektive der Mutter auf und verstärkt sie noch, in dem er sich der Mutter sekundierend zur Seite stellt.
"Herr und Frau Y wurden gefragt, was den Vater denn wohl antreibe, die Kinder auf seine Seite zu ziehen." (S. 14)
Damit erhebt der Gutachter die Behauptung der Mutter zur Wahrheit, ohne sich die Mühe zu machen, den Wahrheitsgehalt einer eigenen Prüfung zu unterziehen.
5. Wieso Herr Y, mit dem Vater Herrn X drei Stunden lang u.a. zum Thema Kindesunterhalt telefoniert (S. 14), und damit eine Aufgabe übernimmt, die die Mutter direkt mit dem Vater ausmachen sollte, bleibt vom Gutachter unhinterfragt.
Wenn dann Herr Y gegenüber dem Vater Herrn X noch erklärt, "er wolle auf diese 86 € verzichten", fragt sich der aufmerksame Leser, wie Herr Y dazu kommt, auf etwas zu verzichten, was ihm überhaupt nicht zusteht.
Der Gutachter hätte diesen aufschlussreichen "freudschen Versprecher" nutzen können, um mit Herr Y zu besprechen, in wie weit dieser die Ebene seiner Partnerschaft mit Frau Y mit der Ebene der Elternschaft von Frau Y und Herrn X verwechselt und in unzulässiger Weise und vermischt. Dann wäre wohl auch ein Teil des aktuellen Konfliktes erhellt worden.
Partnerschaft und Elternschaft unterscheiden zu können, scheint nicht die Stärke von Herrn Y und wohl auch von Frau Y zu sein. Im Gegensatz zu Frau X, der Partnerin von Herrn X, die sich in verantwortungsvoller Weise, aus der Anmaßung elterlicher Verantwortlichkeit gegenüber den Kindern ihres Partners heraushält (vgl. dazu S. 23).
6. Wieso der Gutachter die Mutter darüber ausfragt, ob sie wüsste, ob ihr Exmann mit Frau X verheiratet sei oder nicht, wem welches Grundstück gehöre, wieso Namensgleichheit herrsche, ob Frau und Herr X ein gemeinsames Kind hätten und was die beiden beruflich machen würden (S. 14-15), erläutert der Gutachter nicht. Anstatt seinen Informationsbedarf direkt beim Vater zu stillen, verstrickt sich der Gutachter hier, so wie auch die Kinder, in den Konflikt der Eltern. Professionell erscheint dies aus Sicht des Unterzeichnenden nicht.
7. Die Tatsache, dass die Mutter, Frau Y mit Herrn Y drei gemeinsame Kinder im Alter zwischen 0 und 3 Jahren hat und damit wenig Raum und Zeit für die beiden älteren Söhne von Frau Y bleibt (S. 18), wird vom Gutachter zwar registriert (S. 42), aber in Bezug auf die richterliche Fragestellung wohl nicht in der nötigen Weise ernst genommen und ausdiskutiert. (S. 43).
Statt dessen verspricht sich der Gutachter in auffälliger Weise, wenn er schreibt:
"Der Sachverständige wies die Eltern darauf hin, dass sie nach seinen Eindruck A und B gerne beschäftigt werden., ..." (S. 18).
Womöglich nimmt der Gutachter unbewusst Herrn Y und Frau Y als die Eltern von A und B wahr, wozu neben eigener Wahrnehmungstrübung wohl auch das Verhalten der Eheleute Y beiträgt.
8. Der Gutachter fragt A , wie es dazu komme, dass er im Sommer beim Vater blieb. (S. 30) Darauf hin antwortet A völlig an der Frage vorbei:
"Ich habe Scheiße gebaut. ..."
wobei der Gutachter es unterlässt, bei A nachzufragen, wieso dieser eine offenbar völlig unpassende Antwort gibt.
A und wohl auch C geben sich durch ihr Verhalten, als Symptomträger für das gesamte familiäre System zu erkennen, A :
"denn die Wutausbrüche haben mich belastet. Dadurch mache ich die Familie kaputt." (S. 34)
Statt dies ernst zu nehmen, bezeichnet der Gutachter die Wutausbrüche und Tobsuchtsanfälle von A als
"unangemessene und nicht zu rechtfertigende - Ausdrucksformen des Jungen, mit den ihn umgebenden Spannungen ..." (S. 45).
Damit missachtet der Gutachter möglicherweise, in welcher schwieriger Lage sich A befindet, wenn er die bei ihm zu beobachtenden Symptome, die A stellvertretend für das ganze Familiensystem lebt, abwertend beschreibt.
9.
"A ist durch die familiäre Situation hochgradig belastet und auch gefährdet. ..." (S. 46).
Aus dieser sicher richtigen Einschätzung, die im übrigen mit der vorhergehenden Wertung des Gutachters kollidiert, zieht der Gutachter den falschen Schluss, wenn er urteilt, dass A nicht zum Vater wechseln sollte (S. 47). Dies begründet der Gutachter mit dem Wunsch von A, als ob ein 12-jähriger Junge in einem solch heftigen Familienkonflikt die Möglichkeit einer freien Entscheidung hätte. Der Trennung von A von seinem Bruder, steht gegenüber dass A beim Vater mit seiner Schwester C zusammen wäre und durch die Umgangskontakte von B beim Vater der Kontakt zwischen beiden Brüdern gepflegt würde.
Der Satz
"...ist nicht überschaubar, wie sich das Leben in der neuen Familie in D entwickeln wird." (S. 47)
ist völlig überflüssig, denn auch bezüglich der Familie in E weiß keiner, wie sich diese entwickeln wird. Und das der Vater, Her X
"deshalb bei der Versorgung des Kindes mithelfen"
müsse, befremdet doch sehr, und deutet darauf hin, dass der Gutachter offenbar noch überholten ideologischen Mustern von Müttern als Betreuerinnen und Vätern als Ernährer anhängt.
10. Der Gutachter schreibt abschließend
"Man sollte dem 12-jährigen Jungen (A - Anmerkung P. Thiel), der seit Jahren dem Familienstreit bzw. das Geziehe der Eltern an den Kindern kennt, selbst überlassen, ob und wann er wieder Besuchskontakte zum Vater aufnimmt. (S. 47)
Der Gutachter überlässt hier einen 12-jährigen Jungen die Entscheidung in einem massiven ungeklärten Konflikt und muss sich daher an dieser Stelle die Frage stellen lassen, wie ernst es ihm mit dem Kindeswohl eigentlich ist.
Für B glaubt der Gutachter auch, zu wissen, was diesem gut tun würde, in dem er über dessen geäußerten Willen, sich "öfter als nur einmal im Monat in D" aufzuhalten, hinweggeht und statt dessen unbegründet behauptet,
"die langen Fahrtzeiten würden früher oder später, wenn sie zwei Mal pro Monat durchzustehen wären, doch viel Unlust bei dem Jungen erzeugen." (S. 48)
Hier rächt es sich, dass beiden Kindern vom Gericht kein Verfahrenspfleger bestellt wurde, der die Interessen der Kinder vertreten hätte, statt sich wie der Gutachter in unbewiesenen Spekulationen zu ergehen.
Was ist zu tun?
Das vorliegende Gutachten unterstützt Eltern, Kinder und neue Partner wohl in keiner Weise bei einer Verbesserung der schwierigen Situation. Durch die Empfehlung des Gutachters, es A zu überlassen, ob und wann er seinen Vater sehen will, bereitet der Gutachter einen, möglicherweise irreversiblen Abbruch der Vater-Sohn-Beziehung vor. Die Schlußfolgerungen des Gutachters werden daher vom Unterzeichnenden abgelehnt.
Statt den Kontaktabbruch zwischen Vater und A gerichtlich zu zementieren, empfiehlt der Unterzeichnende dem Gericht
1. Einen Umzug von A zum Vater ernsthaft zu prüfen.
2. Mit den Eltern die Möglichkeiten einer Konfliktlösung zu erörtern und konkrete Schritte zu vereinbaren. Sinnvoll wäre eine systemische Familientherapie. Angefragt dazu könnte ... . Dieser könnte gegebenenfalls auch als Zweitgutachter angefragt werden.
3. Die schnellstmögliche Einsetzung eines kompetenten Umgangspflegers mit der Zuständigkeit für alle drei Kinder.
Peter Thiel, 03.12.2002
Literatur:
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