Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Volker Kruse vom 21.02.2002 (wahrscheinlich Druckfehler im Gutachten, richtig erscheint 2003)

 

 

Familiensache Herr X und Frau X

am Amtsgericht Bielefeld

Geschäftsnummer:

Kind Z, geb. .2000

 

 

 

Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel

 

 

 

"Es soll ein psychologisches Gutachten zu folgenden Fragen eingeholt werden:

a) In welchem Beziehungssystem lebt Z, welchen `Stellenwert` haben die Eltern und deren Umfeld für den Jungen?

b) Welcher Elternteil ist - auf der Grundlage des Ergebnisses zu a) - für die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, sowie die Erziehung und Versorgung des Kindes besser geeignet.

 

 

Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 28-seitige schriftliche Gutachten.

 

 

 

 

Einführung

Die vorliegende gerichtliche Fragestellung stellt bedauerlicherweise die Alternativfrage, welcher Elternteil zur Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes, sowie der Erziehung und Versorgung des Kindes besser geeignet sei. Damit hat das Gericht die wichtigere Frage, wie im Interesse des Kindes der vorliegende Elternkonflikt gelöst werden könnte, bedauerlicherweise nicht thematisiert.

Der Sachverständige (SV) hätte dies gegenüber dem Gericht nach § 407a (3) ZPO zu problematisieren und so auf eine angemessenere Beauftragung hinwirken können. So hätte er auch der unlösbaren Frage entgehen können, was zu tun ist, wenn beide Eltern gleichwertige Kompetenzen hinsichtlich der Erziehung und Versorgung ihres Kindes aufweisen, wie das ja häufig der Fall ist.

...

 

Aus Sicht des Unterzeichnenden ist das Gutachten nicht geeignet, dem Familiengericht und den Eltern hinsichtlich der Sicherung bestmöglicher Entwicklungsperspektiven für das gemeinsame Kind geeignete Antworten und Lösungen aufzuzeigen. Insbesondere unterlässt es der Sachverständige aufzuzeigen, wie vor dem Hintergrund des Primats der Elternverantwortung (Artikel 6 Grundgesetz) eine möglicherweise bestehende Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit der Eltern positiv verändert werden könnte, z.B. durch die Inanspruchnahme professioneller Beratung oder Familientherapie.

Eine lösungsorientierte Arbeit des SV, so wie es nach §1627 BGB erwartet werden muss, ist an Hand des Gutachtens nicht zu erkennen.

 

 

...

 

 

 

 

 

Begründung

 

1. Technische Mängel

Der SV teilt leider in seiner Zusammenfassung des Untersuchungsablaufes (S. 4) nicht mit, zu welcher Zeit und wie lange die jeweiligen Kontakte zwischen ihm und den Beteiligten stattgefunden haben. Er teilt auch nicht mit, ob er die Gespräche mit den Eltern auf einen Tonträger aufgezeichnet hat oder ob seine nachfolgenden Darstellungen der Gespräche auf Mitschriften oder Gedächtnisprotokollen basieren.

 

 

2. Psychologische Fragestellungen

Der Sachverständige versucht auf Seite 3 von ihm gewählte Kriterien für die Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes, bzw. "wesentliche Faktoren des Kindeswohls" zu benennen. Dabei gibt der SV keine Hinweise, wie er auf die von ihm getroffene Definition, bzw. die von ihm vorgenommene Auswahl von Kriterien kommt. Die Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes kann nur an Hand deren vorhandener Kompetenzen, Möglichkeiten und Ressourcen beurteilt werden. Daher irrt der SV, wenn er meint, die Eignung der Eltern ließe sich aus der "Kontinuität der Sozialisation" herleiten (Kriterium 1), wobei der SV offen lässt, was er überhaupt damit meint. Vermutlich spielt er auf das sogenannte Kontinuitätsprinzip an. Das Kontinuitätsprinzip ist aber kein Kriterium zur Beurteilung der Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihrer Kinder.

Gegebenenfalls kann es ein Kriterium sein, um festzustellen, ob der Wechsel eines Kindes aus dem Haushalt eines Elternteils in den anderen, sinnvoll ist.

Auch "die Bindungen" (Kriterium 2) sind kein Kriterium für die Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes. Wenn das so wäre, dürfte z.B. öffentliche Erziehung in einem Kindergarten gar nicht stattfinden, da zwischen Erzieherin und Kind gar keine Bindungen vorhanden sind, so lange die beiden noch gar nicht miteinander zu tun hatten. Bindungen können entwickelt werden, im Fall der Beziehung Kind-Kindergärtnerin ist es ein zeitlich befristetes Bindungsverhältnis, im Fall der Eltern-Kind-Beziehung ein in der Regel lebenslang andauerndes Bindungsverhältnis.

Bindungen sind nicht statisch, sondern dynamisch. Eine eventuell vorhandene stärkere Bindung zwischen Kind und einem Elternteil spricht überhaupt nicht gegen die Möglichkeit, dass sich zwischen Kind und dem anderem Elternteil eine gute Bindung entwickeln kann. Dies trifft z.B. auf Fälle zu, wo ein Elternteil bisher wenig Möglichkeiten hatte, Bindungen mit seinem Kind aufzubauen, so z.B. wenn er vom "betreuenden" Elternteil ausgegrenzt wurde.

Als nächstes Kriterium definiert der SV den Begriff der Elterlichkeit (Kriterium 3), nach Ernst Ell. Er meint damit die Befähigung der Eltern sich über die Bedürfnisse ihres Kindes zu informieren und ihr Handeln an diesen Bedürfnissen auszurichten. Diese vom Sachverständigen gesetzte Kriterium ist das einzige von fünf von ihm benannten Kriterien, dass im Zusammenhang mit der Frage des Gerichtes nach der Eignung der Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes steht.

Nebenbei sei allerdings bemerkt, ob Ernst Ell, der Tipps zur unerlaubten Kindesmitnahme gibt, geeignet ist, hier als Autorität eingeführt zu werden, dürfte nach der Lektüre des folgenden Zitats fraglich erscheinen:

"... Wer sein Kind behalten will, darf es nicht aus der Hand geben. Der am Kind interessierte Elternteil, der die Wohnung verlassen will oder muß, sollte unbedingt das Kind mitnehmen, solange er nicht an Leib und Leben gefährdet ist. Er muß den günstigsten Zeitpunkt abwarten, zu dem die Mitnahme möglich ist, z.B. bei beruflicher Abwesenheit des Anderen." „Psychologische Kriterien bei der Sorgerechtsregelung und Diagnostik der emotionalen Beziehungen“, Ernst Ell, Deutscher Studien Verlag, Weinheim, 1990, S. 32

 

Der Kindeswille (Kriterium 4) ist auch kein Kriterium für die Eignung von Eltern zur Erziehung und Versorgung ihres Kindes. Der Kindeswille ist auch kein "wesentlicher Faktor des Kindeswohls, wie es uns der SV glauben machen will.

Gemeinsame Elternvereinbarungen (Kriterium 5) können Ausdruck der elterlichen Kooperationsbereitschaft sein, Ausdruck der Erziehungseignung sind sie deswegen aber nicht automatisch. Das eine "einvernehmliche Einstellung" der Eltern dem Kind Zerreißproben und Loyalitätskonflikte ersparen würde, ist allgemein bekannt und muss daher in einem Gutachten sicher nicht gesondert mitgeteilt werden. Außerdem gilt das in allen Fragen die beide Eltern betreffen und nicht, wie der SV offenbar meint, nur bezüglich der Frage in welchem zeitlichen Umfang das Kind zukünftig von den Eltern betreut wird und ob es möglicherweise eines einzigen Lebensmittelpunktes bedarf, um dem Kind die wünschenswerte emotionale und tatsächliche Sicherheit zu geben.

Festzuhalten bleibt, vom Sachverständigen wird tatsächlich nur ein Kriterium (Elterlichkeit) definiert. Andere Kriterien, wie z.B. soziales Umfeld der Eltern in Bezug auf Unterstützung und Versorgung, Förderkompetenz oder Bindungstoleranz bleiben unberücksichtigt.

Soziales Umfeld: Inwieweit die Großeltern väterlicherseits und die Großmutter mütterlicherseits in der Lage sind, die Eltern von Z zu unterstützen oder dies tatsächlich tun, wird vom SV nicht thematisiert. Dabei könnte dies ein wichtiges Kriterium darstellen, um herauszufinden, welcher Elternteil möglicherweise die Betreuung des Sohnes verlässlicher leisten könnte. Offenbar ist es so, dass der Vater durch seine Eltern eine solche hilfreiche Unterstützung erfährt (S. 10). Ob das bei der Mutter auch so ist und sie Unterstützung von ihrer ca. 40 Kilometer entfernt in W. lebenden Mutter erhält wird von SV nicht erfragt.

Bindungstoleranz: Mit Bindungstoleranz bezeichnet man die Fähigkeit eines Elternteils die Beziehung zwischen Kind und anderem Elternteil zu tolerieren oder zu fördern. Der Sachverständige zitiert zwar die Mutter (S. 8), dass diese nichts dagegen hätte, "wenn die Umgangsregelung so weiter gehen würde, wie sie momentan abläuft." Es ist aber nicht zu sehen, dass die Mutter sich auch in der Praxis so verhält. Die Aussage des Vaters lässt das Gegenteil vermuten.

 

Geschlechteraspekt

Eine Diskussion der gerichtlichen Fragen hinsichtlich des männlichen Geschlecht des Sohnes wird vom SV nicht vorgenommen. Es ist aber klar, dass die Mutter-Sohn-Beziehung eine völlig andere Qualität besitzt als die Vater-Sohn-Beziehung und inwieweit eine gute männliche Identitätsbildung des Jungen gelingen kann, wenn er kaum Kontakt mit seinem Vater hat, dagegen fast ausschließlich von seiner Mutter betreut wird.

Die männlichen Partner der Mutter können das nicht wett machen, da die Beziehungen zwischen der Mutter und ihnen offenbar nicht von langer Dauer ist und Robin daher Männer wohl eher als Durchgangsmenschen kennen lernt. Dass die Mutter diese Männer dann noch dem Sohn als "Papa" präsentiert, lässt ahnen, welche Achtung sie vor dem wirklichen Vater hat.

Wird aber der Vater abgewertet, kann der Sohn keine gute männliche Identität entwickeln (vgl. Cierpka; Frevert 1992).

 

 

3. Gespräch mit der Mutter

Die Mutter, Frau X teilt auf Seite 5 mit: "Sie hätte sich immer getrennt, wenn ihr etwas nicht gefallen hätte." Der SV problematisiert das im weiteren leider nicht, zu fragen wäre aber, wie sich ein auch zukünftig häufiger Partnerwechsel der Mutter auf den Sohn auswirken würde.

Auf Seite 9 erklärt die Mutter, der Sohn würde sich im Fernsehen am liebsten Teletubbies anschauen. Wieso ein erst gut zwei Jahre alter Junge zwar Fernsehen schaut, obwohl er erst jetzt langsam zu sprechen anfängt und dies der SV nicht weiter problematisiert, bleibt nachzufragen. In den Interaktionsbeobachtungen des SV ist auch nichts davon vermerkt, ob die Mutter in pädagogisch sinnvoller Weise auf die von Z benutzte "Babysprache" eingeht. So sagt Z z.B. dass er "teita" gehen möchte (S. 15), die Mutter unternimmt offenbar nichts, um den Sohn die richtigen Begriffe vorzusprechen. Auch in der auf Seite 15 geschilderten Szene, geht die Mutter offenbar nicht verbal auf ihren Sohne ein, als dieser einen Joghurt haben möchte.

 

Ob die verzögerte Sprachentwicklung von Z möglicherweise mit unzureichenden Lernangeboten und der Mutter an ihren Sohn und damit einer Beeinträchtigung ihrer Erziehungsfähigkeit zusammenhängt wird vom SV nicht thematisiert, obwohl gerade das der gerichtliche Auftrag an ihn ist.

 

Der SV beschreibt auf Seite 19 wie Z nach einem Besuch beim Vater wieder zurück zur Mutter kommt. Er schreibt: "Dann geht Z auf die Mutter zu. Er freut sich schon wieder, als er die Wohnung der Mutter betritt und sein Spielzeug sieht. Der Partner der Mutter ist auch anwesend. Auch diesen lächelt Z fröhlich an. Er fühlt sich in diesem Augenblick schon wieder ganz zu Hause."

Eigenartiger Weise spricht der SV nicht davon, dass sich Z auch bei seinem Vater "ganz zu Hause fühlt", obwohl sich Z wie vom SV beschrieben auch dort sehr wohl zu fühlen scheint: "Z hat die Wohnung des Vaters offensichtlich in Beschlag genommen. Er fühlt sich gleich sehr wohl."

Dass der SV beide Elternhäuser trotz ähnlicher Situationen unterschiedlich wichtig für Z definiert, das "Mutterhaus" wäre sein Zuhause, das "Vaterhaus" offenbar nur ein Besuchshaus, lässt eine Präferierung des SV für die Mutter vermuten, die aber durch Tatsachenvortrag nicht gedeckt ist.

 

 

4. Gespräch mit dem Vater

Die von der Mutter unwidersprochen gebliebene körperliche Gewaltausübung gegen den Vater während der Zeit ihre Zusammenlebens wird vom SV leider nicht weiter in Bezug auf die gerichtliche Fragestellung besprochen. Dazu Kindler/Drechsler 2003: "Daneben scheint im Mittel ein negativer Zusammenhang zwischen einem Ausüben von Partnerschaftsgewalt und der Erziehungseignung des betreffenden Elternteils bzw. seiner Beziehungsgestaltung im direkten Kontakt mit dem Kind zu bestehen." (S. 219).

Immerhin hätte der Vater wegen der Gewaltausübung durch seine Frau in der Zeit des Zusammenlebens eine Wegweisung nach dem Gewaltschutzgesetz, bzw. eine Überlassung der Ehewohnung nach 1361 b BGB beantragen können.

Der SV hätte in seinem Gutachten die Gewaltausübung der Mutter und eine damit im Zusammenhang stehende mögliche Erziehungsbeeinträchtigung thematisieren müssen. Denn es ist nicht zu vermuten, dass die Neigung der Mutter zur Ausübung körperlicher Gewalt als Mittel der Kommunikation in nachfolgenden Partnerschaften nicht wieder Ausdruck findet. Das Miterleben von Gewalt ist für ein Kind aber immer eine, mitunter auch traumatisierende Belastung. Dies muss so weit wie möglich vermieden werden.

Dass der SV das Gewaltthema in seiner Besprechung unterschlagen hat, weist auf eine mögliche Befangenheit des SV zuungunsten des Vater und auf eine nicht gerechtfertigte Solidarisierung mit der Mutter hin.

Wozu der SV dem Vater die Frage stellt, ob Z ein Wunschkind gewesen sein (Seite 11) und in welchem Zusammenhang eine solche Frage mit der gerichtlichen Fragestellung steht, lässt der SV unbeantwortet.

Der SV meint dann "dass wir für Z die Lösung finden müssten, die ihn nicht noch kaputter mache" (S. 14), gerade so, als ob ein Kind "kaputt" sein könne wie ein Auto. Vom schlechten Sprachstil abgesehen, postuliert der SV, dass Z offenbar physisch oder psychisch beeinträchtigt sei. Der SV widerspricht damit seiner eigenen Behauptung. "er ist körperlich und motorisch gut entwickelt. ... Z wirkt insgesamt psychisch stabil." (S. 23).

Diesen Widerspruch möge der SV dem Gericht noch erklären. Aus Sicht des Unterzeichnenden spricht es entweder für eine schlechte Beobachtungsgabe des SV oder für eine Benutzung von selbsterklärten Befunden, so wie es der SV gerade braucht.

 

 

5. "Testpsychologische" Beobachtung mit Z

Der vom SV auf Seite 20/21 geschilderte Versuch mit Z eine Aufstellung von Familienmitgliedern in Form eines Familienbretts vorzunehmen, kann als missglückt bezeichnet werden. Zum einen liegt das daran, dass der SV ein Kind, dass sprachlich auf dem Entwicklungsstand eines 1 1/2-Jährigen ist, auffordert, "seinen" Baustein da hin zu stellen, "wo er hingehört". Da Z, wie vom SV zu den Interaktionsbeobachtungen beschrieben, sich beiden Eltern verbunden fühlt, kann er sich, unabhängig von seiner intellektuellen Befähigung, natürlich nicht im Entweder-Oder-Prinzip nur einem Elternteil zuordnen. Möglicherweise benutzt er daher, wie im Gutachten beschrieben, seinen Opa als neutralen Dritten, bevor seinen Stein dann zur Gruppe A./Mama stellt.

Letztlich ist es spekulativ, einen solchen Versuch und Versuchsausgang als sicheres diagnostisches Mittel anzubieten.

 

 

6. Gemeinsames Gespräch mit den Eltern

Auf Seite 22 bezeichnet der SV das Anliegen des Vaters "genau so viel Zeit mit seinem Sohn zu verbringen wie die Mutter" als emotionales Ansinnen, dass "zunächst eine einvernehmliche Regelung" behindert. Die Abqualifizierung des Vaters durch den SV auf Grund dessen berechtigten und von Interesse an mehr Kontakt mit seinem Sohn geprägte Anliegen, ist nicht akzeptabel.

Obwohl das Gericht zu den Anträgen beider Eltern noch keine Stellung bezogen hat, teilt der SV vorentscheidend mit "es fällt Herrn X sehr schwer, den Lebensmittelpunkt Z´s bei der Mutter zu akzeptieren.". Es ist aber nicht Aufgabe des SV über nicht getroffene Beschlüsse des Gerichtes zu orakeln und damit suggestiv Vorentscheidungen zu platzieren.

Andererseits ist der SV äußerst lax in der Frage der Präsentation des augenblicklichen Partner der Mutter als "Papa" gegenüber Z. Die Bemerkung der Mutter, dass "sie darauf hinwirken wird, dass Z ihren Freund mit Vornamen anspricht." ist Ausdruck dessen, dass die Mutter gar nicht bemerkt oder bemerken will, dass sie als Mutter gegenüber dem Sohn ganz klar sagen muss, wer der Papa ist und wer der Freund. Warum sie das bisher nicht gemacht hat und auch auf die laxe Nachfrage des SV nur sehr inkonsequent eine Absichtserklärung abgibt, wäre der Nachfrage des SV unbedingt wert gewesen, da es mit Sicherheit wichtige Hinweise auf die Haltung der Mutter zur Bedeutung des Vaters für seinen Sohn gegeben hätte. Dass der SV dies unterlassen hat spricht für seine Befangenheit in dem vorliegenden Fall.

Der SV führt dann weiter aus: "Als sich Frau X dann auch noch zu einer großzügigen Umgangsregelung bereiterklärt, meint Herr X, dass er den Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter schweren Herzens akzeptieren würde."

Auch hiermit überschreitet der SV seinen ihm vom Gericht gegebenen Auftrag erheblich. Zwar ist es generell zu begrüßen, wenn sich Sachverständige zwischen den Eltern auch vermittelnd betätigt, dass darf aber nicht dazu führen, dass der SV dem Vater einen Kuhhandel anbietet.

Was an der von der Mutter dem Vater angebotenen Umgangsregelung, vierzehntägig Samstag 11 Uhr bis Sonntag 18 Uhr, dazu eine Feiertagsregelung und drei Wochen Urlaub im Jahr großzügig sein soll, bleibt ein Geheimnis des SV. Zwischen Eltern kann es in solchen Fällen keine Großzügigkeit geben, denn der Kontakt zwischen Kind und seinen beiden Eltern ist kein von einem Elternteil großzügig zu gewährendes Recht, sondern verfassungsrechtlich abgesicherte Selbstverständlichkeit. Großzügig handeln Herrschaften, die ihrer Dienerschaft bis Sonntag 20 Uhr Ausgang gewähren. Nicht aber Eltern, die einander Respekt und Achtung schuldig sind.

Dass der SV ein solches Herrschafts-Dienerschafts-Verhältnis zwischen Mutter und Vater konstruiert, spricht für dessen Sicht auf Mutterschaft und Vaterschaft als nicht gleichberechtigte Elternschaft. Ein solcher SV muss wegen Befangenheit abgelehnt werden.

 

 

7. Befund

Dass der SV offenbar eigene unbewältigte Sohn-Mutter Thematiken auf Frau X und ihren Sohn Z projiziert, zeigt seine folgende Formulierung: "Als Z 3 Monate alt war, zog er mit seiner Mutter nach Bielefeld." (S. 23)

Hier wird vom SV Subjekt und Objekt vertauscht. Nicht die Mutter zieht in der Wahrnehmung des SV mit dem Sohn nach Bielefeld, sondern der zweijährige Sohn mit der 27-jährigen Mutter.

Im übrigen spricht die einseitige Kindesmitnahme durch die Mutter bei bestehenden gemeinsamen Sorgerecht der Eltern aus dem damaligen gemeinsamen Haushalt nicht gerade für ihre damalige Befähigung den Vater als gleichberechtigten Elternteil zu respektieren. (vgl. Gutdeutsch 1998).

Dann, als ob der SV seiner eigenen Kompetenz, wohl zu Recht, nicht traut, zieht er den Vater und die Großeltern väterlicherseits als Kronzeugen für die Erziehungskompetenz der Mutter heran: "Selbst der Vater und die Großeltern väterlicherseits betonen, dass sich Z positiv entwickelt hätte." (S. 23).

Der SV schreibt dann: "Besonders hervorzuheben ist es, dass Z in den vergangenen Jahren auch eine herzliche Beziehung zum Vater und dessen Familie beibehalten (bzw. entwickelt) hat. Dies wäre ohne die Unterstützung der Mutter nicht möglich gewesen." (S. 23/24)

Das, was der SV hier als besonders hervorhebenswert ansieht, ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine von Eltern zu fordernde Selbstverständlichkeit, die ihren Ausdruck daher auch in § 1627 BGB und § 1684 BGB (Wohlverhaltenspflicht) gefunden hat.

Abschließend attestiert der SV der Mutter wie nach seinen vorherigen Ausführungen nicht anders zu erwarten, dass sie "absolut an den Bedürfnissen Z´s orientiert ist." (S. 24)

Der SV hätte auch schreiben können, sie ist die perfekte Mutter.

Der Vater, der seinen Sohn seit der Trennung nur sehr wenig bei sich hat, wird dagegen zurechtgestutzt: "Ihm geht es in erster Linie darum, seine eigenen väterlichen Gefühle ausleben zu können." (S. 25) Und gönnerhaft schreibt der SV dann: "Es muss allerdings gesagt werden, dass sich Z im Umfeld des Vaters ausgesprochen wohl fühlt. Z reagiert keineswegs aversiv auf den Vater oder dessen Umfeld." (S. 25)

Mit dieser Bemerkung lanciert der SV eine Negativsicht auf den Vater, die noch nicht einmal von der Mutter dargelegt worden ist. Im Gegenteil, der SV zitiert sie mit den Worten: "Z hätte sicherlich auch Spaß bei seinem Vater. Ihr Ehemann würde auch gut mit Z umgehen." (S. 5)

 

Die Konstruktion eines Kindeswillen durch den SV hinsichtlich der vom Gericht gestellten Fragen ist spekulativ. Dettenborn und Balloff geben an, dass ab dem dritten Lebensjahr dem Kindeswillen familienrechtlich Gewicht zukommen könnte. Felder und andere geht davon aus, dass dies erst mit dem zweiten Lebensjahrzehnt geschehen könne (vgl. Flammer 2003, S. 9/10).

Die Konstruktion des SV, die außerdem auch in sich nicht überzeugen kann, ist daher zurückzuweisen.

Der SV präsentiert dann ein ideologisches Konstrukt: "Ein 2-jähriges Kind muss jedoch wissen, wo sich sein Lebensmittelpunkt befindet." (S. 26.)

Ein 2-jähriges Kind hat erst einmal gar keine rationalen Vorstellungen von einem Lebensmittelpunkt. Das Kind hat immer da seinen augenblicklichen Lebensmittelpunkt, wo es sich sicher und geborgen fühlt, dies ist offenbar bei beiden Eltern gegeben. Eine Zuteilung zu einem Elternteil ist daher überflüssig. Was Not tut, ist dass beide Eltern sich als Vater und Mutter gegenseitig respektieren, dann kann es auch das Kind bei beiden gut haben.

Es geht nicht um einen häufigern Wechsel wie der SV dann unterstellt: "Die beiden Elternpersönlichkeiten sind zu unterschiedlich ... als dass Z ein häufigerer Wechsel zwischen den Bezugsumgebungen zugemutet werden könnte." (S. 26)

Es geht nicht um häufigere Wechsel, weder dann, wenn der Sohn schwerpunktmäßig beim Vater leben sollte, noch im anderen Fall, wenn der Sohn längere Zeiträume, z.B. vierzehntägig Freitag bis Montag beim Vater ist. In beiden Fällen, findet ein Wechsel wie bisher nur im vierzehntägigen Rhythmus statt.

"Bei der Mutter wird Z auch erzogen. Im Umfeld der Mutter werden Z Grenzen gesetzt, er wird gefördert und es wird ihm eine soziale Orientierung gegeben.", behauptet der SV (S. 26/27) und diese Behauptung kann man auch auf den Vater ausdehnen, dem vom SV durch Stillschweigen indirekt unterstellt wird, er würde seinen Sohn nicht erziehen. Natürlich erzieht auch der Vater in der wenigen Zeit, die ihm bisher dafür zur Verfügung steht und es ist zu hoffen, dass er zukünftig mehr Zeit als bisher dafür haben wird.

 

 

8. Stellungnahme zur Fragestellung

Die abschließende Behauptung des SV, die Mutter wäre "die zentrale Bezugsperson" für Z (S. 27), ist schlichtweg irreführend. Auf Grund der wenigen Zeit, die die Mutter dem Vater und seinem Sohn einräumt, kann es gar nicht anders sein, dass die Mutter zur Zeit wesentliche Aufgaben für den Sohn übernimmt. Das ist aber nicht identisch mit der Bedeutung von Mutter und Vater für den Sohn. Der Vater vermag sehr wohl eine gleichwertige Bedeutung wie die Mutter im Leben seines Sohnes einzunehmen. Dafür muss ihm aber, gegebenenfalls auch gerichtlich die Möglichkeit eingeräumt werden.

Der Vater ist keine "ergänzende Bezugsperson", wie der SV gönnerhaft meint (S. 27), sondern ebenso wichtig wie die Mutter. Man muss dem Vater allerdings auch die Gelegenheit dazu geben und ihn nicht als Besuchspapa in die Zwergenrolle drängen.

Die Behauptung des SV, "die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts dürfte sich bei diesen beiden Kindeseltern sehr schwierig gestalten" (S. 28) zeugt zum einen von seiner herablassenden Art den Eltern gegenüber: "bei diesen beiden Kindeseltern". Zum andern unterlässt es der SV, die Eltern auf die Möglichkeiten von Familienberatung hinzuweisen, mit deren Unterstützung es ihnen gelingen kann, eventuelle Krisen und Konflikte zu bewältigen.

 

 

 

...

 

 

 

Peter Thiel, 24.06.2003

 

 

 

 

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