Stellungnahme zum Gutachten des Diplom-Psychologen Simeon Kiotsoukis vom 10.01.2006 und zum Beschluss des Amtsgerichtes Duisburg-Ruhrort vom 17.03.2006
Familiensache: X (Mutter) und YY und YX (Großeltern)
Kind: A (Junge) geboren: ....1996
Amtsgericht Duisburg-Ruhrort
Geschäftsnummer: ...
Erarbeitung der Stellungnahme durch Peter Thiel
...
Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das oben genannte 59-seitige schriftliche Gutachten vom 10.01.2006 und den fünfseitigen Beschluss des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 17.03.2006.
Gerichtliche Fragestellung laut Beschluss vom 29.07.2005:
„Zu der Frage, ob ein Umgangsrecht der Großeltern zu dem Kind A dem Wohl des Kindes dient und wie das Umgangsrecht gegebenenfalls auszugestalten ist, soll ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt werden. Der Sachverständige soll auch zu der Behauptung der Großeltern Stellung nehmen, dass der Umgang des Kindes mit den Großeltern ganz wesentlich das Kindeswohl fördert und ein Ausschluss des Umgangsrechts das Kindeswohl gefährdet.“
I. Vorbemerkung
Der Unterzeichnende schließt die Möglichkeit nicht aus, dass der Gutachter Herr Simeon Kiotsoukis auf Grund eigener Betroffenheit und Verstrickung mit den Großeltern Y, insbesondere mit der Großmutter, befangen sein könnte. So schildert der Gutachter die Großmutter als unnachgiebig, rechthaberisch und fanatisch (S. 59). Diese vom Gutachter vorgetragenen Phänomene sind der sozialen Arbeit bekanntlich nicht fremd und resultieren in der Regel aus symmetrischen Eskalationen zwischen Fachkraft und Klienten her. Den Fachkräften gelingt es in solchen Fällen oft nicht, die notwendige und angemessene professionelle deeskalierende Haltung zu bewahren, so dass es schließlich dazu kommt, was die Fachkraft dann einseitig als alleiniges Problem des Klienten beschreibt.
Fachlich angemessen ist in solchen Fällen die Inanspruchnahme von Supervison durch die Fachkraft um die eigenen Anteile an dem Konflikt u erkennen und nach Auswegen aus dem entstandenen maliginen Clinch (Arist von Schlippe) zu suchen.
Vergleiche hierzu:
von Schlippe, Arist: "Familientherapie im Überblick. Basiskonzepte, Formen, Anwendungsmöglichkeiten", Junfermann-Verlag, 1995, S. 49
Rohde, Rudi; Meis, Mona Sabine; Bongartz, Ralf: „Angriff ist die schlechteste Verteidigung“; In: „MulitMind. NLP aktuell. Zeitschrift für professionelle Kommunikation“, 2/2003, S. 31-34
Gelingt der betreffenden Fachkraft trotz Selbstreflexion, Supervision oder Intervision eine solche Deeskalation nicht, so sollte sie den Auftrag in der Regel an eine andere Fachkraft abgeben, da eine unbefangene Einstellung zum Klienten nun faktisch nicht mehr möglich ist.
Vergleiche hierzu:
Mäulen, Bernhard: "Narzisstisch gestörte Ärzte. Tyrann und Mimose: Halbgott in Weiß.", In: "Fortschritte der Medizin", 10/2003
Schmidbauer, Wolfgang: "Wenn Helfer Fehler machen."; Reinbek 1997
Der Gutachter verstrickt sich leider in Widersprüche, wenn er zwar anerkennt, dass der neunjährige Junge "von den Großeltern intensiv betreut und umfassend versorgt" wurde, "sodass er neben seinen Eltern auch zu ihnen eine starke Bindung aufbaute" (S. 57), sich aber gleichzeitig in Gegensatz zu Erkenntnissen der Bindungsforschung setzt, wenn er meint:
"... eine Gefährdung des Kindeswohls ist bei Ausschluss des Umgangs mit den Großeltern nicht erkennbar und belegbar." (S. 56)
Im Gegensatz zur Auffassung des Gutachters gehen wohl fast alle Fachleute, die sich mit Bindungsforschung beschäftigen davon aus, dass Kontaktabbrüche zwischen einem Kind und wichtigen Bindungspersonen, per se kindeswohlgefährdend wirken und nur dann zu rechtfertigen wären, wenn andere Gefährdungsmomente die bei einer Beibehaltung des Kontaktes weit stärkere Kraft entfalten würden, in den Vordergrund treten würden. Dies kann aber wie schon oben ausgeführt durch geeignete Interventionen, wie z.B. Begleiteten Umgang oder begleitende Familienberatung weitestgehend ausgeschlossen werden.
Der Gutachter bleibt im übrigen merkwürdig unklar, wenn er zwar einerseits einräumt, dass Herr Z der leibliche Vater von A sei und dies auch vor dem Jugendamt anerkannt hat (S. 57) gleichzeitig aber schreibt, die Großeltern hätten:
„A ohne Erlaubnis seiner Eltern über seinen leiblichen Vater aufgeklärt und Anstrengungen unternommen, Kontakte zwischen ihm und dem Kind herzustellen.“ (S. 58)
Nun kann man sicherlich fragen, wie es kommt, dass der neunjährige Junge bis dato von seiner Mutter nicht über seinen leiblichen Vater informiert war und ob es dafür Umstände gab, die ein solches Verschweigen gerechtfertigt hätten.
Vergleiche hierzu:
Wiemann, Irmela: "Adoptivkinder wissen genau, wo sie hingehören. Ein Gespräch mit der Familientherapeutin Irmela Wiemann über Bindungen und Ängste in Adoptivfamilien und das Bedürfnis des Kindes, seine Herkunft zu erkunden.“; In: „Psychologie Heute“, 5/1999, S. 32-33
Wiemann, Irmela: "Die Aufklärung von Adoptivkinder über ihre Herkunft im frühen Vorschulalter - kann dies falsch sein?", In: "Pfad", 4/2001, S. 18-22
Wiemann, Irmela: "Wieviel Wahrheit braucht mein Kind?"; Rowohlt Verlag 2001
Das Gutachten und eine darauf aufbauende gerichtliche Entscheidungen sind an den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu messen. Dort heißt es:
§ 1626 BGB
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.
§ 1685 BGB (Umgangsrecht des Kindes mit anderen Bezugspersonen)
(1) Großeltern und Geschwister haben ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient.
(2) Gleiches gilt für enge Bezugspersonen des Kindes, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung). Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Person mit dem Kind länger Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.
(3) § 1684 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.
Der Gutachter trägt vor:
„Angesichts dieser Umstände muss gegenwärtig das Umgangsrecht der Großeltern zu dem Kind A (geb. Y) als nicht dienlich für das Kindeswohl bewertet werden.“ (S. 53)
Der Gutachter benennt zur Begründung seiner Auffassung acht Punkte, wobei sich hier die Frage stellt, inwieweit die Auffassungen des Gutachters begründet sind und ob seiner Ansicht gefolgt werden sollte.
Der Gutachter trägt dann – allerdings recht allgemein formuliert - vor, unter welchen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Umganges passieren könnte:
1. Die Großeltern müssten ihre Einstellung und ihr Handeln auf die Förderung des Wohls beider Enkelkinder. Ausrichten und den Streit mit den Eltern soweit beilegen, dass normaler Umgang möglich wird.
2. Sie müssten das Elternrecht mit allen Implikationen anerkennen und sich jeglicher Einmischung in ihre Erziehungsarbeit enthalten.
3. Sie müssten das Beschenken der Kinder der Kontrolle der Eltern unterstellen und auf Gunstbezeugungen durch direkte Geschenkübergaben verzichten.
4. Sie müssten Vereinbarungen mit den Eltern strikt einhalten und eigene Interpretationen unterlassen.
5. Bei der Ausgestaltung der Umgangskontakte müssten sie auf sinnvolle und zumutbare Forderungen der Eltern eingehen und nicht auf die Einhaltung formaler Rechtspositionen bestehen.
Der Gutachter trägt dann vor, dass Frau Y, die Mutter von A und ihr Ehemann Herr Y, bereit wären, ihre Zustimmung zu regelmäßigen Umgangskontakten der Großeltern zu geben, wenn die Gewähr vorhanden wäre, dass die o.g. Voraussetzungen erfüllt werden (S. 54).
Nun bleibt allerdings unklar, wie der Gutachter im Vorhinein feststellen will, dass eine solche Gewähr besteht. Generell kann niemand eine solche Gewähr im Voraus leisten, da menschliches Verhalten nicht deterministisch bestimmt werden kann, wie offenbar der Gutachter meint, sondern situativ. Von daher ist der Vortrag des Gutachters sicher relativ wertlos. Pragmatisch ist allerdings zu überlegen, wie eine möglichst große Sicherheit geschaffen werden kann, dass die vom Gutachter genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Dies geschieht erfahrungsgemäß durch die Installation einer angemessenen fachlichen Begleitung der Umgangskontakte, bzw. familienberaterisch unterstützter Gespräche zwischen der Mutter und ihrem Ehemann auf der einen und den Großeltern auf der anderen Seite. Dazu liegen vielfältige fachlich Erfahrungen vor:
Alberstötter, Ulrich: "Hocheskalierte Elternkonflikte - professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle"; In: "Kind-Prax", 03/2004, S. 90-99
Conen, Marie-Luise (Hrsg.): "Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie"; Carl-Auer-Systeme Verlag 2002
Johnston, Janet R.: "Modelle fachübergreifender Zusammenarbeit mit dem Familiengericht in hochkonflikthaften Scheidungsfamilien", In: "Das Jugendamt" 9/2002, S. 378-386
Füchsle-Voigt, Traudl: "Verordnete Kooperation im Familienkonflikt als Prozess der Einstellungsänderung: Theoretische Überlegungen und praktische Umsetzung", In: "Familie, Partnerschaft, Recht", 2004, Heft 11, S. 600-602
Spindler, Manfred: "Begleiteter Umgang bei hochkonflikthafter Trennung und Scheidung", In: "Kind-Prax", 2/2002, S. 53-57
Terlinden-Arzt, Patricia; Klüber, Antje; Westhoff, Karl: "Die Planung Entscheidungsorientierter Psychologischer Begutachtung für das Familiengericht"; In: "Praxis der Rechtspsychologie", Juni 2004, S. 22-31
Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453
Der Gutachter schreibt:
"Die Großeltern müssten ihre Einstellung und ihr Handeln auf die Förderung des Wohls beider Enkelkinder ausrichten und den Streit mit den Eltern soweit beilegen, dass normaler Umgang möglich wird." (S. 53)
Wie denn nun aber die Großeltern den „Streit mit den Eltern“ beilegen können, verrät der Gutachter leider nicht, womöglich fehlt ihm dazu auch die erforderliche Erfahrung. Statt dessen verweist er als Begründung für eine Nichtbefürwortung einer Umgangsregelung für die Großeltern auf ein angeblich vorhandenes
„Das Kindeswohl schädigendes Vorgehen der Großeltern gegen die Kindeseltern, der Nichtberücksichtigung von B (Halbschwester - Anm. P. Thiel) beim Umgangsregelungsantrag, der Verletzung von Vereinbarungen beim ersten Kontaktversuch und der Verweigerung von Kompromissbereitschaft beim Vermittlungsversuch des Gutachters sowie weiterer, im Gutachten diskutierter Gründe“ (S. 59)
Hierzu verweisen wir indes noch einmal auf die vielfältigen fachlichen Interventionen, die sowohl den kindeswohlförderlichen Kontakt zwischen Enkelkind und Großeltern sicherstellen können, als auch die notwendige Deeskalation und womöglich auch Aussöhnung zwischen den derzeit noch zerstritten wirkenden Parteien sehr wirksam unterstützen können.
Das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort meint nun offenbar dem Anliegen der Großeltern auf Umgangsregelung durch einen zweijährigen Ausschluss des Umgangs begegnen zu müssen. Von der Frage abgesehen, ob dieser Beschluss möglicherweise auf der Grundlage eines fehlerhaften gutachterlichen Vortrages zustande kam, wäre sicher zu prüfen, ob darüber hinaus Gründe vorliegen, die einen solchen Ausschluss nicht rechtfertigen.
Vergleiche hierzu:
Urteil der 3. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 9.6.2004 - 1 BvR 487/04, veröffentlicht in "FamRZ", Heft 15, S. 1166-1168
Auch mit Hinweis auf die Möglichkeit der Einrichtung eines Begleiteten Umganges hob das Bundesverfassungsgericht einen vorherigen Beschluss zur Aussetzung des Umgangs durch das OLG Rostock auf. Im übrigen stellt sich die Frage, was denn überhaupt in der Zwischenzeit passiert, in der ein Ausschluss des Umganges beschlossen ist. In der Regel werden die Betroffenen ohne Hilfe und Unterstützung gelassen und nach Ablauf der angeordneten Ausschlusszeit ist noch immer alles beim Alten und der Umgang würde dann erneut ausgeschlossen werden.
Vergleiche hierzu:
Karle, Michael; Klosinski, Gunther: "Ausschluss des Umgangs - und was dann?", In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 9/2000, S. 343-347
Das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort verwendet allerdings wohl eine unzutreffende Formulierung, wenn es schreibt:
„Das Umgangsrecht der Großeltern war zeitweise auszuschließen.“ (S. 4).
Das Oberlandesgericht Hamm spricht jedoch bei einem zweijährigen Ausschluss von einem Ausschluss „für längere Zeit“
OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.1998 – 7 UF 270/98, veröffentlicht in: „Zentralblatt für Jugendrecht“, 10/1999, s. 398-399
Peter Thiel, 18.04.2006
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Literatur:
Alberstötter, Ulrich: "Hocheskalierte Elternkonflikte - professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle"; In: "Kind-Prax", 03/2004, S. 90-99
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Watzlawick, Paul: "Die erfundene Wirklichkeit". Wie wir wissen, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus", 1985, Piper Verlag, München
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Westhoff, Karl; Patricia, Terlinden-Arzt; Klüber, Antje: "Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das Familiengericht"; Springer Verlag, Berlin 2000
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Zettel, Günther: "Sachverständiger und Gericht. Fehlerquellen bei der Zusammenarbeit im Zivilprozess", In: "Neue Justiz", 2/2000
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