Stellungnahme zum Gutachten des Diplompsychologen Ralf Rieser vom 01.06.2001
Familiensache X ./. X ,
Geschäftsnummer 48 F 144/00
Tochter: A
Beweisbeschluss des Amtsgerichts Freiburg
Richter ...
vom 22.12.2000
"Über die Frage, wie die Bestimmung des Aufenthaltes von A für das Kindeswohl am besten geregelt werden kann, soll von Amts wegen Beweis erhoben werden durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens"
A. Allgemeines
....
Neben den nachfolgend besprochenen ... Fehlern des Gutachtens, liegt der wichtigste Schwachpunkt des Gutachtens nach Ansicht des Unterzeichnenden darin, dass der Gutachter offensichtlich nur zwei Antwortmöglichkeiten auf die Beweisfrage des Gerichtes gesehen hat. Nämlich, in der Fixierung auf das sogenannte Residenzmodell, nur die zwei Möglichkeiten Lebensmittelpunkt bei Mutter oder Vater. Die Möglichkeit der Beibehaltung des praktizierten Wechselmodells wird vom Gutachter nicht diskutiert, geschweige denn in Erwägung gezogen. Maßgabe des Gerichtes ist jedoch die Frage wie die Bestimmung des Aufenthalts "für das Kindeswohl am besten geregelt werden kann".
Der Gutachter hat damit offenbar seine Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen.
vergleiche hierzu:
"Moderator Gericht. Kooperation oder Delegation im gerichtlichen Verfahren", Lutz Bode, Familienrichter, AG Chemnitz, in "Kind-Prax" 5/2001, S. 143".
Die hier vorgelegte Stellungnahme stützt sich neben anderen genannten Quellen auch auf den Aufsatz:
"Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren", Prof. Dr. rer.nat. Wolfgang Klenner in: FamRZ 1989,Heft 8
der hier nachfolgend auszugsweise zitiert wird. Der Gesamttext ist als Anlage beigefügt:
"Bei Untersuchungsfehlern 1. Grades kann nicht mehr von einer wissenschaftlich exakten Leistung gesprochen werden; das Gutachten ist nicht zuverlässig, Liegen Untersuchungsfehler 2. Grades vor, kann die Zuverlässigkeit der Ergebnisse immerhin noch durch Nachbesserung innerhalb der Mängelgewähr hergestellt werden.
Untersuchungsfehler 1. Grades
Wird diese Fehlerart angetroffen, ist das Gutachten zu verwerfen. Es ist davon auszugehen. der Sachverständige habe damit bereits seine Bestleistung erbracht. mehr sei von ihm nicht zu erwarten. Die zur Fehlerberichtigung erforderliche andere Konzeption des Textes setzt in der Regel ein neues Sachverständigengutachten nach § 412 ZPO voraus.
1. Zwischen Beweisfrage und Antwort gibt der Text lediglich das Verhalten und das Aussageprotokoll der untersuchten Personen wieder, verbunden mit eingestreuten Bewertungen - oft unzutreffenderweise als "Befund" bezeichnet -, um danach unvermittelt die Empfehlungen zu geben.
Wegen der fehlenden psychologischen Interpretation ist dieser Gutachtenabschnitt un-erheblich, je mehr Tatsachen mitgeteilt werden, die nichts mit der Beweisfrage zu tun haben, um so weniger ist dem Sachverständigen zuzutrauen, er könne den Kern des Familienproblems erfassen. Außerdem begibt sich ein Sachverständiger, der schriftlich ausplaudert, was ihm bei seinen Explorationsgesprächen zu Ohren kam, in die Gefahr, mit § 203 StGB zu kollidieren Dieser Fehler ist die Kehrseite der Standards 3 bis 6
2. Angewandte psychodiagnostische Tests sind zwar nach Maß und Zahl ausgewertet, aber eine Erklärung, was die Testergebnisse bedeuten (Test-lnterpretation), fehlt. Oft stehen die Tests isoliert und zusammenhangslos im Text, der auf den Leser den Eindruck von etwas Zusammengestückeltem macht. Dieser Fehler ist die Kehrseite von Standard 2
3. ...
4. Statt wissenschaftspsychologisch begründeter Tatsachen gibt der Gutachtentext persönliche, subjektive Eindrücke. Meinungen oder Deutungen des Sachverständigen wieder.
In die gutachterlichen Schlußfolgerungen aus den Untersuchungen gehen, als Fehlererkennungsmerkmal, solche Floskeln ein wie `.. habe den Eindruck .", "nach meiner Meinung ...` oder `.. bin überzeugt, daß ...`. Weil der Sachverständige nicht Prozeßbeteiligter ist, werden nicht seine Meinungen zu dem Rechtsverfahren erwartet, sondern der Wahrheitsfindung dienende beweisrelevante Tatsachen Dieser Fehler ist die Kehrseite von Standard 7.`
Untersuchungsfehler 2. Grades
Diese Fehlerart kann durch Nachbesserung berichtigt werden. Anders als bei den Untersuchungsfehlern 1. Grades ist kein neues Gutachten erforderlich. Gehen allerdings die unberichtigten Fehler 2. Grades In die Schlußfolgerung des Gutachtens mit ein, ist auch dessen Zuverlässigkeit in Frage gestellt.
1. An Stelle der psychologischen Aspekte der aktuellen Familiensituation werden Schriftsätze aus den Gerichtsakten wiederholt oder gar abgeschrieben.
Dabei handelt es sich um bereits gerichtsbekannte Informationen oder um solche. die das Gericht auch ohne einen Sachverständigen erlangen könnte, während die erwartete wissenschaftspsychologische Leistung ausbleibt. Dieser Fehler kollidiert mit Standard 3.
2. ...
3. Das Gutachten bringt - meistens gegen Ende des Textes `Thesen` ohne Begründung,
Eine als wissenschaftlich geltende Aussage (These) ist soviel wert wie ihre Begründung. Zuweilen ist es möglich, die Begründung der Thesen aus dem übrigen Gutachtentext Zusammenzusuchen - eine unzumutbare Forderung Dieser Fehler kollidiert mit Standard 7
4. In dem Text sind die aus psychologischer Sicht zur Wahl stehenden Alternativen "zum Schutz von Wachstum und Entwicklung des Kindes" (Goldstein u. a. 2a)) nicht herausgearbeitet
Damit verfehlt das Gutachten seine Aufgabe als Entscheidungshilfe. Meistens ist es vorzeitig Im Stadium der Hypothesenbildung abgeschlossen. Dieser Fehler kollidiert mit Standard 7
5. Die in die Antwort auf die Beweisfrage eingehenden Empfehlungen werden allein auf die Bindungen des Kindes in den Zweierbeziehungen zu Eltern, Geschwistern oder weiteren Beteiligten reduziert, unter Vernachlässigung der Konsequenzen für die ganze Familie.
Nach heutiger psychologischer Erkenntnis bedarf die der Psychoanalyse entstammende Bindungstheorie der Ergänzung durch die der Ganzheitspsychologie nahestehende Systemtheorie. Auf den akademischen Streit von Bindungstheorie und systemischer Sicht, auf der einen Seite vertreten durch Lempp und auf der anderen Seite durch Fthenakis (2b) wollen wir uns gar nicht erst einlassen. Denn Bindungen und familiäres System zwischenmenschlicher Beziehungen sind so ineinander verschachtelt, daß das, was einem Teil widerfährt, das Ganze berührt.
... Dieser Fehler kollidiert mit Standard 3 und 7
6. ...
IV. Fehlerauswertung
Bei der Auswertung werden zweckmäßigerweise zuerst die acht Standards an Hand der Gliederung des Gutachtentextes überprüft. Dabei ist, wenn alle Standards erfüllt sind, eine andere Reihenfolge (Gliederung) auf Grund der Freiheit des Sachverständigen bei der Textgestaltung zu tolerieren. Nicht erfüllte Standards werden vermerkt und den Untersuchungsfehlern 1. und 2 Grades zugeschlagen,
In einem zweiten Schritt wird der Text auf die vier Untersuchungsfehler 1 Grades überprüft. Dabei wird sich als Kontrolle ergeben, daß ein jeder Fehler bereits durch die Nichterfüllung einzelner Standards angezeigt wurde. Ein solches fehlerhaftes Gutachten, wollte man es als Entscheidungshilfe verwenden, würde sich als höchst unzuverlässiges Beweismittel erweisen
Drittens wird der Gutachtentext auf Untersuchungsfehler 2. Grades überprüft. Wo sie aufgefunden werden, sollte der Sachverständige zur Nachbesserung aufgefordert werden Denn diese Fehler sind nicht etwa weniger schwerwiegend, sie lassen sich lediglich korrigieren, ohne das Gutachten völlig neu konzipieren zu müssen. Ohne Nachbesserung ist ein solches Gutachten allerdings nicht brauchbar."
Zitatende
Klenner folgend finden sich im vorliegenden Gutachten offenbar Untersuchungsfehler 1. und 2. Grades.
B. Darstellung der einzelnen Kritikpunkte
1. Im vorliegenden Gutachten des Diplompsychologen Rieser mit insgesamt 76 Seiten (Seitennummerierung im Gutachten fehlt) wird im Kopfteil durchgängig die Beschriftung "Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie GWG" verwendet. Dies lässt vermuten, dass nicht Herr Rieser mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt wurde, sondern eine "Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie GWG". Abgesehen davon, dass an keiner Stelle die Postanschrift der "GWG" angegeben ist, man also vermuten könnte, dass es sich um eine fiktive Gesellschaft handelt.
Richtig ist indes, dass nur Einzelpersonen, nicht aber Gesellschaften o.ä., als Sachverständige gemäß § 404 ZPO beauftragt werden können
vergleiche hierzu:
"Das Sachverständigengutachten im familiengerichtlichen Verfahren", Heumann, "Familie und Recht", FuR, 1/2001, S. 17
"Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass grundsätzlich nur eine natürliche Person Sachverständiger sein kann, nicht aber eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts. Bestellt das Gericht ein Institut zum `Sachverständigen` ist diese Bestellung fehlerhaft."
Es ist zu vermuten, dass der zuständigen Richter nicht eine "GWG Freiburg", sondern Herrn Rieser mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt hat. Die durchgehende Markierung des Gutachtens mit dem Titel "GWG" ist daher irreführend und suggestiv, da der nicht sachkundige Laie vermuten dürfte, dass das Gutachten letztlich durch eine Gesellschaft und nicht durch Herrn Rieser erstellt wurde. Es könnte vermutet werden, dass dadurch das Gewicht des Gutachtens, insbesondere die abschließende Stellungnahme eine Aufwertung erfahren soll, die sich nicht aus dem Inhalt, sondern aus inhaltsfremden "Argumenten" speist.
Es steht Herr Rieser selbstverständlich frei, dem Gericht mitzuteilen, in welchen Gesellschaften er Mitglied ist oder welche besonderen Qualifikation er hat, um die Tätigkeit eines psychologischen Sachverständigen verantwortungsvoll ausführen zu können.
2. Auf dem Deckblatt des Gutachtens finden sich die Zeilen: "Auftrag des Familiengerichts. Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes"
Dies stimmt jedoch nicht mit der Beweisfrage des Gerichtes überein:
"Über die Frage, wie die Bestimmung des Aufenthaltes von A für das Kindeswohl am besten geregelt werden kann, soll von Amts wegen Beweis erhoben werden durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens"
Der Auftrag an den Sachverständigen lautet keineswegs "Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes". Solch eine Regelung kann, so vonnöten, selbstredend nur das Gericht selbst treffen, nicht aber ein Sachverständiger.
Infrage kommen, soweit ersichtlich, letztlich drei Antworten auf die Frage des Gerichtes:
1. Lebensmittelpunkt bei der Mutter
2. Lebensmittelpunkt beim Vater
3. Beibehaltung der bisherigen Praxis der zwei gleichwertigen Lebensmittelpunkte von A.
Die hierzu vorliegende Fachdiskussion (Wechselmodell- Residenzmodell), die davon geprägt ist, über derzeit keine gesicherten Erkenntnisse zu Vor- und Nachteilen beider Modelle zu verfügen
vergleiche dazu:
AG Hannover, Beschluss vom 13.10.2000 - 608 F2223/99 SO, veröffentlicht in: "Der Amtsvormund" 11/2000, S. 991-998, auch in: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht" 2001, H 13, S. 846-848
wird vom Gutachter an keiner Stelle auch nur gestreift. Nicht zuletzt dadurch hat die abschließende Stellungnahme (Empfehlung) des Gutachters unter Berücksichtigung des Kindeswohls wohl keinen auf die Frage des Gerichtes bezogenen Wert.
3. Auf Seite 5 wird als eine der bei der Erstellung des Gutachtens verwandten Methoden genannt:
"Auswertung des interventionsorientierten Begutachtungsverlaufes und des Kooperationsverhaltens beider Elternteile unter psychologischen Gesichtspunkten"
Bedauerlicherweise ist trotz eines behaupteten interventionsorientierten Begutachtungsverlaufes darüber - so weit vom Unterzeichnenden zu sehen - an keiner Stelle des Gutachtens etwas in Erfahrung zu bringen.
vergleiche hierzu:
"Die Rolle des psychologischen Gutachters nach Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechtes", Schade/Friedrich in: "Familie, Partnerschaft, Recht", 5/1998, S. 237-241
Ein interventionsorientiertes Vorgehen hätte spätestens in 4.3.5 und 4.4.5 "Vorstellungen zur Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes" passieren können, der Gutachter hat sich aber bedauerlicherweise darauf beschränkt, nachzufragen, wie es denn wäre, wenn A ihren Lebensmittelpunkt beim jeweils anderen Elternteil hätte.
4. Im Kapitel 3. Vorgeschichte wird auf 9 Seiten (Seite 6-14) die dem Gericht bereits bekannte Aktenlage referiert. Es ist aber nicht Aufgabe des Sachverständigen dem Gericht die diesem natürlicherweise bekannte Aktenlage wiederzugeben., sondern die zur Beantwortung der Beweisfrage nötigen Ermittlungen anzustellen. Ganz abgesehen davon, dass die betroffenen Eltern ein Recht darauf haben, die ihnen aus der Erstellung des Gutachtens entstehenden Kosten möglichst gering zu halten.
Dazu Klenner: "Ein bloßes, seitenfüllendes Abschreiben der Gerichtsakten ist keine wissenschaftspsychologische Leistung und genügt deswegen nicht."
Klenner "Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren", FamRZ 1989, Heft 8, S. 805
auch Uwe-Jörg Jopt: ""Im Namen des Kindes", Rasch und Röhring, 1992, S. 254ff
II. Spezielle Kritik
zu 4. Psychologische Untersuchung
Seite 15:
Herr Rieser schreibt: "Am 10.01.2001 gingen die Akten in der Familiensache X ./. X bei der GWG Freiburg ein."
Entweder hat das Gericht fälschlicherweise die Akten an eine "GWG Freiburg" geschickt, statt an den beauftragten Herrn Rieser oder man muß vermuten, die Formulierung soll wiederum den Eindruck erwecken, dass eine Gesellschaft mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt wäre.
Es wird mitgeteilt, dass Frau Bührer, eine Kollegin von Herr Rieser, ein Explorationsgespräch mit der Ehefrau des Vaters ... führte. Dies dürfte nicht zulässig sein.
Dazu Schorsch:
"Sachverständige und ihre Gutachten" in: "Kriminalistik", 3/2000, S. 176f.: "Übersehen wird, dass es durch die Einschaltung von Hilfspersonen zu versteckten Einflüssen auf Gutachten kommen kann, was unzulässig ist. ... . Analysen und Tätigkeiten, die das Gutachtenergebnis unmittelbar beeinflussen, weil sie bewertend sind, sind nicht delegierbar. ... . Schließlich versichern sie, dass sie das Gutachten nach ihrem besten Wissen und Gewissen erstellten und nicht Dritte."
Ein Explorationsgespräch mit der Ehefrau des Vaters ist aber mit Sicherheit keine Tätigkeit, die einer Hilfsperson, auch wenn sie Psychologin ist, überlassen werden darf. Herr Rieser gibt auch keine Begründung für die von ihm gewählte Form der Aufgabendelegierung an.
"Am 01.02.2001 meldete sich Herr X telefonisch bei der GWG" (Gutachten S. 15).
Entweder hat sich Herr X bei dem beauftragten Gutachter Herrn Rieser gemeldet oder irrtümlich bei der "GWG". In letzteren Fall hätte, Herr Rieser Herrn X darauf aufmerksam machen müssen, dass nicht die "GWG" beauftragt ist, sondern er selbst in Person.
"Am 02.02.2001 fand ein themenzentriertes Explorationsgespräch mit Frau Dr. ... ... statt. ..." (S. 16).
Hier fehlt die Benennung ob Herr Rieser oder Frau Bührer das Gespräch wahrgenommen hat. Nach der oben genannten Beauftragung von Frau Bührer für ein Gespräch mit ... durch Herrn Rieser, müsste dies sicher klar gestellt werden.
Seite 17:
Am 1.3.2001 habe ein längeres Gespräch mit dem Lebensgefährten der Mutter stattgefunden. Offen bleibt auch hier, wer dieses Gespräch geführt hat, Herr Rieser oder Frau Bührer. Auch für den 6.3.2001 bleibt offen, wer das Gespräch mit dem Klassenlehrer Herrn ... geführt hat.
"Am 13.3.01 ... . A habe sie gebeten den Sachverständigen mitzuteilen sie wolle nicht mehr mit ihnen sprechen"
Wieso den Sachverständigen, das Gericht hat nur einen Sachverständigen eingesetzt und diesem steht es nicht zu von sich aus noch einen zweiten Sachverständigen zu "berufen". Hier wäre zu prüfen, ob das Gericht die durch die eigenmächtige "Berufung" von Frau Bührer durch Herrn Rieser möglicherweise zusätzlich in Rechnung gestellten Kosten übernimmt.
"Am 21.03.01 führte Frau Bührer diesen Explorationstermin mit A in den Räumen der GWG durch."
Auch hier wieder die Delegierung einer dem Gutachter obliegenden Tätigkeit an eine nicht vom Gericht beauftragte Person.
"In diesem Zeitraum meldete sich am 17.04.2001 die Mutter nochmals telefonisch bei der GWG, um mitzuteilen, dass es bei der Kindesübergabe am Ostersonntag zu Schwierigkeiten gekommen sein. ..."
Welchen Wert diese Mitteilung und seine Referierung für das Gutachten haben soll, bleibt an dieser Stelle offen. Oder sollte damit darauf hingewiesen werden, dass der Vater möglicherweise unzuverlässig sei?
S. 19:
"Dieser Brief von A lag dem Schreiben von Frau ... bei. A brachte darin klar zum Ausdruck, dass sie bei der Mutter leben wolle."
Auf Seite 74 stellt der Gutachter jedoch fest:
"Es konnte kein eigener, genuine Kindeswille bei A erhoben werden. Es gibt einige Belege dafür, dass A´s verbal geäußerter Kindeswillen nicht eigenbestimmt ist."
Hier bleibt der Gutacher aber die Belege schuldig. Vor dem Lichte letzterer Feststellung wäre es angebracht gewesen, auf den vorhergehenden Brief von A einzugehen und ihn möglicherweise auch dem Gericht in Kenntnis zu bringen.
"... A konnte den Fragen und Anweisungen der Sachverständigen gut folgen. "
Auch hier wieder die Suggestion, es wären zwei Sachverständige statt einer vom Gericht beauftragt worden.
Konsequent wird dies weitergeführt, in dem nicht der Beauftragte Herr Rieser das Gespräch mit dem Klassenlehrer führt, sondern seine Kollegin Frau Bührer. Ob sich hier der Klassenlehrer einer Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, indem er vermutlich ohne Zustimmung der Eltern über Belange des Kindes mit einer nichtauskunftsberechtigten Person gesprochen hat oder aber Frau Bührer, die sich beim Lehrer möglicherweise als vom Gericht beauftragte Sachverständige vorgestellt hat, muss hier offen bleiben.
S. 20:
"A erzähle nichts von der familiären Situation zuhause, nur von ihrer ´Stiefschwester´ B erzähle sie gerne."
Hier bleibt offen, warum Herr Rieser den Begriff Stiefschwester in Anführungszeichen setzt. Will er ihr diesen Status, den sie definitionsgemäß hat, nicht zubilligen?
Festzuhalten bleibt, dass hier das gute Verhältnis zwischen A und ihrer Stiefschwester B , wie auch an späteren Stellen bekannt wird. Dies findet sich aber in der abschließenden Stellungnahme des Gutachters nur hinsichtlich
"eines sehr umfangreichen Umgangs ... mit dem Vater"
wieder, wobei über die Frage, was der Gutachter unter einem sehr umfangreichen Umgangsrecht versteht, Schweigen gewahrt wird. Dabei wäre die Beantwortung aus psychologischer Sicht, für den entscheidenden Richter sehr hilfreich gewesen, korrespondiert sie doch mit der Frage " wie die Bestimmung des Aufenthaltes von A für das Kindeswohl am besten geregelt werden kann".
"Mit Frau Dr. ... führten die Sachverständigen ..."
Hier wieder die Suggestion zweier vom Gericht beauftragter Sachverständiger.
S. 21:
Frau Dr. ... wird mit der Ansicht zitiert: "A spüre ihre eigene innere Ambivalenz zwischen den emotionalen mütterlichen und eher rationalen väterlichen Anteilen."
Ein Nachweis worin denn die "emotionalen mütterlichen Anteile und eher rationalen väterlichen Anteile" beständen, wird nicht erbracht. Es kann angenommen werden, dass diese Äußerung eher auf tradierten ideologischen Vorurteilen basiert, denn auf wahrnehmbaren Fakten. Das Gericht hat sich aber in seiner Entscheidungsfindung nicht auf unbewiesene Annahmen zu beziehen.
Interessant, dass A hier nun mit der Ansicht zitiert wird, sie tendiere zu einem zuhause, das eher beim Vater liegen solle und die Mutter häufig "an zweiter Stelle" stehen würde. In der abschließenden Stellungnahme des Gutachters wird aus dieser Willensbekundung von A der entgegengesetzte Schluss gezogen - das Kind soll zur Mutter.
Zu 4.2.1 Interaktionsbeobachtungen
... Hausbesuch bei der Mutter.
Auch hier wieder irreführend die Angabe zweier tätiger Sachverständiger. Dies setzt sich fort auf S. 23 ... Hausbesuch beim Vater
Hier wieder die falsche Angabe, die "Sachverständige" Frau Bührer hätte sich mit Frau X unterhalten. Da Frau Bührer im vorliegenden Verfahren nicht beauftragt ist, kann sie auch gegenüber Frau X nicht als Sachverständige auftreten.
... in den Räumen der GWG
S. 24: Der Gutachter versäumt es, zu erläutern, mit welcher Zielsetzung hinsichtlich des Auftrages des Gerichtes an den Gutachter, die "standardisierte Spielsituation ... LÜK-Übungskasten" eingesetzt wird. Die bloße Mitteilung "Hierdurch wurden Daten darüber erhoben, wie sich die Interaktion zwischen Kind und Elternteil in einer Spiel-/Lernsituation gestaltet ..." bringt da keine Erkenntnis. Schließlich lautet die Frage des Gerichtes:
"Über die Frage, wie die Bestimmung des Aufenthaltes von A für das Kindeswohl am besten geregelt werden kann, soll von Amts wegen Beweis erhoben werden durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens"
nicht jedoch, welcher Elternteil welche Frustrationstoleranz, bzw. welche Motivationsbefähigung hat.
"Spiel" wird übrigens definiert als "Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck, aus Vergnügen an der Tätigkeit als solcher, bzw. an ihrem Gelingen vollzogen wird und stets mit Lustempfindungen verbunden ist." (Meyers Grosses Taschenlexikon1981) Davon kann aber in der vom Gutachter arrangierten Situation sicher nicht die Rede sein.
Der Vorschlag des Gutachters an Mutter, Kind und Vater mit Lego ein "Traumhaus" zu bauen, erinnert fatalerweise an eine versteckte Aufforderung des Gutachters an Kind und Mutter, beide über ihre familiäre Wunschsituation zu explorieren.
Letztlich lassen sich aber aus den vom Gutachter arrangierten "Spielsituationen" keine Erkenntnisse oder Schlussfolgerungen hinsichtlich der vom Gericht gestellten Gutachterfrage erkennen, auch der Gutachter lässt außer allgemein gehaltenen Formulierungen an keiner Stelle des Gutachtens etwas davon erkennen.
S. 27
Zu 4.2.2. Explorationsgespräche mit A
Anscheinend fanden die Gespräche am 21.3.2001 statt (vgl. S. 18, dort ist allerdings nur von einem Gespräch zwischen Frau Bührer und A die Rede)
Hier sind es nun offenbar zwei Gespräche. Ob es für ein Kind im Alter von 10 Jahren gut ist, hintereinander zwei, sicher nicht ohne Belastung stattfindende Gespräche mit dem Gutachter und mit seiner Assistentin Frau Bührer zu führen, soll hier problematisiert sein. Der Gutachter unterlässt es auch, darüber zu informieren, mit welcher Zielsetzung zwei jeweils getrennte, aber hintereinander stattfindende Gespräche stattfanden.
Interessant, dass A hier wieder ihre Meinung bekundet, beim Vater ihren "Hauptaufenthalt" haben zu wollen. Dies aber vom Gutachter in seinen Schlussfolgerungen letztlich für nicht erwähnenswert hält. Es sei hier dahingestellt, ob die "eindeutigen" Wunschäußerungen A`s , lediglich temporärer Art sind, was nicht verwundern würde.
S. 30
Zu 4.2.3. Testdiagnostik
Zum verwendeten "Family-Relation-Test" äußert sich Leitner kritisch ("Zur Mängelerkennung in familienpsychologischen Gutachten" in "Familie und Recht" (FuR), 2/2000, S. 57-63):
"...
Anmerkungen zum Family-Relations-Test (FRT)
Das zusammen mit dem im Hinblick auf die Gütekriterien völlig unzureichendem Test "Familie in Tieren" (Brem-Gräser, 1995) insgesamt am häufigsten eingesetzte Verfahren, der Family-Relations-Test von Bene und Anthony (1957), ist im Testhandbuch von Brickenkamp (1997) explizit nicht verzeichnet. Seine Spitzenposition in der Rangfolge verdankt das Verfahren insbesondere der Tatsache, daß er in Gutachten der Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie (GWG) ausgesprochen häufig zum Einsatz kommt. Zwölf der insgesamt 16 Anwendungen dieses Verfahrens betreffen solche Gutach-ten. Insbesondere bei diesem Testverfahrens läßt sich erkennen, daß ausgeprägte organisationsspezifische Besonderheiten beim Einsatz bestimmter Tests offenbar kaum von der Hand zu weisen sind.
Auf Grund seiner Häufigkeit in den vorliegenden familienpsychologischen Gutachten sollen zu diesem Testverfahren noch einige ergänzende Anmerkungen gemacht werden:
Beim FRT handelt es sich um ein Verfahren, das in einer Übersetzung von Fläming und Wörner (1977) in Fassungen für vier- bis fünfjährige sowie für sechs- bis elfjährige Kinder vorliegt (vgl. Beelmann, 1995, S. 38). Beelmann referierte und diskutierte bei der Tagung der Fachgruppe Entwicklungspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. in Leipzig im Jahre 1995 "neuere Untersuchungen mit dem Family-Relations Test". Hierbei wurde deutlich, daß die Validität dieses Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs als gesichert gelten kann. Im Rahmen seines Vortrages und der anschließenden Diskussion bezeichnete Beelmann den Umgang mit diesem Verfahren in der diagnostischen Praxis zudem als "haarsträubend" und verwies in diesem Zusammenhang u. a. darauf, daß aus ökonomischen Gründen bei der praktischen Durchführung häufig instruktionsinadäquate Modifikationen vorgenommen werden."
Resümee: Die Anwendung des FRT bringt keine Erkenntnisse hinsichtlich der Notwendigkeit einer Veränderung des praktizierten Wechselmodells und wird auch vom Gutachter in seiner abschließenden Stellungnahme nicht herangezogen.
S. 32.
Familiensystemtest (FAST)
Der Gutachter schreibt::
"Forscher wie Therapeuten sind sich darüber einig, `dass Kohäsion und Hierarchie zwei zentrale Dimensionen für die Beschreibung von Familienbeziehungen sind`"
Der Gutachter weist allerdings leider nicht darauf hin, welche Forscher und Therapeuten sich darüber einig wären. Er hätte hier wenigstens darauf hinweisen müssen, dass es hier um Ansichten aus dem von ihm anschließend benannten Test handelt
siehe auch:
Testbesprechung Gehring, T.M. (1998). FAST. Familiensystemtest. 2. erweiterte Auflage. Göttingen" in: "Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie", 33 (1), 62-64).
Hier macht sich ein durchgängiger Mangel des Gutachters bemerkbar, die von ihm möglicherweise zur Unterstützung herangezogenen Quellen und Autoren nicht zu benennen. Dazu Leitner:
"Ein familienpsychologisches Gutachten sollte auch im Hinblick auf literarische Gestaltungsprinzipien elementare wissenschaftliche Standards erfüllen. So besteht eine unabdingbare Forderung u. a. darin, daß im Gutachten umfängliche Literatur- bzw. Quellenangaben auch über die den Interpretationen zugrundeliegenden Theorien und Konzepte gemacht werden. Wörtliche- oder sinngemäß aus Quellen (Akten, Literatur) entnommene Passagen sind als solche im Text kenntlich zu machen. Ein Gutachten, das solche Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens mißachtet, kann nicht den Anspruch erheben "eine wissenschaftliche Leistung" (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994, S. 8) zu sein, wie dies in den eingangs zitierten Richtlinien der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen für "ein solches Gutachten" (aaO) ausdrücklich gefordert wird."
S. 35.
Interessant die Feststellung, dass sich A "ein Ende dieser Konflikte wünscht, in der sie sich nicht zwischen Vater und Mutter entscheiden muss."
Dies hätte stärkere Berücksichtigung bei der abschließenden Stellungnahme des Gutachters finden können, in dem eben nicht ein Elternteil zur Hauptbezugsperson vorgeschlagen wird und der andere zum "Besuchselternteil". Zumal A an keiner Stelle erkennbar mitgeteilt hat, dass es ihr mit dem praktizierten "Wechselmodell" schlecht gehen würde.
Resümee: Die Anwendung des FAST bringt keine Erkenntnisse hinsichtlich der Notwendigkeit einer Veränderung des praktizierten Wechselmodells und wird auch vom Gutachter in seiner abschließenden Stellungnahme nicht herangezogen.
Zu 4.3. Die Mutter, Frau X
S. 36 - 45
Die neunseitige Darstellung bringt neben interessanten, naturgemäß subjektiv vorgetragenen Details aus der Lebensgeschichte der Mutter keine Hinweise, die zu der vom Gutachter abschließend vorgenommenen Beantwortung der Frage des Gerichtes beitragen (vgl. 6. Stellungnahme und Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung)
Zu 4.3.5. Vorstellungen zur Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes.
S. 41
Der Gutachter suggeriert durch die Überschrift, dass als einzige Möglichkeit der Beantwortung der gestellten Frage des Gerichtes eine explizite Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes (z.B. Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für einen Elternteil) in Frage käme. Die ist nicht richtig, da es natürlich auch andere Möglichkeiten gibt, naheliegend hier die Belassung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechtes der Eltern die Fortsetzung des bisher praktizierten Wechselmodells.
Es ist nicht feststellbar, inwieweit der Gutachter versucht hätte, bei den Gesprächen mit den Eltern über die strittige Frage des Lebensmittelpunktes / der Lebensmittelpunkte eine dem Wunsch des Kindes nach Klarheit entsprechende Einigung herbeizuführen. Siehe auch unsere Kritik zum fehlenden interventionsdiagnostischen Vorgehen.
Zu 4.4. Der Vater, Herr X
Hier trifft das selbe wie eben zur Mutter gesagt zu.
Zu 5.1. Das Kind A
"Da sie versucht es beiden Elternteilen recht zu machen, hat sie das Problem, dass sie beiden sagen muß, sie liebe sie und möchte bei ihnen wohnen. Nur macht sie sich auf diese Art eine Entscheidung immer unmöglicher, ..." (Gutachten S. 56)
Der Gutachter unterstellt, A müsse sich für einen Wohnsitz entscheiden. Dabei zieht er nicht in Erwägung, dass für A und damit letztlich auch für das Kindeswohl die Beibehaltung von zwei Lebensmittelpunkten, die derzeit möglicherweise günstigste Lösung darstellt.
Er legt andererseits auch nicht dar, warum die Zuweisung "eines Lebensmittelpunktes" die für das Kindeswohl bessere Alternative sei. Damit verliert das Gutachten mit seiner abschließenden "Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung" neben den in der hier vorliegenden Stellungnahme angesprochenen ... Mängeln, insgesamt seine Bezugsgrundlage.
Tragischerweise zielt die Empfehlung des Gutachters, dass A ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter haben soll, gerade darauf hin, dass A das Gefühl bekommen muss, einen Elternteil, nämlich den Vater, verraten zu haben, da sie es offenbar nicht verstanden hat, dem Gutachter und dem Gericht klarzumachen, dass sie beide Elternteile gleich gern hat und sich eben nicht für einen Wohnsitz bei der Mutter entscheiden will.
S. 61. Der Gutachter unterstellt, dass der von Laura geäußerte Kindeswille nicht eigenbestimmt ist. Dass dies keine Gewissheit ist, macht der Gutachter auch durch seine Wortwahl "ist davon auszugehen" klar.
Richtig ist indes, dass es ja gerade das Betreben von A ist, sich beide Elternteile, von denen es als Kind von 10 Jahren emotional abhängig ist, als wohlwollend und fördernd zu erhalten. Ihr geäußerter Wille entspricht dem voll und ganz, sie will es jedem Recht machen.
III. Schlussbemerkung und Schlussfolgerung
Den vorgenannt angesprochenen Mängeln im Gutachten folgend, lassen sich im Gutachten erhebliche Fehler feststellen, die es sicher nicht rechtfertigen, dieses in der vorliegenden Form als Entscheidungshilfe für das Gericht zu verwenden.
Der wohl wichtigste Fehler ist der, nicht alle relevanten Möglichkeiten der Beantwortung der Beweisfrage in Betracht gezogen zu haben, sondern offenbar von vornherein nur von der Möglichkeit des sogenannten "Residenzmodells" auszugehen, die naturgemäß nur zwei Antworten zulässt, entweder das Kind lebt beim Vater oder das Kind lebt bei der Mutter.
Dies stellt nach Klenner sowohl einen Untersuchungsfehler 1. Grades dar (Punkt 1.), als auch einen Untersuchungsfehler 2. Grades (Punkt 4.), denn die Beweisfrage "... wie die Bestimmung des Aufenthaltes von A für das Kindeswohl am besten geregelt werden kann ..." schließt ein, alle relevanten, dem derzeitigen Stand der psychologischen Forschung entsprechenden Möglichkeiten zu erörtern, zu untersuchen und zur Entscheidungsfindung heranzuziehen.
Bildlich gesprochen, lässt sich diese Einengung auf das Residenzmodell mit der Empfehlung eines Arztes vergleichen, ein Kind entweder bei 60 Grad Wassertemperatur oder bei 5 Grad Wassertemperatur zu baden, nicht jedoch bei 30 Grad.
Die diagnostisch festgestellten Erkenntnisse bezüglich der Eltern lassen jedoch keine Präferenz auf das eine oder auf das andere Elternhaus zu. Vielmehr scheinen beide Elternhäuser eine qualitativ gute und gleichwertige (nicht zu verwechseln mit gleich) Betreuung und Erziehung des gemeinsamen Kindes zu ermöglichen. Der einzige vom Gutachter benannte Grund für einen Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter, einer vermuteten eingeschränkten Bindungstoleranz des Vaters, kann sicher nicht überzeugen. Richtig ist indes nur, dass der Vater geäußert haben soll, dass er den Umgang Tochter-Mutter unterbinden würde, wenn er das Wohl des Kindes gefährdet sehen würde. Dies wäre sicher nur in einer akuten Gefährdungssituation gerechtfertigt, nicht jedoch bei üblicherweise auftretenden Problem, wo man gegebenenfalls auf die Mithilfe einer Beratungsstelle, des Jugendamtes oder notfalls des Gerichtes zurückgreifen sollte. Aus dieser Äußerung des Vaters aber den Schluss zu ziehen, deshalb das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein der Mutter zuzuordnen, zeugt von einer gewissen Abenteuerlichkeit.
Auch hinsichtlich der von Klenner unter Punkt 2. (Psychodiagnostische Tests) diskutierten Fragen, kann der Gutachter, wie an den entsprechenden Stellen oben dargelegt, nicht überzeugen, denn dann hätte der Gutachter gerade herausfinden müssen, dass das Residenzmodell nicht die für das Kindeswohl bestmögliche Alternative darstellt.
Zu den bei Klenner (Punkt 4) geforderten wissenschaftspsychologisch begründeter Tatsachen, statt "subjektiver Eindrücke. Meinungen oder Deutungen des Sachverständigen" habe ich zum vorliegenden Gutachten bereits an mehreren Stellen deutlich kritisch Bezug genommen.
Der Gutachter Diplom-Psychologe Ralf Rieser hat es nicht vermocht, einen genuinen Kindeswillen in Hinsicht auf einen Lebensmittelpunkt nachzuweisen. Im Gegenteil, der geäußerte Kindeswille einschließlich seiner Schwankungen, lässt genau das Gegenteil, nämlich zwei Lebensmittelpunkte zu haben, erkennen.
Gerade die Unentschiedenheit von A und die Strittigkeit der Eltern (insbesondere aber dem Antrag der Mutter vom 7.06.2000, die das bisher praktizierte Wechselmodell durch ein Residenzmodell bei ihr abgelöst sehen will) hätte für den Gutachter Anlass sein können, den Eltern und ihrer gemeinsamen Tochter A zu empfehlen, sich entweder durch eine geeignete Interventionsform, etwa einer Familientherapie, bei der Entwicklung und Praktizierung eines einvernehmlichen Konzeptes der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung unterstützen zu lassen oder aber es mit einer Empfehlung für die Beibehaltung des bisher praktizierten Wechselmodell durch beide Elternteile zu belassen. Es wäre begrüßenswert, wenn das Gericht dies den Eltern in seinem Beschluss auferlegen würde.
Peter Thiel, Berlin, den 30.10.2001
(überarbeitet am 17.11.2007)
Nachricht des Vaters vom 24.10.2007:
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ...
Gesendet: Mittwoch, 24. Oktober 2007 18:26
An: system-familie
Betreff: AW: ...
Lieber Herr Thiel,
Es freut mich sehr, dass Sie sich noch an mich erinnern. Ich hoffe, es geht Ihnen gut und Ihre Arbeit ist von Erfolg gekrönt ? !
Die Sache hat sich recht gut entwickelt, jedoch nicht in so gut, dass ich sagen könnte, es sei für meine Tochter in den letzten Jahren ein Idealzustand entstanden (es bleibt jedoch fraglich, ob in einer solchen Situation überhaupt ein solcher Zustand erreicht werden kann).
Zum Schluss gab es einen Kompromiss, der vorsah, dass sich meine Tochter zu 60 % bei ihrer Mutter und zu 40 % bei mir aufhält. Die Entwicklung ist dadurch gut verlaufen und aus meiner Tochter, die inzwischen 16 Jahre alt ist, ist eine selbstbewusste und gesunde junge Frau geworden; jedenfalls hat sie sich nicht zu einem typischen Scheidungskind entwickelt.
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Mit freundlichen Grüßen
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