Expertise in der Familiensache



Amtsgericht Krefeld - 66 F 76/19, 66 F 77/19 (Hauptsacheverfahren), 66 F 138/19, 66 F 199/19 und 66 F 30/21 (EA)

Tenhofen - Richter am Amtsgericht



Verfahrensbeteiligte: ... (Mutter) und ... (Vater)

Kind: ..., geboren am ... 2006


Verfahrensbeistand des Kindes:

66 F 76/19, 66 F 77/19, 66 F 138/19: Stefanie Prothmann (Qualifikation nicht ersichtlich) bis Oktober 2020

66 F 77/19, 66 F 199/19, F 30/21 (EA): Christiane Simon (Rechtsanwältin)



Mitwirkendes Jugendamt: Krefeld



Ergänzungspflegschaft:

Frau Weyers - SKF Viersen (66 F 199/19, 66 F 77/19, 66 F 30/21)

Frau Schröder - Jugendamt Krefeld (66 F 138/19 EA 66 F 77/19)

 




Gutachten:

Barbara Knoblauch - Diplom-Psychologin - Ernennung zur Sachverständigen mit Beschluss vom 18.08.2021 - Gutachten vom 20.03.2022 (66 F 77/19)

Diplom-Psychologe Wolfgang Traub - Beauftragung am 09.05.2019 (66 F 77/19).

Dr. med. Stephan Ernst - Beauftragung angedacht im Beschluss vom 23.10.2020

 

 

Frau X und ihr vormaliger Partner Herr Y, der Vater von A, wurden 2002/2003 ein Paar und heirateten im Jahr 2005. A wurde am ... .2006 geboren. Herr Y trennte sich im Jahr 2015 von Frau ... . Im April 2017 lernte Frau X ihren jetzigen Lebenspartner Z kennen. Seit September 2020 leben Frau X und Z mit A in einem gemeinsamen Haushalt am Dorfrand von ... . Z ist beruflich gut eingebunden.

Der Vater, Herr Y lebt in der vormaligen gemeinsamen Wohnung, die sich in seinem Besitz befindet. Er ist Asthmatiker und hat eine Einschränkung auf 70 Prozent des Lungenvolumens. Herr Y ist beruflich gut eingebunden. Der Kontakt des Vaters zu seiner Tochter ist auf Grund einer ablehnenden Haltung von A abgebrochen. Herr Y versucht diesen Kontaktabbruch durch einen seit drei Jahren laufenden Antrag auf alleiniges Sorgerecht emotional zu kompensieren, wobei deutlich wird, dass dies dazu beiträgt, dass der Graben zwischen ihm und A noch tiefer wird.

A ist jetzt fünfzehneinhalb Jahre alt und bewegt sich auf die Volljährigkeit zu. Somit stellt sich die Frage, wie das Gericht und die beteiligten Fachkräfte dazu beitragen können, damit A die folgenden zweieinhalb Jahre in stabilen Verhältnissen leben und eine gute Entwicklung nehmen kann. Dies kann mit Sicherheit nicht durch riskante gerichtliche Experimente erreicht werden, sondern durch eine Unterstützung des aktuell tragenden familiären Systems und einer Deeskalation der aktuellen familiengerichtlichen Auseinandersetzung.

Bedauerlicherweise finden sich zur Frage einer Deeskalation und der Unterstützung des aktuell tragenden familiären Systems in dem A lebt im Gutachten von Frau Knoblauch keine relevant erscheinenden Hinweise oder Vorschläge.


Die Gutachterin behauptet:

„Der Wunsch des Kindes nach einem USA Aufenthalt zeigt das Bedürfnis nach Distanzierung, den Versuch, sich aus der Verstrickung zu lösen, auf, wobei ein USA-Aufenthalt zum jetzigen Zeitpunkt eine Überforderung des Kindes darstellt.“ (Gutachten S. 135)



Der Vortrag ist spekulativ und unsubstantiert, findet also keine Begründung, außer der einen Zirkelschluss einleitenden Behauptung, „ein USA-Aufenthalt wäre zum jet-zigen Zeitpunkt eine Überforderung des Kindes.“

Worin eine von der Gutachterin herbei spekulierte „Überforderung“ des Kindes konkret bestehen könnte bleibt ungesagt. Mithin ist dieser Vortrag der Gutachterin genau so viel wert, wie eine Sitzung bei einem Wahrsager oder Astrologen. Der Blick in eine Glaskugel erweitert leider nicht den Blick, sonst wären an den deutschen Amtsgerichten in jedem Richterzimmer Glaskugeln zu finden. Dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich ein USA-Aufenthalt mit guter Rahmung auf A Entwicklung positiv auswirken würde. Die Gutachterin machte sich jedoch leider nicht die Mühe, aufzuklären, wie ein USA-Aufenthalt konkret gestaltet werden kann.

Die Gutachterin stellt fest, dass es keine tragende Basis für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge gibt. (Gutachten S. 131). Insofern verwundert es, wenn der Vater offenbar die alleinige elterliche Sorge anstrebt, obwohl er selbst einräumt, dass Zurückhaltung seinerseits das Gebot der Stunde wäre.

 

„Er hat zwar die elterliche Sorge beantragt, will aber den Lebensmittelpunkt des Kindes bei ihm nicht erzwingen, kann hier seine Belange zurückstellen.“ (Gutachten S. 131).



Es geht allerdings nicht um die Belange des Vaters, wie die Gutachterin meint, sondern um die Belange der Jugendlichen A. Hierauf muss das Hauptaugenmerk gelegt werden.

Bei ihrem Vater fühlt sich A nicht gut aufgehoben, so dass es sehr merkwürdig erscheint, dass der Vater entgegen dem Wunsch von A auf Abstand mit Schreiben seines Anwaltes vom 11.03.2019 das alleinige Sorgerecht beantragt hat. Mit einem Zurückstellen seiner Belange - wie es die Gutachterin Frau Knoblauch unterstellt - hat der Antrag des Vaters mit Sicherheit nicht viel zu tun. Dass sein Antrag kontraproduktiv war, hat sich zwischenzeitlich gezeigt.

Aktuell möchte A zu ihrem Vater und darauf folgend mit der väterlichen Familie keinen Kontakt haben:

 

„Das wolle sie nicht, das ginge nicht mehr.“ (Gutachten S. 54).

 

A möchte weiter bei ihrer Mutter leben (Gutachten S. 60). Eine Kontaktaufnahme mit ihrem Vater könne sie sich „nach einem Jahr Pause vorstellen“, wenn ihr Vater diese Pausenzeit akzeptiert. Dies ist zu respektieren.

 

Vergleiche hierzu:

Lehmkuhl, Ulrike & Lehmkuhl, Gerd: "Wie ernst nehmen wir den Kindeswillen?"; In: "Kind-Prax", 2, (1999). 159-161.



Von der Verfahrensbeiständin Stefanie Prothmann wurde in einer schriftlichen Stellungnahme vom 09.04.2019 konstatiert, dass A ihren Lebensschwerpunkt bei der Mutter sieht und sich wünscht, dass sich ihre Mutter hauptsächlich um sorgerechtliche Angelegenheiten kümmert:


„Da es ja bei der Sorge ums Kindeswohl geht, sollte meine Mutter hauptsächlich die Sorge ausüben.“ (Stellungnahme S. 7).



Das Gericht wäre gut beraten gewesen, nach Einreichung der Stellungnahme der Verfahrensbeiständin den Antrag des Vaters auf alleiniges Sorgerecht zurückzuweisen. Dazu ist es bedauerlicherweise nicht gekommen. Dies dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass sich das familiäre System bis heute in einem angespannten Zustand befindet, was notwendiger Weise dem Wohl von A zuwiderläuft.

Statt den Antrags des Vaters abzuwenden wurde das Verfahren weitergeführt und mit Beschluss vom 09.05.2019 Herr Wolfgang Traub als Gutachter bestellt. Dieser empfahl in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 11.03.2020 der Mutter das Sorgerecht zu übertragen. Dazu ist es eigenartiger Weise dann nicht gekommen, so dass man sich fragen kann, ob das Gericht die fachliche Kompetenz des Gutachters in Abrede gestellt hat.

Statt nach der Empfehlung des Herrn Traub den Antrag des Vaters auf alleiniges Sorgerecht zurückzuweisen, was mit Sicherheit zu einer Verbesserung der angespannten Situation geführt hätte, dümpelte das Verfahren vor sich hin. Am 18.08.2021 ernannte das Gericht Frau Barbara Knoblauch als Gutachterin, grad so also ob nun damit ein Erfolg bei der Lösung der familiären Problematik zu erwarten wäre. Viel substantielles, was weiterhelfen könnte, ist allerdings auch von Frau Knoblauch nicht geliefert worden. Lediglich die Seitenzahl des Gutachtens mit 137 Seiten scheint beachtlich. Doch wie es schon bei Goethe heißt:

 

,Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor

 

Außer Spesen, nichts gewesen, so der Volksmund. Dies mag daran liegen, dass Frau Knoblauch den gerichtlichen Auftrag auf „Herstellung von Einvernehmen zwischen den Beteiligten“ nicht gemeistert hat, sonst wäre statt der 137 Seiten beschriebenen Papiers nur eine kurze schriftliche Stellungnahme nötig gewesen, in der dem Gericht die Einigung der Eltern präsentiert worden wäre. So stehen wir denn heute wohl an der selben Stelle wie vor drei Jahren, als Herr Traub als Gutachter ernannt wurde.
Die Gutachterin spricht sich - wie auch schon drei Jahre vorher Herr Traub - für einen Verbleib von A im mütterlichen Haushalt aus (Gutachten S. 132)

Leider trägt die Gutachterin aber ansonsten nicht viel vor, wie das tragende familiäre System, in dem A lebt, zum Wohl des Kindes unterstützt werden kann.

Worauf es nun ankommt, um nicht noch bis zur Volljährigkeit von A weitere zweieinhalb Jahre im Kreis umher zulaufen, wäre die Zurücknahme des Antrages des Vaters auf alleiniges Sorgerecht. Dies würde seiner Tochter immerhin signalisieren, ich habe den Ernst der Lage erkannt, mit dem Kopf durch die Wand, das hat noch nie geklappt, ohne sich ernsthafte Kopfverletzungen zuzuziehen.

Druck aus dem System zu nehmen ist das Gebot der Stunde. Der Besuch der Privatschule durch A dürfte hierbei ein geeignetes Mittel sein. Dies spiegelt sich auch in der Aussage von A:


„Wirklich besser sei es ihr dann erst auf der neuen Schule gegangen.“




Druck aus dem System zu nehmen ist weiterhin das Gebot der Stunde. Der Vater hat sich nach eigenem Bekunden auf den Wunsch seiner Tochter nach Abstand und Ruhe eingestellt und übt diesbezüglich nach eigenem Bekunden keinen Druck aus. Sein Verhalten ist aber inkongruent, wenn er darauf zielt, die alleinige elterliche Sorge zu erhalten und damit einen Keil zwischen Tochter und Mutter zu setzen. Dies verstärkt den Druck im System und damit den Druck auf die fast 16-jährige A, was wiederum auf den Vater zurückschlägt, der sich so seiner Tochter weiter entfremdet, anstatt den Abstand zu verringern. Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.

Nunmehr sind seit Antragsstellung des Vaters auf alleiniges Sorgerecht drei Jahre ins Land gegangen. Es ist zwischenzeitlich deutlich geworden, dass es dem Wohl von A am besten entspricht, wenn sie weiterhin im mütterlichen Haushalt lebt. Frau X und ihr Lebenspartner Herr Z sind deutlich bemüht, A ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Ob es hierbei sinnvoll sein könnte, auf freiwilliger Basis geeignete Hilfsangebote anzunehmen, könnte ausgelotet werden. Hierbei käme es jedoch darauf an, dass die angebotenen Hilfen auch Akzeptanz finden. Das Aufdrängen von Hilfen gegen eine gefestigte Überzeugung hilft mit Sicherheit nicht weiter, sondern verfestigt notwendiger Weise die Abwehrhaltung. Wenn das Prinzip der Freiwilligkeit beachtet wird, können angebotene Hilfen durchaus eine positive Wirkung entfalten. Hilfen, die den Beteiligten aus puren Aktionismus übergestülpt werden, sind kontraproduktiv und sollten von daher unterlassen werden.

Vergleiche hierzu:

Conen, Marie-Luise (Hrsg.): "Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie"; Carl-Auer-Systeme Verlag 2002











Peter Thiel, 28.04.2022

- Systemischer Berater und Therapeut / Familientherapeut - Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) - www.dgsf.org

- Systemischer Kinder- und Jugendlichentherapeut (DGSF) - www.dgsf.org

- Tätigkeit als Sachverständiger im familiengerichtlichen Verfahren gemäß § 402 ff ZPO

- Tätigkeit als Verfahrensbeistand, Umgangspfleger / Ergänzungspfleger nach §1909 BGB / Vormund für Familiengerichte im Land Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen

- Mitglied des Deutschen Familiengerichtstag e.V. - www.dfgt.de









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