Expertise zur Familiensache X (Vater) und Y (Mutter)
Familiensache: X (Vater) und Y (Mutter)
Kind: A (Tochter) geboren am ... .2008
Verfahrenspflegerin: Diplom-Psychologin Sonja Weber (vorhergehend Kerstin Henschel)
Umgangspfleger: Rechtsanwalt Mario Melegari
Amtsgericht Fürstenwalde - Geschäftsnummer: 10 F 332/09
Richterin: Frau Räckers
Erarbeitung der Expertise durch Peter Thiel
...
Mit Beschluss vom 30.09.2009 regelte das Amtsgericht den Umgang des der Mutter mit der bei ihrem Vater lebenden Tochter A wie folgt:
I. Die Mutter hat das Recht mit dem Kind an drei Tagen in der Woche für die Dauer von jeweils drei Stunden in Begleitung zusammen zu sein.
II. In diesem Umfang wird Umgangspflegschaft angeordnet. Diese Pflegschaft umfasst die Begleitung des Umgangs und die Abstimmung der konkreten Termine des Umgangs mit den Eltern des Kindes.
III. Zum Umgangspfleger wird
Rechtsanwalt Mario Melegarie
…
bestellt.
…
Rollenvermischung
Bedauerlicherweise vermischt das Gericht die Aufgaben des Umgangspflegers mit der wesentlich anderen Aufgabe eines Umgangsbegleiters. Umgangsbegleiter soll nach allgemeiner fachlicher Übereinstimmung eine geeignete Fachkraft sein:
Geeignete Fachkräfte im Sinne von § 72 SGB VIII sind nach den „Vorläufigen deutschen Standards zum Begleiteten Umgang", des Staatsinstitut für Frühpädagogik München 2001:
insbesondere
a) Diplom-Psychologen,
b) Kinder- und Jugendpsychiater,
c) Sozialpädagogen und Diplom-Pädagogen mit entsprechender Zusatzqualifikation
vergleiche hierzu:
"Vorläufige deutsche Standards zum Begleiteten Umgang", 2001, Staatsinstitut für Frühpädagogik München (Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), S. 26
Dass nun ausgerechnet der vom Gericht auch mit der Umgangsbegleitung beauftragte Rechtsanwalt Mario Melegarie eine solche geeignete Fachkraft sein könnte, ist nicht ersichtlich. Üblicherweise soll im Begleiteten Umgang auch eine fachliche Arbeit mit den Eltern stattfinden und es ist nicht ersichtlich, inwieweit Rechtsanwalt Mario Melegarie für diese schwierige Tätigkeit qualifiziert wäre. Überdies stellt das Gericht nicht klar, wo der Begleitete Umgang stattfinden soll, in der Kanzlei des Rechtsanwalts, in der Wohnung der Mutter, wobei der vom Gericht als Umgangspfleger und Umgangsbegleiter benannte Rechtsanwalt Mario Melegarie dann in der Wohnung der Mutter drei Stunden anwesend sein müsste.
Vergleiche hierzu:
Menne, Martin: "Der Umgangspfleger - ein unbekanntes Wesen?"; In: "Kindschaftsrecht und Jugendhilfe", 10/2006, S. 445-448
Thiel, Peter: "Zwischen Hilfeleistung und Zwang: Begleiteter Umgang und Umgangspflegschaft. Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen und Unterschiede zweier Interventionsformen", In: "Das Jugendamt", 10/2003, S. 449-453
Unabhängig von der Problematik einer Rollenkonfusion, wenn Umgangspfleger und Umgangsbegleiter ein und die selbe Person wäre, zumal noch bei einer sozialpädagogisch nicht ausgebildeten Person so wie hier der vom Gericht als Umgangsbegleiter benannte Rechtsanwalt Mario Melegarie, stellt sich auch die Frage, ob die Justizkasse den Rechtsanwalt Mario Melegarie für seine vom Gericht vorgesehene Tätigkeit als Umgangsbegleiter bezahlen wird. Voraussichtlich wird dies nicht geschehen, denn das Oberlandesgericht Brandenburg hat zu dieser Thematik bereits sehr restriktiv geurteilt.
„Soweit der Beteiligte (Umgangspfleger – Anm. Peter Thiel) als Umgangsbegleiter anzusehen sein sollte, steht im ein Auslagenerstattungs- und Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nicht zu, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt.“
Rechtsanwalt Mario Melegarie wird also für eine eventuell von ihm durchgeführte Tätigkeit als Umgangsbegleiter mit Sicherheit keine Auslagenerstattung- und Vergütung gegen die Staatskasse erwirken können. Die Umgangsbegleitung wäre daher von ihm kostenlos zu erbringen. Das er diese tun wird, erscheint unwahrscheinlich und so würde schon allein daran, die im Beschluss vom 30.09.2009 formulierte Idee des Gerichtes scheitern.
Gegebenenfalls könnte Rechtsanwalt Mario Melegarie aber die Eltern, hier insbesondere den Vater in dessen Obhut sich das Kind befindet, als Leistungsberechtigte bitten, für einen Begleiteten Umgang einen Antrag auf Kostenübernahme beim zuständigen Jugendamt zu stellen. Es erscheint allerdings sehr unwahrscheinlich, dass das Jugendamt - trotz des Wunsch- und Wahlrechts der Eltern - diese Hilfe dann durch einen Rechtsanwalt durchführen lassen würde.
Vergleiche hierzu:
Johannes Münder: Das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten in der Jugendhilfe; In: Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen; Heft 31, 1998, S. 55-77
Umfang der Umgangskontakte
Zu fragen ist auch nach dem Umfang und der Häufigkeit der Umgangskontakte. Das Gericht geht in seinem Beschluss von wöchentlich drei begleiteten Umgängen a drei Stunden aus. Offenbar folgt das Gericht damit dem Vorschlag der Kerstin Henschel vom 28.08.2009, die in der Ansicht handelte, rechtlich wirksam als Verfahrenspflegerin bestellt gewesen zu sein, obwohl es offenbar keinen entsprechenden Beschluss des Gerichtes gab, womit - nebenbei bemerkt - auch ein Anspruch auf Vergütung für die wie auch immer von ihr geleistete Tätigkeit ausscheiden dürfte (vergleiche Anhörungsprotokoll vom 11.09.2009).
Frau Kerstin Henschel schlug am 28.08.2009 Umgangskontakte „mindestens dreimal in der Woche für drei bis vier Stunden“ vor. Würde man diesem Vorschlag folgen, wäre durch die leistungsverpflichtete öffentliche Jugendhilfe dazu - inklusiver notwendiger flankierender Tätigkeiten - ein wöchentlicher Fachleistungsstundenumfang von ca. 12 bis 14 Stunden pro Woche bei einem Fachleistungsstundensatz von ca. 45 € zu bewilligen, mithin entstünden dafür wöchentliche Kosten von 540 bis 630 €.
Vergleiche hierzu:
„Neukalkulation der Fachleistungsstundensätze vom 12.02.2009“; Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Ob das Jugendamt des Landkreis Oder-Spree, das im gerichtlichen Verfahren mitwirkt, zu einer Übernahme der Kosten in diesem Umfang bereit ist, lässt sich aus dem Gerichtsmaterialien nicht entnehmen. Tendenziell ist eher das Gegenteil zu erkennen, nämlich, dass das Jugendamt versucht eine Kostenübernahme abzuwehren und die notwendige Umgangsbegleitung an einen dafür nicht vorgesehenen Umgangspfleger zu delegieren.
Am 11.09.2009 erklärt die Frau Lüer vom Jugendamt des Landkreis Oder-Spree:
„dass die AWO-Erziehungsberatungsstelle den wöchentlichen Umgang nicht gewährleisten könne. Sie sei völlig überfüllt mit Fällen.“
Dies ist nun allerdings kein hinreichender Grund seitens des Jugendamtes eine notwendige Hilfe zu versagen. Wenn die Beratungsstelle der AWO überlastet ist, muss das Jugendamt eben einen anderen mitwirkungsbereiten Dritten suchen - genügend qualifizierte Fachkräfte gibt es - und diesem gegebenenfalls die für die Hilfe notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen. Das Jugendamt als Kostenträger einer notwendigen Hilfe muss jedoch - unabhängig von der die öffentliche Jugendhilfe bezüglich einer Finanzierung eines Begleiteten Umgangs nicht bindenden Vorgabe des Familiengerichtes - in eigener Zuständigkeit die Sinnhaftigkeit einer Hilfe prüfen und über deren Bewilligung oder Nichtbewilligung entscheiden.
Hier fällt nun bezüglich des familiengerichtlichen Beschlusses vom 30.09.2009 auf, dass das Gericht keine Bezugnahme auf die dem Beschluss möglicherweise zugrunde liegenden psychologischen oder sozialpädagogischen Gründe nimmt, weswegen ein begleiteter Umgang in dem vom Gericht beschlossenen Umgang stattfinden soll. Erwähnt wird lediglich der Vortrag von Frau Lüer vom Jugendamt des Landkreis Oder-Spree:
„Sie sei nun der Meinung, dass sie den Vorschlag unterbreiten wolle, die Umgangsbegleitung komplett im Jugendamt vorzunehmen. Der Umgang könnte dann am Dienstag oder Donnerstag am Nachmittag jeweils für eine oder 1 ½ Stunden stattfinden.“ (28.08.2009)
und zwei Wochen später von Frau Lembke vom Jugendamt des Landkreis Oder-Spree:
„dass etwa zwei- bis dreimal in der Woche der Umgang mit der Mutter des Kindes sichergestellt werden sollte.“ (11.09.2009)
wobei Frau Lembke allerdings keine Zeitvorgabe für den jeweiligen Umgang gegeben wird. Möglicherweise bezieht sie sich auf den vorherigen Vortrag ihrer Kollegin die von ein bis eineinhalb Stunden je Umgangskontakt ausgeht.
In der Berufspraxis des Unterzeichnenden als Umgangsbegleiter bei einem Berliner Träger der Freien Jugendhilfe werden Begleitete Umgänge bei Kleinkindern ein- bis zwei Mal wöchentlich für je 2 Stunden vom zuständigen Jugendamt finanziert und so dann auch durchgeführt.
vergleiche hierzu auch:
Astrid Fricke: "Begleiteter Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern", In: "Zentralblatt für Jugendrecht", 10/2005, S. 389-392
Nur muss sich das Jugendamt des Landkreis Oder-Spree hier auch bereit erklären, die hierfür erforderlichen fachlichen Kapazitäten personell und finanziell abzusichern und diese verantwortungsvolle Aufgabe nicht auf einen Rechtsanwalt als Umgangspfleger abschieben wollen, der dafür weder geeignet noch vorgesehen ist.
Peter Thiel, 08.10.2009
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Literatur:
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Dettenborn, Harry; Walter, Eginhard: "Familienrechtspsychologie", München, Basel, Reinhardt, 2002
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