Stellungnahme zum Gutachten

der Diplom-Psychologin Iris Witzani

vom 02.Mai 2003

 

 

Familiensache YY

am Oberlandesgericht Frankfurt/Main

Geschäftsnummer:

 

Richter Dr. Däther

Kind: A (Sohn) geb. ... 1996

 

 

 

Beweisfrage:

 

"In der Familiensache Y gegen Y soll zur Frage der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für A, geb. , ein psychologisches Sachverständigengutachten erstellt werden.

Zur Gutachterin wird Frau Dipl. Psychologin Witzani, ... bestimmt."

 

 

 

 

Die hier vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf das vorliegende 43-seitige schriftliche Gutachten und einer 30-minütigen fernmündlichen Unterredung des Unterzeichnenden mit dem Vater von A.

 

 

 

 

 

Einführung

Das Gutachten weist nach Ansicht des Unterzeichnenden verschiedene Mängel auf, die es insgesamt ... . Dies mag auch daran liegen, dass der Beschluss des Oberlandesgerichtes keine handlungsleitenden Fragen oder Anweisungen enthält, so dass die Gutachterin offenbar annehmen musste, es wäre ihr vom Gericht ins freie Belieben gestellt ihre Arbeitsziele selbst zu bestimmen.

Die Gutachterin lässt nicht erkennen, an Hand welcher allgemein anerkannter Kriterien und nachvollziehbarer konkreter Umstände sie letztlich die Empfehlung gibt, dass das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern aufgehoben werden soll und die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zukünftig allein ausüben soll, was wohl dazu führen würde, dass die Mutter A aus dem Haushalt des Vaters zu sich nehmen würde. Auch die vier von der Gutachterin verwendeten Testverfahren können die Empfehlung nicht plausibel machen.

Ein so massiver Eingriff in die elterliche Verantwortung des Vaters, wie den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes und damit verbunden der Wechsel des Sohnes vom Haushalt des Vaters in den Haushalt der Mutter, hätte einer überzeugenden Begründung durch die Gutachterin bedurft. Dies ist aber soweit vom Unterzeichnenden zu sehen nicht geschehen. Das Risiko eines Haushaltswechsels für A ist zu groß, als dass es auf Grund subjektiver Sichtweisen der Gutachterin zum zukünftigen Experimentalfeld gemacht werden sollte.

 

Aus Sicht des Unterzeichnenden ist das Gutachten nicht geeignet, dem Familiengericht und den Eltern hinsichtlich der Sicherung bestmöglicher Entwicklungsperspektiven für das gemeinsame Kind geeignete Antworten und Lösungen aufzuzeigen. Insbesondere unterlässt es die Gutachterin aufzuzeigen, wie vor dem Hintergrund des Primats der Elternverantwortung (Artikel 6 Grundgesetz) der elterliche Konflikt gelöst werden könnte, so z.B. durch die Inanspruchnahme professioneller gemeinsamer Beratung oder Familientherapie durch die Eltern. Sie selber hat auch an keiner Stelle eine gemeinsame Elternberatung initiiert bzw. begleitet.

 

Bedauerlicherweise wurde für A weder vom Amtsgericht Wetzlar noch vom Oberlandesgericht Frankfurt ein Verfahrenspfleger nach §50 FGG bestellt, so dass das Kind in dem seit 2.5.2002 anhängigen Verfahren ohne eine eigenständige Interessenvertretung geblieben ist. Möglicherweise hätte eine solche wünschenswerte Bestellung eines Verfahrenspflegers die Anrufung des Oberlandesgerichtes und die infolge der folgenden Inauftraggabe eines Sachverständigengutachtens aufwändige Begutachtung ersparen können.

 

 

 

Der Unterzeichnende weist auf folgendes hin.

Qualitätssicherung und Schadensersatz

Ist vom Gericht ein Sachverständiger bestellt worden, haben die von der Bestellung betroffenen Personen ein Recht darauf, dass der Sachverständige seine Arbeit in der gebotenen Qualität durchführt. Dies schließt ein, dass der Sachverständige die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit dem Gericht und den Beteiligten in einem, qualitativ wenigstens ausreichenden, schriftlichen oder mündlichen Vortrag mitteilt, so dass der Richter, darauf aufbauend den Fortgang des Verfahrens betreiben kann.

Der Sachverständige hat das Gutachten unparteiisch und nach besten Wissen und Gewissen zu erstatten (§410 ZPO), d.h. er hat während seiner Arbeit die gebotene Unparteilichkeit zu wahren und sich auf dem aktuellen Stand der fachwissenschaftlichen Debatte zu bewegen.

Weist die Arbeit des Sachverständigen erhebliche Mängel auf, kann von den davon Betroffenen Schadensersatz verlangt werden.

 

§ 839a BGB

(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.

(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.

 

 

 

 

 

Begründung

I. Allgemeines

Vorstellung der von der Sachverständigen zugrunde gelegten Kriterien und der daraus abzuleitenden diagnostischen Methoden (hypothesengeleitete Arbeitsweise, Wissenschaftlichkeit)

Insgesamt sind die der Arbeit der Sachverständigen zugrunde liegenden Kriterien und Arbeitsansätze nur schwer oder gar nicht zu erkennen. Dies wäre aber notwendig, will sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, einzig und allein ihre eigene subjektive Meinung kund zu geben. Denkbar wäre z.B. ein analytischer, tiefenpsychologischer, behavioristischer oder systemischer Ansatz. Darüber erfahren wir im Gutachten leider nichts, so dass eine fundierte Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Basis erschwert wird.

Die Gutachtenerstellung erfolgte offensichtlich statusdiagnostisch orientiert. Eine interventionsdiagnostische oder systemisch-lösungsorientierte Arbeitsweise (vgl. Bergmann; Jopt; Rexilius, 2002) ist nicht zu erkennen. Die Sachverständige Gutachter hat es insbesondere unterlassen, beide Eltern zu einem gemeinsamen Gespräch mit ihr einzuladen, um die Sachlage mit ihnen zu erörtern. Das mag mit der sonstigen Arbeitsweise der Sachverständigen erklärbar sein, die aktuelle Fachdiskussion ist hier wesentlich weiter. Gefragt werden muss, ob die Sachverständige somit ihrer Verpflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO nachgekommen ist, ihr Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft zu verfertigen, hierzu Bode (S. 143): ...

 

"Im Übrigen sollte doch mindestens der Rechtsanwender nicht noch länger ignorieren, dass der - auch - intervenierende Sachverständige seit langem zum wohl gesicherten Erkenntnisstand der psychologischen Forschung gehört und er jenige Sachverständige, der nicht interveniert (also mindestens zu vermitteln versucht), seine Ver-pflichtung aus § 410 Abs. 1 ZPO verletzt, sein Gutachten nach besten Wissen, also auf der Grundlage gesicherten Wissensstandes seiner Wissenschaft und deren Erkenntnissen zu verfertigen."

 

 

An anderer Stelle Schade/Friedrich (1998): 

"Vor allem geht es nicht um die psychologische Untersuchung der familiären Konstellation zum Zeitpunkt der Begutachtung, der keinesfalls repräsentativ ist. Vielmehr steht der Prozeßcharakter im Vordergrund. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern als integrative Aspekte ihrer Erziehungsfähigkeit werden nicht als persönliche Eigenschaften verstanden, sondern als Resultat von Lernbereitschaft und Lernprozessen, die sich in der konkreten familiären Situation entwickeln können. ... Die weitgehend unstrittige Forderung, die klassische Statusdiagnostik zugunsten der interventionsdiagnostischen Bemühungen des Gutachters auf ein angemessenes Minimum zu reduzieren, ergibt sich geradezu demonstrativ, wenn man feststellt, dass die aus einer traditionellen Begutachtung abgeleiteten Erkenntnisse auch nicht annähernd in der Lage sind, komplexe Fragen nach sozialen Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Lernfähigkeit und Motivation der Eltern zum Finden konstruktiver Lösungen und Umsetzungen zu beantworten."

 

 

Das Gutachten zeigt keine Verweise auf wissenschaftliche Grundlagen bezüglich der durch die Sachverständige vorgenommenen Vorgehensweisen, Schritte, Befragungstechniken, verwendeter Tests und deren Gütekriterien usw. Dazu Leitner (S. 58):

 

"Ein familienpsychologisches Gutachten sollte auch im Hinblick auf literarische Gestaltungsprinzipien elementare wissenschaftliche Standards erfüllen. So besteht eine unabdingbare Forderung u. a. darin, daß im Gutachten umfängliche Literatur- bzw. Quellenangaben auch über die den Interpretationen zugrundeliegenden Theorien und Konzepte gemacht werden. ... Ein Gutachten, das solche Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens mißachtet, kann nicht den Anspruch erheben `eine wissenschaftliche Leistung` (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994, S. 8) zu sein, wie dies in den eingangs zitierten Richtlinien der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen für `ein solches Gutachten` (aaO) ausdrücklich gefordert wird."

 

 

 

 

 

II. Einzelpunkte

1. Die Gutachterin verwendet im Gutachten durchgängig die antiquierten, vormundschaftlichen und Distanz herstellenden Begriffe "Kindesvater", "Kindesmutter" und "Kindeseltern" eine Begrifflichkeit, die nicht geeignet ist, die Eltern als das zu sehen und zu fördern, was sie sind, nämlich Vater und Mutter (vgl. Kaufmann 1999)

 

2. Tonbandaufzeichnungen von den Gesprächen der SV mit den erwachsenen Beteiligten, insbesondere mit der Mutter und dem Vater wurden nach mündlicher Aussage des Vaters gegenüber dem Unterzeichnenden nicht gemacht. Das ist bedauerlich, da so ein möglicher Vorwurf einer nachträglichen falschen oder verzerrten Wiedergabe von Gesprächsinhalten durch die Gutachterin nicht mehr entkräftet werden kann.

 

3. Über die Tageszeit und die Zeitdauer der jeweiligen Begegnungen der Gutachterin mit den Beteiligten erfahren wir im Gutachten leider nichts.

 

4. Statt sich der aktuellen Konfliktdynamik der Eltern zuzuwenden, verliert sich die Gutachterin im referieren der bereits bekannten Aktenlage (S. 4-9). Danach gibt sie auf 6 Seiten (S.10-16) die Sicht der Mutter und des Vaters auf den Konflikt wieder und vermischt dies auch noch mit der Schilderung der Wohnverhältnisse der Eltern. Die Darstellung der subjektiven Sicht der Eltern ist in soweit wenig hilfreich, da sie immer die jeweilige Sicht eines Elternteils auf den Konflikt widerspiegelt, aber keinen Wahrheitsgehalt an sich beanspruchen kann.

 

5. Wozu die Gutachterin im folgenden mit Frau B., Frau C., Herrn D., Frau E. und Frau F unterhält (S. 16-22), bleibt von ihr unbegründet. Vielleicht steckt dahinter der Wunsch der Gutachterin sich als besonders fleißig darzustellen. Ein Einfluss auf Verbesserung der Aussagekraft ihres Gutachtens ist vom Unterzeichnenden jedoch nicht zu erkennen.

Ob Herr K. von der Beratungsstelle von beiden sorgeberechtigten Eltern von seiner Schweigepflicht entbunden wurde, ist aus dem Gutachten leider nicht zu erfahren. Möglicherweise hat hier der Berater in unzulässiger Weise gehandelt. Wie der Vater dem Unterzeichnenden mitteilte, hat die Mutter ohne Kenntnis und Zustimmung des Vaters mit X und Z mehrmals Herrn K. aufgesucht. Das verstößt möglicherweise gegen die gemeinsame Sorge die beiden Eltern zusteht (vgl. Menne 2001). Herr K. muss sich hier die Frage gefallen lassen, ob er damit den fachlichen Anforderungen an seine Arbeit nachgekommen ist. 

Dass die Gutachterin andererseits die Großeltern väterlicherseits nicht befragte, kann gegenüber der Gutachterin die Besorgnis der Befangenheit auslösen.

 

6. Die unbegründete Durchführung von vier psychologischen Tests kann den Eindruck befördern, dass die Gutachterin in ihrer Arbeit relativ planlos und willkürlich vorgegangen ist. Insbesondere ist dem Unterzeichnenden völlig unklar, wozu die Gutachterin einen Intelligenztest anwendet. Die gegebene Begründung der Gutachterin auf Seite 24 und 27 kann diesem Mangel sicher nicht abhelfen.

Kritisch zur Verwendung von Entwicklungs-, Intelligenz- und Leistungstest siehe auch Westhoff, Terlinden-Arzt & Klüber 2000, Kapitel 4. Ebenso auch Schulz (1997) und Schaipp und Pflaum (1995).

Zum allgemeinen Wert von psychodiagnostischen Tests schreibt Jopt ("Im Namen des Kindes", S. 284/296):

 

 "Ausnahmslos alle Gutachter scheinen unerschütterlich davon überzeugt zu sein, dass für eine die Gerichte beeindruckende Dokumentation ihres professionellen Könnens der Einsatz von Testverfahren .. absolut unverzichtbar ist."

 

 

Gütekriterien von psychodiagnostischen Tests

Leitner: 

 

"Nicht nur in Fällen, bei denen unkonventionelle Verfahren zur Anwendung kamen, die in einschlägigen Testhandbüchern nicht verzeichnet sind, sollte es aber Aufgabe der Sachverständigen sein, über die Erfüllung der Gütekriterien im Gutachten Rechenschaft abzulegen und damit die Aussagegültigkeit der testdiagnostischen Basis auch für das Gericht nachvollziehbar zu erörtern. Dies wäre gleichsam ein ganz wesentlicher Beitrag zur Transparenz der Aussagegültigkeit von Entscheidshilfen für das Gericht und zur Qualitätssicherung bzw. Qualitätsverbesserung, die es nachdrücklich anzustreben gilt."

(siehe Brickenkamp "Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests", Göttingen, 1975, S. 500).

 

 

Einer Diskussion der eingesetzten Test unter den vorgenannten Gesichtpunkten kommt die Gutachterin leider nicht nach.

Zum verwendeten "Family-Relation-Test" kritisch Leitner 2000:

"...

Anmerkungen zum Family-Relations-Test (FRT)

Das zusammen mit dem im Hinblick auf die Gütekriterien völlig unzureichendem Test "Familie in Tieren" (Brem-Gräser, 1995) insgesamt am häufigsten eingesetzte Verfahren, der Family-Relations-Test von Bene und Anthony (1957), ist im Testhandbuch von Brickenkamp (1997) explizit nicht verzeichnet. Seine Spitzenposition in der Rangfolge verdankt das Verfahren insbesondere der Tatsache, daß er in Gutachten der Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie (GWG) ausgesprochen häufig zum Einsatz kommt. Zwölf der insgesamt 16 Anwendungen dieses Verfahrens betreffen solche Gutachten. Insbesondere bei diesem Testverfahrens läßt sich erkennen, daß ausgeprägte organisationsspezifische Besonderheiten beim Einsatz bestimmter Tests offenbar kaum von der Hand zu weisen sind.

Auf Grund seiner Häufigkeit in den vorliegenden familienpsychologischen Gutachten sollen zu diesem Testverfahren noch einige ergänzende Anmerkungen gemacht werden:

Beim FRT handelt es sich um ein Verfahren, das in einer Übersetzung von Fläming und Wörner (1977) in Fassungen für vier- bis fünfjährige sowie für sechs- bis elfjährige Kinder vorliegt (vgl. Beelmann, 1995, S. 38). Beelmann referierte und diskutierte bei der Tagung der Fachgruppe Entwicklungspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. in Leipzig im Jahre 1995 "neuere Untersuchungen mit dem Family-Relations Test". Hierbei wurde deutlich, daß die Validität dieses Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt keineswegs als gesichert gelten kann. Im Rahmen seines Vortrages und der anschließenden Diskussion bezeichnete Beelmann den Umgang mit diesem Verfahren in der diagnostischen Praxis zudem als "haar-sträubend" und verwies in diesem Zusammenhang u. a. darauf, daß aus ökonomischen Gründen bei der praktischen Durchführung häufig instruktionsinadäquate Modifikationen vorgenommen werden."

 

 

Die klaren Präferenzen von A für einen Verbleib im Haushalt des Vaters (S. 25) ignoriert die Gutachterin offenbar. Vom Schwarzfuß-Test (S. 27) behauptet die Gutachterin lediglich von ihr nicht glaubhaft gemachte Resultate.

Die Tests bringen, wie die Gutachterin einräumen muss, letztlich keine verwertbaren Erkenntnisse (S. 26-27).

Auf Seite 29 behauptet die Gutachterin eine "Zusammenfassende Bewertung der Testergebnisse" zu geben. Auf den folgenden Seiten bis Seite 32 wird aber an keiner Stelle auch nur einmal auf die Testergebnisse, so denn überhaupt welche vorliegen eingegangen.

 

7. Auf Seite 32 beginnt die Gutachterin zum erstem Mal sich überhaupt darüber Gedanken zu machen, wie sie bezüglich des Beschlusses des OLG Frankfurt/Main vom 7.1.03 überhaupt arbeiten will.

Auf Seite 34 bescheinigt die Gutachterin der Mutter eine uneingeschränkte Erziehungsfähigkeit und begründet dies u.a. damit, dass Frau .... die Mutter als feinfühlig beschreiben und Herr K. und Frau ...  sich dementsprechend äußern würden. Es ist aber nicht Aufgabe einer Gutachterin, die Meinungen anderer einzuholen und diese subjektiven Meinungen zur Erhärtung ihrer eigenen Thesen zu nutzen. Dies ist gegebenenfalls Aufgabe des Gerichtes, wenn es sich von der Anhörung bestimmter Personen Hilfe bei einer Lösungs- oder Entscheidungsfindung verspricht.

Die auf Seite 12 von der Mutter vorgetragene massive Aggressivität von A gegenüber der Mutter, scheint für die Gutachterin überhaupt nicht auf eine Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit der Mutter hinzudeuten. Wenn ähnliches beim Vater auftreten würde, könnte es gut möglich sein, dass dies von der Gutachterin in breiter Form als Einschränkung seiner Erziehungsfähigkeit referiert würde.

Die von der Gutachterin behauptete Einschränkung der Erziehungsfähigkeit des Vaters (S. 34-37) vermag den Unterzeichnenden nicht zu überzeugen. Eine bloße Aneinanderreihung von unbewiesenen Vermutungen ist keine sachverständige Darlegung.

 

 

8. Der Kindeswillen und seine Bedeutung für den vorliegenden elterlichen Konflikt und eine mögliche Entscheidung des Gerichtes ist von der Gutachterin nicht ernsthaft diskutiert worden (vgl. Dettenborn 2001). Die Gutachterin bagatellisiert statt dessen dem kindlichen Willen (S. 38), unterstellt dem Kind einen unbewussten Willen gegenüber dem geäußerten und unterstellt dem Vater, er würde den Sohn manipulieren. In den nachfolgenden Zeilen begibt sich die Gutachterin in das Reich der Spekulationen erkennbar an Formulierungen wie "Eventuell", "Es ist anzunehmen", "Es wird ihm vermutlich unbewusst vermittelt", "so könnte es sein", "Diese Reaktion könnte die Haltung ... bestätigen".

Auf Seite 38 behauptet die Gutachterin unbegründet A "zeigt deutliche Wut, sowohl auf seine Mutter, die ihn in seinen Augen verlassen hat, als auch auf den Vater, der möglicherweise nicht angemessen auf seine Bedürfnisse reagiert."

 Woher die Gutachterin diese Auffassung hat, erläutert sie leider nicht, möglicherweise von der Erzählung der Mutter (S.12) "... Er sei ihr gegenüber aggressiv, teilweise beschimpfe und schlage er sie ...". Auf Seite 27 behauptet die Gutachterin dagegen gerade das Gegenteil, wenn sie aus dem Scenotest deutend berichtet, "Die Beziehung zur KM scheint von größerer Harmonie geprägt zu sein."

 

 

9. Ein Diskussion der Geschlechterproblematik durch die Gutachterin findet im Gutachten überhaupt nicht statt. So z.B. die Frage der Entwicklung der männlichen Geschlechtsidentität des Sohnes und der Bedeutung des Vaters dafür.

 

 

10. Über den Einfluss der geschwisterlichen Beziehung auf ihre abschließende Empfehlung gibt die Gutachterin keine relevanten Hinweise. Statt dessen idealisiert und romantisiert sie die Geschwisterbeziehung: "Sie bilden eine Gemeinschaft, die durch die Streitigkeiten der Eltern nicht berührt wird" (S. 39) und gibt damit unfreiwillig einen Hinweis auf ihre womöglich eingeschränkte Kenntnis der Dynamik von Geschwisterbeziehungen bei Trennung und Scheidung. Dies kann nicht verwundern, da hier selbst die Geschwisterforschung noch in den Kinderschuhen steckt (vgl. Karle; Klosinski 2001). Dass Z ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter behalten solle, so die Gutachterin auf Seite 24, ist im vorliegenden Verfahren völlig unstrittig und so fragt man sich, wozu die Gutachterin das überhaupt erwähnt.

 

 

11. Auf Seite 40 unterstellt die Gutachterin eine eher unbedeutende Rolle des Umfeldes "für Kinder in A`s Alter", "wenn ein Wechsel gewünscht wird". Das aber ist gerade die Crux, der Wechsel wird von A eben nicht gewünscht und damit die Idealannahmen der Gutachterin hinfällig.

 

 

12. Die Möglichkeit der Einbindung der Eltern des Vaters in die Betreuung von A durch seinen Vater erfahren keine angemessene Würdigung (S. 40). Dafür die ... Schwester B als Ersatz vorzuschlagen "zumal er in seiner Schwester sicherlich eine Hilfe hat", lässt beim Unterzeichnenden große Verwunderung über das Verständnis der Gutachterin aufkommen.

 

 

13. Auch wenn wegen einer Umgangsregelung vom Gericht nicht nachgefragt war, beeilt sich die Gutachterin gleich noch ungefragt ihre Meinung mitzuteilen. Herauskommt dabei der Vorschlag für einen Miniumgang des Vaters mit seinem Sohn. Wochenende aller 14 Tage. Das bezeichnet die Gutachterin dann noch als "ausgedehntes Umgangsrecht" (S. 40). Eine solche Bemerkung könnte man schon als leicht zynisch bezeichnen. Gerade so als wenn jemand meinen würde, eine Mahlzeit am Tage würde eine ausreichende Versorgung des Organismus mit Nahrung ermöglichen und daraus den Schluss zöge, dass Kinder ab sofort nur noch einmal am Tag essen sollten, da dies Zeit und Abwasch spart.

Bei der bestehenden angespannten Konfliktsituation der Eltern "Besuchstage während der Woche" den Bedürfnissen der Kinder zu überlassen, offenbart wohl eine gewisse Blauäugigkeit der Gutachterin. Im übrigen widerspricht sich die Gutachterin damit selbst, wenn sie vorher meint, A werde damit überfordert nicht zu wissen wo er morgen ist. Der Vorwurf der Gutachterin an den Vater, bei ihm erkenne sie "keine klare Linien" (S. 34) muss daher an sie selbst zurückgegeben werden.

 

 

 

 

III. Schlussbemerkung

Der abschließenden Empfehlung der Gutachterin das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter zu übertragen (S. 42), kann nach den vorstehenden Darlegungen nicht zugestimmt werden. Dass die Gutachterin dann noch unaufgefordert ein "ausgedehntes Umgangsrecht" befürwortet, zeigt zum einen, dass sie den richterlichen Auftrag zum Aufenthaltsbestimmungsrecht wohl unzulässig weit auslegt und zum anderen das Gericht und die Eltern im unklaren lässt, was denn ein "ausgedehntes Umgangsrecht" sei.. Sie lässt damit eine klare Linie vermissen, ein Vorwurf, den sie selbst an den Vater gibt.

Die Gutachterin unterlässt es, aufzuzeigen, wie die Eltern ihre elterliche Kompetenz einzeln und gemeinsam stärken und entwickeln können. Weber schreibt dazu: "Die bisherige Gutachten- und Sachverständigenpraxis greift in der Regel zu kurz, weil sie die Beziehung des Kindes zu Vater und Mutter ins Auge fasst, jedoch nicht die Konfliktdynamik und Störungen des Paar- bzw. Elternsystems."

 

...

 

 

 

 

Peter Thiel, 05.06.2003

geringfügig überarbeitet am 28.09.2007

 

 

 

 

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